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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Wallfahrtsort der Deutsch-Serben
Zwischenüberschrift:
Serbisch-orthodoxe Kirche zählt seit 50 Jahren zu den Wahrzeichen Eversburgs
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Wahrscheinlich ist die serbisch-orthodoxe Kirche an der Wersener Straße der einzige Neubau in Osnabrück, der schon gleich nach seiner Fertigstellung unter Denkmalschutz gestellt wurde. Das zwischen 1964 und 1982 gebaute Gotteshaus hat sich mit Krypta und Gemeindehaus zu einem Wallfahrtsort für Exilserben aus ganz Deutschland entwickelt.

Osnabrück Grund dafür ist nicht nur die heimatliche Gefühle erzeugende schöne Architektur im spätbyzantinischen Stil, sondern mehr noch ihre erstaunliche Vorgeschichte. Sie begann im Zweiten Weltkrieg. Hitlers Balkanfeldzug führte am 17. April 1941 zur Kapitulation der jugoslawischen Streitkräfte. 6298 Offiziere sowie 337 864 Unteroffiziere und Mannschaften kamen in deutsche Kriegsgefangenschaft. Um die 5000 Offiziere, darunter der gesamte Generalstab der Königlichen Armee, wurden im Oflag VI C, dem Offizierslager Eversheide an der Landwehrstraße, untergebracht.

Unter ihnen waren auch 400 Serben jüdischen Glaubens. Während sonst im ganzen Reich die Juden rechtlos waren, deportiert und später ermordet wurden, blieben die Juden im Osnabrücker Gefangenenlager zumindest bis 1944 unangetastet, durften ihren Glauben in einer Gebetsbaracke leben und ihre Toten nach jüdischem Ritus auf der jüdischen Sektion des Johannisfriedhofs bestatten.

Ursache dieser wohl einmaligen Situation ist der deutsche Lagerkommandant, der sich, anders als sonst im NS-Staat üblich, an die Regeln der Genfer Konvention für Kriegsgefangene gebunden fühlte. Den Serben war die Entfaltung kulturellen Lebens gestattet, es gab Theatergruppen, Chöre, Fußballturniere. Erfahrene Handwerker gaben ihre Fertigkeiten weiter, was später vielen Serben beim Aufbau einer Existenz im Nachkriegsdeutschland half.

Nicht im Einklang mit den Genfer Konventionen stand der britische Luftangriff auf das Lager vom 6. Dezember 1944. Ob es sich dabei um ein Versehen oder Streuverluste″ handelt, ist nicht bekannt. Weil es keinen Bunker gab, kamen 116 Serben ums Leben, 121 wurden schwer verletzt. Die Toten wurden auf dem Eversburger Friedhof begraben. Bis heute gibt es dort ein jugoslawisches Ehrenfeld für die Toten des Zweiten Weltkrieges sowie das größte serbisch-orthodoxe Grabfeld in Norddeutschland.

Im Zuge der Befreiung 1945 wurde das Lager aufgelöst. Viele serbische Offiziere blieben aber in Osnabrück. Den Königstreuen unter ihnen war klar, dass sie im kommunistisch regierten Jugoslawien des Marschalls Tito nicht willkommen sein würden. Die Gruppe der in Norddeutschland verbliebenen Serben wuchs durch politische Emigranten. Osnabrück wurde zur Keimzelle einer sich entwickelnden Community von Exil-Serben. 60 Familien aus dem Lingener Raum siedelten nach Osnabrück über. Für sie hatten Stadt und Besatzungsmacht einen Wohnblock an der Netter Heide hergerichtet.

Bei den nunmehr rund 400 Serben kam der Wunsch nach einem Andachtsraum auf, in dem sie ihren serbisch-orthodoxen Glauben ausüben und der gefallenen 116 Märtyrer″, wie sie offiziell bezeichnet werden, gedenken konnten. Der evangelische Eversburger Pastor Friedrich Grußendorf setzte sich sehr für die Serben ein. In einem Keller an der Netter Heide entstand im Januar 1957 eine erste kleine Georgskapelle. Sankt Georg wurde zum Schutzheiligen der Kapelle und der sich gründenden Gemeinde, weil an seinem Namenstag, dem 6. Mai, im Oflag 1941 unter freiem Himmel der erste serbisch-orthodoxe Gottesdienst stattgefunden hatte.

Die Keller-Kapelle war aber nur ein Behelf. Mit der Zeit und der wirtschaftlichen Etablierung wuchsen die Möglichkeiten der Gemeinde. 1960 fiel die Entscheidung, ein serbisch-orthodoxes Glaubenszentrum mit einer richtigen″ Kirche zu bauen. Es sollte das erste in Nordeuropa sein und den serbischen Emigranten ein Stück Heimat bedeuten. 1964 stellte die Stadt der Gemeinde ein Baugrundstück zu einem sehr günstigen Erbbauzins an der Wersener Straße 85 zur Verfügung, nicht weit vom Eversburger Friedhof mit der Kriegsgedächtnisstätte entfernt. Oberbürgermeister Willi Kelch, der selbst ganz in der Nähe wohnte, hatte sich sehr für diese Lösung eingesetzt.

Spenden für den Kirchbau kamen von Exil-Serben aus der ganzen Welt, aber auch von Osnabrücker Bürgern, der Stadt und den christlichen Kirchen der Stadt.

Im Mai 1966 wurde der Grundstein für die Gedächtniskirche St. Georg gelegt. Der Lingener Architekt Karl Schellmann hatte eine kleinere Nachbildung der Klosterkirche von Kalenic in Mittelserbien entworfen. Das Vorbild stammt aus dem 15. Jahrhundert und spielt für die Geistes- und Glaubensgeschichte der Serben eine wichtige Rolle.

Das Richtfest am 11. Dezember 1966 wurde in Anwesenheit des Exilkönigs Petar II. von Jugoslawien gefeiert. Tischlermeister Karl Lotze von der Süntelstraße baute mit Sohn Jürgen die sieben Meter breite und vier Meter hohe Altarwand für die Kirche. Für die Fresken an Decken und Wänden kam der Belgrader Kunstmaler Dusan Mihajlovic für einige Wochen nach Osnabrück. Er hatte auch an Restaurierungen im Kloster Kalenic mitgewirkt.

Von 1975 bis 1977 wurde eine Krypta unter der Kirche angelegt. Das Beinhaus″ bietet 1020 Fächer für die Überreste der in der Region verstorbenen Landsleute, nachdem die Belegungszeiten der Friedhofsgräber abgelaufen sind. Der Baufortschritt richtete sich nach dem Spendeneingang, denn die Gemeinde wollte schuldenfrei bleiben. So kam es immer wieder zu Stillstandszeiten. Endgültig fertig war die Kirche 18 Jahre nach Baubeginn: Zur feierlichen Weihe am 9. Mai 1982 reiste Thronfolger Alexandar aus dem amerikanischen Exil an.

1996 hatte die Gemeinde wieder so viel Kraft geschöpft, dass sie den Bau des schon lange geplanten Gemeindehauses angehen konnte. Aber auch jetzt war der Baufortschritt an den Spendenfluss und die Möglichkeit zu Eigenleistungen gekoppelt. Am 29. Mai 2003 weihten die 400 Gemeindemitglieder aus dem Großraum Osnabrück ihr neues Gemeinde- und Kulturzentrum ein, unterstützt von Glaubensbrüdern aus ganz Deutschland.

Das Haus soll insbesondere ein Ort für die Jugend sein, an dem sie Sprache, Glauben, Bräuche und Tänze der serbischen Heimat lernen und praktizieren, aber auch Kontakte zu allen deutschen Nachbarn pflegen kann. Todor Tosho″ Todorovic, Frontmann der Blues Company″, dient seiner Gemeinde als Chorleiter. Während Gemeindehaus, Kirche, Krypta und Ehrenfriedhof längst zu einem Wallfahrtsort der Exil-Serben geworden sind, ist die endgültige Nutzung der Baracke 35″ als denkmalgeschütztes Überbleibsel des Oflag-Lagers Eversheide noch in der Schwebe.

Bildtexte:
Die serbische-orthodoxe Kirche an der Wersener Straße in Eversburg ist im Herbst 1966 im Rohbau fast fertiggestellt. Der Innenausbau zieht sich noch bis Mai 1982 hin.
Verschiedenfarbige Klinker, Säulen, Türmchen und Schmuckrosetten erinnern an das architektonisch Vorbild, die Klosterkirche Kalenic (1401-1413) in Serbien.
Fotos:
Archiv NOZ, Joachim Dierks
Autor:
Joachim Dierks


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