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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Überschrift:
Im März 1920 droht Osnabrück ein Blutbad
Zwischenüberschrift:
Tage der Wut und Angst nach dem Kapp-Putsch in Berlin / Auf dem Westerberg lauert das „Freikorps Totschlag″
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück Ein Generalstreik, der alle Bereiche der Volkswirtschaft lahmlegt, ist im heutigen Deutschland unbekannt. Doch vor 100 Jahren ereignete sich eine solche massenhafte Arbeitsniederlegung, die in die Geschichtsbücher eingeht und dazu führt, dass Deutschlands erste Republik auch in Osnabrück vorerst erfolgreich gegen ihre Feinde verteidigt wird.

Den Anlass bieten Ereignisse, die sich in der Hauptstadt zutragen. Die Nachrichten aus Berlin verbreiten sich auch in den Osnabrücker Tageszeitungen blitzschnell und bestimmen das Thema unzähliger Diskussionen. Die nationalliberale Osnabrücker Zeitung″ wartet sogar mit einer Sonderausgabe auf.

Neugierige lesen unter der Überschrift Die neue Regierung″, worum es geht: Die legale Regierung unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Gustav Bauer ist für abgesetzt erklärt worden. An ihre Stelle habe sich als neuer Kanzler ein gewisser Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp gesetzt, der fortan zum Namensgeber des Umsturzversuches wird.

In den frühen Morgenstunden des 13. März 1920 sind große Formationen rechts ausgerichteter Freikorps-Truppen durch das Brandenburger Tor marschiert. Systematisch haben sie das gesamte Regierungsviertel besetzt. Reichswehr und Polizei verweigern der gewählten Koalitionsregierung aus Mehrheits-Sozialdemokraten (MSPD), katholischer Zentrumspartei und linksliberalen Demokraten ihren Schutz.

Die Beweggründe der Putschisten besitzen nicht nur einen machtpolitischen, sondern auch einen materiellen Grund: Der dem Reich nach der Kriegsniederlage 1918 aufgezwungene, am 10. Januar 1920 in Kraft getretene Versailler Friedensvertrag erlaubt Deutschland nur noch ein 100 000 Mann starkes Heer. Die aktive Zahl der Soldaten jener Nachkriegszeit, von denen viele Freikorpsangehörige im Osten noch lange Zeit in Kämpfe verstrickt sind und ihren Lebenssinn im Waffenrock sehen, beträgt die vierfache Zahl an Kämpfern. Diese Soldaten sehen sich vor dem Nichts und glauben zusehends der Dolchstoßlegende″ von den im Felde unbesiegt gebliebenen Helden″ des Weltkriegs, die hinterrücks von Revolutionären gemeuchelt wurden.

Berliner Beobachtern springt auf den Stahlhelmen etlicher Putsch-Soldaten ein eigentümliches Symbol ins Auge: Es handelt sich um ein weiß gepinseltes Hakenkreuz. Den Hintergrund dieser altgermanisch anmutenden Bemalung kennen nur Insider: Es sind antisemitische, antidemokratische und im Baltikum kampferprobte Mitglieder der Freikorps-Brigade Erhardt, die sich stolz mit dem späteren Erkennungszeichen der Nationalsozialisten schmücken.

Der Todfeind der Freikorps-Kämpfer steht links: Bereits im Vorjahr hat die Soldateska mit Duldung der Reichsregierung blutige Gemetzel unter streikenden Arbeitern im Ruhrgebiet angerichtet.

Die Meldung vom Kapp-Putsch schweißt Gewerkschafter und Sozialisten aller Strömungen landauf, landab fest zusammen. Selbstverständlich ist das nicht. Denn seit der Kriegsfrage 1914, der Abspaltung der Unabhängigen Sozialdemokratie (USPD) 1917 und der blutigen Geschehnisse während der November-Revolution 1918 bestehen tiefe Gräben unter ehemals vereinten Sozialisten: Noch am 13. Januar 1920 hatte eine mit Antidemokraten durchsetzte Berliner Sicherheitspolizei (SiPo) vor dem Reichstag mit Billigung und Förderung führender Mehrheitssozialdemokraten wie Reichswehrminister Gustav Noske und Reichspräsident Friedrich Ebert in eine Massendemonstration geschossen.

Die neue Einheit der Arbeiterbewegung bildet nun die Voraussetzung dafür, dass der rasant verbreitete Aufruf zum Generalstreik reichsweit seine Früchte trägt: Auf dem Höhepunkt sind zwölf Millionen Menschen dabei. Es dauert nicht lange, ehe sich auch Osnabrücker Gewerkschafter, Mehrheits- und Unabhängige Sozialdemokraten zur Bildung einer Abwehrfront zusammenfinden. Auch die Demokratische Partei und die Deutsch-Hannoversche Partei treten der Aktionseinheit bei. Am 15. März tagt auch das Ortskartell des Deutschen Beamtenbundes. Einstimmig stellt sich dieses ebenfalls hinter die demokratisch gewählte Reichsregierung, solidarisiert sich mit dem Generalstreik und fordert alle Beamten und Lehrer auf, jede Handlung und Tätigkeit für die Umsturzregierung abzulehnen″. Komplett wird das breite Bündnis mit dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) sowie mit der Arbeitsgemeinschaft für Angestellte (AfA). Osnabrücker Verhältnisse

In Osnabrück kommt dem Bündnis zugute, dass es hier infolge der Revolution von 1918 niemals zu tiefen Spaltungen der Arbeiterbewegung oder gar zur Gewalt untereinander gekommen ist. In Berlin und in anderen Industriezentren ist dies meist völlig anders: Hier haben Spaltung und Bruderkampf tiefe Risse produziert, die Familien und Freundschaften zerreißt.

Ein Osnabrücker Aktionsausschuss, der den offiziell von sozialdemokratischen Reichsministern ausgerufenen Generalstreik koordinieren soll, tagt im Lokal Vennemann an der Meller Straße. Der Kreis setzt sich aus den beiden MSPDlern Otto Vesper (Mitglied der als Parlament fungierenden verfassungsgebenden Nationalversammlung) und Heinrich Groos sowie zwei USPD-Sprechern, dem Sekretär des Metallarbeiterverbandes Gustav Haas und seinem Genossen Ludwig Landwehr, zusammen.

Der flächendeckend verteilte Aufruf des Aktionsausschusses zum Streik spricht sich unter den Beschäftigten der Stadt wie ein Lauffeuer herum und er wird prompt befolgt: Die städtischen Ämter, das Kupfer- und Drahtwerk, das Eisen- und Stahlwerk, auch kleinere Betriebe, die Post, die Straßenbahn und die Eisenbahnwerkstätten, selbst Theater und Kinos sind im Nu lahmgelegt. Aufrechterhalten wird nur der Betrieb im Krankenhaus sowie im Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerk.

Doch nicht alles zeigt sich einig im Streik für die Republik. Die größte Gefahr droht vom Westerberg. In der Caprivikaserne salutieren kampfbereite Angehörige des Freikorps Lichtschlag unter ihrem Kommandeur, dem kriegsdekorierten Osnabrücker Hauptmann Otto Hasenclever. Über dem Kasernenhof flattert bereits demonstrativ die schwarz-weiß-rote Fahne des kaiserlichen Reiches, was als offene Kampfansage an das Schwarzrotgold der offiziellen Flagge gilt.

Die Truppe ist bis an die Zähne bewaffnet. Schnell wäre ein Blutbad in vielen Wohnvierteln Osnabrücks anzurichten. Und wie ihre Gesinnungsgenossen von der hakenkreuztragenden Brigade Erhardt rühmen sich die Lichtschlag-Kämpfer damit, im Vorjahr etliche für ihre Rechte kämpfende Bergleute und Stahlarbeiter im Ruhrgebiet unter Befehl ihres Generalleutnants Oskar Freiherr von Watter blutig niedergemetzelt zu haben. Die an all ihren Standorten 2500 Kämpfer zählende Lichtschlag-Truppe ist berüchtigt als Freikorps Totschlag″.

Die Putschisten, das weiß man mittlerweile, pflegen ohne Vorwarnung scharf zu schießen. Droht nun auch in Osnabrück ein Blutbad, das seit Beginn des Umsturzversuchs bereits zur tragischen Realität vieler anderer Städte gehört? Oberbürgermeister Julius Rißmüller lässt noch am Putschtag Plakate kleben und mahnt darin alle Beteiligten, bemerkenswert unparteiisch und abwartend, zur Ruhe: Aus Berlin kommt die Nachricht, dass die jetzige Regierung gestürzt ist. Für die Stadt Osnabrück kommt es darauf an, dass hier Ruhe und Ordnung auf jeden Fall erhalten bleibt. Ich fordere die Einwohner Osnabrücks auf, dass jeder an seiner Stelle für Ruhe und Ordnung eintritt.″

Die Osnabrücker sind gierig nach jeder Information. Seit die örtlichen Tageszeitungen über den ersten Putsch-Tag berichtet haben, fehlt es weit und breit an seriösen Informationsblättern: Die Drucker des Osnabrücker Tageblatts″, der nationalliberalen Osnabrücker Zeitung und der katholischen Osnabrücker Volkszeitung″ streiken. Lediglich Sonderblätter der frisch gegründeten sozialdemokratischen Freien Presse″ erscheinen.

Vor allem in den Straßen der Innenstadt und in engen Wohngebieten treibt es die Menschen immer wieder nach draußen, um mehr zu erfahren. Aufsehen erregt ein mysteriöses Blatt aus Melle, das von einer anstürmenden roten Armee″ auf Osnabrück berichtet. Heute würde man von Fake News″ sprechen. Das Gerücht zerplatzt wie eine Seifenblase.

Viele Tausende zieht es zum Ledenhof auf eine Kundgebung. Dort sprechen für die MSPD der Gewerkschaftssekretär Walter Bubert, für die USPD der Metallgewerkschafter Gustav Haas und für die Demokraten deren Parteisekretär Körber. Alle Redner fordern immer wieder unter großem Beifall den sofortigen Rücktritt der Putsch-Regierung und deren harte Bestrafung.

Flugs finden Verhandlungen mit der Stadt- und Regierungsspitze statt. Von Rißmüller, von Regierungspräsident Tilman und von Vertretern der örtlichen Einwohnerwehr erhalten die Streiksprecher die feste Zusicherung, dass alle gemeinsam für Republik, Verfassung und legale Regierung einstehen wollen.

Ein weiteres, weitaus schwierigeres Gespräch führen die Streikvertreter, begleitet von Rißmüller, mit Verantwortlichen des Freikorps Lichtschlag, das in der Caprivikaserne rund 200 Bewaffnete zählt.

Die geballte Stärke der Arbeiterschaft verschafft sich aber Eindruck. Die Runde einigt sich darauf, dass die Truppe die Stadt zeitnah verlassen soll. Bis zum Bahnhof solle sie freies Geleit haben.

Die Antidemokraten ziehen ab und werden später im Ruhrgebiet in Kämpfe mit streikenden Arbeitern verwickelt. Am 15. März setzen sich bewaffnete Arbeiterformationen bei Wetter gegen eine Vorhut des Freikorps unter Hasenclevers Führung zur Wehr. Die Batterie erleidet starke Verluste. Der 32-jährige Hasenclever und zehn seiner Soldaten, aber auch sechs Arbeiter, werden getötet.

Eine zu Hasenclevers Ehren pompös hergerichtete Grabstätte auf dem Johannisfriedhof erinnert bis heute an den Freikorps-Hauptmann aus Osnabrück. Vier Jahre focht er mit höchster Auszeichnung im Weltkriege und fiel im Frieden von deutscher Hand gemeuchelt als er beim Freikorps Lichtschlag in treuester Pflichterfüllung für Ruhe und Ordnung in seinem Vaterlande kämpfte″, steht auf dem Grabstein.

Die Gewaltaktionen der Kapp-Putschisten haben in etlichen Städten sehr viele Todesopfer gefordert. Speziell im Ruhrgebiet werden Arbeiter der Roten Ruhrarmee″ in der Folgezeit versuchen, die Sozialisierung des Bergbaus und eine Stärkung ihrer Interessenvertretungen zu erreichen. Der Einsatz der Reichswehr, insbesondere die von Reichswehrminister Noske zu diesem Zweck rehabilitierten, vormals putschenden Freikorps-Soldaten wie die der das Hakenkreuz tragenden Brigade Erhardt, richten in der Arbeiterschaft daraufhin erneut blutige Gemetzel an.

Dass in Osnabrück, der heutigen Friedensstadt, manches friedlicher verläuft als andernorts in Deutschland, kann bereits unmittelbar nach dem Scheitern des Kapp-Putsches festgestellt werden.

Die aufregenden Tage der letzten Woche sind in unserer Stadt, wie wir erfreulicherweise feststellen können, ohne jeden Zwischenfall verlaufen″, fasst ein Redakteur der Osnabrücker Zeitung″ am 21. März zusammen. Nicht ein einziger Schuss ist gefallen″, heißt es. Angefügt wird nur eine kleine Einschränkung: Gerüchteweise soll ein Mann in Uniform″ irgendwo einen Schreckschuss″ abgefeuert″ haben. Aber das war es dann auch.

Bildtexte:
Die nationalliberale Osnabrücker Zeitung″ wartet am 13. März 1920 mit einer Sonderausgabe auf.
Der Beginn des Putsches: Freikorps-Truppen marschieren demonstrativ durch das Brandenburger Torin Berlin und besetzen das Regierungsviertel.
Chef-Putschist Wolfgang Kapp (1858–1922).
Das Hakenkreuz als Symbol: Soldaten des Freikorps Brigade Erhardt″ in Berlin.
Pompöse Grabstätte von Otto Hasenclever auf dem Osnabrücker Johannisfriedhof.
Quelle:
Niedersächsisches Landesarchiv Abteilung Osnabrück
Fotos:
dpa, DB, Bundesarchiv, Bild 146-1971-091-20, Heiko Schulze
Autor:
Heiko Schulze


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