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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Alles andere als „Goldene″ Zwanziger
Zwischenüberschrift:
Osnabrück vor 100 Jahren: Als in der Kommunalpolitik über Heiratsbremsen gegen Wohnungsnot diskutiert wurde
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück Von den Goldenen Zwanzigern″ kann 1920, im zweiten Jahr nach dem verlorenen Krieg, in Osnabrück noch lange keine Rede sein. Die Zwangsbewirtschaftung wichtiger Lebensmittel ist noch nicht aufgehoben, steht aber zunehmend in der öffentlichen Kritik. Milch und Brotgetreide sind knapp, die gestiegenen Kartoffelpreise führen zu Protestdemonstrationen. Und die Wohnungsnot ist ein Dauerbrenner in den Lokalnachrichten.

Die Stadt macht wahr, was sie mehrfach angedroht hat: Wenn die Besitzer großer Wohnungen nicht freiwillig Wohnraum abtreten, wird zu Zwangsmaßnahmen gegriffen. Ein Beamter des Wohnungsamts besichtigt in Begleitung von zwei Vertrauensleuten infrage kommende Luxuswohnungen, die im Verhältnis zur Zahl ihrer Bewohner als übergroß″ gelten, und untersucht Möglichkeiten der Abtrennung. Auch private Büros, Lagerräume und Werkstätten werden daraufhin inspiziert, ob sie sich zu Wohnräumen herrichten lassen. Mit Geldstrafe bis zu 10 000 Mark oder ersatzweise Haft wird belegt, wer unrichtige Angaben macht oder die Besichtigung nicht gestattet.

Neubauprogramm

Vor den Bürgervorstehern gibt Bausenator Friedrich Lehmann einen Überblick. Die Zahl der Wohnungssuchenden beträgt immer noch 1769, davon gelten 700 Fälle als dringlich. Wegen der Freigabe von Kasernen wurde mit der Militärverwaltung verhandelt, allerdings nur mit geringem Erfolg. Zwar seien Truppen abgezogen worden, aber den verbliebenen Soldaten stehe nach neuer Gesetzeslage doppelt so viel Wohnraum zu wie zuvor. Durch das forcierte Neubauprogramm insbesondere des Heimstättenvereins sind seit Jahresbeginn 428 Wohnungen bezugsfertig geworden. Durch Beschlagnahmen und Zwangsvermietungen konnten 206 Familien versorgt werden.

Justizsenator Johannes Petermann berichtet von Widerständen bei der Wohnungsbeschlagnahme. Verschiedentlich sei die Stadt in Klageverfahren durch zwei Instanzen unterlegen. Bürgervorsteher Mörker fordert ein Zuzugsverbot von auswärts. Das sei bereits vor einiger Zeit bei der Regierung beantragt, aber bislang nicht beschieden worden, antwortet Petermann. Bürgervorsteher Peter macht zum Schluss den Vorschlag, dass man die Eheschließungen einschränken möge. Das löst große Heiterkeit aus, wie der Reporter des Osnabrücker Tageblatts″ notiert. Peter meint das aber ernst. Es sei doch nicht nötig, dass 17-jährige Mädchen schon in den Ehestand treten, sie dürften ruhig noch einige Jahre warten. Stadtsyndikus Reimerdes erklärt, dass die Stadt zu einem solchen Verbot keine Handhabe besitze.

Brotgetreide fehlt

Die Versorgungslage beim Brot im letzten Monat vor der neuen Ernte spitzt sich dramatisch zu. Die Lieferungen von Brotgetreide stocken. Eine Frühdruschprämie″ für möglichst schnelle Ablieferung aus neuer Ernte soll die Lage entspannen. Dennoch, das Anlegen staatlicher Notreserven gelingt nicht, weil alles in den Sofortkonsum geht. Der geforderte weitere Abbau der Zwangswirtschaft, etwa für Ölfrüchte, Kartoffeln und Schlachtvieh, könne nur erfolgen, sagt das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, wenn die Bauern schleunigst und restlos das Getreide abliefern, bevor die großen Kartoffeltransporte im Herbst alle Wagenkapazitäten binden.

Auf der Großen Straße hat ein Erntewagen Ladung verloren. Die Zeitung schildert das so: Ein eigenartiger Anblick bot sich gestern Morgen kurz vor dem Neumarkt. Viele Leute hatten sich dort angesammelt, Männlein und Weiblein verschiedenster Berufe, junge Leute und ältere Personen, die damit beschäftigt waren, in die verschiedenen Anzugstaschen, in Körben, Gefäßen, sogar alten Farbeimern, in Filz- und Strohhüten usw. mit geschäftigen Fingern Korn einzusammeln, das in großer Menge auf dem Pflaster verstreut lag. In kurzer Zeit war der wohl halbe Zentner kostbarer Frucht größtenteils verschwunden.″

Lehrerinnen brauchen sich keine Hoffnung auf Anstellung mehr zu machen. Im Krieg war das anders. Viele Lehrer mussten an die Front, deshalb wurden ab 1916 an Volksschulen massenhaft Lehrerstellen in Lehrerinnenstellen umgewandelt. Nun sind die Lehrer aus dem Militär oder aus der Gefangenschaft entlassen, viele von ihnen kriegsbeschädigt, und warten auf Wiedereintritt in den Schuldienst. Die Not unter diesen Schulamtsbewerbern sei sehr groß, teilt die Schulaufsicht mit. Neueinstellungen von Lehrerinnen werden vertagt, bis wieder regelmäßige Verhältnisse eingetreten sein werden″.

Schnatgang wird gefeiert

Trotz der Nöte der Zeit gelingt es der Heger Laischaft, viele Kräfte für das alle sieben Jahre stattfindende Schnatgangsfest zu mobilisieren. Die Bewohnerschaft des beteiligten altstädtischen Straßengebietes hat sich selbst übertroffen″, schreibt das Tageblatt″, der ganze Stadtteil steht in Grün und Flaggenschmuck, überall sind Girlanden über die Straßen oder an den Häusern entlang gezogen, Ehrenbogen, zu denen das Hegerholz das Grün geliefert hat, sind aufgebaut.″ In den Straßen der nördlichen Altstadt sei kein Haus ungeschmückt geblieben, auch die Nichtinteressenten haben mit an dem Festkleide gewebt, zum mindesten hat man Maien gesteckt.″

Besonders eindrucksvoll geschmückt ist das Haus des Buchhalters und Schirmfabrikanten Heinrich Zangenberg in der Krahnstraße. Allenthalben prangen lustige Puppen und plattdeutsche Sprüche voller urwüchsigem, derbem Volkshumor″ an den Fassaden. Wucherer und Schieber kriegen ihr Fett weg. Und die Hoffnung auf bessere Zeiten in sieben Jahren blitzt auf: De Snaut fällt hüt in slimme Tien, Dat Vaderland mott bannig lien, Bi″n neichsten Snaut, da kannst up an, is Duitschland wedder allen vöran″ (Der Schnatgang fällt heute in schlimme Zeiten, das Vaterland muss stark leiden, beim nächsten Schnatgang, da kannst du drauf an, ist Deutschland wieder allen voran).

Die Wiecking-Stiftung und der Vaterländische Frauenverein haben durch ein Gemeinschaftsprojekt 120 erholungsbedürftigen Kindern aus unbemittelten Familien″ einen Erholungsaufenthalt auf dem Lande und an der See vermittelt. Anfang August kehren die Ferienkinder heim. Der Tageblatt″-Reporter ist dabei: Vor unserm Hauptbahnhof ein ungewöhnliches Bild: in langer Reihe stehen Wagen und Wägelchen, bereit, das Gepäck der zurückkehrenden kleinen Sommerfrischler aufzunehmen. Dicht gedrängt erwarten in der Halle Vater, Mutter und Geschwister die Ankunft ihrer Lieben. Endlich braust der Zug heran, und in den nächsten Minuten stürmen sie auch schon den Ausgängen zu, ein jedes schwer bepackt. Hier müht sich ein Knirps mit einem mächtigen Bauernstuten ab, dessen Papierhülle dem Gedränge nicht standhielt und in Fetzen herunterhängt. Dort hat ein anderer zur Freude seiner ihn erwartenden Geschwister ein paar Kaninchen im Kasten. Sogar das Geschrei eines Hahns lässt sich vernehmen. Und wie frisch und gesund sehen sie alle aus! Ihre gebräunten Gesichter und die vollen Backen geben Kunde von dem wohltuenden Einfluss der Landluft und der guten Verpflegung.″

Zensur beruhigen

Die Kaiser-Lichtspiele zeigen den Film Die Tochter der Straße″. Er wird im Zeitungsinserat so angepriesen: Mit erlesenem Geschmack und vollendeter Delikatesse ist hier von Künstlerhänden ein lebendiges Sittengemälde unserer heiß pulsierenden, modernen Zeit geschaffen, in dem die tiefste Liebesglut und alle Träumereien sehnsuchtsvoll Liebender in verschwenderisch schönen Szenen zur köstlichsten, lebenswahren Bilderpracht vereinigt sind.″ Die Hauptrolle spielt die rassige, pikante und beliebte Maria Widal″. Um dem Eindruck, den der Filmtitel sicherlich gewollt erwecken könnte, entgegenzutreten und die Zensur zu beruhigen, heißt es weiter: Kein Sittenfilm. Kein Aufklärungsfilm. Keine Schmutz-Literatur. Keine Lasterwiedergabe.

Bildtexte:
Die Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg wird durch forcierte Neubauprogramme wie hier am Meisenweg auf dem Sonnenhügel, aber auch durch Zwangsvermietungen und Zuzugsbeschränkungen bekämpft.
Im August 1920 begeht die Heger Laischaft das traditionelle Schnatgangsfest. Postkarte aus der Sammlung Helmut Riecken.
Fotos:
Archiv Museum Industriekultur/ Rudolf Lichtenberg

Hinweis aus der NOZ vom 04.09.2020

Sorry

Mehrere Leser, die auf dem Sonnenhügel zu Hause sind, haben uns auf einen Fehler in einer Bildunterschrift des Artikels Alles andere als , Goldene Zwanziger′″ aus der Serie Vor 100 Jahren″ in der Ausgabe vom 26. August hingewiesen. Den Wohnungsbau der Zeit illustrierten wir mit einem Foto, das im Rohbau fertiggestellte Siedlungshäuser zeigt. Die entstanden aber nicht am Meisenweg, wie angegeben, sondern ein paar Straßen weiter, in der Frickestraße. So schrieb etwa Martin Dyballa: Es ist der gleiche Baustil wie am Meisenweg, aber das Quergebäude in der Bildmitte markiert das Ende der Sackgasse, die die Frickestraße im Gegensatz zum Meisenweg ist.″ Die falsche Verortung, die wir aus einem Bildband des Kulturgeschichtlichen Museums übernommen hatten, geht möglicherweise auf den bedeutenden Osnabrücker Fotografen Rudolf Lichtenberg selbst zurück. Der hatte nämlich auch den etwa zur gleichen Zeit im Aufbau befindlichen Meisenweg fotografiert und die entstandenen Bilder der beiden ähnlich aussehenden Siedlungen möglicherweise durcheinandergebracht.
Autor:
Joachim Dierks


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