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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Diskussion um weiteren Windpark
 
Wie Glandorfer gegen Windmühlen kämpfen
Zwischenüberschrift:
Über Tötungsrisiken, Zynismus, die geltende Meinung und einen Präzedenzvogel
Artikel:
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Originaltext:
Glandorf Im südlichen Landkreis soll ein weiterer Windpark entstehen. Viele Bewohner aus Glandorf stehen den Plänen kritisch gegenüber. Während eines Erörterungstermins wurden die unterschiedlichen Positionen noch einmal deutlich.

Glandorf/ Osnabrück Seit der Landkreis beschlossen hat, seine Bürger bis 2030 komplett mit Strom aus erneuerbaren Energien zu versorgen, drehen sich auf dem Lande immer mehr Rotorblätter. Was das für den Einzelnen bedeutet, erfahren derzeit viele Glandorfer am eigenen Leib: Windräder, so hoch wie der Frankfurter Maintower, rücken ihnen auf die Pelle. Einen Tag lang beschäftigten sich Genehmigungsbehörde, Investoren, Gutachter und Gegner jetzt mit zwei geplanten Anlagen und ihren Folgen.

Eine namenlose Straße in Glandorf-Sudendorf. Außenbereich nennt man Gegenden wie diese, von denen im besten Fall noch die Kirchturmspitze zu sehen und die Dorfkneipe nicht mal zu ahnen ist. Hier, am südlichen Rand Niedersachsens, bildet das Flüsschen Bever die Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Zonenrandgebiet quasi und doch mittendrin im Konflikt zwischen Klimaschutz und Artenschutz.

Was Glandorf zum Kristallisationspunkt moderner Energiegewinnung macht: Der Kreis hat das 7000-Einwohner-Örtchen zum Sonderbereich Windenergie mit vier Windvorranggebieten erklärt. In einem drehen sich seit zehn Jahren Windräder. In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurden drei weitere Windparks beantragt, zwei sind bereits genehmigt, einer davon ist in Betrieb. Thema war jetzt der dritte mit den Windrädern elf und zwölf.

Die Erfahrungen der Glandorfer Windradnachbarn mit ihrer Kreisverwaltung sind nicht nur gut: Innerhalb eines Jahres sollen neue Windräder lärmtechnisch eingemessen werden. Am Liener Landweg dauerte es zweieinhalb. Das sei bedauerlich, hätte aber Gründe, erklärte Landkreis-Mitarbeiter und Sitzungsleiter Jens Röwekamp jetzt. Die Messung brauche eine bestimmte Windgeschwindigkeit und - richtung, keine Niederschläge, keine Vegetation. Es hat im Winter aber ein halbes Jahr nur geregnet.″

Die Ausgangslage: Windräder sind im Außenbereich privilegiert. Doch für die Windkraftanlagen an der Bever haben sich die Betreiber eine Fläche ausgesucht, deren biologischer Wert in den vergangenen Jahren systematisch erhöht wurde und von März bis August der seltene Rotmilan beobachtet wurde, dem in diesem Genehmigungsverfahren eine besondere Rolle zukommen könnte: Der Greifvogel mit der Bedrohungsstufe drei von vier könnte zum Präzedenzvogel werden. Im Mittelpunkt der Frage, ob zwei 238 Meter hohe Windkraftanlagen mit je 4, 5 Megawatt Leistung gebaut werden dürfen, steht deshalb am Ende die Bewertung des Naturschutzes.

Die Investoren hatten hier vier Windräder geplant. Wegen erheblicher Widerstände der Bevölkerung und naturschutzrechtlicher Fragen haben wir uns durchgerungen, den Plan zu überarbeiten und auf zwei Anlagen zu reduzieren.″ Reaktion einer betroffenen Glandorferin: Das ist doch kein Entgegenkommen. Sie haben hier schlichtweg keinen Platz für vier Windräder.″

Drei Füchtorfer (NRW) und vier Sudendorfer Wohnhäusern kämen die Windräder nahe. Sie sollen direkt an die Bever gebaut werden. Das Flüsschen wurde auf niedersächsischer Seite bereits für 283 000 Euro aufwendig renaturiert, daran beteiligt Landkreis (110 000 Euro) und Gemeinde (90 000 Euro). Die Renaturierung auf nordrhein-westfälischer Seite läuft.

Schall: Die Anwohner haben Schallgutachten vor dem Bau gefordert. Das wird schwierig ohne Windräder. Die Betreiber sichern aber eine frühzeitige Messung nach Inbetriebnahme zu. Die Gutachter wiederum berufen sich auf eine Angabe der Herstellerfirma Nordex von maximal 105, 9 Dezibel. Anwohner-Anwalt Brauns sieht das kritisch: Wer wie eine betroffene Familie 632 Meter entfernt vom Windrad wohnt, sei einer erheblichen und unzumutbaren Belastung ausgesetzt: Eine hochliegende Schallquelle wirke weit. Sie haben blindes Vertrauen in Herstellerangaben. Ich glaube diesen Zahlen nicht mehr, seitdem ich vor dem Oberlandesgericht München nachgewiesen habe, dass eine Angabe nicht stimmte.″

Dass eine WHO-Studie Tagesgeräusche von mehr als 45 Dezibel durch Windräder für gesundheitsschädlich hält, die geplanten Anlagen diesen Bereich schon nachts erreichen, wie die Vorsitzende des Vereins Lebensraum erhalten Glandorf″ und Anwohnerin Christel Steinhorst anführte, spielt nach Angaben von Anwältin Oldenburg keine Rolle: Die Gerichte wenden die Studie nicht an. Dort geht es um den Dauerschallpegel.″

Optische Bedrängung: Windenergieanlagen können gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen, wenn von den kreisenden Rotoren eine optisch bedrängende Wirkung auf Nachbargrundstücke ausgeht. Weil sieben Wohneinheiten weniger als 714 Meter entfernt liegen, musste jeder Einzelfall geprüft werden. Ergebnis: Es gibt keine bedrängende Wirkung. Subjektive Eindrücke spielen dabei keine Rolle, denn, so der Sitzungsleiter, es gebe keinen Anspruch auf eine von technischen Bauwerken freie Sicht. Glandorfs Bürgermeisterin Magdalene Heuvelmann pochte dennoch auf Fotomontagen mit Blick von den Häusern auf die Räder.

Von einem Haus berichtete ein Gutachter, dass hier kleine Fenster und dicke Leibungen dafür sorgten, dass nicht allzuviel von den Rotoren zu sehen wäre. Von den Gärten aus sind sie stärker sichtbar.″ Er empfahl deshalb zusätzliche Pflanzungen und das Meiden der Gartensüdseiten.

Im Landkreis Osnabrück sei die optische Bedrängung noch nie festgestellt worden, bemerkte Nachbarin Mirjam Reischert: Wir spielen doch hier Theater. Die optische Bedrängung ist fraglos, Ihre Argumente sind zynisch.″ Man spiele kein Theater, sondern spreche über gutachterliche Stellungnahmen, die die Behörde beurteilen müsse, und um Anlagen, die im Außenbereich privilegiert sind, reagierte der Sitzungsleiter auf die Kritik: Es gibt immer Konfliktlagen, da geht es um Geben und Nehmen. Wir erlauben den Antragstellern nicht alles.″

Jurist Brauns erinnerte an den Ursprung der Privilegierung 1999. Da waren die Anlagen 60 Meter hoch, heute sind es 240. Im Außenbereich gibt es aber keine 240 Meter hohen Hochhäuser.″ Die Belastung der Anwohner sei enorm gestiegen, die rechtliche Bewertung überholt.

Infraschall: Infraschall ist gesundheitsschädlich, aber nicht der von Windenergieanlagen auf über 300 Meter entfernte Wohnhäuser. Er ist nur im Nahbereich messbar″, führte Röwekamp ins Thema ein. Dazu gebe es viele Studien. Falsch″, erwiderte Brauns. Inzwischen seien Studien und Hinweise zu den gesundheitlichen Folgen von Infraschall erdrückend. Anwohnerin Reischert erinnerte an einen offenen Brief von 30 Ärzten und Wissenschaftlern, die im Mai gefordert hatten, bestehende Normen zum Schutz der Bevölkerung neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen. Für den Landkreis sei nicht relevant, was aktuell, sondern was Stand der Rechtsprechung und herrschende Meinung ist, kommentierte Röwekamp die Forderung.

Vögel: Das Bundesnaturschutzgesetz verbietet Tötung und Verletzung besonders geschützter Arten. An der Bever leben und brüten nicht nur Kiebitz und Mäusebussard. Die seltene Rohrweihe zog hier 2016 und 2017 Nachwuchs groß, das sei nicht gewürdigt worden, warf Steinhorst den Gutachtern vor. Ein Jahr später zerstörten Unbekannte das 200 Meter vom Standort eines geplanten Windrades gelegene Biotop.

Natürlich werde die Rohrweihe gewürdigt: durch zeitweiliges Abschalten der Windräder: Das ist die maximal mögliche Reaktion.″ Der Plan der Betreiber: Mit zwei Prozent Abschaltzeit sollen die Tötungszahlen für mehrere Vogelarten mit unterschiedlichen Gewohnheiten um 30 Prozent gesenkt werden. Das gehört zu den Hindernissen, die wir zu tragen haben. Wir werden jeden Tag schauen, ob der Vogel da ist, und dann abschalten.″ Brauns überzeugte das nicht: Ich bezweifle, dass dieses Verfahren EU-rechtlich akzeptiert wird.″ Steinhorst folgerte: Und wenn das Kontingent ausgeschöpft ist, wird getötet.″

Die Betreiber folgen mit dem Abschaltangebot ihrem Berater Matthias Schreiber. 2016 hat der Biologe im Auftrag des Landkreises über Abschaltzeiten für Windkraftanlagen zur Vermeidung und Verminderung von Vogelkollisionen″ geschrieben. Tenor: Gerade prominente Vogelarten wie Adler oder Schwarzstorch sorgten oft für ein Verbot von Windrädern. Das sei vermeidbar: Lasse sich das Kollisionsrisiko nicht durch wirtschaftlich zumutbare Abschaltzeiten unter die Signifikanzschwelle senken, solle man eine Ausnahme vom Tötungsverbot beantragen.

Seitdem wendet der Kreis diesen Ansatz an, die Ausnahme greift in Glandorf schon in Averfehrden und am Liener Landweg. Für das Gebiet an der Bever fürchtet die Gemeinde erneut ein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko″. Die Vogelschutzrichtlinie aber kenne kein öffentliches Interesse an Windrädern, argumentierte die Glandorfer Bürgermeisterin. Der Betreiber konterte: Dafür gebe es ein öffentliches Interesse am Ausbau der Windenergie. Klima- gegen Artenschutz: Was zählt mehr? Die Frage ist, wie weit die Abschaltung wirtschaftlich vertretbar ist″, griff Röwekamp in die Diskussion ein.

Steinhorst rechnete vor, wie wenige Tage Abschaltung zwei Prozent bedeuten. Bei ganzen Stunden für An- und Abschaltung kommt man auf 7, 3 Tage. Schreiber: Wir definieren Jahres- und Tageszeit, Wetter und Windgeschwindigkeit. So kommt man auf kleine Zeiteinheiten.″ Seine Berechnungen seien umstritten, zitierte Steinhorst das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende″ Schreiber betonte indes, es gebe keine kritischen Stimmen.

Fledermäuse: Seltene Fledermausarten wie der Abendsegler fielen unter den Tisch, monierte die Gemeinde erneut, die ihr Einvernehmen mit dem Projekt in diesem Punkt verweigert. Allein 170 Nistkästen habe man aufgehängt. Doch, deshalb dürften die Windräder erst ab einer Windgeschwindigkeit von 7, 5 Metern pro Sekunde und nicht bei 6 eingeschaltet werden, meldeten sich die Investoren zu Wort. Der Einwand, dass Fledermäuse bis zu 11, 5 Metern pro Sekunde aktiv seien, änderte nichts: Es geht um die Senkung des Kollisionsrisikos.″ Mit der angebotenen sechsprozentigen Abschaltung betrage die Schlagopferzahl weniger als ein Tier pro Jahr und Anlage. Dabei seien auch Barotraumen (siehe Box) berücksichtigt, reagierte der Gutachter auf eine Frage. Laut einer Nabu-Studie fallen jedes Jahr 200 000 Fledermäuse dem Barotrauma zum Opfer. Deshalb sollten, findet der Nabu, keine Windräder im Umfeld von Fledermaus-Wochenstuben gebaut werden sollten. Der Gutachter bezweifelte die Aussagefähigkeit der Studie. Auch sei die Natur an der Bever zwar wertvoll, der Großteil der Fledermausarten aber waldgebunden″. Schließlich räumte er ein, dass zumindest der Abendsegler windkraftsensibel″ ist.

Kompensation: Ersatzfläche für den Mäusebussard soll ein Gebiet in Bad Iburg werden, 500 Meter neben einem Windrad. Die Feldlerche soll sich in Schwege-Kattenvenne ansiedeln. Bevor dieses Gebiet für die Kompensation geeignet ist, müssen dort allerdings Fuchs, Marder und Waschbär als natürliche Feinde der Feldlerche ausgerottet werden.

Der Rotmilan: Der Mäusejäger mit 1, 80 Meter Flügelspannweite könnte für das Windkraftprojekt alles wenden oder auch nicht. Er hatte seinen Horst von März bis vor wenigen Tagen 1200 Meter entfernt von den Windrädern. 1500 müssten es sein. Ein entsprechendes Gutachten hat der Kreis anerkannt. Wie es seiner Art entspricht, zog der Vogel inzwischen weiter. Für die Gegner der Windräder ist er ein warmer Hoffnungsschimmer. Entweder haben wir ein Tötungsverbot oder nicht.″

Und nun? Wir gucken uns das an und bewerten″, sagte der Fachgutachter. Er war zwei Wochen vor dem Erörterungstermin über den Rotmilan informiert worden. Dieses Jahr können wir gutachterlich nicht mehr viel machen″, formulierte Röwekamp die Landkreissicht. Aber: Die Antragsteller müssen etwas vorlegen.″ Möglich wäre beispielsweise eine Erweiterung der Kompensationsflächen.

Reischert wandte sich direkt an Schreiber: Sie haben einmal geschrieben, dass der Tod eines einzigen Rotmilans Auswirkung auf die Gesamtpopulation habe.″ Schreiber: Ich habe meine Position nicht verändert. Ob die Ausnahmevoraussetzung da ist oder nicht, muss die Behörde sagen.″ Zum Vorwurf, dass sich diese Ausnahmen häuften, entgegnete ein Gutachter: Das wirke nur so, weil der Kreis das Tötungsverbot konsequent berücksichtige.

Wie geht es weiter? Sie werden erfahren, ob der Bauantrag genehmigt wird oder nicht″, wandte sich Röwekamp an die Anlieger. Bei einer Genehmigung wollen diese auf jeden Fall klagen und der Betreiber unverzüglich mit dem Bau der Windräder beginnen.

Bildtext:
Direkt an der Bever sollen sich die 238 Meter hohen Windräder drehen: für viele Glandorfer der falsche Ort.
Foto:
Christel Steinhorst

Fast sechs Stunden Diskussion

Akribisch ackerten sich im Kreishaus 40 Beteiligte durch die Einwendungen, die gegen ein Windradprojekt in Glandorf beim Kreis eingingen. So sieht es das Genehmigungsverfahren vor. Auf dem Podium neben Sitzungsleiter Jens Röwekamp sechs weitere Kreis-Mitarbeiter . Anwesend außerdem die Geschäftsführer des Betreibers Bürgerenergiegesellschaft Windpark Bever″ , Martin Andrees, Stefan Thebing und Reiner Borgmeyer, sowie ihre Anwältin Dr. Sophie Oldenburg und als Berater Dr. Matthias Schreiber. Dieser ist auch zweiter Vorsitzender des Dachverbands der Umweltverbände Umweltforum Osnabrücker Land″, war aber nicht in dieser Funktion vor Ort. Da damit offiziell kein Forums- Vertreter vor Ort war, wurden Einwendungen des Verbandes nicht thematisiert. Als Fachgutachter hatten die Investoren Dr. Johannes Melter, Carsten Dense, David Beckmann und weitere Experten beauftragt. Hinzu kamen Zuschauer, 14 betroffene Nachbarn und ihr Anwalt Armin Brauns und zwei Vertreter der Gemeinde Glandorf. Pressefotos ließ der Sitzungsleiter nicht zu.

Barotrauma tötet Fledermäuse

Ein Barotrauma ist eine Verletzung durch Über- oder Unterdruck in lufthaltigen Körperhöhlen, die durch Änderung des Umgebungsdrucks entsteht. Bekannt ist es durch den Druck, der auch beim Fliegen im Ohr entsteht. Bei Fledermäusen, die Windrädern zu nahe kommen, zerreißen innere Organe . Oft können die Tiere Minuten bis Stunden weiterfliegen, bevor sie verenden. Das Trauma trifft vor allem Arten wie den Großen Abendsegler, der auch bei höheren Windstärken aktiv ist.
Autor:
Stefanie Adomeit


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