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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Überschrift:
Tage zwischen Angst und Erleichterung
Zwischenüberschrift:
Zwei Deutsche und ein Brite: Zeitzeugen erzählen vom Briten-Einmarsch vor 75 Jahren
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. In Osnabrück war er zumindest gefühlt sogar schon knapp fünf Wochen vorher zu Ende gegangen: Am 4. April 1945 marschierten britische Einheiten in die Hasestadt ein und übernahmen sie ohne nennenswerte Gegenwehr.

Die Osnabrücker gingen in jenen Tagen durch ein Wechselbad der Gefühle. Da war die Verzweiflung im Angesicht des Zusammenbruchs, die Angst vor möglicher Rache der Sieger, vor noch größerer existenzieller Not, vor einer völlig ungewissen Zukunft. Aber viele sehnten auch die Befreiung von der Nazi-Herrschaft herbei, deren grandioses Scheitern nun selbst für den Letzten sichtbar war. Und sie hofften auf ruhige Nächte im eigenen Bett.

Eindringlicher als historische Abhandlungen lassen Augenzeugenberichte die Ereignisse vor 75 Jahren nachempfinden. Zwei Deutsche und ein Brite erzählen.

Heinz Ahlert war ein 14-jähriger Schüler, der mit seinen Eltern in der Heinrichstraße wohnte.

Uns war mulmig, als es hieß, dass die Engländer kommen. Man hatte uns vorher Schauergeschichten erzählt. Osnabrück wäre angeblich zur Festung erklärt worden, und deshalb würden die Engländer auf alles schießen, was sich bewegt.

Wir verkrochen uns im Redlinger-Bunker, denn noch mehr Angst hatten wir vor einem Granatenbeschuss. Im Bunker waren neben den Zivilisten ein paar versprengte Soldaten und ungefähr 20 Polizisten.

Die wollten alle nicht mehr kämpfen. Sie hatten ihre Gewehre und Pistolen auf einen Haufen geworfen, und wir Hitlerjungen sollten die zerstören. Das ging ganz einfach: Man nahm den Verschluss heraus, schlug ein paar Mal auf einen Stein, dann war das Gewehr verbogen und unbrauchbar.

Die Engländer kamen mit Panzern gar nicht in die Innenstadt hinein, denn da lag noch alles voller Trümmer und Schutt. Es waren britische Fußtruppen, die zu uns an den Bunker kamen und uns herausholten. Soweit ich mich erinnere, fiel kein einziger Schuss. Es war günstig, dass die Engländer den Haufen mit den zerstörten Waffen sahen.

Unser provisorisches Zuhause war bei meiner Cousine in der Parkstraße. Unsere eigene Wohnung in der Heinrichstraße war zweimal ausgebombt. Meine gesamte Kleidung war verbrannt. Ich besaß nichts außer der Hitlerjugend-Uniform, die ich am Leibe trug.

Erst Wochen später bekam ich auf Bezugsschein eine zivile Hose. Und jemand anders schenkte mir eine Uniformjacke. Die durfte nicht feldgrau bleiben, die wurde umgefärbt, und alle Knöpfe kamen ab.

In den nächsten Tagen gingen die Engländer dann von Haus zu Haus und durchsuchten jeden Raum, ob sich dort Soldaten versteckt halten, ob alles, was abgabepflichtig war wie Waffen, Fotoapparate und so weiter auch wirklich abgegeben war. Wer größere Mengen an Bettwäsche hatte, musste sie auch abgeben. Das wurde für andere, die gar nichts hatten, beschlagnahmt. Bei uns war aber schon nichts mehr zu holen.

Sicher, der Krieg war nun verloren, und alles war kaputt. Aber im Großen und Ganzen war man doch froh, dass Ruhe einkehrte, dass es keinen Fliegeralarm mehr gab, dass man nachts durchschlafen konnte. Und wir waren erleichtert, dass Osnabrück praktisch kampflos übergeben wurde, dass die Gerüchte von der , Festung′ nicht stimmten.″

Udo Goedecke war damals 13 Jahre alt. Das Elternhaus mit der Zahnarztpraxis des Vaters stand in der Lotter Straße.

Den Einmarsch hatten wir erwartet. Es war eine endlose Kolonne, die sich durch die Lotter Straße schob. Das hörte überhaupt nicht auf. Wir bekamen so richtig vor Augen geführt, welche gewaltige Materialübermacht die Engländer aufbieten konnten. Das Ganze passierte weitgehend kampflos. Organisierten Widerstand gab es wohl überhaupt nicht.

Aber die Briten fürchteten einzelne fanatische Heckenschützen. Und so kam es zu diesem schrecklichen Missverständnis in der Werderstraße. Da stand der Herr Schreck auf dem Balkon, ehemals Stadtdirektor von Bad Ems, der wegen seiner Anti-Nazi-Haltung frühzeitig in den Ruhestand gegangen war. Er winkte den einmarschierenden Truppen begeistert zu. Die deuteten das falsch, sahen nur jemanden mit den Armen herumfuchteln und erschossen ihn.

Viele Mitbürger, die sich in den Luftschutzräumen und Bunkern verkrochen hatten, kamen hervor und schwenkten weiße Handtücher. Die Engländer taten ihnen nichts, man ging zurück in die Wohnungen, das war alles recht unproblematisch.

An den Folgetagen kamen Durchsuchungstrupps. Wir mussten alle Schränke und Türen aufsperren. Die haben nach Waffen gesucht. Sicher, der eine oder andere Fotoapparat ging dabei wohl auch hops. Meiner Tante erging es allerdings schlechter. Ihr Haus an der Mozartstraße wurde beschlagnahmt. Warum ausgerechnet ihres, weiß ich nicht. Zehn oder zwölf Engländer hausten in ihrer Wohnung und haben die ziemlich verwüstet und manches entwendet, während sie selber im Keller eingesperrt war. Wie wir hinterher hörten, war das aber eine Ausnahme.

Das öffentliche Leben kam recht schnell wieder in Gang. Man wusste, was zu tun war. Jeder hatte Schutt wegzuräumen und etwas zu reparieren. Wir Jungen sind durch die Altstadt gestreift und haben uns die Zerstörungen angeguckt. Ich weiß noch, was das für ein schockierender Anblick war, dass man vom Eingang der Bierstraße auf den Turmstumpf der Marienkirche einen völlig freien Blick hatte.

Wir schauten den britischen Räumpanzern zu, die die Straßen frei räumten, damit die eigenen Verbände schneller durchmarschieren konnten. In die entgegengesetzte Richtung, also Richtung Lotte, fuhren bald Lkws mit deutschen Kriegsgefangenen auf der offenen Pritsche. Die riefen manchmal den Passanten ihre Namen zu und baten, dass man ihren Angehörigen ein Lebenszeichen übermittelt.

Als die große Befreiung habe ich den Einmarsch der Briten damals nicht empfunden. Man war irgendwie gespalten. Einerseits brach die Welt zusammen, an die ich bis dahin als kleiner Pimpf doch mehr oder weniger geglaubt hatte. Geländespiele, Lagerfeuer, Kameradschaft ich hab gern beim Jungvolk mitgemacht. Auch die Blitzsiege am Anfang des Krieges hatten mich schwer beeindruckt. Das war nun alles perdu. Andererseits war man froh, dass endlich die Fliegeralarme vorbei waren und die Chance zum Neustart gegeben war. So richtig ans Nachdenken über all das, was passiert war, kam man gar nicht. Man schob das beiseite, weil es ja zunächst ums eigene Durchkommen ging.

Eric Taylor (1917–1995) nahm als Angehöriger der Eliteeinheit 46 Royal Marine Commando″ (46. Marineinfanteriebataillon) an der Rückeroberung des Kontinents teil, von der Landung in der Normandie 1944 bis zum Elbübergang bei Lauenburg im April 1945. Aus seinen Tagebüchern und weiteren Dokumenten hat dessen Sohn Keith Taylor die Geschichte der Truppe 1944/ 45 niedergeschrieben. Der erste Band, der die Kämpfe in der Normandie zum Gegenstand hat, ist bereits im Eigenverlag erschienen. Zum Jahresende soll ein Folgeband er schildert das Vorrücken in der norddeutschen Tiefebene hinzukommen. Darin wird auch die Besetzung Osnabrücks geschildert. Hier ein Vorabdruck aus Corporal Eric Taylors Tagebuch:

Die erste Kommando-Brigade, die Osnabrück einnehmen sollte, bestand aus dem 3. und dem 6. Army Commando sowie aus dem 45. und 46. Marine Commando, insgesamt etwa 1600 Mann. Um 3 Uhr morgens am 4. April brachen wir von unserem Sammelpunkt etwa fünf Meilen westlich der Stadt auf. Der Einmarsch war ziemlich unspektakulär. Wir trafen nur auf wenige versprengte feindliche Soldaten, mit denen wir schnell fertig wurden.

In den Außenbezirken waren viele Wohnhäuser unbeschädigt, aber in der Innenstadt sahen wir, wie akkurat die Royal Air Force zugeschlagen hatte. Bahnanlagen und Industriebetriebe waren total zerstört. Gegen 8 Uhr hatten wir den uns zugewiesenen Bereich in der Innenstadt erreicht. 50 Deutsche wurden getötet oder verwundet und 450 gefangen genommen. Eigene Opfer hatten wir nicht.

Es folgten dann Patrouillen im Gebiet bis zum Hauptbahnhof, bis wir auch hier sicher sein konnten, dass sich keine Heckenschützen mehr versteckten. In den kommenden Tagen war unsere Hauptaufgabe, Plünderungen zu unterbinden, die sowohl von den , displaced persons′ [gemeint sind vor allem ehemalige Zwangsarbeiter, Anm. d. Red.] wie auch von den Deutschen selbst versucht wurden.

Unsere Verpflegung bestand aus dem üblichen Milch-Tee-Gemisch und Zwieback, dazu etwas Käse, Corned Beef und Dosenschinken. Das war zwar etwas eintönig, dafür aber ausreichend vorhanden.

Während unseres Aufenthalts in Osnabrück gab es auch lustige Momente. Einmal ließ unser Nachrichtenoffizier vor einer Gaststätte haltmachen. Mit dem bisschen Deutsch, das er konnte, gab er dem Wirt zu verstehen, dass wir seine Hühner unberührt lassen würden, wenn er ein anständiges Frühstück servieren würde. Der verschüchterte Deutsche willigte sofort ein. Jeder von uns bekam vier Spiegeleier mit Schinken und einem merkwürdigen braunen Brot vorgesetzt, hinterher sogar noch Obst und Sekt (wer sagt denn, dass die Deutschen Hunger leiden?). Merkwürdig war nur, dass bei unserem Aufbruch doch einige Federn durch die Gegend flogen… (Wir ließen schließlich doch ein paar Hühner mitgehen, um unsere Standard-Futterage etwas zu variieren.)

Wiederholt wurden wir eingeteilt, die Plünderungen großer Verpflegungslager zu stoppen. Der Osnabrücker Bürgermeister war erleichtert und so dankbar, dass er uns aufforderte, uns selbst aus den Vorräten zu bedienen. Das war natürlich einer der angenehmeren Einsätze. Wir schlossen die Türen und sahen uns um. Wir fühlten uns ein wenig wie der Dieb Fagin im Roman Oliver Twist″. Aber dann dachten wir, wenn wir es nicht nehmen, dann holen es sich morgen andere. Und wir dachten an unsere Familien, die schwer unter den deutschen Bombenangriffen und den V1 und V2 zu leiden hatten. Ich nahm für meine Verlobte daheim sechs Paar Seidenstrümpfe und einen seidenen Pyjama an mich. Bei meinem nächsten Heimaturlaub wollten wir heiraten. Als meine Liebste später die Strümpfe anprobierte, stellte sich heraus, dass die Strumpffüße viel zu klein gearbeitet waren. Wer beschreibt meinen Verdruss!

Bildtexte:
Britische Armeeeinheiten am 4. April 1945 auf der Suche nach Scharfschützen in den Ruinen von Osnabrück (Blick von der Wittekindstraße zur Möserstraße).
Heinz Ahlert
Udo Goedecke
Eric Taylor
Panzer des 3. Royal Tank Regiment auf der Römerbrücke zwischen Eversburg und Pye. Bereits am 3. April 1945, einen Tag vor der Besetzung der Stadt, umging diese Einheit Osnabrück im Norden.
Die Römerbrücke überspannt heute den Altarm der Hase. Die Brücke über die regulierte Hase folgt weiter hinten.
Marineinfanterist Eric Taylor.
Eric Taylor (dritter von links) als Schütze hinter dem MG, das fest auf dem Jeep montiert ist.
Fotos:
Imperial War Museum/ Archiv des Medienzentrums Osnabrück, Joachim Dierks, Archiv/ K. Taylor
Autor:
Joachim Dierks


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