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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Zigarren für den Bischof
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Das vielleicht älteste Lokal der Stadt: Die „Alte Gaststätte Holling″ ist 222 Jahre alt
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück Die Alte Gaststätte Holling″ in der Hasestraße 53 ist eines der ältesten, wenn nicht das älteste noch existierende Gasthaus Osnabrücks. In seinen Räumen wurde Stadtgeschichte reflektiert, diskutiert und manchmal auch gemacht. Der bekannte Karikaturist Fritz Wolf schöpfte hier aus dem Vollen, wenn er Anregungen brauchte. Durch den kürzlich erfolgten Pächterwechsel ist der Fortbestand in traditionsbewusster Weise gesichert.

Fritz Wolf (1918–2001) kam 1949 nach Osnabrück. Seine erste Wohnung war in der Wittkopstraße. Wenn er in die Stadt musste, kam er unweigerlich bei Holling vorbei. Am Stammtisch, später als Lästerecke″ berühmt geworden, war immer ein Platz für ihn frei. Der Hauskarikaturist der NOZ, anerkannter Stifter des Morgenlächelns″, der auch im Stern″ und in der Brigitte″ gute Laune verbreitete, hörte aufmerksam zu, was da so in Männerrunden zu hören war, wenn keine bessere Hälfte Zensur ausübte. Er verarbeitete das in seinen Bildern aus der Provinz″ und anderen Serien.

Kurz vor Mitternacht kamen Redakteure, Schriftsetzer und Korrektoren ins Lokal, die druckfrische Zeitung des nächsten Tages unter dem Arm. Ihr Tisch war direkt an der Theke, in der Ecke vor der Spüle. Bis tief in die Nacht wurde Skat gespielt und geklönt. Wirt Aloys Wermelt war für Fritz Wolf der Sparringspartner, den er brauchte, der meinungsstarke Kneipier, stets aufgeschlossen für guten Informationsfluss″, wie es ein Gast mal ausdrückte, aber auch durchsetzungsstark, wenn ihm etwas nicht passte. Wolf setzte seinem Lieblingswirt″ in seinen Karikaturen zahlreiche Denkmäler.

Nachdem Wolf 2001 gestorben war, bekam er in seiner Stammkneipe selbst ein Denkmal gesetzt. Der Gewölberaum, der zuvor den Spitznamen Sakristei″ trug, wurde offiziell in Fritz-Wolf-Gewölbe″ umgetauft. Witwe Edith Wolf und Neffe Marcus Wolf als Vorsitzender der Fritz-Wolf-Gesellschaft nahmen an der Zeremonie teil.

In diesem Jahr wird Holling 222 Jahre alt. Die Zahl 1798 ist in die Wetterfahne auf dem Dach eingestanzt. Felix Fidelis Josef Wieman gründete das Lokal, in dem, wie früher üblich, nicht nur Bier und Speisen verabreicht wurden, sondern in dem man auch Lebensmittel und Kolonialwaren einkaufen konnte. Felix Wieman war Vorfahre weiterer stadtbekannter Wiemänner wie des Schauspielers Matthias Wieman (1902– 1969) und des dichtenden und musizierenden Amtsgerichtsrats Dr. Bernard Wieman (1872–1940).

Einige Generationen später heiratete die Erbin des Anwesens, Anna Sophie Wieman, 1903 den Münsteraner Kaufmann Hermann Holling. Seitdem trägt die Gaststätte den Namen Holling. Sohn Josef Holling war designierter Nachfolger. Er starb jedoch 1941 als Soldat im Krieg. Da fiel die Aufgabe der Fortführung des Betriebes an dessen Schwester Gertrud. Sie war mit Aloys Wermelt aus Greven verheiratet. Die beiden hatten in Münster das renommierte Ausflugslokal Café zum Aasee übernommen. Sie gaben ihre Münsteraner Existenz auf und kehrten nach Osnabrück zurück, wo Aloys Wermelt auch schon zuvor im Holling gearbeitet hatte.

Der Krieg verschonte das Gasthaus Holling nicht. Volltreffer zerstörten 1944 das Gebäude, das bis zur Häuserfront vorn an der Hasestraße reichte. Nach Kriegsende machte sich Gertrud als Trümmerfrau″ zunächst weitgehend allein an den Wiederaufbau. Sie fuhr jeden Tag mit dem Fahrrad von Glandorf, wohin sie evakuiert war, nach Osnabrück, um Schutt wegzuschaffen und Steine zu klopfen. Aloys kehrte 1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Mit vereinten Kräften schafften sie den Wiederaufbau in zurückgesetzter Front über dem alten Gewölbekeller, der erhalten geblieben war. 1948 war der erste Bauabschnitt so weit, dass die Gaststätte wieder eröffnen konnte, 1951 war auch der zweite Bauabschnitt mit dem hohen Ziergiebel vollendet.

Was die Wermelts aus dem Münsterland mitgebracht hatten, war das Rezept für Töttchen jene Ragoutspeise, die traditionell aus Kalbsköpfen und allerlei Innereien zubereitet wird. Der liebe Gott weiß alles, nur nicht, was im Töttchen drin ist″, lautet ein alter Kalauer. Und natürlich erlebten auch die Wermelts Frotzeleien nach dem Motto: Wie kriegt ihr da bloß den Fleischgeschmack rein? Aber das änderte nichts daran, dass Töttchen nach Gertruds Spezialrezeptur ein begehrter Dauerrenner auf der Speisekarte war, der bei ihr nur aus schierem Rindfleisch bestand. Ohne Holling wäre dieses Münsterländer Gericht in Osnabrück wohl unbekannt geblieben.

Zum Gymnasium Carolinum bestanden immer enge Beziehungen. Das ging zurück bis in die Vorkriegszeit, als die aus Hollage oder Rulle angeradelten Schüler ihre Fahrräder bei Holling abstellten, dann zu Fuß weiter zur Schule gingen, nach dem Unterricht wieder hereinkamen und noch rasch eine Runde Billard spielten. Viele andere Grüppchen fanden im Holling eine zweite Heimat. Da war der Stammtisch der Staatsanwälte. Oder die Skatrunde der Wermelt-Brüder″. Die hatten 1962 ihren Namen in Anlehnung an die damals stadtbekannten Wermut-Brüder″ gewählt, die sich bevorzugt am Herrenteichswall aufhielten.

Die Nähe zum Dombezirk brachte es mit sich, dass auch einige geistliche Würdenträger zu den Stammgästen gehörten. Um deren Besuche ranken sich manche Anekdoten, in deren Mittelpunkt häufig der Generalvikariatsrat Dr. Heinrich Lünenborg stand. Zu den harmlosen Geschichten gehört, dass mit Lünenborg im Hintergrund die drei Wermelt-Töchter Rita, Mechthild und Maria dem Bischof Wilhelm Berning stets zum Namenstag gratulierten. Am 28. Mai wurden sie in feinste Sonntagskleider gesteckt und bekamen einige Zigarren der besten Brasil-Sorte in die Hand gedrückt. Damit marschierten sie hinüber ins Bischöfliche Palais, um dem Oberhirten ein Gedicht aufzusagen und zusammen mit den Zigarren die nachbarschaftlichen Grüße zu überbringen. Der bischöfliche Garten und Wermelts Garten stießen aneinander. Zu Ostern revanchierte sich der Bischof, indem er die Kinder in seinen Garten zum Ostereiersuchen herüberbat.

Könnt Ihr mal eben rüberkommen? Diesen Hilferuf haben die Töchter noch im Ohr. Wenn es mal wieder personell eng wurde, erwartete Mutter Gertrud Hilfe beim Kartoffelschälen in der Küche oder beim Gläserspülen am Buffet. Als erwachsene Frauen entschieden sich Rita Herschbach, Mechthild Herschbach und Maria Reil-Wermelt jedoch für andere Berufe. So kam es, dass nach 1978, als die Eltern Wermelt in den verdienten Ruhestand traten, fremde Pächter das Zepter im Holling übernahmen. Für viele Gäste haben die Namen Schmidt, Keidel, Schrage, Borgmann und Agarius noch einen guten Klang. Ab 2006 war es das Ehepaar Henner und Marita Hummen, das den Betrieb führte. Tragischerweise verstarb Marita Hummen im Januar dieses Jahres.

Seit dem 1. April 2020 sind Carsten Kottwitz und Tochter Janine die neuen Pächter. Nach Renovierungsarbeiten und Corona-Zwangspause hat das Holling nun wieder geöffnet. Die beiden sind in der Osnabrücker Gastro-Szene keine Unbekannten, betreiben sie doch hier seit 2011 das Flammkuchen-Restaurant Le Feu″ und inzwischen zahlreiche Le Feu″-Ableger in anderen Städten. Im Holling jedoch knüpfen sie an die 222-jährige Tradition an, servieren gutbürgerliche Küche mit moderner Note″, halten Gedenkorte wie das Fritz-Wolf-Gewölbe″ in Ehren und stehen zu der Fototapete mit Aufnahmen der historischen Hasestraße.

Bildtexte:
222 Jahre alt: Die Gaststätte Holling, das Bild oben zeigt den Wiederaufbau, nach dem Krieg in zurückgesetzter Bauflucht. Dieser erste Bauabschnitt wurde 1948 bezogen. Die Namensgeber des Lokals waren Hermann Holling und Frau Anna, geborene Wieman (kleines Bild, links). Das kleines Bild rechts zeigt den Nebenraum, der erst Sakristei″, dann Fritz-Wolf-Gewölbe″ hieß. Neben einen Blick in den Hauptraum des Lokals, wie er sich imJahr 1951 bot, ist unten ein aktuelles Bild der Gasststätte zu sehen.
Einweihung des Fritz-Wolf-Gewölbes″ mit (von links) Rita Herschbach, Witwe Edith Wolf und Neffe Marcus Wolf.
Gaststätte Holling in der Hasestraße, um 1927. In der Tür grüßt Hermann Holling.
Frische Farbe hatte es 1935 gegeben.
Der Anbau mit dem hohen Ziergiebel war 1951 fertiggestellt.
Gertrud und Aloys Wermelt, die Wirtsleute von 1933 mit Unterbrechungen bis 1978.
Der Hauptraum des Lokals, nach 1951.
Fotos:
Archiv Wermelt-Herschbach, Joachim Dierks
Autor:
Joachim Dierks


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