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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Überschrift:
Überwältigender Vertrauensbeweis für OB Rißmüller
Zwischenüberschrift:
März 1919: Steigende Kriminalität und Wohnungsnot, Bürgerwehren und sozialer Wohnungsbau
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Davon kann Oberbürgermeister Wolfgang Griesert nur träumen: Vor 100 Jahren lagen Tausende Osnabrücker Mädchen und Frauen seinem Amtsvorgänger Julius Rißmüller zu Füßen. In treuer Ergebenheit und Anhänglichkeit″ baten sie den Zurückgetretenen, im Amt zu bleiben.

Osnabrück Hintergrund für Rißmüllers Ankündigung, sich zurückziehen zu wollen, sind die persönlichen Angriffe und Demütigungen, denen er während der Rathausbesetzung im Zuge des Hungeraufstandes im Februar ausgesetzt gewesen ist. Sie haben den gesundheitlich sowieso schon angeschlagenen 55-Jährigen schwer mitgenommen und amtsmüde gemacht, sodass er seinen Rücktritt zum 1. April 1919 erklärt.

Doch das behagt den Osnabrückern überhaupt nicht. Der erfahrene Verwaltungsfachmann hat die Stadt mit ruhiger Hand durch schwierigste Zeiten geführt und wird nicht nur in den bürgerlichen Parteien, sondern auch in der Sozialdemokratie geschätzt.

Die zur Kriegshilfe zusammengeschlossenen Osnabrücker Frauenvereine starten eine beispiellose Unterschriftenaktion, die Rißmüller zum Bleiben auffordert. Junge Damen gehen von Tür zu Tür und erbitten Unterstützung für ihr Anliegen. Damit haben sie fast immer Erfolg. In wenigen Wochen kommen 17 300 Unterschriften zusammen. Am 23. März überreichen die Vorsitzenden der drei größten Frauenvereine dem OB eine kunstvoll ausgestattete Ledermappe, die eine Vertrauensadresse in geschmackvollem Kunstdruck″ und dahinter die besagten Unterschriften enthält. Auch die Osnabrücker Tageszeitungen stoßen ins gleiche Horn. Rißmüller ist beeindruckt, er erklärt den Rücktritt vom Rücktritt.

Doch die Probleme werden dadurch nicht kleiner. Hunger, eine durch den Krieg aufgeweichte Moral und Autoritätsverluste der Hoheitsträger lassen Eigentumsdelikte bis hin zu schweren Raubüberfällen sprießen. Beispiel Hellern: Die zunehmende Unsicherheit auf dem Lande mit beinahe täglichen Diebstählen hat zum Aufstellen der Sicherheitswehr Hellern-Hörne geführt, der mehr als hundert Freiwillige angehören. Jede Nacht zieht ein mit Gewehren und sogar MGs bewaffneter Trupp von 15 Mann durch die Bauerschaften und kontrolliert jeden nächtlichen Wagen- und Personenverkehr. Wer Lebensmittel oder Vieh mit sich führt, wird arretiert und der Polizei übergeben.

Zu einem kleinen Feuergefecht kommt es auf dem Schwarzen Platz (der spätere Standort des Niedersachsenbades): Zwei Personen versuchen in das dortige Körnermagazin einzubrechen, werden aber von den Posten der Sicherheitskompagnie entdeckt. Auf ihrer Flucht feuern die Einbrecher auf die Posten, die das Feuer erwidern. Im Schutz der Dunkelheit entkommen die Täter.

Das Schwurgericht verhandelt gegen den Monteur Janssen wegen Straßenraubes. Auf einer Hamsterfahrt in Hollage ist ihm auf der Straße die Dienstmagd eines Bauern begegnet, die in ihrem Korb 15 Pfund Butter und 20 Eier zur Ablieferungsstelle bringen wollte. Als das Mädchen seine Bitte ablehnte, ihm einige Eier zu überlassen, entriss er ihr den Korb und verschwand damit im Wald. Vor Gericht gibt der Angeklagte die Aneignung des Korbes zu, bestreitet aber eine Gewaltanwendung. Die Geschworenen glauben ihm und sprechen ihn nur eines einfachen Diebstahls schuldig. Hierfür kann er aber nicht bestraft werden, da er als Kriegsteilnehmer unter den Amnestie-Erlass fällt. Das Verfahren wird eingestellt.

Auch aus den Kleinanzeigen im Osnabrücker Tageblatt″ spricht die schlechte Versorgungslage. Zum Beispiel heißt es da: 3 Mtr. schwarzer Wollstoff, Friedensware, 1, 35 Mtr. breit, passend für Konfirmandenanzug, nur gegen Schmalz oder Salatöl einzutauschen. Domhof 8 B.″ – „ Wer gibt für Hemdentuch, Nessel oder Bettzeug ein 3–4 Monate altes Schwein?″ – „ Ein weiß-wollenes Konfirmationskleid geg. Fettigkeiten einzutauschen. Auguststr. 13, II. Stock, rechts″.

Wenn Jugendliche über die Stränge schlagen, erzürnt das Leserbriefschreiber wie in diesem Fall: Sind das die Kinder des hochkultivierten deutschen Vaterlandes, die Tag und Nacht singen und tanzen? Heute früh zwischen 4 und 6 Uhr sang man auf der Großenstraße , O Susanna′ usw.! Ist es denn gar nicht möglich, diesen Leuten begreiflich zu machen, in welchem Elend wir stecken und welchem noch größeren Elend wir entgegengehen?

Teil dieses Elends ist die Wohnungsnot. Sie hat sich vervielfacht, seitdem Hunderttausende von Soldaten ins Zivilleben zurückgekehrt sind. Der Gemeinnützige Osnabrücker Bauverein bemüht sich nach Kräften, bezahlbaren Wohnraum″, wie wir es heute nennen, zur Verfügung zu stellen. Dabei erhält er von der Stadt, von der Landesversicherungsanstalt und vom Reich Unterstützung, um insbesondere Kriegsheimkehrern und anderen weniger bemittelten, aber strebsamen Mitbürgern″ vergünstigte Konditionen bieten zu können. Im Februar 1919 hat der Bauverein bislang 224 Häuser mit 339 Wohnungen errichtet.

Bereits 1916 hat der Bauverein einen Mitbewerber bekommen: Die Siedlungsgesellschaft Kriegerdank″ verfolgt gleiche Ziele. In den Augen der Stadtverwaltung ist diese Konkurrenz jedoch wenig wünschenswert. Oberbürgermeister Rißmüller gelingt es, beide Vereine zu einer Verschmelzung zu bewegen. Der fusionierte Verein soll unverzüglich mit dem Bau von 100 Wohnungen beginnen. An der Hügelstraße erwirbt er zu diesem Zweck 9, 25 Hektar Land. Stadtbaurat Friedrich Lehmann stellt die Planungen vor, die 190 Wohnhäuser mit 234 Wohnungen umfassen. Der erste Teil der Wohnungen soll zum 1. Oktober 1919 bezugsfertig sein. In der Scharnhorststraße wird bereits eifrig gebaut, zum 1. April 1919 ist mit ersten Fertigstellungen zu rechnen.

Den Betroffenen aber geht das alles nicht schnell genug. Ein aus dem Felde heimgekehrter Krieger″ fordert in einem Leserbrief, dass großzügig wohnende Osnabrücker einen Teil ihrer Fläche abgeben: Es ist eine bekannte Tatsache, dass ein Teil der sogenannten besseren Kreise unbenutzte Wohnräume oder nicht notwenige Räumlichkeiten besitzt. Nur wenn diese der Gesamtheit dienstbar gemacht werden, wird Linderung der Wohnungsnot merklich zu spüren sein.″ Der Magistrat setzt indessen auf Freiwilligkeit. Er ruft Villenbesitzer auf, im Interesse des sozialen Friedens vorübergehend Notwohnungen abzutrennen.

Als weitere Sofortmaßnahme sollen Schulräume belegt werden, die von der Heeresverwaltung zur Demobilisierung von Truppen beschlagnahmt worden sind. Insgesamt 53 Notwohnungen will man etwa im Hofhaus an der Bramscher Straße und den daneben liegenden Baracken, in den Nebenräumen der Turnhalle am Schlosswall, in der katholischen Volksschule Eversburg, in der Schule am Schützenwall, im Dachgeschoss der Rosenplatzschule und in der Hilfsschule in der Pfaffenstraße einrichten. Je zwei Schulen werden sich ein Gebäude teilen müssen und abwechselnd nur vormittags oder nur nachmittags unterrichten. Rißmüller weist darauf hin, dass von den bestehenden Übeln die Wohnungsnot das größere sei″. Auch die Schulräte stimmen den neuen Belastungen des Schulwesens zu.

Eine besorgte Leserin fragt an, ob eine Bahnreise ins rechtsrheinische Troisdorf möglich sei. Die Besetzung des Rheinlandes durch alliierte Truppen beziehe sich zwar auf das linksrheinische Gebiet, aber es sei ja auch von besetzten Brückenköpfen″ gegenüber von Köln auf der rechten Rheinseite die Rede. Das Osnabrücker Tageblatt″ antwortet, dass seines Wissens der Bahnverbindung über Köln–Deutz Hindernisse, die mit der feindlichen Besetzung des linksrheinischen Gebietes zusammenhängen″, nicht im Wege stehen.

Die Preußische Staatsbahn hat das Jahr 1918 mit einem gigantischen Verlust von 1, 25 Milliarden Mark abgeschlossen. Als Reaktion darauf sollen alle Gütertarife vorübergehend um 60 Prozent erhöht werden. Im Personenverkehr soll eine Staffelung der Zuschläge eintreten: Die vierte Wagenklasse soll mit 20 Prozent, die dritte mit 25 Prozent, die zweite mit 85 Prozent und die erste Klasse mit 100 Prozent beaufschlagt werden. Der Vorort-, Arbeiter- und Schülerverkehr sollen keine Zuschläge erfahren. Außerdem plant man eine Reduzierung der Wagenklassen auch dies ein Schritt weg vom alten Ständestaat. Es soll nur noch zwei Klassen geben: eine gepolsterte und eine ungepolsterte.

Bildtext:
Die Hügelstraße im Stadtteil Sonnenhügel wird zum größten Neubaugebiet nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Der Gemeinnützige Bauverein beginnt 1919 mit dem Bau von 234 Wohneinheiten.
Foto:
Archiv Museum Industriekultur/ Rudolf Lichtenberg jr.
Autor:
Joachim Dierks


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