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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
„Hier ist jeder bedürftig″
Zwischenüberschrift:
Wer sind die Gäste und Helfer? Ein Vormittag in der Osnabrücker Wärmestube
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück 100 bis 150 Menschen besuchen täglich die Osnabrücker Wärmestube in der Bramscher Straße. Die einen sind wohnungslos, andere haben ein Suchtproblem, manche beides. Und dann sind da noch all diejenigen, bei denen das Geld einfach nicht zum Leben reicht. Ein Besuch.

Im Vorraum hängt Zigarettenqualm in der Luft. Eine Frau und vier Männer sitzen dort. Sie verstummen, als die Tür aufgeht und fragen dann sofort, wie sie uns weiterhelfen können. Wir sind mit Diakon Joachim Meyer verabredet, dem Leiter der Wärmestube. Die Frau steht lächelnd auf und führt uns in den kleinen Speisesaal. Klopfen Sie mal da hinten an der Küchentür, da weiß bestimmt jemand, wo er ist.″

So unbedeutend die Szene scheinen mag: Sie steht für die gute Stimmung im Haus, aller Einsamkeit am Jahresende zum Trotz. Glauben Sie nicht, dass hier den ganzen Tag geheult wird″, sagt Diakon Meyer. Hier wird auch ganz viel gelacht.″ Seit fast neun Jahren leitet der 56-Jährige die Einrichtung in Trägerschaft des Bischöflichen Stuhls zu Osnabrück. Wichtig ist, dass man die Menschen so lässt, wie sie sind″, sagt er.

Das Besondere der Wärmestube: Sie hat an 365 Tagen im Jahr geöffnet, und das seit 1981. Jeder kann hier Kaffee trinken, sich aufwärmen, duschen, Wäsche waschen, etwas essen alles dank Spenden kostenlos und auf Wunsch auch anonym. Eine Prüfung, warum jemand bedürftig ist, gibt es nicht. Hier ist jeder bedürftig″, betont Meyer.

Im Flur steht ein Einkaufswagen voll Mandarinen, gespendet von einem Lebensmittelhändler. Anderes Obst und Gemüse ist längst verteilt. Diese Menschen haben immer nur , Nein′ gehört″, sagt Diakon Meyer. Hier müssen wir , Ja′ sagen.″ Sie dürfen im Vorraum rauchen und ihre Hunde mit hineinnehmen. Für Meyer ist das selbstverständlich. Er ist selbst Raucher und hat drei Hunde. Das verbindet.

Heute ist Terrier Chico da und mit ihm Jan. Der 67-Jährige möchte seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. Er kommt seit 25 Jahren hierher. Um Kommunikation mit anderen Menschen zu haben″, sagt er und dreht sich eine Zigarette. Er selbst habe nach einer unglücklichen Liebesbeziehung den Halt verloren. So kam er zur Wärmestube. Ein älterer Mann stellt sich schweigend vor ihn, schnorrt sie ihm ab und geht. Er ist aus Russland″, erklärt Jan und blickt dem psychisch kranken Mann nach. Die meisten sind irgendwie krank geworden durch die Lebensumstände″, sagt Jan. Ich erlaube mir da kein Urteil.″

Diakon Meyer schätzt, dass rund die Hälfte aller Gäste aus dem ehemaligen Osten Deutschlands und aus dem gesamten osteuropäischen Raum kommt. Auch Angelika Fritzlar die Frau, die uns zu Diakon Meyer geführt hat stammt aus der ehemaligen DDR. Nach dem Mauerfall zog sie nach Osnabrück und kommt seit 1990 in die Wärmestube. Zu Hause ist es etwas einsam″, sagt sie.

Seit Kurzem hat Angelika Fritzlar endlich wieder Arbeit, eine vom Jobcenter geförderte Stelle beim städtischen Friedhofswesen. Ich werde nächstes Jahr 60 und hoffe, dass ich jetzt noch etwas in die Rentenkasse einzahlen kann″, sagt sie. Trotz der Arbeit bleibt ihr zum Leben nicht viel. Platz für eine Waschmaschine ist in ihrer kleinen Wohnung nicht. Also ist sie heute schon früh in die Wärmestube zu Schwester Maria Theresia gekommen, um ihre Wäsche waschen zu lassen.

Mehr als Wäschewaschen

Maria Theresia ist eine von vier Schwestern des Thuiner Franziskanerordens, die zusammen mit dem Diakon und rund 60 Ehrenamtlichen den rein spendenfinanzierten Laden am Laufen halten. Was für sie das Wichtigste an ihrer Arbeit ist? Das sind die Menschen, ganz klar″, sagt Schwester Maria Theresia. Einfach zu zeigen: Da bin ich. Egal, wie du bist.″ Hinter ihr laufen die Waschmaschinen, vor ihr stehen Körbe voll sauberer Wäsche, alle mit den Vornamen ihrer Besitzer versehen. Sie hat Zeit für Gespräche bei ihrer Arbeit. Das ist das Gute hier.″

Der Tag des Diakons und der vier Ordensschwestern, von denen drei im Konvent über der Wärmestube leben, beginnt früh: Um kurz vor halb sechs kommt der Diakon an, da stehen die ersten Gäste schon vor der Tür. Er kocht Kaffee, betet um Viertel nach sechs zusammen mit den Schwestern die Laudes, dann startet der Alltag. Es ist ein Kommen und Gehen im Haus bis 16 Uhr und am Wochenende sowie an Feiertagen bis 13 Uhr. Manche Gäste setzen sich vor den großen Fernseher im Gemeinschaftsraum, andere duschen, und wieder andere unterhalten sich einfach. Auch Schlafnischen gibt es im Flur. Gardinen schaffen ein wenig Privatsphäre.

Bei der Essensausgabe wird die Armut sichtbar. Viele stellen sich mehrmals in die Schlange und holen sich einen Nachschlag. Heute verteilt Schwester Benedikta Bratkartoffeln, gebratene Nudeln, Würstchen, einen Salat und zum Nachtisch Joghurt.

Frust gegen Jahresende

Das größte Kompliment für mich ist, wenn ein Gast sagt, es schmeckt heute wie bei Mama″, sagt Schwester Soteris. Rund 80 Teller geben sie, Schwester Benedikta und die Ehrenamtlichen täglich aus, mal mehr, mal weniger. Wir kochen immer eine gewisse Menge, und es reicht immer für alle″, sagt Schwester Soteris.

Wie sie das punktgenau schaffen, kann sie selbst nicht sagen. Es läuft und das gilt auch für den Einsatz der mehr als 60 Ehrenamtlichen.

In der Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel seien die Traurigkeit und der Frust der Gäste groß, sagt Diakon Meyer. Viele griffen dann zum Alkohol allerdings nicht in der Wärmestube und auf dem Gelände des ehemaligen bischöflichen Knabenkonvikts. Alkohol und Drogen sind tabu, Zigaretten ausgenommen.

Die Probleme mit Drogen hätten zugenommen, beobachtet der Diakon, gerade mit chemischen Drogen. Auch Spielsucht ziehe zunehmend viele in die Armut. Und über allem schwebe die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt. Kleine bezahlbare Wohnungen: Das ist es, woran es bei seinen Gästen am meisten fehlt. Immerhin spricht man inzwischen darüber″, so Meyer.

An Silvester hat die Wärmestube wie an jedem Feiertag bis 13 Uhr geöffnet, dann sind die Gäste auf sich alleine gestellt.

Bildtexte:
Der 67-jährige Jan, hier mit seinem Hund Chico, kommt seit 25 Jahren in die Osnabrücker Wärmestube – „ um Kommunikation mit anderen Menschen zu haben″.
Schwester Soteris: Es reicht immer für alle.″
Schwester Benedikta verteilt Würstchen, Nudeln und Salat.
Diakon Joachim Meyer: Hier müssen wir , Ja′ sagen.″
365 Tage im Jahr ist die Wärmestube geöffnet.
Vorhänge schaffen etwas Privatsphäre bei den Schlafnischen.
Schwester Maria Theresia nimmt sich Zeit für Gespräche.
Angelika Fritzlar: Zu Hause ist es etwas einsam.″
Gespendete Mandarinen stehen im Flur.
Fotos:
Gert Westdörp
Autor:
Sandra Dorn


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