User Online: 6 | Timeout: 11:39Uhr ⟳ | Ihre Anmerkungen | NUSO-Archiv | Info | Auswahl | Ende | AAA  Mobil →
NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Datensätze des Ergebnis
Suche: Auswahl zeigen
Treffer:1
Sortierungen:
Anfang der Liste Ende der Liste
1. 
(Korrektur)Anmerkung zu einem Zeitungsartikel per email Dieses Objekt in Ihre Merkliste aufnehmen (Cookies erlauben!)
Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Ein schwarz-rotes Arbeiter-Duo
Zwischenüberschrift:
Die Osnabrücker Otto Vesper und August Josef Hagemann gehören zu den Vätern der Weimarer Reichsverfassung
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück Das Grundgesetz von 1949 ist nicht das erste republikanische Verfassungswerk der deutschen Geschichte. Errungenschaften wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Gleichheit vor dem Gesetz, freie Wahlen, Oppositions-, Meinungs-, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit finden sich bereits 30 Jahre zuvor in der Weimarer Verfassung.

Am 31. Juli 1919 wird der Verfassungstext beschlossen. Morgen vor 100 Jahren dann, am 11. August, wird das Dokument feierlich durch das Reichskabinett unterzeichnet. Inmitten der 423 frei gewählten Abgeordneten der Nationalversammlung im dicht gedrängten Weimarer Nationaltheater sitzen auch zwei, die den Weg dorthin aus Osnabrück angetreten haben: der Sozialdemokrat Otto Vesper und der Zentrumspolitiker August Josef Hagemann.

Es sind Zeiten großer Umbrüche und Veränderungen. Das Völkerschlachten des Ersten Weltkrieges ist erst seit dem Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918 offiziell beendet. Kaiser und adelige Landesherren haben mit Schimpf und Schande abgedankt. Millionen von Soldaten haben das sinnlose Sterben für Kaiser, Vaterland und Rüstungsindustrie endgültig satt und kehren zurück. Allein in Deutschland haben mehr als zwei Millionen Männer an der Front ihr Leben verloren, unter ihnen 2200 Söhne und Familienväter aus Osnabrück.

Die Sozialdemokratie ist aufgrund der Zerwürfnisse zur Kriegsfrage seit 1917 in Mehrheits-SPD (MSPD) und Unabhängige SPD (USPD) gespalten. Die provisorische Regierung bildet der seit Jahresende allein von der MSPD gestellte Rat der Volksbeauftragten. Allerorten werden in Fabriken und Betrieben Arbeiter- und Soldatenräte gewählt. Deren Mehrheit spricht sich allerdings vor allem auf Drängen der MSPD-Parteispitze um den künftigen Präsidenten Friedrich Ebert gegen tief greifende Änderungen von Wirtschaft und Institutionen aus. Stattdessen wird die schnellstmögliche Einberufung einer verfassunggebenden Nationalversammlung beschlossen. Alle Arbeiter- und Soldatenräte verlieren danach schrittweise ihre Rechte. Der Wahlgang für die in Weimar tagende Nationalversammlung findet am 19. Januar 1919 statt.

In ihrer gemeinsamen Heimatstadt haben sich Vesper wie Hagemann als Aktivposten des demokratischen Aufbaus bewährt. Bereits einen Tag vor den revolutionären Ereignissen in Berlin, am 8. November 1918, hatte sich in Osnabrück unter Führung des Mehrheitssozialdemokraten und Ratsmitglieds Otto Vesper (1875–1923) ein Arbeiter- und Soldatenrat (ASR) gebildet. Seine Mitglieder kümmern sich vor allem um die akuten Versorgungsprobleme und helfen der unverändert belassenen Verwaltung dabei, die akute Not zu lindern und heimkehrende Soldaten zu integrieren.

Bereits eine Woche nach seiner Konstituierung wird der ASR, der im Schloss amtiert, um Mitglieder bürgerlicher Parteien erweitert, insbesondere durch August Josef Hagemann (1875–1950) von der katholischen Zentrumspartei. Während in vielen anderen Orten des Reiches revolutionäres Geschehen die Schlagzeilen bestimmt, bleibt es in Osnabrück eher ruhig.

Am 19. Januar 1919 sind die Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung angesetzt. Auch in Osnabrück kommt es zu einem lebendigen demokratischen Wahlkampf. An dessen Ende wird der stolze Rekordwert einer 90-prozentigen Wahlbeteiligung erreicht. Vespers MSPD erringt rund 42 Prozent, Hagemanns Zentrum 22 Prozent, die linksliberale Demokratische Partei 12, 4 Prozent und die rechtsliberale Volkspartei knapp 19 Prozent. Die besonders in Industriezentren starke USPD erhält ganze 1, 1 Prozent. Die kaisertreuen Deutschnationalen werden mit weniger als 1 Prozent abgewatscht″.

Die beiden Osnabrücker, die danach aktiv daran mitwirken, eine republikanische Verfassung zu formulieren, bilden trotz ihrer weltanschaulichen Unterschiede so etwas wie ein schwarz-rotes Duo. Beide sind bereits seit vielen Jahren engagierte Gewerkschafter und Arbeitersekretäre, denen insbesondere die Rechte der werktätigen Bevölkerung und sozial Benachteiligte am Herzen liegen. Gewählt worden sind beide auf den Wahllisten ihrer Parteien für den Wahlkreis 15, der das große Gebiet um Osnabrück, Oldenburg und Aurich umfasst.

Otto Vesper ist um die Jahrhundertwende als Wandergeselle des Tapeziererhandwerks aus Berlin nach Osnabrück gekommen. Schon seit 1902 hat er hier als Arbeitersekretär der Freien Gewerkschaften gewirkt. Zwischen 1907 und 1910 amtiert er als Zentralvorsitzender des gewerkschaftlichen Tapeziererverbandes in Berlin, um anschließend erneut die Tätigkeit eines Arbeitersekretärs in Osnabrück zu versehen. Seit 1912 schreibt Vesper als leitender Redakteur täglich in der SPD-nahen Osnabrücker Abendpost″. Bereits seit 1913 fungiert er als Stadtratsmitglied im damaligen Bürgervorsteherkollegium und ist seit Herbst 1918 auch Mitglied des regierenden″ Magistrats. Ab September 1919 wird Vesper dem neu errichteten Arbeitsamt der Stadt Osnabrück vorstehen, das er bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1923 leitet.

Der andere Osnabrücker Verfassungsvater, August Josef Hagemann, ist Sohn eines Heuermanns. In Hopsten hat er das Schlosserhandwerk erlernt und als Wandergeselle in Düsseldorf, Bonn, Köln, Boppard und Mainz gearbeitet. 1900 ist er als Schlosser zur Eisenbahnwerkstätte Osnabrück gekommen. Ab 1923 wird er es bei der Bezirksregierung bis zum Regierungsrat bringen, ehe ihn die Nazis 1933 ohne Pensionsanspruch entlassen. Hagemann ist bereits seit 1909 Stadtratsmitglied. 1921 bis 1922 wird er auch dem Reichstag angehören, von 1920 bis 1933 besonders viele Jahre dem Preußischen Landtag. Nach 1945 wird er den von zahlreichen Zentrums-Mitgliedern vollzogenen Beitritt zur CDU entschieden ablehnen. Bis zu seinem Tode gehört er stattdessen zu den wichtigsten Mitgliedern der neu gegründeten Zentrumspartei.

Zurück ins Jahr 1919: Die Weimarer Nationalversammlung, deren Sitz im September in die Reichshauptstadt Berlin verlegt wird, ist zugleich ein funktionierendes Parlament. Es wählt den Präsidenten und Regierungsvertreter, beschließt Gesetze und kann der neuen Reichsregierung aus MSPD, Zentrum und Demokraten Weisungen erteilen.

Am leidenschaftlichsten debattiert der Plenarsaal über den Versailler Friedensvertrag. Beide Osnabrücker Abgeordneten stimmen diesem mit der Mehrheit notgedrungen zu, weil sie unbedingt eine Fortsetzung des Krieges oder gar eine Invasion durch die Siegermächte vermeiden wollen. Rege Debatten darum bestimmen auch in Osnabrück so manche Versammlung mit den beiden Volksvertretern.

Vesper und Hagemann verharren auch sonst keineswegs teilnahmslos auf ihren Sitzen, sondern beteiligen sich engagiert an Ausschussdebatten, ebenso an der Formulierung von Verfassungs- und Gesetzestexten. Folgt man den Protokollen, ergreift Vesper am 30. September 1919 das Wort. Er möchte in Form einer Anfrage einen üblen Vorwurf gegenüber dem Osnabrücker ASR widerlegen. Letzterer habe angeblich bei der örtlichen Reichsbank unter Zwang″ widerrechtlich 155 000 Mark abgehoben. Da die Frage unbeantwortet bleibt, wiederholt Vesper sie in der Sitzung am 14. Oktober und bekommt hierbei zur Antwort, dass es weder Zwang″ noch eine direkte Zahlung an den ASR gegeben habe. Vielmehr sei eine durch den ASR vermittelte Lohnzahlung an die örtliche Militärkasse erfolgt, wobei es sich offenkundig allein um ausstehenden Sold für Soldaten handelte. Der ASR steht danach wieder im guten Licht da.

Von Hagemann sind in den Sitzungsprotokollen sogar längere Redebeiträge dokumentiert. Am 29. April 1920 spricht er ausführlich über die Schaffung von neuen Siedlungen im Rahmen des Heimstättengesetzes und spricht sich dabei engagiert für soziale Enteignungen wie auch massiv gegen private Bodenspekulation aus.

Zur Geschichte der Weimarer Republik gehört von 1921 bis 1932 der Verfassungstag, der landauf, landab am 11. August als Nationalfeiertag begangen wird. Kurioserweise wird dieser zwar Nationalfeiertag, jedoch kein reichsweiter gesetzlicher Feiertag, was auch an einer dazu fehlenden Reichstagsmehrheit liegt. Es ist den einzelnen Ländern überlassen, ob sie den Tag zu einem gesetzlichen Feiertag erheben. In der Republik Baden und im Volksstaat Hessen kommt der Feiertagsstatus zustande, woanders nicht. Die Sozialdemokratie, insbesondere ihr nahestehender Wehrverband Reichsbanner″, gestalten diesen Feiertag dennoch auch in Osnabrück sehr maßgeblich aus.

Und was wird aus dem vor 100 Jahren feierlich verkündeten Verfassungswerk? Die Nationalsozialisten zerschlagen ab dem 30. Januar 1933 alle darin verbrieften grundlegenden demokratischen Rechte. Rassegesetze, Demokratenverfolgungen und das Führerprinzip ersetzen Grund- und Menschenrechte. Das Tausendjährige Reich″ liquidiert damit bis zum Kriegsende alle demokratischen Bestimmungen, die auf den Verfassungstagen am 11. August bis dahin stets feierlich von Demokraten gewürdigt worden sind.

Zur Person: Heiko Schulze ist Autor stadtgeschichtlicher Sachbücher und Romane sowie Mitarbeiter im Fachbereich Kultur der Stadt Osnabrück. Von 1992 bis 2013 war er Geschäftsführer der Osnabrücker SPD-Ratsfraktion.

Bildtexte;
Der Plenarsaal im Deutschen Nationaltheater Weimar. Das Bild des Weimarer Fotograf Louis Held entstand bei einem dort im Juni 1919 stattfindenden SPD-Parteitag, an dem neben Otto Vesper auch der Osnabrücker Sozialdemokrat Karl Westphälinger als Delegierter teilnahm.
Otto Vesper
August Josef Hagemann
Foto:
Stadtmuseum Weimar
Autor:
Heiko Schulze


Anfang der Liste Ende der Liste