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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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aus Zeitung:
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Überschrift:
Ein Abstieg in die Unterwelt
Zwischenüberschrift:
Osnabrück ganz unten: 770 Kilometer Kanal schwemmen alles fort
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Kein Horror

Till vvar bisher der Meinung, seine Vaterstadt recht gut zu kennen. Dennoch tun sich immer wieder neue Perspektiven auf. War es vor 14 Tagen der Blick von Kirchturmshöhe sollte es nun einmal das andere Extrem sein: Ein weit verzweigtes Netz von großen und kleines Kanalröhren unterwandert die Stadt und bildet die Kehrseite unserer Zivilisation. Dieses System ist gut hundert Jahre alt, aber die Idee dazu hat schon der geiale Erfinder Leonardo da Vinci entworfen: 1484 wollte er eine Stadt auf zwei Ebenen bauen, deren unterirdischer Teil der Notdurft, dem Verkehr und Erwerbsleben dienen sollte. Das mußte damals eine Utopie bleiben. Für die Kanalarbeiter von heute ist die Stadtentsorgung reine Routine und keinesfalls ein anrüchiges Thema. Zwar sind die unterirdischen Vorgänge normalerweise unserem Blick entzogen, aber Till hat gesehen, daß unter dem Straßenpflaster kein Platz für Horrorvisionen ist. Bismontag

Ein Abstieg in die Unterwelt
Osnabrück ganz unten: 770 Kilometer Kanal schwemmen alles fort
Von Frank Henrichvark (Text) und Gert Westdörp (Fotos)

Das Loch im Boden ist kreisrund und mit einer soliden gußeisernen Einfassung versehen. Das Auge erfaßt in der Wandung einige Steigeisen, dann geht es etwa fünf Meter hinab und am Boden glitzert schwach ein träges Rinnsal. Ein Abstieg in die Kanalisation ist keine " Reise zum Mittelpunkt der Erde" und dennoch beschleicht uns ein banges Grausen wie die Forschungsreisenden in dem utopischen Roman von Jules Verne: Wie wird es aussehen im Bauch der Kommunen? Was erwartet uns unter der Oberfläche, konfrontiert mit der Kehrseite einer Großstadt? Filmbilder. Orson Welles als " Der dritte Mann" geistern durchs Hirn. In der Kanalisation von Manhattan soll es sogar ausgewachsene Krokodile geben. Zumindest ist das Thema im höchsten Maße anrüchig. Heinz Kaschubski, gelernter Schachtmeister und seit 1974 für das Kanalnetz der Stadt Osnabrück zuständig, hat sogar ein Gasspürgerät dabei. Aber das soll nur ein Gas aufspüren, das man eben nicht riechen kann: Kohlendioxid sammelt sich manchmal in den Schächten und erstickt alles Leben. Kaschubski signalisiert: ,, Keine Gefahr!" Nun muß es sein, nun geht es abwärts. Während man auf dem Rand des Schachtes sitzt, angeln die Füße nach der ersten Sprosse. Und wenn man dort sicher steht, geht der Rest schon fast von allein.

Unten angekommen, empfängt uns im ,, Entlastungsbauwerk" am Schloßwall stockdunkle Finsternis. Kaschubski erklärt im Schein der starken Taschenlampen: ,, Hier fließt Mischwasser aus dem Pappelgraben in den Schmutzwasserkanal." Träge rinnt in dem kreisrund gemauerten Kanal, Durchmesser gut ein Meter, die gräuliche Flüssigkeit an uns vorbei. Weiße Papierfetzen schwimmen im Strom wie die Segel untergegangener Schiffe. Der Abwasserkanal ist nur halb gefüllt: ,, Am meisten fließt morgens und gegen Mittag, dann können wir in manche Kanäle gar nicht rein."

Wenn es aber ein richtiges Gewitter gibt, soll das Wasser an dieser Stelle über einen Sandfang in den Entlastungskanal Richtung Hase abfließen: Eine riesige Betonröhre, in der auch ausgewachsene Männer noch aufrecht stehen können, führt deshalb unter der Stadthalle her, folgt dem Neuen Graben und endet am Schöpfwerk Kollegienwall.

In der Ferne rauscht und dröhnt es: ,, Das sind die Drainagepumpen für die Tiefgarage am Ledenhof, die fördern das Grundwasser", erklärt Kaschubski, der mit seiner Truppe von 25 Mann für die Unterhaltung und Reinigung des unterirdischen Labyrinths zuständig ist.

730 Kilometer lang ist dieses Kanalnetz, das sich vom anderthalb Meter breiten Hauptsammler bis zum 20 cm messenden Hausanschluß verzweigt. 33 Millionen Kubikmeter Wasser fließen jährlich in Richtung Kläranlage Eversburg, darin enthalten die 12 Millionen Kubikmeter Schmutzwassser, die allen Dreck mit sich fortspülen.

Etwa 100 Kanalkilometer im Stadtgebiet führen noch Regenwasser und Schmutzwasser gemeinsam ab. der Rest (jeweils etwa 300 Kilometer) sind als Trennkanal verlegt. Dieses Trennsystem entlastet zwar die Kläranlage, bringt aber auch Probleme mit sich. Denn nach langer Trockenheit ist das erste Oberflächenwasser so stark mit Motoröl und Reifenabrieb belastet, daß es eigentlich aufgefangen und gereinigt werden müßte.

Bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts entledigten sich unsere Altvorderen noch recht unbekümmert all dessen, was Mensch und Tier hinter sich läßt. Offene Gräben durchzogen die Stadt und schwemmten den Unrat mit sich fort wenn sie dennüberhaupt Wasser führten.

Oft blieb die gärende Masse stecken, so daß bei plötzlichen Regengüssen Straßen und Plätze knöcheltief überschwemmt waren. Nach der Cholera-Epidemie von 1859 begann man mit dem Bau unterirdischer Kanäle. Um die Jahrhundertwende, als die Hase die unterhalb der Stadt eingeleiteten Abwässer kaum noch fortführen konnte, wurde das damals rein mechanische Klärwerk installiert.

Heute sorgen die Kanalarbeiter mit Spülwagen und Saugpumpen dafür, daß der unterirdische Abwasserstrom unbehindert fließen kann. Nur im Notfall, wenn Sand. Steine oder andere Zusammenballungen die Kloake verstopfen, ist noch Handarbeit gefragt. ,, Ein Job wie jeder andere auch", meint Heinz Kaschubski. als wir vom Ausflug in das Reich der Finsternis zurückkehren. Und die leblose Ratte am Fuß des Schachtes ist aus Plastik die haben seine Männer dort plaziert, um unsere Nerven zu testen: ,, Früher hatten wir mit den Viechern häufiger zu tun. heute ist das eine Seltenheit. "

Bilduntertitel

IN DIE RÖHRE GEBLICKT: Bis zu Mannhöhe erreichen die Kanalrohre - hier der Regenwasserkanal unter der Stadthalle - die das Stadtgebiet unterminieren.

HOFfNUNGSVOLLER BÜCK NACH OBEN: Dumpf ist die Luft Im Reich der Finsternis, glitschig sind die Steigeisen an der Wand. Dennoch ist die Arbeit unter Tage für die Kanalwerke " reine Routine".

AUS RINNSALEN WERDEN STRÖME: Ständig muß das Kanalnetz inspiziert werden. In den kleinsten Verzweigungen benutzen die Kanalarbeiter dazu einen kleinen " Roboter" mit Fernsehauge.
Autor:
Frank Henrichvark


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