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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Mieterin kämpft gegen Investor
 
Mieterin widersetzt sich großem Wohnprojekt
Zwischenüberschrift:
Neues Viertel an der Möserstraße: Investor bereitet Räumungsklage vor
Artikel:
Kleinbild
 
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Originaltext:
Osnabrück Dem 70-Millionen-Euro-Wohnprojekt im Herzen von Osnabrück droht Ungemach. Eine von 30 Mietparteien wehrt sich gegen die Kündigung und will nicht ausziehen. Mit allen anderen Mietern hat sich der Investor inzwischen geeinigt. Das Meppener Unternehmen Pro Urban plant in dem Dreieck zwischen Möserstraße und Georgstraße einen Komplex mit 381 Kleinstwohnungen für Senioren, Studenten und Berufspendler. Dem Bau müssen mehrere Wohn- und Geschäftshäuser weichen, darunter auch die ehemalige C& A-Filiale (heute Tedi). Einge Mieter leben schon mehrere Jahrzehnte in dem Quartier, darunter auch eine 64-jährige Unternehmerin. Sie lehnt die Umwandlung des Viertels grundsätzlich ab und steuert auf einen Rechtsstreit mit dem Investor zu. Kann ihr Widerstand das Gesamtprojekt ausbremsen?

Osnabrück 29 Mietparteien im Möser-Quartier haben sich mit dem Investor finanziell geeinigt, eine wehrt sich und will nicht weg. Was bedeutet das für das 70-Millionen-Projekt im Herzen von Osnabrück?

Menschen in die City holen, Autos raus und Junge und Alte zusammenbringen wir setzen genau das um, was in Osnabrück großes Thema ist″: So beschreibt Raphael Wellen, Geschäftsführer von Investor Pro Urban, das Konzept, das er schon in anderen Städten umgesetzt hat. 381 Appartements sollen zwischen Möserstraße und Georgstraße entstehen. Sie werden zwischen 24 und 30 Quadratmeter groß und voll möbliert sein. Im Erdgeschoss werden Serviceeinrichtungen untergebracht, die den Bewohnern des Hauses das Leben angenehm machen sollen, aber auch jedem anderen offen stehen. Dazu gehören ein Restaurant, eine Tagespflege, Fitness- und Sportfläche, Lounge und Aufenthaltszone, eine Wäscherei und ein frei zugänglicher, begrünter Innenhof.

Die Gewerbeflächen waren allesamt befristet oder mit kurzfristig kündbaren Mietverträgen verpachtet. Bei den Wohnungen ist die Situation anders. Einige Menschen wohnen dort schon ihr halbes Leben wie Erdmute Immel (80) und Eva-Maria Jakob (64). Die beiden Mieterinnen reagieren aber ganz unterschiedlich auf die Pläne des Investors.

Sie ist zufrieden

Erdmute Immel ist am 1. Januar 1977 in die 100-Quadratmeter-Wohnung in der Georgstraße 20 eingezogen. Damals arbeitete sie in der Lagerhalle, organisierte Lesungen und Diskussionen zu Themen der Zeit. Dass das Haus, in dem sie wohnt, an die Pro Urban verkauft wurde, erfuhr sie im Dezember 2019 aus unserer Zeitung. Der ersten Überraschung folgte die Neugier: Ich wollte mehr wissen, was die hier vorhaben.″

Pro-Urban-Geschäftsführer Raphael Wellen sagt, er habe mit allen 30 Mietern ein persönliches Gespräch geführt. So saß er an einem Tag im Januar auch Erdmute Immel gegenüber, die, wie sie selbst sagt, dem jungen Mann richtig Kontra gegeben″ habe. Sie sei anfangs skeptisch gewesen, ob dieses Konzept der kleinen Appartements wirklich trage. Wir haben diskutiert, und ich habe erkannt, dass solche Wohnungen heute gewünscht sind″, sagt die 80-Jährige. Es war ein sehr konstruktives Gespräch.″

Am Ende kam auch etwas bei dem Gespräch heraus, was Erdmute Immel anständig″ nennt: Pro Urban zahlt ihr den Umzug und legt ein finanzielles Sahnehäubchen″ obendrauf, wie die Rentnerin sagt. Erdmute Immel zieht ein kurzes Stück weiter in das Eckhaus Georgstraße 8 direkt an der Hase um. Ich bleibe in meinem Kiez″, so Immel. Die neue Wohnung, die sie sich selbst besorgt hat, ist mit 60 Quadratmetern kleiner und etwas teurer als ihre heutige. Aber sie werde in ihrem Alter ohnehin nicht mehr so viel reisen, sodass mehr Geld für die Miete bleibe. Von Pro Urban fühlt sie sich fair behandelt″.

Sie will nicht ausziehen

Ein anderes Bild vom Investor zeichnet Eva-Maria Jakob, die seit 27 Jahren in einer Dachwohnung in der Georgstraße 18 lebt. Ihr ist es grundsätzlich suspekt, wenn Investoren mit viel Geld in der Hand ganze Viertel aufkaufen und die Mieter vertreiben. Sie möchte nicht, dass es in Osnabrück so werde wie in Berlin und Hamburg″. Auch Eva-Maria Jakob hatte Raphael Wellen zu Besuch. Die beiden sind sich in dem gut einstündigen Gespräch aber keinen Schritt nähergekommen. Ich ziehe hier nicht aus″, sagt die 64-jährige Unternehmerin.

Wellen hatte ihr zum Gespräch einen Aufhebungsvertrag mitgebracht. Einen solchen Vertrag haben inzwischen alle anderen Mietparteien unterzeichnet, wie Wellen sagt. Die Mieter stimmen darin zu, bis spätestens Ende Februar 2021 die Wohnung zu räumen. Dafür zahlt Pro Urban den Mietern Geld wie viel, das behalten alle Beteiligten für sich. Mit jeder Mietpartei schnürte der Investor in persönlichen Gesprächen individuelle Pakete.

Nur mit Eva-Maria Jakob gelang das bislang nicht. Ich bin nicht käuflich″, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Oder vielleicht doch? Pro Urban hat sie auf der Grundlage eines ähnlichen Falles in Erfurt eine Rechnung aufgemacht: 73 000 Euro müsste der Investor ihr als Ablösesumme zahlen. Eine Forderung, die Raphael Wellen für völlig überzogen hält und die offenbar weit entfernt von jenen Summen liegt, die die anderen Mieter erhalten.

Räumungsklage droht

Der Konflikt zwischen Investor und Mieterin ist inzwischen eskaliert. Die Parteien verkehren über Anwälte miteinander. Gestritten wird über das Gewerbe, das Eva-Maria Jakob in ihrer Wohnung seit 15 Jahren betreibt. In ihrer Textwerkstatt″ verfasst und redigiert sie Texte, berät Jobsuchende bei der Formulierung ihrer Bewerbungen und bietet andere Dienstleistungen rund ums Schreiben an. Dazu kommen die Kunden auch zu ihr in die Wohnung. Der frühere Vermieter hat ihr das erlaubt, die Pro Urban will das nicht. Pro Urban hat eine außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses damit begründet, dass Eva-Maria Jakob gegen den Willen des Vermieters in ihrer Wohnung ein Gewerbe mit Publikumsverkehr unterhalte. Die von Pro Urban gesetzte Räumungsfrist endete am 23. März. Eine Räumungsklage ist in Vorbereitung.

Es ist ein Nervenkrieg. Der Investor ließ die Klingelschilder mit der Aufschrift Textwerkstatt″ entfernen. Die Folge: Jakobs Kunden stehen irritiert vor der Tür, und die Post kommt nicht immer an. Denn die Boten dürfen keine an die Textwerkstatt″ adressierten Sendungen einwerfen, wenn das Schild fehlt. Eva-Maria Jakob steckt alle paar Tage eine Visitenkarte in den Klingelschlitz an der Haustür, der Hausmeister entfernt sie wieder.

Das sagt der Mieterverein

Carsten Wanzelius, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Mietervereins Osnabrück, glaubt nicht, dass die Räumungsklage von Pro Urban Erfolg haben wird. Die Begründung, die Mieterin betreibe in der Wohnung ein Gewerbe mit Publikumsverkehr, sei offensichtlich konstruiert″, um die Mieterin loszuwerden. Nach meiner Lesart ist das einmalig, was sich da abspielt.″ Das deutsche Mietrecht schütze Mieter vor einem wirtschaftlich motivierten Zugriff des Vermieters auf die Wohnung. Wanzelius sieht auch kein öffentliches Interesse, mit dem Pro Urban die Entmietung begründen könnte. Es bleibe dem Investor daher nur der Weg, sich mit der Mieterin finanziell zu einigen.

2021 will Pro Urban mit dem Bau beginnen. Die Frage ist: Wenn Pro Urban mit der Räumungsklage scheitert und Eva-Maria Jakob ihren Widerstand fortführt –, kann der Investor dann mit dem Abriss des Viertels beginnen, wenn mittendrin noch jemand wohnt?

Bildtexte:
Im Dreieck zwischen Georgstraße und Möserstraße soll ab 2021 ein neuartiges Wohnkonzept mit Kleinstwohnungen für Studenten, Senioren und Berufspendler realisiert werden.
Erdmute Immel fühlt sich vom Investor anständig″ behandelt.
Eva-Maria Jakob wehrt sich gegen die Kündigung ihres Mietvertrages.
Grafik:
Pro Urban
Fotos:
M. Gründel

Kommentar
Dem Investor ist kein Vorwurf zu machen

Unsere Häuser sind nicht für die Ewigkeit gebaut. Sie müssen fortlaufend renoviert, neuen Bedürfnissen angepasst und manchmal auch komplett abgerissen werden, um Neuem Platz zu machen. Unsere Gesellschaft muss diese Veränderungen ermöglichen und dabei das richtige Maß finden zwischen dem berechtigten wirtschaftlichen Interesse von Investoren und den Lebenslagen der Mieter. Es gibt viele Beispiele, wo dieser Ausgleich nicht gelingt und Mieter alten und billigen Wohnraum verlieren, weil neue Eigentümer mit modernisierten Wohnungen mehr Geld verdienen wollen.

Das Projekt an der Möserstraße ist aber anders und nicht mit Auswüchsen in Berlin oder Hamburg vergleichbar. Ja, hier verschwinden zwei Dutzend Wohnungen, die in die Kategorie bezahlbar″ einzuordnen sind. Aber sie machen Platz für eine neue Wohnform, die es in Osnabrück bislang nicht gibt und die dazu geeignet ist, wichtige strategische Ziele der Stadt zu erfüllen. Von daher gibt es auch ein öffentliches Interesse an der Entwicklung dieses Quartiers.

Vor allem aber agiert hier kein Raubtierkapitalist. Der Chef des mittelständischen Unternehmens spricht selbst mit den Mietern. Er lässt ihnen 14 Monate Zeit für Wohnungssuche und Umzug, er bietet ihnen Hilfe an und ist bereit, eine angemessene Summe auf den Tisch zu legen. Wenn eine 80-jährige Langzeitmieterin sagt, sie fühle sich anständig behandelt, ist das ein Wort. Dem Investor ist im Umgang mit den Mietern nichts vorzuwerfen.

w.hinrichs@ noz.de
Autor:
Wilfried Hinrichs


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