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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Calmeyer-Haus für Grüne nur ein Arbeitstitel
 
„Beihilfe zum Mord in x Fällen″
Zwischenüberschrift:
Judenretter und Nazi-Verbrecher: Wie ein Osnabrücker Strafverteidiger den Fall Hans Calmeyer sieht
Artikel:
Kleinbild
 
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück Der Ratsbeschluss für ein Hans-Calmeyer-Haus in Osnabrück fiel Ende 2017 einstimmig. Hat die Politik damals vorschnell entschieden und muss den Begriff am Ende vielleicht zurücknehmen? Nein, denn das ist eine sehr einseitige Auslegung des Ratsbeschlusses″, sagt Grünen-Ratsherr Thomas Klein. Der Beschluss sei damals ohne inhaltliche Debatte im Rahmen von Haushaltsberatungen gefasst worden und habe sich eher um finanzielle Dinge gedreht, die es mit Blick auf den Museumsstandort Villa Schlikker zu regeln galt. Insofern handele es sich bei der Bezeichnung Calmeyer-Haus nur um einen Arbeitstitel″.

Klein selbst mahnt in der Namensfrage zur Vorsicht. Denn als Strafverteidiger habe er einen ganz besonderen Blick auf den Fall des Osnabrücker Judenretters und Nazi-Verbrechers.

Osnabrück Der Osnabrücker Hans Calmeyer gilt vielen als größter deutscher Judenretter, war aber auch unbestritten ein Rad im Getriebe der NS-Mordmaschinerie. Darf die Stadt dann ein Museum nach ihm benennen? Strafverteidiger und Grünen-Ratsherr Thomas Klein mahnt zur Vorsicht.

Welche Rolle spielte Calmeyer im Dritten Reich? Calmeyer (1903–72) war ein Rechtsanwalt aus Osnabrück. Im Zweiten Weltkrieg entschied er in Diensten der Nazis mit seiner Unterschrift über Leben und Tod von niederländischen Juden. Als Leiter der NS-Entscheidungsstelle für rassische Zweifelsfälle″ in Den Haag war der Jurist dafür mitverantwortlich, Verfolgte in Konzentrations- und Vernichtungslager zu deportieren. Die meisten Juden, deren Anträge Calmeyer bearbeitete, bewahrte er jedoch davor oft mithilfe bürokratischer Tricks, für die er auch sein eigenes Leben aufs Spiel setzte.

Welche Folgen hätte sein Handeln für Calmeyer heute? Würde Calmeyer noch leben, würde er für sein Tun wohl bestraft. Davon ist der Osnabrücker Strafverteidiger Thomas Klein überzeugt. Calmeyers Rettungswerk, das ihm 1992 posthum den von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem verliehenen Ehrentitel Gerechter unter den Völkern″ eintrug und das jetzt seine Heimatstadt Osnabrück sogar veranlasst, ihm ein Museum zu widmen, würde sich aber strafmildernd auswirken.

Was genau würde Calmeyer vorgeworfen? Die Staatsanwaltschaft würde Anklage wegen Beihilfe zum Mord in x Fällen zum Schwurgericht beim Landgericht Osnabrück erheben″, sagt Klein, von unserer Redaktion mit diesem hypothetischen Fall konfrontiert. Gegenstand der Anklage wären laut dem Rechtsanwalt die von Calmeyer geprüften Fälle, in denen er zu dem Ergebnis gekommen war, dass diese Menschen aus rassischen Gründen der NS-Mordmaschinerie zugeführt werden konnten″. Die angeklagten Taten wären auch nicht verjährt, da Mord nicht verjährt, so Klein weiter. Im Verurteilungsfall würde eine Freiheitsstrafe drohen.″

Welche Argumente könnten zu Calmeyers Verteidigung vorgetragen werden? Angesichts der wissenschaftlich sehr gut erforschten Tätigkeit Calmeyers wäre die Beweislage wohl erdrückend, meint Strafverteidiger Klein. Zu behaupten, Calmeyer habe nicht gewusst, was mit Juden passiert, sei unglaubwürdig. Es war ja gerade Grund seines Handelns gewesen, gefälschte Unterlagen zu akzeptieren, um diese Menschen vor der Deportation und dem Gaskammer-Tod zu bewahren.″ Daher spräche laut Klein sehr viel dafür, eine sogenannte Strafmaßverteidigung″ zu führen also die Handlungen einzuräumen und Gründe vorzutragen, die sie in einem günstigeren Licht erscheinen lassen, vor allem seine erfolgreichen Bemühungen, einer Vielzahl von Menschen das Leben gerettet zu haben″. Es würde ferner darum gehen zu erklären, warum er diese Tätigkeit ausübte. Wie sehr ihm persönlich die Verfolger im Nacken saßen und er Angst davor hatte aufzufliegen. Aber auch, ob und in welchem Maß Calmeyer selbst von seiner letztlich todbringenden Tätigkeit psychisch beeinträchtigt war.

Ist es aus rechtlicher Sicht bedeutsam, dass die Zahl der von Calmeyer geretteten Juden nachweislich um ein Vielfaches höher ist als die Zahl derer, denen er nicht half? Nein, überhaupt nicht″, betont Klein. Unsere Rechtsordnung lässt ein solches Aufwiegen aus guten Gründen nicht zu.″ Es gebe zwar im Strafgesetzbuch den Paragrafen 34 (Rechtfertigender Notstand). Es sei jedoch in Rechtsprechung und Literatur unbestritten, dass menschliches Leben einer saldierenden Abwägung nicht zugänglich ist, da es nur individuelle Menschenrechte und kein unterschiedlich wertvolles menschliches Leben gibt″. Das gelte auch dann, wenn durch Tötung eines Menschen mehrere andere gerettet werden″.

Wissenschaftler, die sich ausführlich mit Calmeyer beschäftigt haben, sind der Auffassung, dass er nur deshalb viele Menschen retten konnte, weil er es in manchen Fällen unterließ. Könnte Calmeyer unter diesen Umständen heute wirklich als Kriegsverbrecher angesehen und als solcher zur Rechenschaft gezogen werden? Calmeyer werde zwar nicht als Kriegsverbrecher″ zu bezeichnen sein, meint Klein. Jedoch verdecke die Formel Wer alle retten wollte, rettete keinen″ den grundlegenden Unterschied zwischen Menschen, die aktiv wurden, um bedrohtes Leben vor den Nazis zu retten, und solchen, die wie Calmeyer ein nicht unwichtiger Teil der NS-Mordmaschinerie waren″. Darüber hinaus seien jede einzelne Person und ihre Taten individuell zu beurteilen. SS-Mann Oskar Gröning etwa sei in Auschwitz unter anderem als Bewachung an der Rampe eingesetzt gewesen, und er war Buchhalter in der Häftlingsgeld-Verwaltung. Aber er war in keinem Fall an der Entscheidung über Leben oder Tod beteiligt″, sagt Klein. Gleichwohl wurde Gröning 2015 vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

Warum tut sich die Stadt Osnabrück so schwer damit, ein Museum nach Calmeyer zu benennen erst recht, wenn es sich kritisch mit ihm auseinandersetzt? Nach Ansicht von Strafverteidiger und Grünen-Ratsherr Klein haben Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats bereits gute Argumente vorgetragen, warum eine Benennung des Hauses nach Calmeyer kritikwürdig sein könnte″. Dass der Rat der Friedensstadt Osnabrück diese Argumente ernst nehme, sei richtig. Trüge das geplante Museum Calmeyers Namen, würde ausschließlich die Seite hervorgehoben, die zur Rettung von Menschen geführt hat, und Calmeyer damit heroisiert″. Dagegen bliebe die andere Seite, nämlich Calmeyers Mitwirkung an der Shoa, also dem nationalsozialistischen Völkermord an den Juden Europas, auf den ersten Blick unbeachtet″ und wäre erst Teil der inhaltlichen Ausgestaltung. Klein: Ein Calmeyer-Haus würden Angehörige der Überlebenden besuchen, aber eben nicht die Angehörigen der Ermordeten. Und die sollen ihre Trauer auch dort wiederfinden und erleben, was wir Nachkommenden tun, dass es keine Wiederholung gibt.″

Bildtexte:
Angehörige niederländischer Juden, denen Calmeyer damals nicht half, protestieren in Osnabrück gegen die Pläne für ein Hans-Calmeyer-Haus.
Hans Calmeyer in den 50er-Jahren.
Thomas Klein, Anwalt und Grünen-Politiker.
Fotos:
Evangelische Omroep (EO), Filmkontor Castan, Gründel
Autor:
Sebastian Stricker


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