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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Als die Maikundgebung noch 12 000 Menschen lockte
Zwischenüberschrift:
April/Mai 1920: „Tag der Arbeit″ mit großem Festumzug gefeiert / Debatte über Alt-Griechisch am Ratsgymnasium
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück In der Weimarer Republik hat der 1. Mai als Tag der Arbeit″ einen schweren Stand. Im frischen Schwung der Revolution war es 1919 zwar gelungen, ihn als gesetzlichen Feiertag zu etablieren allerdings nur für dieses Jahr. Schon 1920 gibt es zumindest in Preußen in der Landesversammlung keine Mehrheit mehr dafür. Auf lokaler Ebene wird unterschiedlich damit umgegangen. In Osnabrück haben Mehrheits- und Unabhängige Sozialdemokraten (MSPD und USPD) einen Festumzug organisiert.

Dieser Umzug erlebt am 1. Mai 1920 großen Zulauf. Möglich wird dies unter anderem dadurch, dass in allen Staatsbetrieben Arbeitern und Beamten ein Tag bezahlter Urlaub gewährt wird. Verkehrsbetriebe halten lediglich ihren Sonntagsdienst aufrecht, die Oldenburgischen Staatsbahnen und die Osnabrücker Straßenbahn fahren überhaupt nicht. Ein Erlass des Kultusministers überlässt es den Schulen, ob Unterricht stattfindet. Aus dem Fernbleiben vom Unterricht dürfe keinem Lehrer und keinem Schüler ein Nachteil erwachsen. In vielen Fabriken ruht die Arbeit.

Bekränzte Räder

Der Demonstrationszug startet am Hasetor und bewegt sich durch die Innenstadt zum Schölerberg. Mitglieder des Arbeiter-Radfahrervereins Wanderlust″ fahren auf bekränzten Rädern vorweg. Mehrere Musikkapellen im Zug stimmen die Lieder der Arbeiterbewegung an, rote Fahnen werden geschwenkt. Fast alle Mitmarschierer haben rote Blumen angesteckt. Angekommen am Schölerberg, trägt der Arbeitersängerbund zwei Lieder vor. Zehn- bis zwölftausend Menschen verfolgen die Ansprache des Gewerkschaftssekretärs Walter Bubert (MSPD). Seit 30 Jahren feiere das internationale Proletariat den 1. Mai als Tag der Völkerversöhnung, führt er aus. Auch wenn die bürgerlichen Parteien es abgelehnt hätten, diesen Tag als Feiertag gesetzlich festzulegen, so störe sich die Arbeiterschaft nicht an dem Votum und feiere ihn auf eigene Faust. Nachmittags finden Festlichkeiten in den Lokalen Klushügel, Tivoli, Bellevue, Meyer am Schölerberge, Hunger und Hellwig (Eversburg) statt. Die USPD hat die Stadthalle reserviert.

Ernährungsfragen stehen weiterhin ganz oben auf der lokalpolitischen Agenda. Das Osnabrücker Tageblatt″ sehnt sich nach den Zeiten zurück, als die Milchverteilung noch in Händen der Milchhändler lag. Jetzt, wo die Rationierung ab den Molkereien erfolge, sei alles viel schlimmer. Allwöchentlich erfahre man, dass an gewissen Tagen nicht einmal hoffende Frauen, Kinder und Kranke Frischmilch bekämen, gar nicht zu reden von den anderen unterernährten Familien, in denen schon seit Wochen und Monaten kein Mensch mehr weiß, wie Milch aussieht, noch weniger wie sie schmeckt″. Und dann die Butterfrage. Seit Wochen ist in der Stadt kein Lot Butter zu haben, dafür aber gibt es Margarine, deren Geringwertigkeit nur durch die Höhe des Preises (16, 50 Mark das Pfund) übertroffen wird″, klagt das Tageblatt″. Wenn die behördlichen Verteilungsstellen mit ihrem Latein zu Ende sind, dann wäre es Zeit, Schluß zu machen mit der Rationierung überhaupt.″ Und weiter: Schon jetzt müßte jeder verhungern, der sich noch auf Lebensmittelrationierung verlassen wollte.″

Brotpreise verdoppelt

Aufgrund der Erhöhung der Mehlpreise durch die Reichsgetreidestelle werden die Brotpreise um fast das Doppelte steigen. Denn auch die Kosten für Zutaten und Feuerung, für Frachten und die Sackflickauslagen″ und nicht zuletzt die Löhne der Bäckergesellen hätten erheblich angezogen. Beim Bier sieht es nicht anders aus. Auch hier verlangen die Brauereien einen einhundertprozentigen Aufschlag. Der genaue Zeitpunkt des Inkrafttretens der Erhöhung steht noch aus, da infolge des Dortmunder Brauereistreiks Verzögerungen eingetreten sind. Auf einer Versammlung des Wirtevereins haben die Vertreter der Osnabrücker Brauereien, der Aktien-Brauerei und der Gertrudenberger Brauerei, einen schweren Stand. Sie rechnen vor, dass die vom Reichswirtschaftsminister genehmigte Preiserhöhung eigentlich noch zu niedrig ist, angesichts aller gestiegenen Kosten und Materialpreise sowie der Umsatzverluste durch die Kontingentierung. Die Wirte fordern in einer Resolution, anstatt der geplanten zwei Bierarten ein einheitliches Bier auf den Markt zu bringen. Durch zweierlei Qualität werde nur das Misstrauen der Gäste gegen die Wirte wachgerufen. Die Brauereivertreter entgegnen, das gehe nur, wenn man mit den Dortmunder und Herforder Brauereien in diesem Punkt Übereinstimmung erzielen könne.

Der neue Leiter des Ratsgymnasiums, Dr. August Franke, hat sich in seiner Antrittsrede zur Vorrangstellung der Altphilologie sprich: Alt-Griechisch und Latein an seiner Anstalt bekannt. Das wird zumindest behauptet. Damit handelt er sich unter den Leserzuschriften des Tageblatts″ einen Shitstorm″ ein, wie man heute sagen würde. Der Mann habe wohl nicht begriffen, dass wir an der Schwelle eines neuen Zeitalters stehen″, heißt es da, und man wirft die Frage auf: Hat man die Absicht, weiterhin das Ratsgymnasium als Standesschule zu betrachten, welche ihre Pforten nur für diejenigen öffnet, deren Eltern das Glück hatten, zu den besitzenden Kreisen zu gehören? Der Lehrplan müsse doch so gestaltet sein, dass er den wirklichen Anforderungen, die ein Volksstaat an seine befähigten Köpfe stellen muß″, Rechnung trägt. Das sei nicht die Theorie der Antike, die für Philosophen und Dichter ihre Reize haben möge, sondern die rein deutsche Wissenschaft″. Alles andere sei Kraftverschwendung, die sich unser deutsches Volk nicht mehr erlauben kann, dazu liegen wir zu tief darnieder″. Alt-Griechisch dürfe nur noch eine Rolle als Wahlfach spielen, weil sonst der größere Teil der Schüler am Wege liegen bleibt″.

Aber es gibt auch Gegenstimmen: Franke habe doch das Nebeneinander von humanistischem und deutschem″ Gymnasium begrüßt, habe sich für mehr Deutschstunden in Mittel- und Oberstufe ausgesprochen und kenne kein höheres Bildungsziel als das Verständnis des deutschen Kultur- und Geisteslebens. Keinesfalls sei das Ratsgymnasium eine Standesschule, niemandem sei je aus Standesrücksichten die Aufnahme verweigert worden. Für fähige Köpfe aus weniger begüterten Elternhäusern werde durch Freistellen besser gesorgt als an anderen höheren Schulen der Stadt. Das Schicksal, sich für sein etwa in der Tertia hängen gebliebenes Söhnchen nach einem anderen Bildungsgang umsehen zu müssen, kann ebenso gut den Direktor einer Anstalt wie den Hausmeister treffen.″

Gänserich statt Gans

Ein Leser beschwert sich, dass er bei einem Preisschießen anstatt der ausgesetzten Gans einen Gänserich bekommen habe. Der Briefkasten-Onkel des Tageblatts″ rät von einem juristischen Vorgehen dagegen aber ab: Ganz allgemein gehen bei solchen Gelegenheiten Gänseriche als Gänse mit durch.″ Wer zu einem Geflügelschießen gehe, von dem werde angenommen, dass er′s nicht wegen des Gänsegeschlechts und zu Zuchtzwecken tut, sondern des Gänsebratens wegen.″ Und der müsse nicht besser oder schlechter schmecken als ein Gänserich-Braten.

Münzgeld aus Porzellan

Metall-Not macht erfinderisch. In der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen werden im Auftrag des Reichsschatzamtes Versuche unternommen, Geldstücke aus Porzellan herzustellen. Zunächst geht es um Zwei- und Fünf-Mark-Stücke aus sogenanntem Bisquitporzellan. Sie haben die Größe der entsprechenden früheren Silberstücke. Eine Fälschung dürfte ausgeschlossen sein, da zur Herstellung besondere technische Einrichtungen und sehr hohe Temperaturen notwendig sind.

Der lutherische Jungfrauenverein unter Leitung von Frau Pastor Goudefroy begeht sein Jahresfest. Die neu konfirmierten Mädchen der Gemeinde können nichts Besseres tun, als ihm beizutreten, meint das Tageblatt″. Sie werden dort sittlich-religiös beeinflußt, finden Gelegenheit, sich in allerlei Dingen weiter zu bilden, guten Verkehr und edle Geselligkeit zu pflegen.″ Zwölf Mädchen erhalten die silberne Vereinsbrosche für jahrelange treue Mitgliedschaft überreicht. Durch Aufsagen eines hierzu passenden Gedichts gestaltete sich der kleine Akt sehr feierlich.″ Pastor Goudefroy mahnt, sich vom Vergnügungstaumel unserer Tage fernzuhalten und einen Unterschied zwischen erlaubten Freuden und verbotenen Früchten zu machen″. Erheiternd wirkt das Lustspiel Immenart″, da es trotz seines Humors einen tiefen Sinn hat: Es zeigt, daß der auf Brautschau ausgegangene Freier weder Reichtum noch Gelehrsamkeit schätzt, sondern nur die mit , Bienenfleiß′ Schaffende heimholt″.

Streit um Krankenwagen

Die Stadt hat ihr erstes motorisiertes Krankenfahrzeug bestellt. Noch vor der Auslieferung teilt der Hersteller zu seinem größten Bedauern mit, dass der Preis sich leider nahezu verdoppelt habe. Er belegt das detailliert anhand seiner gestiegenen Vorkosten. Die Städtischen Kollegien sehen keine Alternative zu der Nachbewilligung von 10 720 Mark. Aber dann bricht wieder eine Diskussion los, die schon im März ohne Ergebnis geendet ist: Soll das Krankenautomobil nur dem städtischen Krankenhaus zur Verfügung stehen oder auch dem Marienhospital? Stadtarzt Dr. Bitter meint, dass das Gefährt für Stadtkrankenhaus und Marienhospital und darüber hinaus sogar auch noch für die Hebammenlehranstalt und das Kinderhospital ausreiche. Bürgervorsteher Dr. Böger bezeichnet die Krankentransportfrage als eine originär kommunale Aufgabe. Daher sei es logisch, dass das Auto beim Stadtkrankenhaus zu stationieren sei und diesem zu dienen habe. Schließlich habe die Stadt das Auto bestellt und werde es alleinig bezahlen. Andere Redner weisen darauf hin, dass keine Konkurrenz zwischen beiden Häusern bestehe, sondern sie Hand in Hand zusammenarbeiten. Man einigt sich schließlich darauf, dass beide Häuser darauf zugreifen dürfen, was die Stadt ja auch von den Unterhaltungskosten des Automobils teilweise entlaste. Wenn beide Häuser gleichzeitig Bedarf anmelden, soll nach der Dringlichkeit der Fälle entschieden werden.

Bildtext:
Das Ratsgymnasium auf einer Ansichtskarte des Jahres 1919. Der Verlag Cramers Kunstanstalt aus Dortmund empfand den davorstehenden mittelalterlichen Plümersturm wohl als Beeinträchtigung des architektonischen Gesamteindrucks und retuschierte ihn kurzerhand heraus. Die handschriftliche Widmung auf der Karte lautet: Gymnasium, du sollst mir stets in Ehren sein, doch kriegt kein Pferd mich wieder rein.″ Ansichtskarte Sammlung Helmut Riecken.
Foto:
Verlag Cramers Kunstanstalt aus Dortmund
Autor:
Joachim Dierks


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