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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Corona treibt Möwe gGmbH in die Insolvenz
 
Möwe muss die Notbremse ziehen
Zwischenüberschrift:
Gemeinnütziger Betrieb geht in die Insolvenz / 180 Beschäftigte betroffen
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück Eine wichtige Osnabrücker Sozialeinrichtung steht auf der Kippe: Die Möwe gGmbH geht in die Insolvenz. Ziel ist, das seit über 30 Jahren erfolgreiche Arbeitslosenprojekt zu retten. Der alleinige Gesellschafter der gemeinnützigen Gesellschaft, der Katholische Verein für soziale Dienste (SKM), hat am Dienstag Antrag auf Einleitung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverantwortung beim Amtsgericht Osnabrück gestellt. Dieses Verfahren ermöglicht es, dass die Möwe finanzielle Lasten abwerfen und die Geschäftsführung den Sanierungsprozess selbst in die Hand nehmen kann. Ziel sei es, möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten, teilte der SKM mit. Die Möwe gGmbH setzt seit zwei Jahren ein Sparprogramm um. Der Corona-Lockdown hat das Geschäft nun zum Einsturz gebracht.

Osnabrück Seit zwei Jahren ringt die Möwe gGmbH um das wirtschaftliche Überleben. Manchmal wurde es am Monatsende sogar knapp mit den Lohnzahlungen, wie Geschäftsführer Hans Bösken am Dienstag im Pressegespräch einräumte. Jetzt hat Corona dem sozialen Betrieb die Luft zum Atmen genommen: Die Möwe gGmbH geht in die Planinsolvenz.

Sie muss nun, begleitet von einem vom Gericht bestellten Rechtsanwalt (Sachwalter), einen Sanierungsplan aufstellen. Drei Monate haben Geschäftsführung und der Trägerverein SKM dafür Zeit. Der Betrieb wird in allen Bereichen fortgeführt. Das Soziale Kaufhaus am Hauswörmannsweg und Jonathans Laden an der Johannisstraße bleiben geöffnet.

Das sind die Gründe: Zurückgehende Fördergelder, eine sinkende Zahl der zu betreuenden Arbeitslosen und die Folgen der Corona-Krise: Das sind nach Angaben der Verantwortlichen die wichtigsten drei Gründe für die Zahlungsschwierigkeiten.

Die wirtschaftliche Basis wurde für die Möwe in den vergangenen Jahren immer schmaler, wie SKM-Geschäftsführer Michael Strob sagte. Ein sozialer Betrieb wie die Möwe kann sich nicht selbstständig finanzieren, sondern ist auf Fördermittel angewiesen. Die Förderkulisse wurde in den letzten Jahren immer enger. Zudem wurde durch die gute Arbeitsmarktlage die Zahl der zu betreuenden arbeitslosen Menschen geringer. Zuletzt haben wir mit unseren Angeboten eine Versorgungslücke im staatlichen System gefüllt, wurden dafür aber nicht entsprechend vergütet.″

Trotz einer nur symbolischen Miete, trotz regelmäßiger Zuschüsse des Bistums Osnabrück und des Diözesan-Caritasverbandes sei die bilanzielle Überschuldung am Ende nicht mehr abwendbar gewesen.

Wir haben in den letzten zwei Jahren ein rigoroses Sparprogramm gefahren, und alle Kolleginnen und Kollegen haben großartig mitgezogen″, sagt Strob. Ziel sei es gewesen, das Angebot für arbeitslose Menschen möglichst umfangreich zu erhalten.

Die Folgen der Corona-Krise für den Betrieb: Die Corona-Krise habe sich wie ein Turbo″ auf die ohnehin schwierige Situation ausgewirkt, so SKM-Vorsitzender Franz-Josef Schwack. Der Umsatz in unseren sozialen Kaufhäusern brach abrupt ein. Auch die Entrümpelung und Wiederverwertung von Hausrat stand von jetzt auf gleich bei null″, so Schwack weiter.

Die nächsten Schritte: Gesellschafter und alle Beteiligten sind sich einig, dass die Möwe alsbald wieder abheben soll. Wir werden uns auf unsere Kernaufgaben konzentrieren, nämlich fördern, beschäftigen und qualifizieren″, so Strob. Dabei werde es sicher zu einer Einschränkung des Angebotes kommen. Leider wird das auch bedeuten, dass wir einen Teil der Arbeitsplätze abbauen müssen. Dazu werden wir in den kommenden Tagen intensiv beraten. Ganz sicher ist: Wir werden versuchen, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten″, bekräftigt der SKM-Geschäftsführer. Zahlen konnte er am Dienstag nicht nennen.

Ein hausinterne Strukturkommission soll nun ein Zukunftskonzept erarbeiten. Dazu biete die gelenkte Insolvenz in Eigenverwaltung die Möglichkeit, betonen Schwack und Strob. Zudem würden bereits Gespräche zur Zukunftssicherung mit einer weiteren karitativen Organisation geführt. Schwack: In und nach der Corona-Krise werden Angebote wie die der Möwe mehr denn je gebraucht. Wir stellen uns nun so auf, dass wir die Schwächsten am Rande der Gesellschaft weiterhin auffangen und verlässlich begleiten können.″

Die Lage der Mitarbeiter: Die Mitarbeiter sind am Dienstagnachmittag schriftlich informiert worden. Eine Betriebsversammlung ist wegen der Corona-Auflagen zurzeit nicht möglich. Für Rückfragen der Mitarbeiter hat die Geschäftsführung eine Hotline eingerichtet.

Der gemeinnützige Betrieb beschäftigt 60 fest angestellte Mitarbeiter. Etwa 80 Beschäftigte sind im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten (AGH) oder als Teilnehmer unterschiedlicher Projekte für die Möwe tätig. Darüber hinaus gehören Freiwilligendienstler und Praktikanten zum Team. Die Mitarbeiter erhalten für die kommenden drei Monate Insolvenzausfallgeld von der Arbeitsagentur. Dadurch wird die gemeinnützige Gesellschaft von Lohnkosten befreit.

Der Rechtsstreit mit der N-Bank war nicht ausschlaggebend: Die finanziellen Schwierigkeiten verschärft hat ein Konflikt mit der N-Bank, die die Abrechnung von Projekten bemängelt hatte und 160 000 Euro an Fördermitteln zurückforderte. Ausschlagebend für den Insolvenzantrag sei er aber nicht gewesen, versicherte Strob. In einem zähen Rechtsstreit gab das Verwaltungsgericht Osnabrück im Januar 2018 der klagenden N-Bank recht. Die Möwe wurde verurteilt, das Geld zurückzuzahlen. Zugleich stand damit die Befürchtung im Raum, dass weitere Gelder aus früheren Projekten zurückgefordert werden könnten.

Wohlgemerkt: Es bezweifelte niemand, dass die Möwe gGmbH die Gelder regelkonform und korrekt eingesetzt hatte. Gestritten wurde nur über die Abrechnungsmodalitäten. Die Kontrolleure im niedersächsischen Wirtschaftsministerium, die die Mittelvergabe der N-Bank beaufsichtigen, setzten die gerichtliche Entscheidung durch, die die Möwe zusätzlich belastete.

Das macht die Möwe: Die Möwe gGmbH kümmert sich seit über 30 Jahren um die Qualifizierung, Förderung und Beschäftigung langzeitarbeitsloser Menschen, um sie für den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen. Möwe verkauft in der Zentrale am Hauswörmannsweg und in der Johannisstraße gebrauchte oder gespendete Möbel, Fahrräder, Secondhand-Kleidung oder Hausrat. Die Möwe-Mitarbeiter bieten auch Dienstleistungen an wie Entrümpelungen, Wohnungsauflösungen, Umzugshilfen, Gartenarbeiten, Malerarbeiten oder Fahrradreparaturen.

Bildtexte:
Jonathans Laden an der Johannisstraße ist eine von zwei Verkaufsstellen der Möwe gGmbH in Osnabrück. Der Betrieb läuft trotz Insolvenzantrages ohne Einschränkungen weiter.
Das Soziale Kaufhaus am Hauswöhrmannsweg bleibt im Insolvenzverfahren weiter geöffnet.
Fotos:
Gert Westdörp

Kommentar
Danke, Corona

Soll man nun böse sein, dass die Corona-Krise der Möwe den letzten Stoß gegeben hat? Oder soll man dem Virus dankbar sein für den radikalen Schnitt und die Chance zum Neustart? Bei nüchterner Betrachtung und trotz aller Sorge um die Arbeitsplätze überwiegt wohl Letzteres: Die Insolvenz kann für die Möwe gGmbH wie eine Befreiung wirken.

Die Zahl der Menschen, die die wertvolle soziale Arbeit der Möwe benötigten, ist in den letzten Jahren gesunken, weil der Arbeitsmarkt brummte und andere Anbieter ähnliche Hilfen offerieren. Das heißt aber nicht, dass sich die Möwe selbst überflüssig gemacht hat. Die einst als Möbel-Werkstatt″ gestartete Einrichtung kümmert sich um jene, die ganz am Ende der Reihe stehen, die durch Krankheit, Sucht oder andere Beschwernisse den Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes am wenigsten gewachsen sind. Es gab sie in der wirtschaftlichen Boomphase, es gibt sie aktuell und wird sie auch in Zukunft geben als Folge der Corona-Krise vielleicht sogar noch in größerer Zahl. Die Arbeit der Möwe war, ist und bleibt unentbehrlich.

Die Möwe-Verantwortlichen beklagen eine Lücke im Fördersystem, die der soziale Betrieb durch immer mehr Umsatz schließen musste. Doch da kommt die Firma an Grenzen, denn die Menschen, die aus der Langzeitarbeitslosigkeit kommen, sind nur eingeschränkt belastbar. Die Möwe ist eben nicht voll wettbewerbsfähig und braucht öffentliche Förderung und zwar eine passgenaue.

Die Konsequenz kann nicht sein, dass sich die Möwe beim Neuaufbau auf lange Sicht der lückenhaften Förderkulisse anpasst. Umgekehrt muss es laufen: Das Fördersystem muss auf die Bedürfnisse abgestimmt werden auf die Bedürfnisse der Menschen, die Hilfe brauchen, und der Einrichtungen, die diese Hilfe geben können. w.hinrichs@ noz.de
Autor:
Wilfried Hinrichs


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