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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Wohnungsnot führt zu Protesten
Zwischenüberschrift:
Osnabrück im Juli 1920: Unmut gegen Mietwucher und Luxuswohnungen
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück Im zweiten Jahr nach dem verlorenen Krieg halten im Juli 1920 zwei Themen die politischen Gremien in Osnabrück in Atem: Explodierende Lebensmittelpreise und eine wachsende Wohnungsnot. In der Stadthalle halten die Gewerkschaften zusammen mit Mieterschutz- und anderen Vereinen eine große Protestversammlung ab. Eine Forderung: Luxusvillen müssen sofort beschlagnahmt werden.

Gegenüber Familien, die mit wenigen Personen 15 Zimmer oder mehr bewohnten und bislang nicht freiwillig untervermietet hätten, gebe es kein anderes Mittel als die Beschlagnahme, finden die Anwesenden. Der Vertreter des Heimstättenvereins fordert eine Mietluxussteuer in fühlbarer Höhe″ für große Wohnungen. Ein Gewerkschaftssekretär ruft die Bauarbeiter auf, vorerst nur Arbeiterhäuser zu bauen und Villen und Luxusbauten zu verweigern.

Die Verwaltungen auf allen Ebenen hätten versäumt, rechtzeitig für den Wohnungsbau zu sorgen. Im Krieg habe nur der Militärfiskus bauen können: Festungen, Werften und Kasernen hätten alle Ressourcen aufgebraucht. Für die nach dem Krieg zurückflutenden Soldaten gebe es keine menschenwürdigen Behausungen. Manche Familien lebten mit Einlogierern oft zu sechs in einem Schlafgemach, was nicht zuletzt große Gefahren für die Sittlichkeit mit sich bringe.

Reform gefordert

Inhaber würden ihre Ziegeleien verkaufen und damit Spekulationswucher betreiben. Nur noch die Kommunen sollten Baustoffe herstellende Betriebe aufkaufen dürfen und dann Produktionsgenossenschaften gründen, um der Baustoffknappheit Herr werden zu können. Der skandalöse Bodenwucher″ müsse bekämpft werden. Letzten Endes werde nur die Enteignung zu Bauzwecken helfen. Einstimmig wird eine Entschließung angenommen, mit der entschiedene Reformen″ im Wohnungswesen eingefordert werden. Die heutige Schieber- und Wucherwirtschaft″ müsse durch gemeinwirtschaftliche Strukturen abgelöst werden.

Der Magistrat antwortet auf die Entschließung mit einer letzten Aufforderung″ an die Inhaber größerer Wohnungen, freiwillig Raum abzutreten. Dann und nur dann könnten sie Einfluss nehmen auf die Auswahl der Mieter. Wenn die Resonanz so gering bleibe wie bisher, werde die Stadt in die Unverletzlichkeit der Wohnungen und das Eigentumsrecht″ eingreifen, wie es das Gesetz über Maßnahmen gegen Wohnungsmangel″ vom 11. Mai 1920 erlaube.

Der Verein für naturgemäße Lebens- und Heilweise Prießnitz″ fürchtet derweil um sein Weiterbestehen, denn der Pachtvertrag für sein Licht- und Luftbad″ bei der ersten Blumenhalle läuft in Kürze aus. Gebäude und Liegewiese sind in den Besitz des Evangelischen Waisenhauses übergegangen. Zum 1. Oktober muss geräumt werden. Der Verein bittet den Magistrat, ihm eine geeignete Liegenschaft auf 30 Jahre pachtfrei zur Verfügung zu stellen. Denn der Verein selbst verfüge kaum über Mittel.

Seine Beiträge zur Volksgesundheit seien aber unbestritten. Über 600 Städte bauen mit großen Opfern Licht- und Luftbäder″ warum dann nicht auch Osnabrück? Gerade diejenigen Volksmassen, die nicht imstande sind, unerschwingliche Erholungsreisen zu machen″, bräuchten diesen Ort, um ihre durch Unterernährung und Wohnungselend angegriffene Gesundheit zu stärken. Denn wer seinen Körper, befreit von jedem beengenden Kleidungsstück″, der Luft und Sonne aussetze, stärke die Gesundheit mehr als jede Medizin. Krankmachende Bakterien wie die Tuberkelbazillen gingen unter Sonnenlicht rasch zugrunde. Das Osnabrücker Tageblatt″ unterstützt die Eingabe des Vereins nachdrücklich. Tatsächlich gelingt es ihm im Folgejahr 1921, eine größere Fläche in Nachbarschaft der bisherigen, zwischen Blumenhalle und Martinsburg gelegenen, zu einem Licht- und Luftbad anzupachten, 1926 noch einmal ergänzt um ein Schwimmbecken.

Die Wiecking-Stiftung und der Vaterländische Frauenverein ermöglichen durch ein Gemeinschaftsprojekt 120 erholungsbedürftigen Kindern aus unbemittelten Familien″ einen Erholungsaufenthalt auf dem Lande und an der See. Jetzt komme es darauf an, die Kinder in ihren Pflegestellen zu überwachen. Deshalb wendet sich der Frauenverein an alle Familien in Osnabrück, welche über eigenes Fuhrwerk verfügen. Jede Familie möge doch bitte an einem Tag in der Woche dem Verein das Gespann überlassen, um in der Umgebung die einzelnen Pflegestellen aufsuchen zu können.

Schmuggler erschossen

Der Tabakschmuggel an der holländischen Grenze hat drei Todesopfer gefordert. Die viel billigeren Preise im Nachbarland bringen manchen Raucher in Versuchung, dort seinen Bedarf illegal zu decken. Der 16-jährige Arbeiter Heinrich Bauhaus aus Altrhede ist von einem Zollbeamten angerufen worden. Da er nicht stehen geblieben ist, hat der Beamte geschlossen und den Jugendlichen schwer verwundet. Im Krankenhaus zu Rhede ist der Verletzte schließlich gestorben. Ähnlich ist es dem 24-jährigen Stöckert aus Bocholt ergangen, berichtet das Tageblatt″. Das dritte Opfer ist der Invalide D. aus Stadtlohn. Er hatte eine geringe Menge Tabak für seinen eigenen Bedarf eingeschmuggelt. Als ein Grenzbeamter ihn hat stellen wollen, ergriff er die Flucht. Der Beamte hat geschossen und den Fliehenden tödlich durch einen Lungenschuss verletzt.

Das Preisgefälle zwischen den Nachbarländern kann aber auch legal ausgenutzt werden. Der kleine Grenzverkehr ist wieder gestattet. Bewohner eines grenznahen Streifens auf deutscher Seite dürfen in Holland einkaufen. Da aber der Erwerb eines Durchlassscheins mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist, gestattet die Zollbehörde an bestimmten Tagen holländischen Händlern, ihre Verkaufsstände unmittelbar an der Grenze aufzubauen. Das führt zu einem regen Marktgeschehen. Viel billiger und von besserer Qualität als in Deutschland sind Fettigkeiten″ wie Schmalz, Rindertalg und Margarine.

Aber auch Seife, Buchweizenmehl und Grieß, Tee, Kakao und Zwieback wechseln in großen Mengen den Besitzer. Wahre Völkerwanderungen setzen samstags zur Grenze ein, wenn die Arbeiter ihren Wochenlohn ausbezahlt bekommen haben. Eigentlich sollen nur die Grenzanrainer in den Genuss kommen. Es gibt aber bestimmte Waren, für die diese Beschränkung nicht gilt. Auch viele Osnabrücker nehmen die Schnäppchen-Gelegenheit wahr.

Einkauf mit Spuren

Die Züge über Münster nach Gronau sind überfüllt. Vor dem Bahnhof Gronau stehen Kutschen bereit, die die Hamsterkäufer zur Grenze nach Glanerbrück oder zur Losser Allee fahren. Der Zoll kontrolliert streng, dass die Freimengen nicht überschritten werden. Es kommt vor, dass Frauen sich beim Einkauf stark entwickeln″ also augenscheinlich dicker werden. Zivilfahnder melden das an die Kontrollposten, die die Verdächtigen dann eingehend filzen. Untergebundene Ware wird beschlagnahmt, die erwischte Person erhält Platzverbot.

Zirkus Henny gastiert auf dem Platz vor der Klosterkaserne. 24 Nummern umfasst das Programm, von dem das Tageblatt″ nur Lobendes zu berichten weiß: Frl. Hänni tanzte einen modernen Drahtseilakt, während Mister Fred als anatomisches Rätsel auftrat die unglaublichsten Gliederverrenkungen vermochte er auszuführen.″ Zur Abschiedsvorstellung wird sich ein sehr bekannter hiesiger Herr, welcher vorläufig ungenannt sein will″, auf eine Wette einlassen, in deren Rahmen er in den Löwenzwinger gehen und dort eine Flasche Sekt trinken wird.

Im Martinwerk der Georgsmarienhütte ist es zu einer schweren Explosion gekommen. Eine Seemine, die keinen Zünder mehr trug und daher für ungefährlich gehalten wurde, ist zusammen mit anderem Schrott in den Martinofen gewandert. Die Sprengladung ist aber wohl nicht vollständig entfernt gewesen. Die Explosion zerstört den Ofen. Menschen sind zum Glück nicht zu Schaden gekommen.

Bischof auf Firmreise

Bischof Dr. Berning befindet sich auf Firmungsreise im Bistum. Am 3. Juli wird er in feierlichster Weise″ von der Glaner Gemeinde empfangen. Bis zur Glandorfer Chaussee eilt ihm ein stattlicher Festzug entgegen, begrüßt den Oberhirten und begleitet ihn dann durch die sonnenbeschienenen, in üppiger Sommerpracht stehenden Fluren von Ostenfelde und Glane″, wie es im Tageblatt″ heißt. Mehr als 100 geschmückte Radfahrer führen den Zug an, gefolgt von einer ebenso großen Zahl Reiter auf stattlichen Rossen. In einem offenen Landauer hat der Bischof Platz genommen. Hinterher fahren an die 50 Gemeindeeingesessene mit ihren Gespannen. Unter dem Geläute der Glocken und Böllerschüssen trifft der Festzug bei der Glaner Kirche im Fahnenschmuck ein, wo der Bischof die Abendandacht hält.

Bildtext:
Das Licht- und Luftbad des Prießnitzvereins bei der Martinsburg, hier auf einem Foto aus den 1930er-Jahren.
Foto:
Archiv Peter Mielke
Autor:
Joachim Dierks


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