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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Was sagen uns alte Inschriften?
Zwischenüberschrift:
Auf den historischen Osnabrücker Friedhöfen erzählen Gräber Geschichten
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück Wer lässt sich bei einem Spaziergang auf einem Friedhof nicht von Gedanken über den Tod und über das Leben berühren? Die Gräber, Steine und Inschriften wirken. Und manchmal machen sie neugierig. An einem der Gräber auf dem Osnabrücker Hasefriedhof halten sich manche Spaziergänger besonders lange auf. Sie entdecken, dass die Inschrift des runden Denkmals als Spirale wie ein Sog in die Mitte führt: Wo jedes Du ein Ast, an dem ich hänge, als ein Blatt, das schwebt und ruht. Die Zeit kehrt zurück in die Schale. Wir schlafen wie Wein in Muscheln. Es ist Zeit, dass der Stein blüht. Ich schwebe Euch voraus als ein Blatt, das weiß, wo die Tore sich, das Tor sich auftut.″ Es ist ein Bild für den Weg vom Diesseits ins Jenseits.
Wer recherchiert, findet heraus, dass es sich um leicht abgewandelte Verse aus drei verschiedenen Gedichten von Paul Celan handelt und für dieses Denkmal neu kombiniert wurden: Auf hoher See″, Ein Körnchen Sands″ und ausgerechnet – „ Corona″. Auf einer kleinen Tafel daneben sind die Namen dreier Familien eingraviert, aber ohne Jahreszahlen. Vielleicht, weil die Zeit zurück in die Schale″ kehrt, wie es in einem der Verse heißt?
Voller Geschichten
Doch der Verzicht auf Jahreszahlen ist eine Ausnahme. Die Gräber mit Namen, Daten und Inschriften machen gerade die historischen Friedhöfe den Hasefriedhof im Norden und den Johannisfriedhof im Süden Osnabrücks zu Orten nicht alleine des Gedenkens. Sie sind voller Geschichten, zu denen auch die Fantasie der Besucher gehört, wenn sie sich vorstellen, welche Menschen es waren, die hier begraben liegen, und sich auch fragen, welche Überzeugungen und Wünsche die Inschriften und die Gestaltung der Gräber offenbaren.
Während der ersten Jahrzehnte des Bestehens der beiden historischen Friedhöfe waren die Gräber eher einfach gehalten. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurden sie aufwendiger gestaltet bis hin zu Ehrfurcht gebietenden Bauwerken. Später wurden die Gräber wieder schlichter, doch findet sich zwischen ihnen immer wieder filigran gestaltetes Kunsthandwerk.
Auf vielen Denkmälern sind Lebensleistungen, Karrieren und die Bedeutung der Verstorbenen dokumentiert: Titel, Ämter und Berufe ob Arzt oder Lehrer, Maurermeister, Professor oder Senator. Und wenn Menschen in den Weltkriegen ums Leben gekommen sind, ist zu lesen, an welchem Ort sie gefallen sind. Hier und da werden seit einigen Jahren mit zusätzlichen Tafeln die Opfer des Nationalsozialismus gewürdigt, manchmal nicht weit entfernt von Gräbern, in denen Menschen liegen, die mit der Diktatur zumindest sympathisiert haben. Je mehr dieser Geschichten der Besucher kennt, desto mehr gerät der Besuch auf dem Hasefriedhof und auf dem Johannisfriedhof auch zum nachdenklichen Gang durch die deutsche Geschichte.
Oft geht es bei Inschriften auf Denkmälern um die Vergänglichkeit, wie in diesem Fall: Der Mensch ist Staub, sein Leben verdorret wie Gras. Gedenket daran! Als Quelle wird der Psalm 103, 14 angegeben. Tatsächlich handelt es sich um eine zugespitzte Formulierung ohne den eigentlich barmherzigen Charakter des Bibeltextes.
Manchmal nehmen die Inschriften eine göttliche Perspektive ein: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.″ Mit diesem Satz aus dem Johannes-Evangelium wird Jesus zitiert. An einem anderen Grab scheint es der Verstorbene zu sein, der aus einem Psalm zitiert: Du bist mein Gott. Meine Zeit stehet in Deinen Händen.″
Auf anderen Denkmälern kommen die Angehörigen zu Wort, die das Diesseits im Blick haben. Dann geht es oft um das künftige Wirken der Verstorbenen: Du lebst in unseren Herzen.″ Oder: Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, ist ja nicht todt, er ist nur fern! Todt nur ist, wer vergessen wird.″ Dieser Spruch stammt aus dem Schauspiel Der Stern von Sevilla″ von Christian von Zedlitz, wird aber gelegentlich Immanuel Kant oder auch Seneca untergeschoben dieser Fehler ist Literaturwissenschaftlern aufgefallen, aber er ist auf den historischen Friedhöfen offenbar nicht begangen worden, denn hier wird die Quelle nicht genannt.
Fast wie ein Trost für den Verstorbenen wirkt dieses Bibelzitat: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.″ Und für die Hoffnung auf ein Wiedersehen im Jenseits steht dieser Spruch, der jedoch nicht aus der Bibel stammt: In Gottes Ratschluss steht geschrieben: Es sehen sich wieder, die sich lieben.″ Diese Hoffnung drückt auch eine knappe Formulierung auf einem weiteren Grab aus: Auf Wiedersehen!
Richtig verstanden?
Die Würdigung für einen Verstorbenen liest sich so: Warst mir im Leben lieb und wert, im Tode unvergesslich.″ Die Inschrift für dessen später verstorbene Frau lautet: Sie hat getan, was sie konnte.″ Manche erinnert dieser Spruch an heutige Zeugnisse, in denen Arbeitgeber ihre Beschäftigten als stets bemüht″ bezeichnen und so nur scheinbar loben. Aber war das auch früher so?
Vielleicht war diese Inschrift vor 100 Jahren gar kein zweifelhaftes Lob. Und vor allem: Es handelt sich um den Anfang eines Zitates aus dem Markus-Evangelium, das komplett so lautet: Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.″ Der Bibel nach verteidigte Jesus mit diesen Worten die Ehrerbietung einer Frau, die ihn nicht lange vor der Kreuzigung mit besonders kostbarem Öl gesalbt hatte und nun von anderen dafür kritisiert wurde.
Der Hasefriedhof und der Johannisfriedhof sind inzwischen selbst zu Denkmälern geworden. Seit einem Vierteljahrhundert wird hier niemand mehr begraben, aber manches Grab wird nach wie vor von Angehörigen besucht und gepflegt. Gleichzeitig sind sie zu idyllischen Parks geworden. Diesen Anspruch haben die heutigen Friedhöfe zwar nicht, doch auch dort gilt das, was Steinmetz Bernard Feldker sagt: Grabsteine erzählen Geschichten.″
Und bei Feldkers Arbeit geht es auch um die Geschichte des Verstorbenen. Danach fragt er die Angehörigen, wenn es um eine individuelle Grabgestaltung geht. Ich finde es gut, wenn jemand etwas Persönliches möchte.″ Die Entscheidung, wie ein Grab aussehen soll und was auf dem Denkmal stehen soll, muss oft reifen, erzählt er: Das geht nicht in fünf Minuten. Manchmal dauert es Monate, vielleicht sogar ein halbes Jahr.″ Sein Ziel ist es, dass die Angehörigen ihre Entscheidung mit einem guten Gefühl″ treffen. Kreuze, Zitate aus der Bibel und Taufsprüche sind im Laufe der Jahre auf den Gräbern seltener geworden. Die Steinmetze Matthias Pufe und Bernard Feldker sehen aber einen Trend: Mehr Engel. Und viele Gräber sind kleiner, denn heute überwiegen Urnenbestattungen bei Weitem.
Vorschriften müssen sein
Grabsteine müssen genehmigt werden. Die Steinmetze müssen deshalb stets einen Antrag bei der Friedhofsverwaltung stellen. Die offizielle Bezeichnung lautet Anzeige eines Bauvorhabens zur Errichtung oder Änderung einer Grabmalanlage″. Eva Güse von der Friedhofsverwaltung spricht lieber von einer Grabmalanzeige″. Bei der geht es vorwiegend um Vorschriften wie die Abdeckung des Grabes und um die Würde, die auf dem Friedhof einzuhalten ist. An Inschriften, die von der Stadt nicht genehmigt wurden, kann sie sich nicht erinnern. Steinmetz Matthias Pufe erinnert sich daran, dass auch schon mal ein Denkmal mit zwei eingravierten Pistolen genehmigt worden ist. Ebenso eines mit einem Wappen des Fußballclubs Bayern München, doch: Das wurde zerstört.″ Der Steinmetz berichtet, dass ein Anhänger eines rivalisierenden Fußballvereins mit dem Bekenntnis auf dem Denkmal wohl nicht einverstanden″ war.
Doch auch wenn nichts draufsteht, können Steine wirken. Und sogar dann, wenn es sich nicht einmal um Grabsteine handelt. Das ist auf dem historischen Johannisfriedhof der Fall genauer gesagt: im Johannislabyrinth. Vor einigen Jahren ist dort ein Trauergarten nach einem Konzept der damaligen Hochschulstudentinnen Anna-Lena Meiners, Lena Rasche und Kira Sigge entstanden. Der Verein Osnabrücker Hospiz lädt regelmäßig zu Trauertreffs im Johannislabyrinth ein. Und so mancher Spaziergänger hält sich dort gerne alleine auf.

Bildtexte:
Eine Inschrift wie ein Sog von außen nach innen: Für dieses Grab auf dem Hasefriedhof wurden Zeilen aus drei Gedichten von Paul Celan verwendet.
Überspitzte Formulierung: Diese Grabinschrift bezieht sich auf einen Psalm - und ist nicht wörtlich übernommen.
" Sie hat getan, was sie konnte": Diese Inschrift auf dem Hasefriedhof lässt viele Spaziergänger spekulieren. Vielleicht aber war der Spruch ein Ausdruck hoher Anerkennung.
Weiterleben in den Herzen der Angehörigen: Inschriften wie diese befinden sich auf vielen Gräbern.
" Auf Wiedersehen!" Manche Grabinschrift kündet von Hoffnung - wie hier auf dem Hasefriedhof.
Fotos:
Jann Weber
Autor:
Jann Weber


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