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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Kritik an Situation im Flüchtlingshaus
 
Marathon-Schichten im Flüchtlingshaus
Zwischenüberschrift:
Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes kritisieren Arbeitsbedingungen / DGB spricht von Ausbeutung
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück Schwere Vorwürfe haben der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und Wachleute des Sicherheitsdienstes WSO an den Arbeitsbedingungen im Osnabrücker Flüchtlingshaus geäußert. Zwei Mitarbeiter sagten im Gespräch mit unserer Redaktion, dass diese Arbeitsbedingungen negative Folgen für das Haus und seine Bewohner hätten. Das Flüchtlingshaus am Natruper Holz ist eine Einrichtung der Niedersächsischen Landesaufnahmebehörde (LAB), in der rund 400 Geflüchtete leben. Die Firma WSO ist vom Land beauftragt, sich dort um die Sicherheit zu kümmern. Der DGB kritisiert, dass Mitarbeiter monatlich bis zu 288 Stunden im Einsatz seien und dass ihnen Freizeit verweigert würde. Er spricht von Ausbeutung auf die übelste Weise″. Der WSO weist die Anschuldigungen zurück.

Osnabrück Im Osnabrücker Flüchtlingshaus sind die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes WSO in ihren gelben Sicherheitswesten omnipräsent. Doch hinter den Kulissen herrscht großer Unmut. Die Vorwürfe wiegen schwer: Dienstpläne mit 274 bis 288 Arbeitsstunden pro Monat seien im Flüchtlingshaus üblicher Standard, kritisiert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einer Ende Juni verbreiteten Pressemitteilung. Sieben WSO-Mitarbeiter aus dem Flüchtlingshaus hätten sich an den DGB gewandt, sagt Gewerkschaftssekretär Olaf Cramm. Er spricht von permanenter Ausreizung und Überforderung″, von verweigerter Freizeit″ und vorenthaltenem Urlaub″ von skrupelloser Ausbeutung unter den Augen und im Wissen der Landesaufnahmebehörde″ (LAB). Zwei Mitarbeiter haben gegen den Sicherheitsdienst geklagt.

Unsere Redaktion hat mit zwei anderen Mitarbeitern gesprochen. Sie bestätigen die Vorwürfe und bemängeln außerdem, dass unzureichend qualifizierte Kollegen oder solche, die kaum schnell laufen könnten, in sensiblen Bereichen wie der Brandmeldezentrale eingesetzt würden. Eine richtige Einarbeitung neuer Kollegen findet gar nicht statt″, sagt ein Mitarbeiter. Es herrsche untereinander ein Klima des Misstrauens. Und: Einzelnen Kollegen ist alles scheißegal.″ Bei vielen fehle die Empathie. Wegen der hohen Fluktuation der Wachleute schwinde außerdem der Respekt der Bewohner.

Außerdem seien Schichten unterbesetzt, sodass tagsüber bisweilen statt 15 nur 11 Wachleute im Einsatz seien. Und dann habe es Zeiten gegeben, wo die Wachleute den gesamten Tag über stichsichere Westen hätten tragen und vollgeschwitzt an den Kollegen der nächsten Schicht weitergeben müssen denn Westen für jeden persönlich habe es nicht gegeben. Die Mitarbeiter, die tagtäglich mit den Bewohnern zu tun haben, bemängeln außerdem, dass es kein Miteinander im Haus gebe, dass ihre Verbesserungsvorschläge auf taube Ohren stoßen würden.

WSO-Geschäftsführer Axel Mauersberger reagierte mit Bestürzung und großem Unverständnis″. Die Vorwürfe seien durchweg nicht nachvollziehbar und im Grunde falsch″. Die LAB antwortete unserer Redaktion schriftlich, dass die Anschuldigungen an den WSO bekannt und dass mehrere Gespräche mit den Verantwortlichen geführt worden seien. Ergebnis: Aus Sicht der Landesaufnahmebehörde wird derzeit kein weiterer Handlungsbedarf gesehen.″ Zu den einzelnen Vorwürfen geht die LAB auf Anfrage nicht ein, betont aber, die Behörde legt Wert auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.″

Arbeitszeiten: Die Wachleute im Flüchtlingshaus sind grundsätzlich in Zwölf-Stunden-Schichten eingeteilt eine Tag- und eine Nachtschicht. Jede halbe Stunde müssen sie GPS-gestützte Kontrollgänge machen. Die Firma WSO zahlt nach Tarif, das sind in Niedersachsen 10, 10 Euro pro Stunde, plus 40 Cent für den Einsatz im Flüchtlingshaus. Im Schnitt muss ich 264 Stunden im Monat arbeiten, um bei Steuerklasse eins auf 1400 Euro netto zu kommen″, berichtet ein Mitarbeiter. Eine 40-Stunden-Woche liegt bei 173 Stunden, rechnet der DGB vor. Tariflich erlaubt sind 228 Stunden im Monat. Das ist allerdings im Jahresschnitt zu betrachten, sagt Frank Pschorn, der beim WSO für Personalfragen zuständig ist.

Es gebe Kollegen, die so viele Schichten wie möglich annähmen, weil sie Kinder hätten und das Geld benötigten, berichten die beiden Mitarbeiter. Andere, etwa solche mit Fluchthintergrund, würden aus Angst vor Sanktionen widerspruchslos Zusatzschichten annehmen.

Dass es Wachleute gibt, die 288 Stunden im Monat arbeiten, ist der LAB bekannt, die Behörde äußert sich aber auch dazu nicht. Dem Sicherheitsdienst ist die Situation bewusst. Frank Pschorn sagt: Bei 280 Stunden haben Sie eine Auslastung, mit der wir nicht leben wollen und können.″ Es gebe Mitarbeiter, die gebremst werden müssten, weil sie förmlich um Schichten bettelten″. Freischichten könnten nicht immer nach Wunsch gewährt werden, aber dann gibt es Ersatz″, betont Pschorn. Und dass Urlaub gestrichen werde, sei eine Lüge, so Mauersberger.

Personalmangel und unterbesetzte Schichten: Wir müssen mit einer dünnen Personaldecke alle Schichten besetzen″, sagt Pschorn. Wenn ein Mitarbeiter sich für Zusatzschichten anbiete, nehme der Schichtführer″ das Angebot gerne an. Für diesen Auftrag könnte ich gut und gerne noch 10 bis 15 Mitarbeiter mehr gebrauchen″, so Pschorn. Doch der WSO, der insgesamt rund 300 Mitarbeiter beschäftigt, stehe bei der Personalgewinnung in Konkurrenz mit Sicherheitsfirmen im benachbarten NRW und dort erhalten Mitarbeiter nach Tarifvertrag rund zwei Euro mehr pro Stunde als in Niedersachsen. Wir haben uns für eine Tariferhöhung in Niedersachsen eingesetzt, kämpfen aber gegen Windmühlen″, so Pschorn. WSO-Chef Mauersberger sagt: Ich könnte den Mitarbeitern mehr zahlen, wir kriegen aber nicht mehr Geld vom Kunden.″ Und der Kunde ist die Landesaufnahmebehörde.

Dass bisweilen Schichten im Flüchtlingshaus unterbesetzt seien, will Mauersberger nicht dementieren. Wenn überhaupt, dann ist das aber eine große Ausnahme.″ Der Sicherheit von Bewohnern und Mitarbeitern gereiche das nicht zum Nachteil. Ohnehin sei der Tagesablauf im Haus recht entspannt, sagt Valentin Hein vom Team Einsatzleitung. Dass da jemand übelst randaliert, kommt fast nicht vor.″

Qualifikation der Wachleute: Das Flüchtlingshaus ist ein sensibler Bereich, jeder Mitarbeiter muss daher nicht nur ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, sondern wird auch vom Verfassungsschutz überprüft. Dann bekämen sie eine objektspezifische Einweisung durch einen der vier Schichtleiter. Die Vorwürfe der Mitarbeiter, dass diese oft unzureichend sei, weisen WSO-Chef Mauersberger und sein Kollege Pschorn zurück. Ich würde in Abrede stellen, dass da Mitarbeiter eingesetzt werden, die nicht in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen.″

Auftreten der Wachleute: Früher trugen die Wachleute stichsichere Westen nur in Gefahrensituationen, schildern die beiden Mitarbeiter im Gespräch mit unserer Redaktion und den Bewohnern sei der Unterschied bewusst gewesen. Seit einigen Wochen müssten sie die Westen dauerhaft tragen. Unser Job ist es, deeskalierend zu wirken und mit den Bewohnern zu kommunizieren″, sagt der Mitarbeiter. Wenn ich eine Weste und Handschuhe trage, wirke ich nicht deeskalierend, sondern habe ein martialisches Auftreten.″ Die Landesaufnahmebehörde äußert sich dazu nicht. Nach Informationen unserer Redaktion gibt es im Flüchtlingshaus derzeit allerdings vermehrt Probleme mit Waffen, aber auch mit Drogenhandel. Vor zwei Wochen hatte der DGB seine Anschuldigungen öffentlich gemacht, parallel war es sehr heiß. Jetzt bekomme jede Stammkraft am Standort ihre eigene Weste, sagt Mauersberger.

Bildtext:
Seit Juli 2016 ist der Osnabrücker Sicherheitsdienst WSO im Flüchtlingshaus im Einsatz.
Foto:
Atchiv/ Swaantje Hehmann

Kommentar
Sensibler Standort braucht motivierte Mitarbeiter

Wie der Sicherheitsdienst WSO nun tatsächlich mit seinen Mitarbeitern umgeht, ist von außen schwer nachzuvollziehen. Fakt ist: Wer 288 Stunden im Monat arbeitet, wird irgendwann unaufmerksam und krank. Dass solche Marathondienste im Osnabrücker Flüchtlingshaus geleistet werden, ist inakzeptabel.

Der Sicherheitsdienst erfüllt dort eine wichtige Aufgabe, schließlich sind die Mitarbeiter tagtäglich in Kontakt mit den Geflüchteten. Man kennt sich und im Idealfall respektiert man sich.

Das funktioniert aber nur mit motivierten Wachleuten. Wenn diese mehr als 264 Stunden im Monat arbeiten müssen, um bei einem Stundenlohn von gerade einmal 10, 50 Euro auf ein halbwegs akzeptables Gehalt zu kommen, und wenn noch dazu eine hohe Fluktuation herrscht, dann ist das für das Miteinander im Haus sicher nicht förderlich. Dass es über drei Jahre nicht einmal persönliche Sicherheitswesten für die Mitarbeiter gab, auch das ist nicht gerade ein Zeichen von Wertschätzung.

Der eigentliche Skandal ist, dass das Land Niedersachsen von den Bedingungen weiß und nichts dagegen tut. In einem derart sensiblen Bereich wie dem Flüchtlingshaus, in dem rund 400 Menschen aus aller Herren Länder leben, sollte alles dafür getan werden, dass die Mitarbeiter gute Arbeitsbedingungen vorfinden und nicht zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen dass diese tariflich akzeptiert sind, macht es nicht besser. Da ist das Land in der Pflicht.

s.dorn@ noz.de

Hintergrund zum LAB-Standort

Das nach Erich Maria Remarque benannte Flüchtlingshaus an der Sedanstraße nahe dem Rubbenbruchsee ist eine Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Niedersachsen. Geflüchtete kommen dort an, werden registriert und leben im Haus, bis ihr Asylverfahren so weit ist, dass sie einer Kommune zugewiesen werden oder bis sie das Land wieder verlassen müssen. Ende 2014 zogen die ersten Geflüchteten in das Haus ein. Früher wurden die Gebäude als Bundeswehrkrankenhaus genutzt. In der Regel sind dort um die 400 Geflüchtete untergebracht, bis zu 600 Menschen können aufgenommen werden. Die Leitung hat die Landesaufnahmebehörde (LAB) , für den laufenden Betrieb und die Sozialarbeit ist die Osnabrücker Diakonie zuständig. Seit Juli 2016 stellt die Osnabrücker Firma WSO das Sicherheitspersonal, das rund um die Uhr vor Ort ist, unter anderem an der Pforte, aber auch auf den Fluren.
Autor:
Sandra Dorn


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