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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Hol mir mal ′ne Flasche Bier ...
Zwischenüberschrift:

Als Bier noch als Heilmittel gegen die „Branntweinpest″ gesehen wurde
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück/ Münster Bier war und ist ein beliebtes Getränk. 2017 wurden in Nordrhein-Westfalen 17, 1 Millionen Hektoliter Bier konsumiert, nur in Bayern wurde in dem Jahr mehr getrunken. Deutlich abgeschlagen folgen die Niedersachsen. Zum Internationalen Tag des Bieres am 2. August sind die Volkskundler Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) zur Verkostung historischer Quellen tief in die Bierkeller und Archive hinabgestiegen. Was sie gefunden haben, betrifft auch das Osnabrücker Land zumindest historisch.

Denn historisch, sprachlich und kulturell gehört das Osnabrücker Land zum Kulturraum Westfalen. Wo wurde der Westfälische Friede geschlossen? Richtig, in Münster. Und in Osnabrück. Und von 1807 bis 1813 gehörte das Hochstift beziehungsweise Fürstbistum Osnabrück zum kurzlebigen Königreich Westphalen, entstanden unter Napoleons Gnaden und regiert von dessen jüngstem Bruder Jérôme Bonaparte.

Erst mit dem Wiener Kongress kam das Osnabrücker Land zum Königreich Hannover, das wiederum durch mangelnde politische Weitsichtigkeit seines ohnehin blinden Königs Georg der, nachdem die Georgsmarienhütte benannt wurde 1866 von Preußen zunächst besetzt und dann annektiert wurde. Georg hatte sich im Konflikt zwischen Preußen und Österreich schlicht, aber konsequent auf der falschen Seite positioniert.

Das ist alles lange her, heute gehört das Osnabrücker Land zum 1946 entstandenen Niedersachsen, dessen Ministerpräsident und späterem Bundeskanzler Gerhard Schröder der auch für viele Westfalen und Niedersachsen programmtische Satz Hol mir mal ne Flasche Bier″ zugeschrieben wird.

Schließlich blickt Bier auf eine lange Tradition zurück: Im Atlas des niederländischen Geografen und Kartografen Gerhardus Mercator aus dem 16. Jahrhundert wird Bier für Westfalen als der Tranck des gemeinen Volkes″, Wein hingegen als das Getränk der vornehmen Gesellschaft bezeichnet. Dort heißt es auch, die Bierqualität sei je nach Hersteller sehr unterschiedlich.

Bierbrauen war bis ins 20. Jahrhundert hinein Haus- und damit Frauenarbeit. Bier wurde in fast jedem Haushalt hergestellt″, erklärt Kathrin Schulte von der Volkskundlichen Kommission des LWL. Dass die einzelnen Brauerinnen qualitativ sehr unterschiedliches Bier brauten, lag vermutlich daran, dass es in den Haushalten jeweils eigene Rezepte und Herstellungstechniken gab, die von der Mutter an die Tochter weitergegeben wurden. Eine einheitliche Qualität anzustreben wäre den Hausfrauen damals gar nicht in den Sinn gekommen.″ Vom richtigen Zeitpunkt

Was für die Herstellung eines guten Bieres erforderlich war, darüber gingen die Ansichten auseinander. Ein Gewährsmann der Volkskundlichen Kommission aus Senden wies in den 1960er-Jahren beispielsweise darauf hin, dass es überaus wichtig sei, einen geeigneten Zeitpunkt für das Brauen zu wählen. Als Eselsbrücke gibt er an, dass sich alle Monate, in deren Monatsnamen ein r″ vorkomme, gut eigneten. Andernfalls hält sich das Bier nicht, im März und April ist die richtige Zeit zum Brauen″.

Noch bis weit ins 20. Jahrhundert bekamen die Landarbeiter das selbst gebraute Bier, dessen Alkoholgehalt vermutlich unter demjenigen heutiger Biersorten lag, als Durstlöscher während der Ernte auf den Feldern.

Doch nicht nur auf dem Feld, sondern auch auf dem Bau schmeckte der kühle Gestensaft: So berichtet die Besitzerin einer Doppelhaushälfte in Münster über die Dachdecker, die 1959 das Dach ihres Hauses erneuerten, dass sie nach getaner Arbeit Bier und Zigaretten von der Hausherrin bekommen hätten. Den Nachbarn, die es versäumt hatten, die Handwerker mit Bier zu entlohnen, brachten diese eine mit folgendem Spruch versehene Dachpfanne: Hier steht der Bau in seiner Pracht, die Dachdecker haben ihn rot gemacht. Als alter Brauch und Sitte haben wir eine Bitte: Bier.″

Biertrinken auf dem Bau? Heute steht das für Arbeitsunfälle und Alkoholismus. Dabei wurde Bier gerade in Hinblick auf eine Suchterkrankung zeitweise sogar als Rettung″ angesehen: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich das Trinkverhalten in breiten Bevölkerungsschichten drastisch verändert. Der Konsum von stärkeren Alkoholika wie Schnaps fand Einzug in die Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung mit zahlreichen negativen Begleiterscheinungen.

Um der Branntweinpest″ Einhalt zu gebieten, sah sich wie andernorts auch die Preußische Regierung in Berlin zum Handeln gezwungen. Sie strebte die Verbesserung der Bierversorgung an, um den Schnaps zu verdrängen″, berichtet Kathrin Schulte.Billiger Schnaps

Zu diesem Zweck befragte man zunächst die Bürgermeister, wie es sich mit der Qualität des Bieres in ihrer Stadt verhalte. Auf die offizielle Anfrage der preußischen Regierung 1836 antwortete der Oberbürgermeister Münsters, Joseph von Münstermann, dass zumindest in Münster die Qualität des Bieres durchaus zufriedenstellend sei. Der übermäßige Konsum von Branntwein so der Befund sei eher auf die geringen Preise für Schnaps und die vergleichsweise hohen für Bier zurückzuführen.

Aber nichts ist so gut, dass es nicht noch verbessert werden könnte: So brachte der Detmolder Canzleirath″ J. C. Althof von einer Reise nach Bayern 1837 die Begeisterung für das dortige Brauhandwerk mit und versuchte, dies auch in Westfalen zu etablieren. Was ihm auch gelang: In vielen Orten braute man nun statt des obergärigen Bieres mit untergäriger Hefe beispielsweise in der Bair. Bier-Brauerei″ von A. Rolinck in Burgsteinfurt.

Letztlich hat der Oberbürgermeister von Münster die Situation aber wohl richtig eingeschätzt: Auch durch eine Qualitätsverbesserung des Bieres war der kostengünstige Branntwein nur schwer zu verdrängen.

Deutlich wird das angesichts der Aufzeichnungen über eine Hochzeitsfeier im Jahr 1951 in Catenhorn bei Rheine im Kreis Steinfurt: Die rund 300 Gäste konsumierten an zwei Tagen 10 Liter Likör, 125 Liter Schnaps, 670 Liter Bier Rolinck, Burgsteinfurt, 100 Flaschen Wein″.

Bliebe die Frage, warum der 2. August der Internationale Tag des Bieres ist. Der Tag des Deutschen Bieres″ ist eigentlich der 23. April. Denn vor gut 500 Jahren, am 23. April 1516, wurde das Reinheitsgebot proklamiert.

Seit 1994 nutzt der Deutsche Brauerbund das Datum für sein Grundanliegen: den Menschen das Bier nahezubringen. Denn der Pro-Kopf-Konsum an Bier ist in Deutschland seit den 1980er-Jahren insgesamt rückläufig: Lag er 1980 noch bei knapp 146 Litern, sind es derzeit laut Deutschem Brauer-Bund noch 102 Liter einschließlich alkoholfreier Sorten. Immerhin: Im europäischen Vergleich wird nur in Tschechien und Österreich pro Kopf mehr Bier getrunken.

Der Internationale Tag des Bieres″ wurde dagegen 2007 von Jesse Avshalomov, Evan Hamilton, Aaron Araki, Richard Hernandez, Tyler Burton und Ryland Hale in den USA ins Leben gerufen. Jeweils am ersten Freitag im August soll weltweit das Getränk Bier gefeiert und natürlich getrunken werden.

Inzwischen haben auch andere die Idee für sich entdeckt und dankbar adaptiert. Zum Beispiel vom Westfälisch-Lippischen Landschaftsverband...

Bildtexte:
Dass Bier ein beliebtes und gesellschaftlich akzeptiertes Getränk ist, zeigt diese Atelierfotografie aus Tecklenburg, die um 1900 entstanden ist.
Auf Baustellen wurde, wie hier 1925 in Dortmund, gern die eine oder andere Flasche Bier geleert...
Fotos:
LWL-Volkskundearchiv
Autor:
wie, pm


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