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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Weiter mehr als 300 Menschen ohne Wohnung
 
Was tue ich, wenn ich einen Obdachlosen sehe?
Zwischenüberschrift:
Wegschauen? Kaffee bringen? Geld geben? Berater der Wohnungslosenhilfe Osnabrück klärt auf
Artikel:
Kleinbild
 
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Originaltext:
Osnabrück Die Zahl der Wohnungslosen in Osnabrück bleibt auf hohem Niveau. Wie die Stadt auf Anfrage der Grünen mitteilte, waren Ende September 216 Männer und Frauen wohnungssuchend. Die Stadt beruft sich dabei auf die Zahlen des Vereins für Soziale Dienste (SKM). Zu den Wohnungssuchenden hinzu kommen 38 Männer und Frauen, die im Laurentiushaus des SKM leben, sowie 25 in Übergangswohnungen. 44 machen Platte, und 2018 waren im Schnitt 22 Menschen in den städtischen Notunterkünften. Mit einer Fachstelle zur Wohnraumsicherung und Prävention will die Stadt den Fall in die Wohnungslosigkeit künftig verhindern. Ob das Pilotprojekt für zwei Jahre und 60 000 Euro aus der Stadtkasse kommt, muss der Rat entscheiden. Der Sozialausschuss berät darüber kommenden Mittwoch.

Osnabrück Etwa 300 Menschen in Osnabrück haben keine Wohnung, mehr als 40 davon leben auf der Straße. Wie hat sich die Szene in den vergangenen Jahren entwickelt? Wie sollen Passanten den Obdachlosen begegnen? Das beantwortet Heinz Hermann Flint von der ambulanten Wohnungslosenhilfe im Interview.

Die Wohnungs- und Obdachlosenzahlen in Osnabrück sind auf einem neuen Höchststand und jetzt fängt der Winter an. Macht Ihnen das Angst?
Wir haben inzwischen durch alle Jahreszeiten gleichbleibend hohe Zahlen. Angst macht uns natürlich das schlechte Wetter, der Frost. Schlimmer ist aber die Feuchtigkeit. Wenn Sie zehn Tage Regen haben und 15 Grad, ist das richtig scheiße. Aber Platte machen ist immer scheiße.

Viele Menschen sind unsicher, wie sie auf Obdachlose auf der Straße reagieren sollen. Wie hilft man den Betroffenen am ehesten?
Das Schlimmste, was man tun kann, ist einfach zur Seite schauen und die Leute nicht beachten. Das ist die Höchststrafe. Am besten einfach ansprechen: Ich sehe dich hier, wie kann ich dir helfen? Und wenn ich mich nicht traue, jemanden anzusprechen, dann hilft auch Kleingeld. Aber bitte nicht losgehen und einen Kaffee kaufen, am besten noch mit drei Stück Zucker und Milch. Die Leute sollen schon selbst entscheiden, was sie mit dem Geld machen und ob sie es für Kaffee, Zigaretten oder Kosmetika ausgeben.

Wir sitzen hier in der Beratungsstelle über der Tageswohnung am Hasetor. Eben kam mir eine Frau entgegen, die glücksstrahlend erzählte, dass sie heute eine nagelneue Dose Deo aus dem Müll gefischt hat. Was für Leute kommen sonst so zu Ihnen, und wie helfen Sie?
Es gibt nie zwei gleiche Klienten. Meist sind die Wohnsituation und das Einkommen nicht geregelt, und sie haben keine Krankenversicherung. Die Tageswohnung bezeichnen wir als niedrigschwelliges Angebot. Die Leute kommen rein, um sich zu waschen, sich aufzuwärmen, sich zu verpflegen und erste Kontakte zu knüpfen. Wenn sie sich dann entscheiden, zu uns in die Beratungsstelle zu kommen, bauen wir einen individuellen Hilfeplan, und sie bekommen hier eine Postadresse. Wohnungssuche und Existenzsicherung stehen am Anfang. Besteht außerdem ein Suchtproblem? Gibt es noch Familie? Solche Fragen klären wir, und dann begleiten wir sie.

Was ist in der Wohnungslosenszene heute anders als vor 30 Jahren?
Zunächst einmal die Klientel. Anfangs hatten wir ganz viele Durchreisende. Die gibt es nicht mehr so oft, in Osnabrück ist das unattraktiv.

Warum?
Durchreisende bekommen in Osnabrück nur einen Tagessatz im Monat außer wenn sie freitags kommen, dann gibt es Geld fürs ganze Wochenende. Natürlich können sie länger in Osnabrück bleiben, dann müssen sie aber einen kompletten Sozialleistungsantrag stellen, um Geld zu bekommen. Das handhabt jede Kommune anders. In manchen zahlen die Beratungsstellen den Tagessatz aus, in Osnabrück müssen sie ins Stadthaus.

Wie viel bekommt ein Obdachloser pro Tag?
Der Monatssatz liegt aktuell bei 426 Euro, wird dann durch 30 geteilt, also 14, 20 Euro. Viel kriegt man dafür nicht. Mit einer Fahrkarte und Verpflegung ist das Geld schon weg.

Was hat sich noch geändert?
In den Anfangsjahren war das hier eine kleine Beratungsstelle, die alles abgedeckt hat, auch Straffälligenhilfe, Sozialhilfe oder Vormundschaften. Unsere örtlichen Obdachlosen hatten aber keinen Anspruch auf allgemeine soziale Beratung, das gibt es erst seit 2013.

Können Sie sich noch an Ihren ersten Obdachlosen erinnern?
Ja. Egon. (Nimmt ein Foto von der Pinnwand ab) Ich hatte vor 30 Jahren meinen Termin zum Vorstellungsgespräch beim SKM und musste im Vorraum warten. Neben mir saß Egon und schlief. Dann wurde er wach und wollte eine Kippe von mir schnorren, leider bin ich Nichtraucher. Mir ist so nach Rauchen zumute″, sagte er immer.

Was ist aus Egon geworden?
Ich habe ihn viele Jahre begleitet, bis er irgendwann gestorben ist.

Ist es nicht frustrierend, wenn man Leute begleitet, die nie wieder Fuß fassen und wieder ein geregeltes Leben in einer Mietwohnung führen?
Bei uns herrscht das Prinzip Hoffnung. Wenn die Leute es im ersten, zweiten und dritten Anlauf nicht schaffen, aber frühzeitig zu uns kommen, wenn sie wieder in Probleme geraten, haben wir schon was erreicht. Aber manche packen es einfach nicht.

Gibt es auch Erfolgsgeschichten?
Klar, die gibt es auch. Ente″ zum Beispiel: Der hat mittlerweile seit vielen Jahren Wohnung, Arbeit und Auto und kommt jedes Jahr kurz vor Weihnachten mit einer Torte vorbei. Wir bekommen aber von vielen, die aus der Hilfe raus sind, gar nicht mit, was aus ihnen wird.

Was ist das Verrückteste, das Ihnen bei der Arbeit je passiert ist?
Ach, da gibt es so viel. Meine Familie sagt immer, ich sollte eigentlich ein Buch schreiben. Einmal kam einer in der größten Sommerhitze in einer Daunenjacke zu uns und sagte: Das ist das Einzige, das mich zusammenhält.″ Und einer kam mal mit einem Eimer in mein Büro, der mit einem Tuch bedeckt war. Ich durfte nicht hineinschauen und weiß bis heute nicht, was drin war. So Typen gibt es immer wieder. Die kommen einmal hierher, und dann siehst du sie nie wieder.

Ist das nicht schwer auszuhalten?
Man darf sich die Dinge nicht alle zu eigen machen.

Wie können Osnabrücker helfen?
Wenn ich Vermieter bin, dann, indem ich den Leuten eine Chance gebe. Und wenn ich einen Job zu vergeben habe: Warum es nicht mal versuchen? Wir begleiten das ja. Ganz praktisch brauchen wir aktuell dringend Winterschlafsäcke und gute Kleidung. Das Wichtigste ist aber, mit den Vorurteilen aufzuräumen und den Menschen als Menschen zu sehen. Einfach mal freundlich sein.

Bildtexte:
Platte machen ist immer scheiße″, sagt Heinz Hermann Flint von der Wohnungslosenhilfe. Doch vielen bleibt kaum eine andere Wahl.
Heinz Hermann Flint
Fotos:
Marijan Murat/ dpa, Thomas Osterfeld

Zur Person
Heinz Hermann Flint ist einer derjenigen, die in Osnabrück bei der ambulanten Wohnungslosenhilfe des katholischen Vereins für soziale Dienste (SKM) versuchen, die Wohnungslosen wieder in stabile Verhältnisse zu bringen. Seit 30 Jahren arbeitet er in der Beratungsstelle, die er leitet. Dieses Jahr feiert sie ihr 35-jähriges Bestehen.
Autor:
Sandra Dorn


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