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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Wohnungsengpass und Wirtestreik
Zwischenüberschrift:
Wie Osnabrück vor 100 Jahren unter Nöten und Protesten litt
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück Vor 100 Jahren in Osnabrück: Im Dezember 1919 stoßen die Pläne, die katastrophale Wohnungsnot durch Wohnsiedlungen an der Südflanke des Westerbergs zu lindern, auf harsche Kritik. Doch das ist nicht das einzige Problem: Wirte sehen sich zum Streik gezwungen.

Kein Geringerer als Justus Haarmann (1884–1968), renommierter Architekt und Sohn des Hüttendirektors und Stifters des Haarmannsbrunnens, August Haarmann, prangert die Zerstörung der Naturschönheit des Westerberges″ an, wenn man den Beamten-Wohnungsverein damit durchlasse, die Südseite des Westerberges mit Heimstätten für kleine und mittlere Beamte″ zu bebauen. Es handelt sich um die erst sechs Jahre später tatsächlich erstellten Häuser des Musikantenviertels″ entlang Beethoven-, Schubert-, Mozart- und Richard-Wagner-Straße.

Eine Beeinträchtigung der Erholungsmöglichkeit der Osnabrücker Bevölkerung″ erblickt Haarmann darin, dass der ungehinderte Blick vom Edinghäuser Weg nach dem Teutoburger Wald usw. durch die Siedlung unmöglich gemacht und damit der Genuß eines Spazierganges in frischer Luft und reizvoller Natur vernichtet wird″. Das Osnabrücker Tageblatt″ zitiert ihn weiterhin mit dem Vorwurf, dass die Gelegenheit, das Hegerholz durch eine breite Allee über den ganzen Westerberg , heranzuholen′, verpaßt ist″.

Gekränkte Eitelkeit?

Hintergrund der Einwürfe des Justus Haarmann ist ein ausgesprochener Coup, der dem nebenamtlich tätigen Vorstandsvorsitzenden des Beamten-Wohnungsvereins, Regierungsrat Heinrich Greve, gelungen war: Er hatte im November 1919 dem Domänenfiskus ein zehn Hektar großes Gelände am Südwestabhang des Westerbergs zum Preis von einer bis drei Mark pro Quadratmeter abgekauft. Das ist der Grund und Boden, für den heutzutage Osnabrücker Spitzenpreise von bis zu 900 Euro bezahlt werden.

Das Tageblatt″ nimmt eine kritische Haltung zu Haarmann ein. Der Edinghäuser Weg liege etwa bei der Baumgruppe Max und Moritz″ zwölf bis 15 Meter höher als die nächste mit Gebäuden zu besetzende Straße. Die zweieinhalbgeschossigen Häuser dort würden bis zum First neun Meter messen. Von einer Vernichtung″ der schönen Aussicht könne keine Rede sein. Haarmanns Kritik erstaune umso mehr, als er selbst sich im Sommer an einem Wettbewerb zur Gestaltung des Gartenlandes oberhalb des Lieneschwegs beteiligt habe. Sein zusammen mit Architekt Hammersen eingereichter Vorschlag einer Gartenhaus-Siedlung unter dem Titel Olle Use″ habe allerdings keine Berücksichtigung gefunden.

So wie der Zeitungsleser sich heute über eine Zusammenstellung unter der Überschrift Was ist los am Wochenende? freut, bringt das Tageblatt″ in der Nachkriegsnot vor 100 Jahren eine Übersicht aller Versorgungseinschränkungen zum Ausschneiden und Aufbewahren, zum Nachtragen von Änderungen. Da geht es um Gas- und Stromsperrstunden, um die maximal erlaubten Zeiten für Beleuchtung und Heizen von Ladengeschäften, Kontoren und Büros und um die vorgezogenen Polizeistunden für alle Gast- und Vergnügungsstätten. Um fleischlose Tage in Speisegaststätten, um Verkaufszeiten nach wie vor rationierter Lebensmittel wie Fleisch, Fett und Eier, um das Verbot der Außenbeleuchtung von Gebäuden sowie der Innen- und Außenbeleuchtung von Schaufenstern.

Die scharfen Verbote und rigorosen Kontrollen bringen die Wirte an den Rand ihrer Existenz. Freie Wirte-Innung, Wirteverein sowie die Saal- und Konzertlokalinhaber beschließen auf einer großen Wirteversammlung im Hotel Germania, ab Montag, 8. Dezember, ihre Lokale geschlossen zu halten. Und zwar so lange, bis die Stadt die frühe Polizeistunde und die Kontrolldichte zurücknimmt. Auch die Angestellten beiderlei Geschlechts″ erklären sich mit ihren Prinzipalen″ solidarisch. Der Wirtevereins-Vorsitzende Eduard Petersilie schildert, dass man sich wie Schwerverbrecher unter Polizeiaufsicht gestellt fühle, wenn des Abends jedes Lokal von Beamten umstellt, jeder Ausgang überwacht, jede Lieferung überprüft und bei geringstem Verdacht des Schleichhandels Fleisch sofort beschlagnahmt würde. Auch das Küchenpersonal hätte zu leiden: Wer Fleisch verarbeite, stünde immer mit einem Fuße auf dem Neumarkt″ (gemeint: im Gefängnis).

Volksküche

Als Übergangsmaßnahme gestattet der Magistrat nun jedermann, also nicht nur den Bedürftigen″, Speisen in der städtischen Volksküche an der Buerschen Straße einzunehmen. Um die Zahl der dort zu Bespeisenden übersehen zu können, werden die, welche dort Essen in Empfang nehmen wollen, aufgefordert, sich mindestens einen Tag vorher bei Fräulein Büscher, Markt Nr. 1, eine Treppe hoch, zu melden″, gibt der Magistrat bekannt.

Auf dem Rathaus verhandeln die Wirte mit den Behörden. Magistrat und Polizei sagen zu, daß nach Möglichkeit Rücksicht auf ihre Notlage genommen wird und unnötige Härten vermieden werden″, ohne jedoch offiziell den Fleischbezug auf Umwegen″ freizugeben. Die Wirte geben sich fürs Erste zufrieden und beenden ihren Streik nach eineinhalb Tagen.

Was heutzutage alles gestohlen wird: In der Vorhalle des Rathauses steht die Holzfigur Karls des Großen, in die seinerzeit zahlreiche Opfernägel unter großer Feierlichkeit auf der Treppe des Stadttheaters eingeschlagen wurden. Von diesen zum Teil mit Namen und Widmung versehenen Nägeln sind eine große Anzahl entwendet worden. Leere Stellen sind dort bemerkbar, wo sie gesessen haben. Die Zeitung vermutet halbwüchsige Jungen, die sich an Karls Mantelschmuck vergriffen haben″.

Mitte Dezember führt die Ostwindlage zu anhaltendem Frost. Der Dümmer ist zugefroren. Man entsinnt sich hier kaum, jemals eine so prächtige Eisbahn gesehen zu haben″, schreibt die Zeitung. Der nur schwache Wind habe für eine spiegelglatte Fläche gesorgt. Unzählige Besucher von nah und fern tummeln sich auf dem Eis.

Magermilchverkauf

Aus dem Leserkreise″ des Tageblatts″ kommt eine gepfefferte Beschwerde über die Neuregelung des Magermilchverkaufs, der jetzt nicht mehr über die Milchhandlungen, derer es 28 gibt, sondern über elf Kolonialwarengeschäfte läuft. Haben denn die Frauen und Kinder nicht schon bei den 28 Verkaufsstellen stundenlang auf den Straßen stehen und frieren müssen, oft ohne Milch zu bekommen, und weshalb entzieht man den Milchhändlern den Verkauf? Der Leser vermutet als Grund der Neuregelung, dass die Milchhändler ihre Marge um zwei Pfennig erhöht haben wollten.

Dieser kleine Mehrbetrag hätte von der Stadt aufgebracht werden sollen, meint der Leser: Alle Leute bekommen Teuerungszulagen, weshalb läßt man den Milchhändler nicht zu seinem Rechte kommen?

Traditionell spricht der Bischof Weihnachten den Kranken im Marienhospital Trost zu. Wilhelm Berning sieht nicht nur Negatives im verlorenen Krieg: So mancher eitle Tand und Flitter kommt in diesen Jahren der Not in Fortfall; aber desto mehr können sich auch unsere Gedanken in das Weihnachtsfest vertiefen.

Je weltlicher ein Mensch ist, umso weniger wird er vom Weihnachtsfest ergriffen. In jedem Krankenhaus, wo das Leid daheim ist, und in der ärmsten Hütte kann man Weihnachten mit frohem Herzen feiern; denn die echte Weihnachtsstimmung kommt nicht aus dem großen Geldbeutel, sondern aus dem Herzen.″ Seminarmusiklehrer Krauß verschönert die Feier durch den Vortrag eines gemischten Chores.

Bildtext:
Die Beamtenhäuser an der Beethovenstraße stießen bei ihrer Projektierung 1919 auf Kritik. Ausgeführt wurden sie erst nach den Inflationsjahren ab 1925. Der Blick geht von der Einmündung in die Mozartstraße nach Osten hin.
Foto:
Rudolf Lichtenberg (Archiv Museum Industriekultur)
Autor:
Joachim Dierks


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