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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Bulgaren in Osnabrück ausgebeutet
 
Mietwucher und Sozialmissbrauch
Zwischenüberschrift:
Wie Betrügerbanden ahnungslose Bulgaren nach Osnabrück locken und ausbeuten
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück Die Debatte um das bulgarische Viertel im Osnabrücker Stadtteil Schinkel wird durch den Bericht eines Polizeihauptkommissars weiter befeuert. Ralf Seiger, Mitglied der Ermittlungsgruppe Sofia″, beschreibt in einem Beitrag für die Zeitschrift Der Kriminalist″, wie türkische Gruppierungen″ die systematische Einwanderung von Bulgaren in die deutschen Arbeits- und Sozialsysteme als lukratives Geschäftsmodell″ entdeckt und angewendet haben. Seiger kommt zu dem Ergebnis, dass die Migranten aus Bulgarien unter falschen Versprechungen nach Osnabrück gelockt und Opfer von Straftätern geworden sind. Die Banden schöpften Sozialleistungen ab und kassierten überhöhte Mieten für kaputte Wohnungen.

Osnabrück Viele der im Schinkel lebenden Bulgaren sind unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt worden und Opfer von Straftaten geworden. Sie werden ausgebeutet und leben in heruntergekommenen Wohnungen, für die der Staat überteuerte Mieten zahlt. Und im Hintergrund stopfen sich dubiose Banden die Taschen voll.

Das ist das Ergebnis umfangreicher Ermittlungen der Polizei Osnabrück. Profiteure dieser organisierten Kriminalität sind türkische Gruppierungen″, die daraus ein lukratives Geschäftsmodell″ entwickelt haben, wie Polizeihauptkommissar Ralf Seiger von der Polizeiinspektion Osnabrück in einem Beitrag für die Gewerkschaftszeitschrift Der Kriminalist″ schreibt.

Seiger gibt darin einen tiefen Einblick in die Arbeit der Ermittlungsgruppe Sofia″, die 2016 nach Hinweisen des Jobcenters mit Nachforschungen begann. Das Jobcenter hatte die Vermutung geäußert, dass dubiose Unternehmen in Zusammenarbeit mit einem bulgarischen Selbsthilfeverein migrationswillige Bulgaren nach Osnabrück lockten, um die Sozialsysteme auszunutzen.

Tefefone abgehört

Die Ermittlungen zu denen 2017 auch das Abhören von sechs Telefonanschlüssen gehörte konnten diesen Verdacht am Ende nicht beweisen. Die Polizei fand aber klare Hinweise auf Schwarzarbeit, Verstöße gegen das Mindestlohngesetz und Mietwucher. Polizeihauptkommissar Seiger kommt zu dem Schluss: Die bulgarische Bevölkerungsgruppe neigt offensichtlich nicht in höherem Maße zu Straftaten als Mitbürger, die bereits seit langer Zeit in Deutschland ansässig sind.″ Es bestehe vielmehr der begründete Verdacht, dass die Migranten ihrerseits Opfer von Straften werden.

Mit Youtube-Videos wird Menschen in Bulgarien die Auswanderung nach Deutschland schmackhaft gemacht. Anfällig für die Lockangebote ist vor allem eine türkisch sprechende Minderheit in Bulgarien, die in ihrem Heimatland Ausgrenzung und Diskriminierung erlebt. Türkische Gruppierungen hätten mit der Anwerbung dieser Menschen ein lukratives Geschäftsmodell″ entwickelt, schreibt Seiger in seinem Beitrag.

Die Masche mit den Sozialleistungen: Die Hintermänner betreiben Firmen in Deutschland vor allem im Baugewerbe oder in der Zustellbranche. Die Migranten werden dort in Minijobs angestellt. Durch das Beschäftigungsverhältnis erhalten die Migranten Anspruch auf Sozialleistungen, die am Ende in die Taschen der Hintermänner fließen.

Bei der Überprüfung von Kleinunternehmen im Baugewerbe stieß die Ermittlungsgruppe oftmals″, wie es im Bericht heißt, auf bulgarische Strohmänner als Geschäftsführer. Die Chefs waren für die Behörden grundsätzlich nicht greifbar. In mehreren Fällen stellten die Beamten fest, dass Firmen an jenem Tag gegründet wurde, an dem der angebliche Geschäftsführer erstmals nach Deutschland einreiste. In einigen Fällen hätten Migranten Arbeitsverträge von Firmen vorgelegt, die gar nicht existierten.

Die Masche mit der Miete : Besonders einträglich war und ist das Mietgeschäft für die Banden. Bei den von Bulgaren bewohnten Häusern im Schinkel handelt es sich meist um Schrottimmobilien. Etwa 30 Häuser haben die Behörden in den Blick genommen. Die Unwissenheit der Betroffenen und die Probleme ausländischer Mieter, Wohnungen in Osnabrück zu finden, nutzten die Hauseigentümer aus, um die Mieteinnahmen zu maximieren″, heißt es in dem Bericht. Weil das Jobcenter die Kosten der Unterkunft übernehmen muss, fühlen sich die Mieter auch nicht betrogen. In einigen Fällen lag die Miete zweieinhalbfach über dem Mietpreisspiegel, wie Anträge auf Mietzuschuss zeigten.

In einem Fall waren in einem Haus mit ursprünglich sechs Wohnungen durch ungenehmigte Umbauten″ 13 Wohnungen geschaffen worden. Im Treppenhaus stand ein Herd, den sich die Mieter zum Kochen teilten. Die Toilette befand sich im Keller und wurde auch von Gästen eines Imbisses im Erdgeschoss genutzt. Dass in diesen Unterkünften sämtliche Brandschutzvorschriften ausgehebelt waren, überrascht nicht. Ralf Seiger warnt in seinem Bericht vor einer weiteren Verelendung einzelner Viertel, denn der Staat beschleunige mit den überhöhten Mietzuschüssen diesen Prozess.

Solange das Jobcenter zahlt, ist es es den Vermietern egal, wie das Haus aussieht. Investiert wird nicht, Kosten werden minimiert. Und die Bewohner erdulden die katastrophalen Umstände, weil sie sich nicht zu wehren wissen.

Die Masche mit Krediten: Die Hintermänner können sich durch eine Besonderheit des bulgarischen Namensrechts leicht den Ermittlungen entziehen. In Bulgarien ist es möglich, Vor- und Nachnamen ohne große Umstände zu ändern. Wer in Deutschland erwischt wird, reist aus, ändert in Bulgarien seinen Namen und reist mit neuer Identität wieder ein. Die Polizei hat nur die Chance, Täter mithilfe der Personalnummer zu identifizieren, die unveränderlich ist.

Das Namensrecht macht auch den Kreditbetrug leicht. Die Ermittlungen ergaben, dass Banken oft gefälschte Gehaltsbescheinigungen und Kontoauszüge vorgelegt wurden, um ein Darlehen zu bekommen. Das Geld investierten die Kreditnehmer mit Vorliebe in große Autos. Die ersten beiden Raten wurden noch bezahlt dann verschwanden Kreditnehmer und Auto und blieben für die Gläubiger unauffindbar.

Der Verfolgungsdruck und die Achtsamkeit der Behörden haben offenbar Folgen. Im November 2018 meldete das Jobcenter einen deutlichen Rückgang bei den Neuanträgen auf Sozialleistungen aus dem Kreis bulgarischer Migranten. Eine Verdrängung in den Landkreis hat es nicht gegeben, wie die Polizei sagt.

Inzwischen trifft sich vierteljährlich in Osnabrück eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Polizei, der Meldebehörde, des Ausländeramtes, Jugendamtes, Bauamtes, Jobcenters, Finanzamtes und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Die Ämter tauschen Informationen aus und nehmen Häuser in den Blick, die Anlass zu Sorge geben. Ergäben sich Hinweise auf Verwahrlosung, erfolge eine behördliche Kontrolle, schreibt Seiger in seinem Bericht.

Täter bestraft

Einige Drahtzieher wurden nach Polizeiangaben inzwischen überführt und wegen Sozialbetruges oder Steuerhinterziehung verurteilt. Ein Unternehmer erhielt einen Strafbefehl über 4200 Euro, weil er zwei fingierte Arbeitsverträge ausgestellt hatte. Ein Bulgare ist als Strohmann mehrerer Baufirmen ermittelt worden, aber auf der Flucht. Ein Geschäftsmann wurde nach einem Türkeiurlaub auf dem Flughafen festgenommen, weil er seinen Mitarbeitern Lohn vorenthalten und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 100 000 Euro nicht gezahlt haben soll. Gegen eine Hauseigentümerin ermittelt zurzeit die Steuerfahndung, weil sie die Mieteinkünfte aus drei Mehrfamilienhäusern seit dem Kauf 2011 nicht versteuert hat.

Bildtext:
Miese Wohnungen, überhöhte Mieten: Betrügerische Gruppen haben mit der Einwanderung aus Bulgarien ein lukratives Geschäftsmodell″ entwickelt.
Foto:
nn

Kommentar
Die Politik abgehängt

Es hat etwas gedauert, bis es den Behörden aufging, wie die Dinge im bulgarischen Viertel funktionieren, wer Täter und wer Opfer ist. Dann haben die Ämter aber richtig und zügig reagiert. Jobcenter, Polizei, Jugendamt, Ausländerbehörde, Bauamt, Steuerfahndung bringen ihre Daten ein und stimmen ihr Vorgehen ab. Es fehlt aber was: Die Politik und die Öffentlichkeit wurden nicht mitgenommen.

So macht es den Eindruck, dass die Politik der tatsächlichen Entwicklung hinterherläuft. In den Ausschüssen und im Rat wird über Probleme diskutiert, die die zuständigen Behörden längst auf ihre Aufgabenliste gesetzt haben. Es wird politisch über Begrifflichkeiten und Integrationsstrategien gestritten, während die Justiz schon Strafen verhängt und das Bauamt Wohnungen räumen lässt.

Die Frage muss erlaubt sein, warum die Polizei in einer internen Zeitschrift ausführlich über die Ermittlungsgruppe Sofia″ berichtet, es aber offenbar nicht für nötig hält, den Ratsmitgliedern diese Informationen zu geben. Die Kommunikation zwischen Politik und den Ämtern muss besser werden. Schließlich ist es die Politik, die über soziale Stadtsanierung und Geldvergabe entscheidet.

w.hinrichs@ noz.de
Autor:
Wilfried Hinrichs


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