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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Ein Jahr nach dem Moorbrand: Klima-Ausgleich völlig ungewiss
 
„Erholung der Tinner Dose wird Jahrzehnte dauern″
Zwischenüberschrift:
Behörden legen erst 2020 Zahlen zu freigesetztem CO2 vor
 
Ein Jahr nach dem Moorbrand im Emsland: Warten auf Sonnentau und Schnabelried
Artikel:
Kleinbild
 
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Originaltext:
Osnabrück Ein Jahr nach dem Moorbrand im Emsland ist immer noch unklar, wie groß der 2018 entstandene Klimaschaden war und ob er überhaupt ausgeglichen wird. Das teilten Bundesverteidigungsministerium und das Umweltbundesamt auf Anfrage unserer Redaktion mit. Der am 3. September 2018 durch Raketentests ausgelöste Moorbrand hatte fünf Wochen lang vermutlich Hunderttausende Tonnen klimaschädliches CO2 freigesetzt; Schätzungen gingen von 500 000 Tonnen aus. Die Politik forderte damals, jeglicher Klimaschaden müsse ausgeglichen werden, am besten vor Ort.

Wie viel CO2 tatsächlich freigesetzt wurde, ist nach Informationen unserer Redaktion noch immer unklar. Eine Sprecherin des Umweltbundesamtes teilte auf Anfrage mit, das Thünen-Institut für Agrarklimaschutz in Braunschweig ermittle dies mithilfe eines Satellitenmodells allerdings werden die Zahlen erst im Januar 2020 veröffentlicht. Wie ein Waldbrand″

Erwartet worden waren Ergebnisse schon früher, ein Wechsel der Untersuchungsmethode sorgte jedoch für Verzögerungen, wie ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr erklärte.

Ob der ermittelte Klimaschaden dann auch wie gefordert ausgeglichen wird, ist unklar. Das Umweltbundesamt betonte, dass die Emissionen des Moorbrandes im Rahmen des Emissionshandels dem Bereich Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft″ zuzuordnen seien und dort jegliche CO2-Kompensation freiwillig sei. Derzeit gehe die Behörde zudem davon aus, dass der Moorbrand wie ein Waldbrand als Unglück einzustufen sei; auch Unglücke müssen in der Klimabilanz nicht ausgeglichen werden.

Über eine mögliche Kompensation entscheidet am Ende das Bundesverteidigungsministerium, nach eigenen Angaben aber erst nach Vorliegen der Zahlen Anfang 2020.

Der Moorbrand war am 3. September 2018 durch einen Raketentest nahe Meppen ausgebrochen. Erst nach fünf Wochen gelang es den Einsatzkräften, den Brand zu löschen.

Meppen Der 3. September 2018 ist zweifellos ein Tag für die Geschichtsbücher. Nachdem ein Militärhubschrauber auf dem Gelände der Wehrtechnischen Dienststelle 91 nahe Meppen Raketen auf ein Ziel im Moor abgefeuert hatte, geriet die Tinner Dose in Brand und das Emsland bundesweit in die Schlagzeilen. Denn das künftig nur noch als Moorbrand″ bezeichnete Feuer ließ sich erst nach fünf Wochen durch den Einsatz von weit mehr als 1700 Helfern von Feuerwehr, THW und Bundeswehr löschen. Groß und Klein Stavern standen kurz vor der Evakuierung. Aber was ist seither geschehen? Wie fällt die Bilanz aus?

Der folgenden Analyse der aktuellen Situation liegen eigene Beobachtungen während des Moorbrandes, der Moorbrandbericht des Bundesverteidigungsministeriums vom Januar sowie Anfragen bei Ministerien und Behörden zugrunde. Vor allem aber hat der Autor dieser Zeilen die WTD 91 in den zurückliegenden zwölf Monaten mehrfach aufsuchen können. Entstanden ist dabei eine Momentaufnahme, die in Teilen des Naturschutzgebietes eine eher positive Prognose zulässt, auf 400 der 1224 Hektar Brandfläche aber Anlass zu großer Sorge gibt. Denn hier droht aus Moor und Moorheide ein wertloser Birkenbruchwald zu werden.

Aber vorweggeschickt: Es soll an dieser Stelle nicht noch einmal um die Frage nach der Verantwortung für jenen 3. September und seine Folgen gehen. Der Moorbrandbericht hat eindeutig aufgezeigt, dass eine Verkettung unglücklicher Umstände, vor allem aber eine ganze Reihe falscher Entscheidungen, gepaart mit fehlender Kommunikation, zu einer Beinahekatastrophe geführt hatten. Ob dafür Einzelpersonen strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können, das untersucht derzeit noch die Staatsanwaltschaft Osnabrück. Ergebnisse werden erst 2020 erwartet.

Vielmehr sollen die ökologischen Folgen und die durch die Bundeswehr gezogenen Konsequenzen im Mittelpunkt stehen. Das Schutzgebiet vor dem Brand: Um die Folgen des Feuers bewerten zu können, muss man einen Blick auf die Tinner/ Staverner Dose vor dem Brand werfen. Das Schutzgebiet ist 3955 Hektar groß und wurde aufgrund der europaweiten Bedeutung 2012 als FFH- und EU-Vogelschutzgebiet nach europäischem Recht ausgewiesen. Ziel der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) ist es, Lebensräume von hoher Qualität zu vernetzen und so dem Artensterben entgegenzuwirken.

Dafür gilt in FFH- und Vogelschutzgebieten sowohl ein Verbesserungsgebot als auch ein Verschlechterungsverbot. Die Qualität des Lebensraumes muss also mindestens erhalten werden. Einer der seltensten Lebensraumtypen Europas ist dabei der LRT 7110 lebendes, also wachsendes Hochmoor″.

Bislang ging das Land Niedersachsen davon aus, dass 169 Hektar der Tinner Dose diesem Lebensraumtyp 7110 entsprächen das wären 17 Prozent des niedersächsischen Gesamtbestandes an lebendem Hochmoor. Weitere 1665 Hektar der Tinner Dose sollten zum LRT 7120 gehören, der teilentwässertes, aber wiedervernässungsfähiges Hochmoor″ beschreibt und ebenfalls hoch schutzwürdig ist.

Kurz vor dem Moorbrand war die Tinner Dose im Zuge vorgeschriebener Kartierungen begutachtet worden, und diese Kartierung kam überraschend zu anderen Ergebnissen. Dem wertvollsten Lebensraumtyp 7110 konnte man nun nach Einschätzung des zuständigen Bundesamtes für Infrastruktur und Dienstleistungen der Bundeswehr″ (BAIUDBw) nur noch rund 50 statt der bis dahin angenommenen 169 Hektar zurechnen. Der LRT 7120 soll demnach maximal 800 Hektar statt ursprünglich 1665 Hektar groß sein. Weniger wertvoll

Welche Annahmen nun stimmen, kann an dieser Stelle nicht bewertet werden. Ebenso ist unklar, wie stark das Feuer dann in welchem dieser beiden Lebensräume innerhalb der Tinner Dose gewütet hat jedenfalls ist das offiziell nicht mitgeteilt worden. Sicher ist: Vergleicht man den Zustand der Tinner Dose kurz vor dem Brand mit jenem drei Jahrzehnte zuvor, so musste man auch ohne Feuer deutliche Verschlechterungen beim Arteninventar feststellen.

So waren seltene Vogelarten wie Brachpieper und Goldregenpfeifer bereits seit längerem verschwunden. Auch die Bestände von Wiesenvögeln wie Uferschnepfe, Brachvogel und Bekassine sind stark geschrumpft. Das Birkhuhn ist seit den 1980er-Jahren ausgestorben. In der Pflanzenwelt fehlt aufgrund von Veränderungen des Wasserhaushaltes, durch zunehmende Stickstoffeinträge aus der Luft sowie durch eine veränderte Nutzung des Grünlandes unter anderem die Arnika.

Die ausgewählten Beispiele zeigen, dass bereits vor dem Moorbrand Handlungsbedarf in der Tinner Dose bestanden hat es fehlte für lebendes Hochmoor bereits das Wasser. Deshalb hatte man nach einem ebenfalls schlagzeilenträchtigen, weil wochenlang lodernden Moorbrand im Jahr 2010 bereits gehandelt: WTD 91, Landkreis und Land leiteten Wiedervernässungsmaßnahmen ein mit ersten Erfolgen.

Aber die Maßnahmen reichten nicht aus, jedenfalls nicht, um gegen die Dürre 2018 und 2019 anzustauen. Denn Hochmoore werden ausschließlich aus Regenwasser gespeist, das aufgrund einer unterirdischen Stauschicht nicht versickern kann. Bleibt es so wie seit Mai 2018 weitgehend aus, vertrocknet der Moorkörper und ändert seinen Charakter. Auch ohne Feuer.

Der Moorbrand traf also die Tinner Dose zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Die Gräben waren leer, der Torf staubtrocken, die Pflanzen verdorrt und leichte Beute für die Flammen.

Emanuel Walter, zuständiger Landschaftsökologe der Bundeswehr, lässt seit Anfang des Jahres die Folgeschäden des Brandes von Fachbüros untersuchen. Er sagt, nicht überall habe das Feuer gleich stark oder gleich lange gebrannt, entsprechend unterschiedlich fielen die Schädigungen aus. Im Westen bei Tinnen habe das Feuer im Wesentlichen oberflächlich gewirkt, weil der Wind die Flammen nach Osten in Richtung Stavern trieb.

Der Westen der Dose zeigt sich deshalb im August 2019 auch weitgehend begrünt, allerdings hat vielfach das Bentgras profitiert. Es zeigt stark schwankende Wasserstände an und ist in lebenden Hochmooren eher selten. In einigen verbrannten Bereichen keimen aber auch Moorpflanzen wie das Weiße Schnabelried oder der Sonnentau. In nassen Schlenken wachsen Torfmoose. Auch neue Besenheide und Glockenheide keimen. Deutlich zu erkennen ist, wo das Feuer nicht gebrannt hat: Dort blühte im Sommer 2019 die Besenheide. Vielerorts besteht also Hoffnung.

Ganz anders die Situation im Osten: Auf etwa 400 Hektar, also einem Drittel des Brandgebietes, haben sich massenhaft Birken und Zitterpappeln ausgebreitet. Sie haben durch Samenflug aus der Umgebung massiv Besitz ergriffen von jenen Bereichen, in denen das Feuer entweder sehr lange oder sehr heiß gebrannt und die ursprüngliche Vegetation zerstört hat. Zwar keimten auch erwünschte Pflanzen wie Glockenheide und Schnabelried wieder aus die konkurrenzstarken Pioniergehölze aber wachsen viel schneller und drohen die Moorheide zu ersticken.

Emanuel Walter erkennt hier ein massives Problem. Denn ungebremst würden die Bäume den Charakter der Landschaft komplett verändern und die Moorheide innerhalb kürzester Zeit in einen Bruchwald verwandeln. Ökologisch wäre das die Katastrophe nach der Katastrophe.

Deshalb muss die Bundeswehr schnell handeln″, sagt Walter, man wisse aber noch nicht, wie. Er nennt mehrere Möglichkeiten: Die Gehölze von Hand ausreißen; sie maschinell beseitigen; die Bäumchen mit Ziegen oder Schafen beweiden und so zum Absterben bringen oder warten und in zwei bis drei Jahren durch ein Feuer bekämpfen.

Das Problem: Keine dieser Maßnahmen wäre simpel. Das Ausrupfen erfordert bei 400 Hektar viele Hände ob dafür Soldaten zum Einsatz kommen sollen, ist bisher nicht diskutiert worden.

Sie hätten aber ein ähnliches Problem wie eine Maschine oder eine Schafherde, denn die Flächen sind durchsetzt mit Blindgängern. Eine Räumung der Munition wäre laut Walter zumindest für den Maschineneinsatz zwingend erforderlich, aber selbst bei ausreichenden finanziellen Mitteln eine Angelegenheit von vielen Jahren. Denn nach Aussage von Walter fehlen bei den Räumungsfirmen die Kapazitäten dafür. Ausgang offen. Ziel Wiedervernässung: Wesentliches Ziel ist nach Einschätzung nicht nur der Bundeswehr, sondern auch des Landkreises Emsland, des Landes Niedersachsen und des Naturschutzbundes abseits der 400 Problem-Hektar (für die Eile geboten ist) die Wiedervernässung der Tinner Dose zumindest in Teilbereichen. Denn Naturschutz und Bundeswehr haben ein gleichlautendes Ziel: Mehr Wasser führt auf Dauer zur Regenerierung des Moores auf der einen, aber auch zu geringerer Brandgefahr auf der anderen Seite. Die Bundeswehr lässt hier ein Konzept erarbeiten und das dauert. 2019 geschah somit erst einmal im Brandgebiet selbst nichts.

Ähnliches gilt für Artenschutzmaßnahmen. Denn Ergebnisse aus der Erfassung der Pflanzenarten sollen frühestens 2020 vorliegen, das Monitoring selbst ist auf zehn (!) Jahre angesetzt. Emanuel Walter gab die zu kurze Vegetationsperiode″ seit dem Feuer und die atypische Niederschlagssituation als Grund dafür an, dass bis zum Spätsommer 2019 keine Aussage getroffen werden konnte, ob und welche Tier- und Pflanzenarten im Detail wie vom Feuer betroffen waren.

Nur eines steht für ihn fest: Bis sich die Tinner Dose vollständig erholt hat, wird es Jahrzehnte dauern. Vielleicht sogar 100 Jahre.″

Bildtexte:
400 Hektar Probleme: Das Foto aus dem östlichen Naturschutzgebiet zeigt rechts eine Vegetation, wie sie für Moore und Moorheiden typisch ist. Links hat das Feuer stark und lange eingewirkt, hier wachsen vor allem Pappeln und Birken. Auf dem Foto am Fuß dieser Seite unten ist der Bereich vor einem Jahr, im November 2018, unmittelbar nach dem Feuer zu sehen.
Im Westen der Tinner Dose sind die unterschiedlichen Brandzonen gut zu sehen: Wo im August 2019 Heide blüht, hatte es nicht gebrannt. Grün leuchtet das eher unerwünschte Bentgras auf den verbrannten Flächen. Ob die Bestände des sehr seltenen Torfmoos-Knabenkrauts vom Feuer betroffen sind, ist noch offen. Emanuel Walter untersucht die Brandfolgen für die Bundeswehr.
Fotos:
Tobias Böckermann

Neue Erkenntnisse zum Moorbrand

Kosten: Neue Erkenntnisse gibt es zu den Kosten des Moorbrandes. Ein Sprecher der Bundeswehr teilte mit, bisher habe man Gesamtkosten in Höhe von 16, 5 Millionen Euro ermittelt. Bisher waren 7, 9 Millionen Euro bekannt. Diese Summe enthält die Kosten für den Geräteeinsatz sowie die beschafften Güter und Dienstleistungen, bisher geleistete Schadensersatzforderungen an Privatpersonen (296 Fälle, 128 097 Euro) und Landwirte (37 Fälle, 505 551 Euro) und den Ausgleich von Forderungen im Rahmen der Amtshilfe (bislang 7 Millionen, weitere 700 000 Euro befinden sich in der Prüfung). Nicht enthalten ist der Klimaschaden.

Weitgehend beendet ist der Rückbau des Schotters, mit dem für die Brandbekämpfung vorhandene Wege verstärkt worden waren.

Vorsorge: Die WTD 91 hat den Schießbetrieb, einem Fünf-Punkte-Plan folgend, wieder in Teilen aufgenommen und setzt dabei auf vorsorglichen Brandschutz. Ob, wie angekündigt, die Zusammenarbeit mit den umliegenden Feuerwehren verbessert wurde, wird erst die Zeit zeigen.

Im Moorbrandbericht war die Anschaffung neuer Fahrzeuge für die Bundesfeuerwehr Meppen angekündigt worden. Die Beschaffung wurde inzwischen eingeleitet. Hierzu zählt die Beschaffung eines neuen Moorbaggers, zweier Moorraupen, zweier Löschraupen und eines Bergepanzers Büffel 3. Sie sollen 2020 zur Verfügung stehen. Bis dahin verwendet man Ersatzfahrzeuge anderer Dienststellen. Die Beschaffung von zusätzlichen Feuerlöschfahrzeugen Waldbrand und Einsatzleitwagen″ wurde eingeleitet.

Die angekündigte Wiedereinrichtung des Dienstpostens Stellvertretender Dienststellenleiter″ der WTD 91 ist erfolgt. Die Ausschreibung läuft.
Autor:
Tobias Böckermann


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