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Osnabrück Das 6. Deutsche Musikfest ist gestern mit einem Freiluftkonzert und einem Festumzug zu Ende gegangen. Vier Tage der Superlative haben der Stadt 150 000 Besucher beschert, 14 500 Musiker waren da und spielten 450 Konzerte. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Vierter von rechts) befand: „ Dieses Volksfest führt die Kraft der Musik vor Augen und Ohren.″ Und während das Ereignis mit Pauken und Trompeten zu Ende ging, betonten alle die Bedeutung der Musik für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Oberbürgermeister Wolfgang Griesert wünschte sich, dass dieses Fest in Osnabrück noch in vielen Jahren nachhallen wird. Foto: Jörn Martens Osnabrück Hochsommerliche Temperaturen, strahlend blauer Himmel, ein gut aufgelegter Bundespräsident als Schirmherr und Hunderte Musiker: Das Finale des 6. Deutschen Musikfests in Osnabrück war ein eindrucksvolles Statement für die Kraft der Musik. Auf dem Domvorplatz waren mehr als 45 der teilnehmenden Musikgruppen aufmarschiert, um das Musikfest mit einem Gemeinschaftskonzert zu krönen. Die Straßen ringsum füllten sich zudem mit zahlreichen Schaulustigen und interessierten Osnabrückern. Bei Temperaturen jenseits der 30-Grad-Marke unter sengender Sonne kamen einige der Konzertanten ganz schön ins Schwitzen. An mehreren improvisierten Ausgabestellen konnte man sich mit Wasser versorgen. Gegen 15 Uhr empfingen Oberbürgermeister Wolfgang Griesert und der niedersächsische Kulturminister Björn Thümler den Schirmherrn des Musikfests, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Auftakt des Konzerts war die eigens für das Musikfest komponierte Fanfare der Stadt Osnabrück. Alle Redner betonten anschließend die Bedeutung der Musik für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Paul Lehrieder, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände, erklärte, beim Musikfest habe man gelernt, wie Zusammenhalt geht: „ Jeder muss auf die Instrumente der anderen achten.″ Er sei ergriffen gewesen, wenn er durch die Altstadt gelaufen sei und dabei habe sehen können, wie die Osnabrücker und ihre Gäste sich ganz selbstverständlich vermischten und gegenseitig austauschten. Die „ größte Amateurmusikveranstaltung Deutschlands″ habe die „ vereinende Wirkung der Blasmusik″ in der Friedensstadt bewiesen. Nach der Prélude aus dem „ Te Deum″ von Marc-Antoine Charpentier, allgemein bekannt als Eurovisionsfanfare, ergriff der Bundespräsident das Wort – und nicht Thomas Gottschalk oder Barbara Schöneberger, wie Steinmeier launig bemerkte. Trotzdem vergab er „ twelve points to Osnabrück″, also „ zwölf Punkte an Osnabrück″. Die Gastgeberstadt habe sich diese Höchstwertung „ redlich verdient″. Steinmeier, der sich fragen lassen musste, ob er denn „ von Tuten und Blasen″ Ahnung habe, bekannte, etwas neidisch auf die Musiker zu sein: „ Meine frühen Versuche an der Blockflöte waren nicht der Rede wert.″ Dafür konnte er sich noch gut an seine erste Langspielplatte erinnern – „ Let It Bleed″ von den Rolling Stones, was ein anerkennendes „ Oho!″ in der Menge auslöste. Steinmeier nutzte dieses Beispiel, um die Kraft der Musik zu würdigen: Es komme auf das Zusammenspiel an, auch der beste Solist müsse von der Gesamtheit getragen werden. In Zeiten, in denen der Ton in der Gesellschaft immer rauer und schriller werde, sei es wichtig, sich an diesen Ensemble-Gedanken zu erinnern. Minister Thümler, der Niedersachsen als „ Musikland″ bezeichnete, erklärte: „ Laienmusik stärkt die Toleranz in der Gesellschaft. Es geht nur gemeinsam, nicht gegeneinander.″ Oberbürgermeister Griesert wiederum sprach von „ gelebter Friedenskultur″ und sagte: „ Die Musik hat ihre isolierten Orte verlassen und sich auf die Straßen und Plätze begeben.″ Das taten nach Abspielen der National- und der Europahymne auch die Musiker selbst. Ein Umzug mit 62 Gruppen zog vom Domhof über den Markt, die Krahnstraße, den Nikolaiort, die Große Straße und den Neuen Graben bis zum Schloss. Viele Menschen säumten die Strecke und empfingen die Kapellen mit Applaus. Steinmeier nutzte die Gelegenheit, einige Hände zu schütteln und für Selfies zu posieren. Bildtexte: Höhepunkt und Finale des Deutschen Musikfests in Osnabrück: der Umzug von 62 Musikgruppen durch die Innenstadt. Bei Tausenden Besuchern mussten die Kleinsten schon mal erfinderisch sein, um etwas sehen zu können. 45 Musikgruppen nahmen am großen Abschlusskonzert vor dem Dom teil. Fröhlicher Schirmherr: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Fotos: Philipp Hülsmann Kommentar Schön war′s! Nach vier Tagen Deutsches Musikfest dürfte auch der letzte Skeptiker überzeugt sein: Blasmusik ist deutlich mehr als Humtata und Tätärä. Osnabrück erlebte einen viertägigen Musikgenuss auf hohem Niveau und durfte ganz nebenbei auch noch kräftig für sich werben. Es war für alle etwas dabei, von der perfekt aufgearbeiteten Volksmusik bis hin zu jazzigen Klängen. So mancher dürfte von dem breiten Spektrum des musikalischen Angebots überrascht gewesen sein. Der einzige Wassertropfen im süßen Wein könnte sein, dass die etwas entlegeneren Veranstaltungsorte nicht den Besucherandrang erlebten, den die Qualität der gezeigten Konzerte und Wettbewerbe verdient gehabt hätte. Das Deutsche Musikfest in die Osnabrücker Mauern zu holen war eine weise Entscheidung von Politik und Verwaltung, die sich mit 100 000 Euro an den Kosten beteiligten. Nicht nur dass die vielen Gäste sicherlich den einen oder anderen Euro in Einzelhandel und Gastronomie gelassen haben, auch dass man in Osnabrück große Feste zu organisieren und auf sympathische Weise durchzuführen weiß, wird sich herumsprechen. Für dieses dicke Plus auf dem Imagekonto der Stadt gebührt den Mitgliedern der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände ein großes Dankeschön. Dass sich an allen Tagen zudem auch noch die Sonne in den polierten Instrumenten spiegelte, gab dem Festival den zusätzlichen Klecks Sahne obendrauf. d.kroeger@ noz.de Osnabrück Die Ehre, sich ins Goldene Buch einzutragen, ist hochkarätigen Gästen der Stadt vorbehalten – sowie Menschen, die sich in besonderer Weise um Osnabrück verdient gemacht haben. In die letztere Kategorie fallen Paul Lehrieder, Michael Weber, Karl-Heinz Ast und Johannes Wollasch.„ Als Dank, Anerkennung und zur Erinnerung an vier sonnige Tag voller Klang, Vielfalt und Leben haben sich vier Organisatoren der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände (BDMV) in das Goldene Buch der Stadt Osnabrück einge-tragen″, berichtete die Stadt am Sonntag in einer Presseerklärung.„ Das Deutsche Musikfest ist das mit Abstand größte Live-Musikereignis″, betonte der CSU-Bundestagsabgeordnete und BDMV-Präsident Paul Lehrieder der Mitteilung zufolge während der Zeremonie. Vor drei Jahren sei der Kooperationsvertrag mit der Stadt Osnabrück unterschrieben worden. „ Heute können wir sagen, dass wir Osnabrück als tolle, gastliche Stadt erlebt haben.″ Oberbürgermeister Wolfgang Griesert dankte den Organisatoren für ihren immensen Einsatz: „ Wir haben in diesen Tagen eine Stadt voller Musik, das ist nur möglich geworden dank der vielen Ehrenamtlichen auf und auch hinter den Bühnen.″ Die BDMV sei mit dem Fest sehr zufrieden, hieß es weiter. „ Die Stimmung ist super! Die Menschen in Osnabrück und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind begeistert″, freute sich Projektleiter Michael Weber. Gemeinsam mit Lehrieder, BDMV-Geschäftsführer Johannes Wollasch und nicht zuletzt dem Ruller Karl-Heinz Ast, der die Idee hatte, das Musikfest nach Osnabrück zu holen, hatte er die vielen großen und kleinen Aufgaben und Probleme rund um das Fest bearbeitet und gelöst. Griesert: „ Wer in diesen Tagen durch die Stadt gegangen ist, hat den Spaß und die Freude an der Musik und der Begegnung spüren können. Beim Auftritt der Bundeswehr-Big-Band habe ich zum Beispiel tausend glückliche Gesichter gesehen, aber auch sonst war die Stimmung überaus locker und heiter.″ Bildtext: Es unterschreibt Karl-Heinz Ast, Vorsitzender des Kreismusikverbandes Osnabrücker Land, als Organisationsleiter und Initiator des Musikfestes. Rechts steht Michael Weber, Projektleiter und erster Vizepräsident der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände (BDMV). Weitere Unterschriften kommen von BDMV-Geschäftsführer Johannes Wollasch (Zweiter von rechts) und BDMV-Präsident Paul Lehrieder. Foto: Stadt Osnabrück/ Jürgensen Osnabrück Er sitzt da im Scheinwerferlicht und streichelt so überaus sinnlich seine Fanny, als wolle er sie im nächsten Moment vernaschen. Was sich wie die Beschreibung einer Szene aus einem Erotikfilm anhört, ist die ironisch-überhöhte Liebeserklärung an ein Musikinstrument. Fanny ist eine Tuba. Der, der das golden glänzende Blasinstrument so leidenschaftlich kost, ist Andreas Hofmeir, Botschafter des Deutschen Musikfests. Weil er einer der virtuosesten Tubisten Deutschlands ist, weil seine Karriere als Musiker in der Stadtkappelle Geisenfeld in der Holledau startete und er große Stücke auf die Verdienste der deutschen Musikverbände hält, hat der Veranstalter des Musikfestes Hofmeir nach Osnabrück eingeladen, wo er mehrere Workshops und Auftritte absolviert. Mit dem Polizeiorchester Bayern gastierte er im Theater, als Solist beteiligte er sich am großen Finale der Veranstaltung, und in der Lagerhalle präsentierte er das Musikkabarettprogramm „ Ohne Aufwand″. Er ist wahrlich ein verrückter Vogel, dieser Andreas Hofmeir. „ Wenn ich etwas nicht mag, dann sind das Kleiderordnungen und Pünktlichkeit″, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Das sei der Grund, warum er nach seinem Studium nicht Orchestermusiker geworden sei, denn in solchen Ensembles sei beides sehr gefragt. Auch weil ihm seine individuellen Freiheiten sehr wichtig sind, ist er 2014 bei den Vorreitern moderner Blasmusik, der Band La Brass Banda, ausgestiegen. „ Das wurde mir zu groß, wir waren ständig unterwegs, und irgendwie entwickelte sich die Musik nicht weiter. Es erinnerte zu sehr an Fließbandarbeit″, erklärt das Gründungsmitglied dieser bahnbrechenden Blasmusikgruppe. „ Die Truppe hat als Modernisierer des Genres Hervorragendes geleistet″, betont er. Doch der Ruf als Professor an das Mozarteum in Salzburg und seine Liebe zum Kabarett haben ihn dazu bewogen, seinen Job bei La Brass Banda aufzugeben. Warum nennt er sein Kabarettprogramm „ Kein Aufwand″? „ Weil jetzt alles viel einfacher von der Hand geht″, meint er. Er braucht seine Termine nur mit seinem Pianisten Tim Allhoff zu koordinieren, dann packt er seine Fanny ins Auto und fährt los. Wenn man bei seiner Ankunft in Osnabrück beobachtet, wie er aus dem Trichter seines Blasinstruments Notizblocks, Noten und CDs herausklaubt, weil es offenbar ein praktisches Behältnis ist, dann glaubt man ihm sofort, dass er besonderes Federlesen nicht liebt. Dafür spürt man, dass ihn ein deftiger Jetlag plagt. Gerade erst ist er aus den USA zurückgekehrt. „ In Iowa hat die Internationale Tuba-und-Eufonium-Konferenz stattgefunden. Eine verrückte Veranstaltung. Da treffen sich 1500 Tubisten aus der ganzen Welt″, sagt Hofmeir, für den die Tuba das Ein und Alles ist. Mantraartig lässt er die Zuschauer in seinem Kabarettprogramm das Credo wiederholen: „ Die Tuba ist das jüngste und höchstentwickelte aller Instrumente. Alle anderen sind im Endeffekt nur rudimentäre, prähistorische Vorläufer auf dem Weg hin zu dieser Vollendung″, doziert er, greift seine Fanny und spielt den Violinenpart aus Vivaldis „ Winter″ aus den „ Vier Jahreszeiten″. Das Publikum bekommt große Augen und noch größere Ohren ob der unglaublichen Rasanz der Töne, die er dem großen Instrument entlockt. Begleitet von seinem Pianisten, lockert er sein witziges, autobiografisches Wortprogramm immer wieder mit abwechslungsreichen Musikstücken auf, die er alle als „ brasilianische Liebeslieder″ bezeichnet. Wahrlich ein verrückter Vogel. Bildtext: In der Lagerhalle stellte der Musikkabarettist Andreas Hofmeir auf äußerst humorvolle Art die Liebe zu seinem Instrument unter Beweis. Foto: Philipp Hülsmann Osnabrück Julio Domingo Escamilla gibt den Einsatz, und dabei zählt der Spanier auf Holländisch vor: een, twee, drie. Er ist einer der Teilnehmer beim internationalen Dirigentenwettbewerb im Rahmen des Deutschen Musikfestes. International darf man dabei ruhig wörtlich verstehen: Cesar Masano Cavalotti hat italienisch-brasilianische Wurzeln, Sophie Mok kommt aus Hongkong. Julio Domingo zählt auf Holländisch, weil er als Dirigent in Maastricht arbeitet, wie er nach seiner Prüfung am Freitag erzählt. Geprüft wurde soeben die Probearbeit des Kandidaten mit einem Amateurorchester, in diesem Fall der offenbar ausgesprochen fitten Bläserphilharmonie Aachen. Der Spanier hat für diese Probe ein eigenes Werk mitgebracht, seine „ Cerulean Ouverture″, die er letztes Jahr komponierte. In der Probe bringt Julio Domingo den Musikern vor allem den Charakter seiner Musik nahe und arbeitet mit einzelnen Instrumentengruppen daran, wie sie den Notentext besonders schwungvoll klingen lassen können. Er selbst ist dabei voller Elan und ziemlich locker. Dabei sei er vorher noch so nervös gewesen, wie er im Gespräch erzählt. „ Aber in dem Moment, wo ich das Podium betrete, fühle ich mich mit den Musikern verbunden, ich vergesse alles andere, und die Musik führt mich.″ So ist er nach der Probe zufrieden: „ Vielleicht sagt die Jury etwas anderes, aber ich habe ein sehr gutes Gefühl.″ Und tatsächlich trügt ihn sein Gespür nicht: Am Samstag in der Finalrunde ist der 29-Jährige, der das erste Mal an einem Dirigentenwettbewerb teilnimmt, noch dabei. Nur zwei weitere Kandidaten haben diesen Sprung geschafft. Nun geht es darum, ein eigens für diesen Wettbewerb komponiertes Stück zu erarbeiten: „ Hope″ von Hubert Hoche. Natürlich gibt es von diesem Werk noch keine Aufnahmen, die Kandidaten können sich also nur anhand der Partitur vorbereiten. Am Samstagabend ist alles vorbei. Er habe gemischte Gefühle, sagt Julio Domingo Escamilla. Einige der Musiker hätten ihm zwar gesagt, er sei der Beste gewesen, doch er selbst macht sich Sorgen, ob er präzise genug gearbeitet hat. War er. Bei der Preisträgergala am Sonntag wird der goldene Taktstock an Julio Domingo Escamilla verliehen. Bildtext: Lässt sich von der Musik leiten: Julio Domingo Escamilla gewinnt den Dirigentenwettbewerb. Foto: Jörn Martens Osnabrück Peng! Peng! Wie Pistolenschüsse schallen scharfe Töne aus den Boxen. Wer es sich gerade in den sphärisch-harmonischen Klängen gemütlich gemacht hat, die Trompeter Till Brönner und Bassist Dieter Ilg zu Beginn ihres Konzerts im Alando Ballhaus generierten, schreckt jetzt auf.„ Peng! Peng!″ lautet der Titel eines experimentellen Musikstücks des Duos von ihrem gemeinsamen Album „ Nightfall″, das sie während ihres Konzerts als Partner-Veranstaltungen des Deutschen Musikfestes darbieten. Brönner und Ilg spielten an einem von drei Abenden, die für das Ballhaus zur Premiere wurden.„ Ich habe gehört, dieses Ballhaus sei so neu, dass der Putz noch feucht ist″, bemerkte Schauspieler Jan Josef Liefers mit einem Augenzwinkern, der am Samstagabend in die Rolle des Sängers der Band Radio Doria schlüpfte. Offenbar fühlte er sich in der Halle mit Industrieflair ganz wohl. „ Osnabrück ist und bleibt bei mir in der Top Ten der deutschen Städte″, lautete sein Kompliment, das sicherlich auch der Location galt. Schon beim Auftritt von Max Mutzke mit seiner Band Monopunk durften sich die Besucher über einen hervorragenden Sound freuen. Egal, in welchem Areal des Saals man sich aufhielt, sogar im Raucherbereich erwies sich der Klang als klar und unverfälscht. Dafür sorgen mehr als 60 Lautsprecherboxen, die, im ganzen Saal verteilt, die Musik zielgerichtet und zeitversetzt übertragen. Aber auch bezüglich der Lichttechnik durften sich die Techniker auslassen. Zahlreiche, zum Teil bewegliche Scheinwerfer wurden fest in einem großzügigen Traversensystem installiert, die eine effektvolle Illumination der Künstler, des Saals sowie zahlreiche Showeffekte möglich machen. Ob die funkige, mitreißende Popmusik von Max Mutzke, ob abwechslungsreicher Jazz im reduzierten Duoformat oder die eher rockende Performance von Jan Josef Liefers, an jedem Abend entstand eine andere Atmosphäre im Ballhaus, die keine Wünsche offenließ. Nur einmal kam es zu Irritationen, die der Premierensituation geschuldet war. Weil Bühnennebel in einen Aufzugschacht gedrungen war, wurde eine Alarmsirene aktiviert. Bildtext: Fühlte sich im Alando Ballhaus offensichtlich wohl: Jan Josef Liefers mit seiner Band Radio Doria. Foto: Swaantje Hehmann Osnabrück Vor dem Dom wird wild getrommelt, denn hier wird der „ Drum Battle″ ausgetragen. Jeweils zwei Percussion-Formationen stehen sich da am Freitag gegenüber und zeigen ihr Können mit jeweils einer kurzen choreografierten Performance. Laut Programm des Deutschen Musikfestes ist das eine deutschlandweite Neuheit, auf jeden Fall aber ist es ziemlich eindrucksvoll und macht eine Menge Spaß. Selbst einige Ordensschwestern stehen am Fenster und lassen sich das Spektakel nicht entgehen. Den Titel als deutscher Meister erringt am Ende die Truppe „ Spirit of 52″ aus Rastede. Ein Spektakel ist auch nur wenig später das groß angekündigte 360°-Konzert auf dem Marktplatz, und der ist rappelvoll mit neugierigen Zuhörern. Das Konzert beginnt erst bei Einbruch der Dunkelheit, bis dahin überbrückt die Ratskapelle die Zeit – ein gutes Beispiel dafür, dass man ruhig auch mal den zahllosen kleineren Bands, Musikzügen und Orchestern beim Musikfest zuhören sollte. Doch schließlich, gegen um 21.45 Uhr, beginnt das 360°-Konzert. Per Zeitreise werden dabei einige Stationen der (Osnabrücker) Geschichte mit verschiedensten Klängen musikalisch dargestellt, von einer Alphorngruppe über einen Blechbläserchoral aus den Rathausfenstern und einen in der Stadtbibliothek platzierten Steigerchor bis hin zu einer Hornbläsergruppe. Außerdem wird das Ganze auch noch optisch aufgepeppt, etwa durch eine Lasershow, eine Gruppe Römer und Germanen oder mittelalterliche Feuergaukler. Eine Stippvisite am Ledenhof. Hier spielt am Samstag das Symphonische Blasorchester Leipzig unter anderem ein Medley mit Hits aus den 80ern. Das Publikum singt mit: „ Skandal im Sperrbezirk″, „ Tausendmal berührt″, „ Sternenhimmel″. Klingt super, die meisten Zuhörer sind eben selbst Musiker. Ein weiterer Höhepunkt ist zweifellos der Auftritt des Landesblasorchesters Baden-Württemberg mit Johan de Meijs Symphonie „ Rückkehr nach Mittelerde.″ Über 30 Jahre nach seiner ersten Symphonie „ Der Herr der Ringe″ – quasi Beethovens fünfte für Blasorchester – liefert de Meij Beethovens neunte nach. In der Osnabrück-Halle erklingt die deutsche Erstaufführung. Außerdem ist der Komponist auch noch selbst da und beantwortet Fragen zu seinem Werk. Das ist dann ganz anders als der Vorgänger. Auf die große Eingängigkeit der Themen hat Johan de Meij diesmal verzichtet, stattdessen lässt er Chor (Der Neue Kammerchor Heidenheim) und Solistin (Katarzyna Jagiello) in der ausgedachten Elbensprache Ilkorin und auf Orkisch singen und präsentiert immer wieder apokalyptische, brachiale Klänge. Bildtext: Ein Spektakel aus Licht und Klang mit szenischem Spiel war das 360°-Konzert beim Deutschen Musikfest auf dem Marktplatz. Foto: Hermann Pentermann Osnabrück Die Sporthalle der Domschule war die zentrale Mensa für die Musikanten, die aus ganz Deutschland zum Musikfest nach Osnabrück gekommen sind. Wir haben uns dort einmal umgeschaut. Auf dem ausgelegten Boden stehen Bierzeltgarnituren, die Bühne ist stets besetzt. Allmählich füllt sich die Halle. Es ist Freitagabend, und um 20 Uhr sollen die Ergebnisse der Wertungsspiele des zweiten Tages mitgeteilt werden. Noch kurz davor wurde hier das Abendessen für 1500 Menschen ausgegeben. Für Dieter Schlüwe vom Organisationsteam ist das nur die Generalprobe: „ Am Samstag erwarten wir 2900 Essensgäste.″ Keine einfach zu lösende Aufgabe, laut Sicherheitskonzept dürfen sich maximal 1000 Personen gleichzeitig in der Halle aufhalten. Schlüwe ist dennoch guter Dinge. „ Es ist immer wieder ein Phänomen, wie relativ gesittet es mit Musikern abgeht.″ Bei Sportlern hat er es schon anders erlebt. Aber klar ist auch: „ So ′ ne Sache ohne Hektik, das geht nicht. Da kann man planen, wie man will.″ Inzwischen ist klar: Auch am Samstag hat alles gut geklappt. Der Freitag ist ein lauer Sommerabend, einige haben ihre Bänke und Tische nach draußen getragen und sitzen auf dem Schulhof. Drinnen ist es warm und schwül, die Bierflaschen beschlagen, viele Programmhefte werden zu Fächern umfunktioniert. Noch ist nicht viel los, aber immer mehr Gruppen treffen an der Festarena ein. Dazwischen einige Musiker in Tracht. Ein Trupp junger Sänger stimmt spontan das Rennsteiglied an. Woher kommen sie? „ Aus Suhl″, antwortet Sebastian Henneberger und präsentiert sein Gruppenshirt: 1. JBV Suhl e. V. Schlüwe nutzt die Gelegenheit und erzählt eine Anekdote aus DDR-Zeiten. Aber die Thüringer sind Nachwendekinder, um die 20 Jahre jung. Nach viereinhalb Stunden Busfahrt sind sie am Vortag in Osnabrück angekommen, haben Konzerte mit traditioneller Blasmusik und Filmmusiken gegeben, dazwischen auf der Musikmesse „ Instrumente gequält″, wie Leon Sass sagt. Und sich ein paar Sehenswürdigkeiten angeguckt. „ Osnabrück ist eine schöne Stadt″, findet Celine Letsch. Außerdem wissen sie jetzt, wo es hier Bayreuther und Augustiner Hell zu kaufen gibt. Vorm Eingang bildet sich eine Schlange, die Serviceleute lassen vorerst keinen mehr rein. Es entspinnen sich Diskussionen, manche werden ungeduldig. Drinnen herrscht erkennbar gute Stimmung, da möchte man dabei sein. Schließlich wird der Einlass freigegeben. Mittlerweile ist fast jeder Platz besetzt, die Luft ist zum Zerschneiden. Die Ersten stehen auf den Bänken und klatschen im Takt mit der Musik. Nach dem Schlussakkord fordert die Menge lautstark die „ Vogelwiese″. Als die Kapelle ihr den Wunsch erfüllt, ist der Jubel ohrenbetäubend. Es dauert nicht lang, bis die erste Polonaise gebildet wird, die Halle dröhnt vom Text wider: „ Auf die Vogelwiese ging der Franz, / weil er gern einen hebt, / und bei Blasmusik und Tanz / hat er so viel erlebt.″ Die Bekanntgabe der Ergebnisse verzögert sich, aber das macht kaum jemandem was aus. Unter donnerndem Applaus verbeugt sich die Kapelle und macht Platz für die nächsten Auftretenden; das Programm kündigt die Trachtenkapelle Todtnauberg an. Der Abend ist noch lang. Bildtext: Wie in einem Festzelt in Oberbayern: Die Stimmung ist den ganzen Abend über gut. Und wir klatschen auf die 1 und auf die 3. Die Bühne ist stets besetzt. Fotos: Philipp Hülsmann Osnabrück Von den Schulhöfen und Turnhallen über den Markt, den Nikolaiort bis zum Ledenhof – die Stadt Osnabrück ist am vergangenen Wochenende voller Musik gewesen. Zahlreiche Orchester haben buchstäblich „ an jeder Ecke″ gespielt. Silke Schulze, bei der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände (BDMV) für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, berichtet unserer Redaktion am Samstag von Musiker-Kollegen aus ganz Deutschland, die mit strahlenden Gesichtern in ihr Organisationsbüro in der Osnabrückhalle kommen. Man spüre an allen Ecken Erneuerung. Durch einen Generationswechsel bei Musikern und Orchesterleitern seien zuletzt viele neue Elemente der Blasmusik ins Blickfeld der Szene gerückt, erzählt Schulze. Neben die klassische Polka oder Marschmusik seien neue Formen getreten wie zum Beispiel die Drum-Battle am Freitagabend. Nach einem K.o.-System waren dabei die Besten ermittelt worden – aber anschließend spielten Sieger und Platzierte gemeinsam abwechselnd weiter, um die Leute in der Osnabrücker City zu unterhalten. Dazu komme jazzige Musik, schräge Straßenmusik und anderen Genres. Es sei alles vertreten. Das ist ein Phänomen, sagt die Öffentlichkeitsarbeiterin. Am Samstagabend verwandelt sich die Innenstadt dann in einen riesigen Konzertsaal. Nur ein paar Beispiele: Die deutschen Meister der Spielleutemusik werden ab 20 Uhr auf dem Markt gekürt, Eintritt frei. Party unter freiem Himmel und bei freiem Eintritt macht die Big Band der Bundeswehr ab 21 Uhr auf dem Domvorplatz. Diese Big Band in Uniform, unter der Leitung von Bandleader Timor Oliver Chadik, zählt zu den ungewöhnlichsten Show- und Unterhaltungsorchestern Deutschlands – und in Osnabrück ist sie „ umsonst und draußen″ zu sehen. Der Andrang ist so groß und das Wetter so schön, dass irgendwann die Bierversorgung zusammenbricht. Die „ Südbaden Winds″ zeigen am Samstag auf dem Nikolaiort musikalische Vielfalt. Rhythmisch und temporeich spielen sie auf und klingen dabei wie eine Balkan-Hochzeitskapelle – oder wie eine südamerikanische Sambatruppe. Für das Verbandsjugendorchester des Alemannischen Musikverbands ist dieser Auftritt das Aufwärmprogramm für das Wertungsspiel am späten Nachmittag. Das Projektorchester Balingen-Erzingen spielt auf der Bühne am Ledenhof einen Querschnitt durch die Genres der Blasmusik. Traditionell mag es die Kapelle St. Andreas vom Musikverein Eching bei München. Wie Cedric Mohler, Leiter des Nachwuchsorchesters dieses Musikvereins, sagt, liegt der Schwerpunkt der Gruppe auf bayerisch-böhmischer Musik. Nachwuchssorgen hätte die Kapelle dennoch nicht. Vor der Katharinenkirche spielt die Gruppe in traditioneller Tracht mit Lederhose, Dirndl und weißer Gänsefeder am Hütchen. Das Straßenbild in der Innenstadt ist am Samstag geprägt von zahlreichen unterschiedlichen Musiker-Outfits: Zu sehen sind Polo-Shirts mit Bandnamen, Schirmmützen nach Schützenart, Dirndl und Lederhosen – aber auch rote Lackschuhe oder schwarze Hemden mit roten Fliegen. Nicht nur draußen, sondern auch in geschlossenen Räumen spielt die Musik. In der angenehm kühlen Marienkirche zum Beispiel konzertiert am Samstagnachmittag ein Ensemble der Landesjugendposaunenchöre aus der lutherischen Nordkirche, Hessen-Waldeck und der Hannoverschen Landeskirche. Unter der Leitung von Tillmann Benfer aus Verden bietet das reine Blechbläserensemble eine „ Venezianische Vesper″. Auf dem Dom-Schulhof können Aktive wie Zuhörer ihre Mittagsbrotzeit einnehmen und dabei den Klängen des Musikzugs Harsum aus dem Landkreis Hildesheim zuhören. Bildtexte: Zünftig: Bläserhaxn. Cool: Captain Hornblower. Prost: der Musikverein St. Andreas Eching. Sakral: venezianische Vesper in St. Marien. Fotos: Jörn Martens
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Autor:
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Raphael Steffen, Dietmar Kröger, ack, Tom Bullmann, Jan Kampmeier, Michael Schwager
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