User Online: 1 | Timeout: 00:14Uhr ⟳ | Ihre Anmerkungen | NUSO-Archiv | Info | Auswahl | Ende | AAA  Mobil →
NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Datensätze des Ergebnis
Suche: Auswahl zeigen
Treffer:1
Sortierungen:
Anfang der Liste Ende der Liste
1. 
(Korrektur)Anmerkung zu einem Zeitungsartikel per email Dieses Objekt in Ihre Merkliste aufnehmen (Cookies erlauben!)
Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Flüchtlinge klagen in Osnabrück gegen ausgesetzte Dublin-Frist
Zwischenüberschrift:
Verfahren wegen Corona-Pandemie geändert / Viele Geflüchtete betroffen / 250 Klagen anhängig
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück Im März hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wegen der Corona-Pandemie beschlossen, keine Flüchtlinge mehr zu überstellen, für die nach dem Dublin-Abkommen andere Länder zuständig sind oder waren. Auch die Überstellungsfrist von sechs Monaten setzte das Bamf für eine Gruppe aus. Diese viel kritisierte Praxis hat dem Osnabrücker Verwaltungsgericht zusätzlich Arbeit beschert.

Die Regelung des Bamf ist ein großes Thema hier″, sagt Uta Conrads, Richterin am Verwaltungsgericht Osnabrück, auf Anfrage unserer Redaktion. Die Aussetzung der Überstellungen und deren Widerruf erachte das Osnabrücker Gericht als grundsätzlich rechtmäßig, sagt Conrads.

Sechs Monate Zeit

Grundsätzlich gilt: Ist das Bamf der Ansicht, nicht für das Asylverfahren eines Asylsuchenden zuständig zu sein, bittet es das zuständige EU-Land um die Wiederaufnahme des Migranten. Ab diesem Zeitpunkt hat Deutschland sechs Monate Zeit, den Asylsuchenden zu überstellen. Gelingt das nicht, ist die Bundesrepublik für sein Asylverfahren zuständig.

Beim Verwaltungsgericht Osnabrück sind rund 250 Klageverfahren gegen Dublin-Bescheide″ anhängig, in denen das Bamf die Überstellung in andere EU-Länder seit März ausgesetzt hat. Vor dieser Grundsatzentscheidung des Bamf hatte das Verwaltungsgericht Osnabrück bereits auf Antrag eines Geflüchteten die Überstellung coronabedingt ausgesetzt. Die Rechtsfolgen sind jeweils gleich: Die Geflüchteten dürfen bis auf Weiteres bleiben, und die Überstellungsfrist wird jeweils unterbrochen. Das Osnabrücker Gericht ist zuständig für Stadt und Landkreis Osnabrück, das Emsland und die Grafschaft Bentheim. In diesem Bereich befinden sich zwei Erstaufnahmeeinrichtungen.

Worum geht es genau? Das Bamf hatte inmitten und wegen der Corona-Krise ein Rundschreiben an alle Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte verschickt, datiert auf den 18. März. Unter anderem heißt es darin: Da vor diesem Hintergrund derzeit Dublin-Überstellungen nicht zu vertreten sind, setzt das Bundesamt bis auf Weiteres alle Dublin-Überstellungen aus.″ Das Bamf schickte also keine Asylsuchenden mehr in Länder, die für ihre Asylverfahren zuständig sind oder waren.

Zeit auf null gesetzt

Das Bamf entschied, dass nach dem Widerruf der coronabedingten Aussetzung die Sechsmonatsfrist der klagenden Asylsuchenden wieder neu beginnt. Bedeutet: Hat ein Geflüchteter schon vier Monate auf seine Überstellung gewartet, hat sich das Bamf nach Ende der Aussetzung wieder die vollen sechs Monate Zeit gegeben für den Geflüchteten eine Hängepartie.

Dass die Überstellungsfrist nur im Fall eines anhängigen Klageverfahrens unterbrochen werden darf, beruht auf einer nationalen Regelungslücke. So sieht die europarechtliche Dublin-III-Verordnung die Möglichkeit einer Aussetzung der Überstellung grundsätzlich vor.

In Deutschland gibt es keine asylrelevante Umsetzung hierfür. Das allgemeine Verwaltungsprozessrecht in Deutschland ermöglicht lediglich die Unterbrechung bei gleichzeitigem Betreiben eines Klageverfahrens. Einige Geflüchtete haben sogar von dieser Regelungslücke profitieren können: Wer nicht gegen seine Überstellung in ein anderes EU-Land geklagt habe, bei dem sei die sechsmonatige Frist normal weitergelaufen, erklärt Conrads.

Das Verwaltungsgericht Osnabrück sei wie auch die Verwaltungsgerichte Hannover, Lüneburg und Göttingen der Ansicht, das sei rechtens, sagt Conrads. Es sei nicht rechtsmissbräuchlich, dass das Bamf die Überstellungen coronabedingt ausgesetzt habe. Andere Gerichte hingegen urteilten anders.

Dass nach Aussetzung und Widerruf die Sechsmonatsfrist grundsätzlich wieder von Neuem beginnt, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits 2019 entschieden. Hiernach benötigen die Mitgliedstaaten eine zusammenhängende Frist von sechs Monaten, um die Überstellung technisch und organisatorisch mit dem jeweils zuständigen Mitgliedstaat vorbereiten und durchführen zu können. In den Fällen, in denen kein Klageverfahren anhängig war, hatten die Eilanträge gegen die Aussetzungsentscheidung des Bamf vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück daher Erfolg.

Bis heute seien etwa 90 Prozent der Aussetzungen der Überstellungsfrist widerrufen worden, sagt Conrads. Das Bamf kann diese Flüchtlinge also überstellen. Gegen diesen Widerruf gingen von Juni bis heute 27 Eilanträge am Verwaltungsgericht Osnabrück ein, fast alle sind entschieden. Eine Quote könne sie nicht nennen, da es nicht immer nur um Corona gegangen sei. Auch andere Gründe, etwa eine Risikoschwangerschaft, könnten eine Rolle gespielt haben.

Kritik von Pro Asyl

Anfang August gab das Bamf diese Praxis für Menschen ohne anhängiges Klageverfahren auf und erachtete sie offenbar selbst als rechtswidrig zumindest intern. Das war von Anfang an sehr gewagt vom Bamf aus unserer Sicht war das europarechtswidrig″, sagt Wiebke Judith von Pro Asyl im Gespräch mit unserer Redaktion. Bereits Mitte Juni hatte das Bamf wieder mit Überstellungen in andere EU-Staaten begonnen.

Wenngleich die Praxis des Bamf nur für Geflüchtete galt, die gegen ihre Überstellung geklagt hatten, so betraf sie dennoch nicht wenige. Aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums vom 22. Juni auf eine Kleine Anfrage der Grünen geht hervor: An 21 735 Geflüchtete Stand 1. Juni 2020 hatte das Bamf das Schreiben verschickt. Bei 9303 Asylsuchenden war ein Klageverfahren anhängig.

Deutschland beschritt mit dieser Praxis einen Sonderweg in der EU das gestand das Innenministerium ein. Wir sehen eine solch komplett neue Praxis während solch einer Krise sehr kritisch, besonders da sich die Betroffenen während der Corona-Hochphase kaum beraten lassen konnten″, so Judith.

Bildtext:
Wer also nicht geklagt hatte, hatte Glück″ so beschreibt Richterin Conrads das Paradoxon infolge einer neuen Praxis des Bamf.
Foto:
Jörn Martens
Autor:
Jörg Sanders


Anfang der Liste Ende der Liste