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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Hunger, Inflation, Bomben – und jetzt Corona
Zwischenüberschrift:
125 Jahre Glas Deppen: Osnabrücker Firma hat zwei Weltkriege und alle Launen der Baukonjunktur durchgestanden
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück Einen Handels- und Handwerksbetrieb, der 125 Jahre alt wird, wirft auch Corona so schnell nicht aus der Bahn. Die Firma Glas Deppen an der Hannoverschen Straße hat über all die Jahre die Entwicklung des Werkstoffs Glas im Bauwesen mitgestaltet und sieht trotz der aktuellen Krise gute Aussichten für die Zukunft.

Mit Katrin Deppen ist heute die fünfte Generation am Ruder. Die 41-jährige diplomierte Kauffrau und Mutter zweier noch recht kleiner Kinder führt die Geschäfte gemeinsam mit Jürgen Grave, der bereits seit mehr als 40 Jahren im Unternehmen arbeitet. Was bewog sie, in eine nach wie vor eher von Männern dominierte Branche einzusteigen? Abgesehen davon, dass unternehmerische Kompetenz keine geschlechtsspezifische Eigenschaft ist, ist es für sie die Faszination, die vom Produkt Glas mit all seinen vielseitigen Eigenschaften ausgeht.

Im Übrigen sind Frauen im Glas-Bereich schon lange nichts Exotisches mehr, hat sie festgestellt: Gerade über den ästhetischen Anspruch in der modernen Architektur finden sie Zugang zum Glas.″ Nach dem Studium hat Katrin Deppen viele Jahre für einen international operierenden Flachglaskonzern gearbeitet und fühlte sich von daher optimal vorbereitet, in den Familienbetrieb einzusteigen, den bis 2018/ 19 ihr Vater Gerhard und ihr Onkel Andreas in der vierten Generation geleitet haben. Neben Katrin ist auch ihr jüngerer Bruder Klaus-Henning in der Firma tätig. Er arbeitet im Vertrieb.

Katrins Ururgroßvater Gerhard Deppen (1862–1951) hat in gewisser Weise die Richtung vorgegeben. Er war Handwerker, Kaufmann und Künstler in einem.

Seine Handwerkslehre durchläuft er beim Maler- und Glasermeister Grumke in der Dielingerstraße. Mit dem Gesellenbrief in der Tasche geht er ab 1880 nach altem Handwerksbrauch auf Wanderschaft. In München besucht er eine städtische Kunstschule und findet Arbeit beim Hofmaler Wagner, in Wien nimmt er Arbeit bei einem Dekorationsmaler an und später bei einem Kirchenmaler, was Folgen für einen späteren Schwerpunkt der Firma haben soll. Zurück in Osnabrück, macht er sich als Glaser- und Malermeister selbstständig. 1889 erwirbt er das Haus Schwedenstraße 5. Es gilt als das Stammhaus der Familie acht seiner elf Kinder werden hier geboren und der Firma. Hier vollzieht sich auch der Wandel vom handwerklichen zum kaufmännischen Betrieb.

Segen erfleht

Im Jahr 1894 war ich sehr kränklich″, schreibt Gerhard Deppen dazu in seinen Lebenserinnerungen, ich konnte nicht mehr auf der Leiter stehen. Ich hatte Leberschwellung […]. In dieser Zeit kam ich auf den Gedanken, einen kleinen Glashandel […] anzufangen. Falls ich dann nicht mehr gut arbeiten könnte, so dachte ich, hätten wir doch etwas Verdienst.″

Die Registereintragung fällt auf den 25. März 1895. Ich weiß noch recht gut, wie ich im Dom gekniet und Gott um seinen Segen dazu gebeten habe.″ Zwar überwindet Gerhard Deppen seine Krankheit, doch das Handelsgeschäft gewinnt kontinuierlich die Oberhand gegenüber dem Handwerk. Deppen nützt das übliche Vorgehen der Grossisten, je Scheibenabmessung nur geschlossene Kisten zu liefern, zugunsten seines eigenen Geschäftsmodells aus. Bei ihm können die zahlreichen kleinen Maler- und Glasermeister auch Teilmengen beziehen. Im Juni 1895 verkaufte ich auch schon nach auswärts und auch in ganzen Kisten″, heißt es in seinen Aufzeichnungen.

Osnabrück wächst im Zuge der Industrialisierung rapide und damit auch der Bedarf an Glas für neue Arbeitsstätten, Wohnungen und Kulturbauten. Die Schwedenstraße reicht für die nun erforderlichen Lagermengen nicht mehr aus. Ein neues Heim für Firma und Familie wird gesucht und 1899 mit dem Haus Johannisstraße 70 gefunden. Es ist dies der vielleicht schönste und bedeutendste Renaissancebau Osnabrücks, 1611 für den bischöflichen Kanzler Fürstenberg errichtet. Das Haus ist damals etwas anrüchig″, weil im Hinterhaus an der Seminarstraße Wagenschmiere hergestellt wird und im Nebenhaus eine Fellhandlung ebenfalls intensive Gerüche verbreitet. Gerhard Deppen lässt sich davon nicht abschrecken. Während er im Erdgeschoss des Vorderhauses ein Ladenlokal einrichtet, bieten die dahinter liegenden Gebäude viel Platz für Lager, Zuschneidetische und Werkstätten.

Das Geschäft gedeiht, ein erstes Pferdegespann für die Auslieferung von Schaufenstern, Spiegeln und geschliffenen Platten wird angeschafft. Jugendstil und Historismus verlangen ausgefallene Gläser in der Fassade und in Innenräumen. Aus eigener Herstellung sind Matt- und Mousselinglas im Angebot, silberbelegte Spiegel, facettierte Schrankverglasungen, gläserne Türschoner, Bleiverglasungen, Kirchenfenster.

Hyperinflation 1923

Im ersten Weltkrieg müssen die drei für die Firmennachfolge vorgesehenen Söhne an die Front. Der Senior hält den Betrieb mit ungelernten Hilfskräften über Wasser, er muss selber Kohlen schleppen, heizen und Spiegel belegen. Hunger und Not enden nicht mit dem Waffenstillstand 1918. Die rheinischen Glashütten liefern nur, wenn man mit Fleisch und Wurst aus eigener Schlachtung nachhilft. In der Inflationszeit erscheint es Gerhard Deppen und seinen Söhnen angeraten, das Geld für die Bezahlung der Rechnungen persönlich und in bar nach Köln zu bringen. Die Banküberweisung würde zu lange dauern, denn der Gegenwert des Geldes sinkt Tag für Tag um die Hälfte.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs lebt aus der zweiten Generation in der Firmennachfolge nur noch Anton Deppen (1891–1964). Er muss zusammen mit dem hochbetagten Senior mit ansehen, wie der Bombenkrieg das gesamte Firmengelände zwischen Seminarstraße und Großer Rosenstraße zertrümmert. An Palmsonntag 1945 („ Palmarum Qualmarum″), am Tag des Jubiläums zum 50-jährigen Bestehen, wird auch das prächtige Renaissancehaus zerstört. Einem Wunder gleich bleibt die Schaufassade zunächst unversehrt stehen. Als man sie sichern will, um das Gebäude später einmal wieder aufzubauen, stürzt sie plötzlich ein. Sprengarbeiten auf der anderen Straßenseite haben Bodenerschütterungen ausgelöst, denen das fragile Fassadenwerk nicht standhält.

Anton Deppen und Sohn Werner (1923–2014) machen sich mit einem treuen Stamm aus dem Krieg zurückgekehrter Mitarbeiter an den Wiederaufbau. Als provisorische Zwischenlösung wird der Betrieb in drei alten Baracken eines früheren Munitionslagers auf dem Grundstück Schloßstraße 7–9 wiedereröffnet. Das Hantieren mit dem schweren Glas ohne mechanische Hilfsmittel führt oft zu grotesken Manipulationen. Auf dem Boden des Hofes werden Schaufensterscheiben geschnitten, wobei der Zuschneider bäuchlings auf der Scheibe liegt und am Schneidlineal entlangrutscht. Ab 1948 sind nach und nach Betriebsgebäude an der Seminarstraße wiederhergestellt.

Der Wiederaufbau von Wohnraum und Gewerbe mit seinem immensen Glasbedarf beschert auch der Firma Deppen unter Werner Deppen, der den Betrieb mehr als ein halbes Jahrhundert lang als Geschäftsführer prägt, eine steile Aufwärtsentwicklung. Der alte Standort reicht nicht mehr aus. 1963 wird ein neues Betriebsgelände im Industriegebiet Fledder in Erbpacht genommen. Gebäude für Lager, Umschlag und Veredelungen entstehen.

Die Hannoversche Straße 43 ist bis heute, mehrfach umgebaut und modernisiert, Standort der Firma Deppen geblieben. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Spezialisten für moderne Anwendungen aus Glas und Beschlag entwickelt. Mehr als 40 Mitarbeiter entwerfen, produzieren und montieren etwa Ganzglastüranlagen, Küchenrückwände aus lackiertem Glas, Spiegelwände, Terrassenüberdachungen, Glasvordächer oder Glasduschkabinen. Kunden sind Glasereien, Metallbauer, Tischler, Innenausbauer, Laden- und Messebauer und Baufachmärkte aber auch private Bauherren.

Bedarf an Plexiglas

Und wie kommt die 125-jährige Firma durch Corona-Zeiten? Auch uns stellt die derzeitige Krise vor große Herausforderungen″, sagt Katrin Deppen, aber wir haben das Glück, dass wir ein eingespieltes Team aus teils sehr langjährigen Mitarbeitern sind, die alle Maßnahmen mittragen und tolle Vorschläge machen. Die Büros haben wir umstrukturiert, um ausreichend Abstand zwischen den Arbeitsplätzen zu schaffen. Auch die Schichtpläne in der Produktion wurden an die derzeitige Situation angepasst. Aber wir sind dankbar, dass wir weiter arbeiten dürfen und die Umsätze bisher nicht sehr stark zurückgegangen sind.″ Ein Grund dafür: Der Bedarf an Plexiglas und Sicherheitsglas für Spuckschutzwände ist seit Beginn der Krise sprunghaft angestiegen.

Bildtexte:
Das prachtvolle Patrizierhaus an der Johannisstraße, Ecke Seminarstraße, war von 1899 bis zu seiner Zerstörung 1945 Sitz dr Firma uns Wohnung der Familie Deppen. Das Foto von Rudolf Lichtenberg jr. stammt aus dem Band " Lichtenberg - Bilder einer Stadt ll", hrsg. von Rolf Spilker und Birte Tost, Bramsche 2007.
Der Glasschleifer an der Vorrichtung zum Facettieren, um 1930.
Der Betrieb Glas Deppen an der Hannoverschen Straße im Jubiläumsjahr 2020.
Das Geschäftsführer-Duo Katrin Deppen und Jürgen Grave.
Fotos:
n.n., Marie-Marie-Fotografie, Jette Golz
Autor:
Joachim Dierks


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