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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Ist Osnabrück eine westfälische Stadt?
Zwischenüberschrift:
Experten suchen Antworten in Kultur, Historie und Sprache
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück Ist Osnabrück eine westfälische Stadt? Die Frage vermag auch 2020 noch lebhafte Diskussionen auszulösen, wie kürzlich in einer Osnabrücker Facebook-Gruppe zu beobachten war. Grund genug, sich einmal genauer damit auseinanderzusetzen.

Fakt ist: Osnabrück liegt in Niedersachsen und nicht in Nordrhein-Westfalen. Osnabrück ist somit zweifellos eine niedersächsische Stadt und keine nordrhein-westfälische. Aber kann sie deshalb nicht trotzdem eine westfälische Stadt sein?

Der Historiker Karsten Igel sagt: Die kurze und einzig richtige Antwort wäre: , Ja.′ Und gewissermaßen bin ich der lebende Beweis, da ich Osnabrück als Lehrbeauftragter in der Abteilung für Westfälische Landesgeschichte an der Uni Münster vertrete.″

Die Quellenlage sei eindeutig. Ein Beispiel: Der Kartäusermönch Werner Rolevinck hat im 15. Jahrhundert , Das Buch zum Lobe Westfalens′ geschrieben, eine der ältesten Landesbeschreibungen überhaupt. Es ist unter anderen gewidmet den Bischöfen von Osnabrück und Münster.″

Dies schrieb der Mönch: Es [Westfalen] umfasst vier Bistümer, Münster, Osnabrück, Paderborn und Minden.″

Es folgt eine Aufzählung von Grafschaften und erlauchten Häusern″, die dem Autor zufolge ebenfalls zu Westfalen gehören, darunter auch Oldenburg, knapp 100 Kilometer weiter nördlich gelegen, also noch mal ein ganzes Stück weiter entfernt von dem Gebiet, das heute (Nordrhein-) Westfalen heißt.

In der Geschichte taucht Westfalen immer wieder auf als Bezugspunkt für die Stadt: Gründung des Bistums Osnabrück durch Karl den Großen gegen Ende des 8. Jahrhunderts nach dem Krieg gegen die Sachsen in Westfalen.

Im Heiligen Römischen Reich Anfang des 16. Jahrhunderts Zuordnung des Hochstifts Osnabrück zum Niederrheinisch-Westfälischen Reichkreis. Dreißigjähriger Krieg von 1618 bis zum Westfälischen Frieden 1648.

Plötzlich Niedersachsen

Nach dem Ende des Alten Reichs Anfang des 19. Jahrhunderts in rascher Folge: Zugehörigkeit Osnabrücks zum Kurfürstentum Hannover, dann zum französisch beherrschten Königreich Westphalen, ab 1814 zum Königreich Hannover, das 1866 von Preußen annektiert wurde. Formal lag Osnabrück dann bis zum Ende der NS-Zeit in Preußen. (Dass es deshalb eine preußische Stadt sein könnte, würde heute freilich niemand ernsthaft behaupten.)

Mit ausführlichen Beschreibungen dieser Entwicklungen haben Fachleute diverse Bücher gefüllt. Um den Rahmen hier nicht zu sprengen, machen wir einen Sprung in die Gegenwart und befinden uns im Bundesland Niedersachsen, 1946 gegründet durch die britische Besatzungsmacht.

Dazu Karsten Igel: Niedersachsen ist ein konstruiertes Bundesland.″ Die Bezeichnung sei östlich der Weser zwar sicherlich passend, aber über alles wurde sie übergestülpt″. Trotzdem wohnen wir in Niedersachsen und können festhalten: Osnabrück gehörte vielleicht mal zu Westfalen, aber jetzt nicht mehr. Die Ausgangsfrage ist damit beantwortet.

Oder?

Leider nur jein, denn es gibt andere Betrachtungsweisen. Hermann Queckenstedt, Leiter des Diözesanmuseums in Osnabrück: Es kommt darauf an, wie man , Westfalen′ definiert.″

Zur oben angerissenen Verwaltungsgeschichte von Stadt und Region weiß auch Queckenstedt eine Menge zu sagen. Richtig kompliziert wird es, wenn es um die Verknüpfung von weltlicher und geistlicher Herrschaft im Laufe der Jahrhunderte geht.

Der Museums-Chef bringt aber noch einen ganz anderen Faktor ins Spiel: die Sprache. Denn wie er anmerkt, gehört das Plattdeutsch im Osnabrücker Land zu den westfälischen Dialekten. Wenn Sie Richtung Küste oder Hannover fahren, klingt es nicht weit von hier ganz anders.″ Was die Mundart betrifft, verlaufe eine Grenze durch die Region.

Heute sprechen wir zwar fast nur noch Hochdeutsch, aber der Sound ist noch deutlich geprägt vom schwindenden Platt, und viele mehr oder weniger schöne plattdeutsche Ausdrücke haben den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft.

Auch dieses Thema wird an anderer Stelle gebührlich vertieft. Hier nur zwei Beispiele für schöne Wendungen mit platten Wurzeln aus einem Beitrag der Osnabrücker Kultur-Reporter: Da kann ich nix für″ und inne Puschen kommen.″ Prägnant, wohlklingend, immer passend.

Sprache und Kultur

Sprachlich könnte man Osnabrück und Umland also vielleicht salopp als postwestfälisch″ bezeichnen. Und eng verbunden mit der Sprache ist der Aspekt der kulturellen Zugehörigkeit.

Michael Schimek ist Bauhistoriker am Museumsdorf Cloppenburg und Verfasser des wissenschaftlichen Artikels Westfalenbild und Westfalenbewusstsein Justus Mösers″. Darin schreibt er, der prominente Osnabrücker Politiker und Jurist Möser (1720–1794) habe es nicht geschafft, Westfalen mit seinem historischen Ansatz klar abzugrenzen. Stattdessen hat er dann mit einem eher kulturgeografischen Begriff gearbeitet.″

Für Möser gehörte Osnabrück ganz klar zum Natur- und Kulturraum Westfalen, wie er ihn definierte. Das machte er fest an Sprache, Lebensweise (einfach, bäuerlich) und daraus resultierender Mentalität der Westfälinger″.

Aus Schimeks Arbeit entnommen ist auch die folgende Aussage Mösers: Westfalen sei ein Land, wo die Leute nichts tun als arbeiten, schlafen, essen und sich wohlbefinden″. Eine offenbar stark idealisierende Beschreibung oder Sozialromantik″, wie Schimek es formuliert.

Möser war das natürlich bewusst. Er wollte damit aber ein positives Leitbild schaffen, an dem sich die Bevölkerung Westfalens orientieren konnte. Volkserziehung also.

Zuschreibungen dieser Art waren und sind natürlich immer zu pauschal, wie fast jede Aussage über beliebige demografische Gruppen aber dennoch interessant. Unabhängig voneinander liefern Igel, Queckenstedt und Schimek im Gespräch mit unserer Redaktion ähnliche Charakterisierungen des Osnabrückers an sich″, teils sogar wortgleich und wie der olle Möser ordnen sie besagten Osnabrücker als typischen Westfalen″ ein.

Etwas zurückhaltender″ sei man hier, sagt Igel zum Beispiel, nicht so vorpreschend″. Queckenstedt: Eher zurückhaltend, nicht so überschwänglich, dafür verlässlich.″ Schimek nutzt ein Bild, sagt aber im Kern dasselbe: Man muss erst mal ein Kilo Salz zusammen essen, bevor man sich grüßt.″ Auch wenn es sich um Privatmeinungen handelt: Die Übereinstimmungen legen nah, dass sich tatsächlich etwas sagen lässt über eine osnabrückische Mentalität die dann ziemlich genau dem entspräche, was auch über die Westfalen″ gesagt wird.

Pragmatische Sicht

Zumal auch die älteren Aussagen darüber sehr ähnlich klingen wie diejenigen von Justus Möser. Und auch der mittelalterliche Mönch Rolevinck äußert sich im Westfalenlob″ in ganz ähnlicher Weise über das Naturell dieses Menschenschlags.

Aber, wie Schimek betont: Das lässt sich alles statistisch nicht erhärten, das sind Stereotype. Und spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich das auch sicher sehr verändert, nicht zuletzt durch Zuzug von Flüchtlingen und andere Migration.″

Für die Ausgangsfrage schlägt er eine pragmatische Antwort vor: Wenn die Osnabrücker sagen: , Wir fühlen uns westfälisch′, dann gehören sie wohl dazu.″

Der Westfale an sich″ könnte mit dieser Lösung bestimmt gut leben.

Bildtext:
Für Justus Möser war der Fall klar: Osnabrücker sind Westfälinger″.
Foto:
Gert Westdörp
Autor:
Markus Strothmann


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