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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
„Manipulativer Gesinnungsjournalismus″
Zwischenüberschrift:
Osnabrücker Calmeyer-Initiative kontert Kritik aus Holland
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück Heftige Kritik aus den Niederlanden am Osnabrücker NS-Funktionär und Judenretter Hans Calmeyer facht die Debatte um das geplante Museum in seiner Heimatstadt neu an. In einer gemeinsamen Erklärung äußern sich Calmeyer-Initiative und Remarque-Gesellschaft. Auch die SPD-Ratsfraktion macht ihren Standpunkt klar.

Im Augenblick gebe es in den Niederlanden eine lautstarke Kampagne″ unter dem Motto Keine Ehre für Calmeyer″, stellt Joachim Castan fest. Der stellvertretende Vorsitzende der Osnabrücker Hans-Calmeyer-Initiative (HCI), zugleich einer der wissenschaftlichen Berater der Stadt in Sachen Calmeyer-Haus, spricht dabei auch im Namen der Osnabrücker Erich-Maria-Remarque-Gesellschaft. Motor dieser Kampagne″ sei die niederländische Journalistin Els van Diggele. Sie hat im April ein Buch über die 92-jährige Holocaust-Überlebende Femma Fleijsman-Swaalep veröffentlicht in der Absicht, an Calmeyers Ruf als größtem deutschen Judenretter im Zweiten Weltkrieg″ zu kratzen. Denn obwohl er es als Leiter der NS-Entscheidungsstelle in Den Haag angeblich gekonnt hätte, verhinderte der Osnabrücker Jurist die Deportation der damals jugendlichen Amsterdamerin nach Auschwitz nicht.

Geht es um Sensation?

Anerkannte Experten haben für dieses eher untypische Verhalten Calmeyers bereits mögliche Erklärungen ins Feld geführt: etwa die ungünstigen Papiere der verfolgten Jüdin oder die zu jener Zeit strenge Beobachtung Calmeyers durch die SS. Doch van Diggele meine offenbar, aufgrund der Analyse eines einzigen Falls, dem der Femma Fleijsman-Swaalep, Calmeyer völlig neu beurteilen können″, empört sich Castan. Das ist unwissenschaftlich und bedient lediglich Aspekte eines manipulativen Gesinnungsjournalismus.″

Dasselbe gelte für die Anfang Mai im niederländischen Fernsehen ausgestrahlte Doku des Filmemachers Alfred Edelstein. Sein Film, der genauso heißt wie van Diggeles Begleitbuch („ Das Rätsel von Femma Beute eines Menschenretters″), verrate bereits im Titel, dass es hier weniger um historische Aufklärung geht, sondern um , Sensation′ und einen vorgeblichen , Skandal′″. Die Autoren würden in dem TV-Beitrag nicht einmal davor zurückschrecken, den Osnabrücker Calmeyer-Biografen Mathias Middelberg durch suggestive Interview-Fragen und unfairen Schnitt regelrecht vor der Kamera vorzuführen″.

Das Fazit über Calmeyers Rettungswerk bleibe und sei jüngst durch die Forschungen der niederländischen Historikerin Petra van den Boomgaard Fall für Fall bestätigt worden: 65 Prozent der Menschen, über deren rassische″ Zugehörigkeit Calmeyer damals zu entscheiden hatte, wurden gerettet insgesamt waren das mehrere Tausend. 25 Prozent erhielten einen negativen Bescheid. Bei 10 Prozent ist die Lage unklar.

Ausgewogenheit

Warum Calmeyer nicht alle Antragsteller gerettet hat? Dazu Castan: Mit seiner Entscheidungspraxis ging Calmeyer ein enormes persönliches Risiko für sich und seine Mitarbeiter ein. Im September 1944 drohte alles aufzufliegen.″ Wenn sich jetzt ein Osnabrücker Strafverteidiger wie Thomas Klein veranlasst sehe, Calmeyer hypothetisch wegen x-facher Beihilfe zum Mord anzuklagen, dürfe das Gedankenspiel erlaubt sein, ob heutige Juristen in dieser Zeit den gleichen Mut wie Calmeyer damals besessen hätten″.

In seinen eigenen drei Ausstellungen zum Thema Calmeyer habe er, Castan, es stets so gehalten, die Fälle von drei Geretteten neben den Fall einer negativen Entscheidung zu stellen. Vergleichbar solle es auch in dem geplanten Calmeyer-Haus gehandhabt werden. Eine abgewogene Darstellung von Calmeyers einzigartigem Rettungswerk in seiner Heimatstadt wäre ein Gewinn für die Osnabrücker Museumslandschaft″, ist der Historiker überzeugt. Ein stattdessen von der Kulturverwaltung ins Spiel gebrachtes Konzept eines Friedenslabors″ hingegen würde Calmeyers Einmaligkeit wie auch seine Tragik verwässern und wäre eine lauwarme Provinzposse, die vergeblich auf Besucher warten würde″.

Haus für NS-Geschichte

Das allerdings sieht die SPD-Ratsfraktion anders. Das neue Museum nach Calmeyer zu benennen, sei kritisch. Inhaltlich aber befinde sich die Kulturverwaltung auf einem guten Weg″, meint der kulturpolitische Sprecher der SPD-Ratsfraktion, Heiko Schlatermund. Das Haus solle regionale NS-Geschichte aufarbeiten″. Dabei gehe es eben nicht allein und einzig um die Person eines deutschen Vertreters in den damals besetzten Niederlanden und sein Wirken als , Entscheider′, sondern auch darum, die ambivalente Rolle in der NS-Zeit zu problematisieren″. Außer Calmeyer seien deshalb auch die , stillen Helden′ zu beachten″. Dazu zählt die Osnabrücker SPD Männer und Frauen aus Parteien, Gewerkschaften und vielen weiteren Organisationen, die im Nazi-Deutschland Widerstand geleistet und dafür ihr Leben riskiert oder gar gelassen haben″.

Bildtexte:
Hans Calmeyer (1903–1972) rettete als NS-Funktionär im Zweiten Weltkrieg Tausenden niederländischen Juden das Leben.
Femma Flijsman-Swaalep heute mit über 90 Jahren, ihre Deportation nach Auschwitz wurde von Calmeyer nicht verhindert.
Fotos:
Yad Vashem, Evangelische Omroep
Autor:
Sebastian Stricker


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