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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Einblicke ins Flüchtlingshaus
 
Haus des Wartens und des Hoffens
Zwischenüberschrift:
So sieht es im Flüchtlingshaus aus / Eine Kleinstadt innerhalb der Stadt Osnabrück
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück 352 Geflüchtete leben aktuell im Osnabrücker Flüchtlingshaus. 125 Mitarbeiter von Landesaufnahmebehörde, Diakonie und Sicherheitsfirma sind dort tätig. Das Land plant, dort zusätzlich eine zentrale Abschiebestelle einzurichten.

352 Menschen aus 39 Ländern leben derzeit im Osnabrücker Flüchtlingshaus, manche nur wenige Wochen, andere viele Monate. Ein Blick hinter den Zaun, der die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes an der Sedanstraße umgibt.

Osnabrück Die Bewohner dürfen kommen und gehen, wann sie wollen, externe Besucher hingegen müssen sich auf einer Liste eintragen und einen guten Grund vorweisen, warum sie aufs Gelände wollen. Jeder Besuch startet und endet daher an der Pforte, die bei Tag und bei Nacht von Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes besetzt ist.

Es gibt eine Kantine, einen Kindergarten und eine Schule, eine Sanitätsstation, ein Sozialamt und eine Ausländerbehörde. Und noch viel mehr. Es ist eine kleine Stadt für sich, die koordiniert werden muss″, sagt Leiterin Birgit Beylich über den Osnabrücker Standort der Niedersächsischen Landesaufnahmebehörde (LAB). Etwa 125 Männer und Frauen arbeiten auf dem Gelände.

Ende 2014 zogen die ersten Geflüchteten ins ehemalige Bundeswehrkrankenhaus am Natruper Holz ein, im laufenden Betrieb wurde es zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut, 2017 von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) eingeweiht und nach Erich Maria Remarque benannt. Inzwischen ertönen keine Bohrmaschinen mehr, der Umbau ist abgeschlossen, der Alltag eingekehrt.

Das Warten: Ein Alltag, der vom Warten geprägt ist. Die Bewohner warten darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ihre Asylanträge bearbeitet, darauf, dass sie in eine richtige Stadt ziehen dürfen. Darauf, dass die Verwaltungsgerichte über ihre Klagen gegen einen negativen Bescheid entscheiden. Viele leben auch in der ständigen Angst, demnächst abgeschoben zu werden, weil sie keine Perspektive bekommen, in Deutschland zu bleiben oder weil wegen des Dublin-Abkommens ein anderer EU-Staat für ihr Verfahren zuständig ist. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer zu beziffern sei schwierig, sagt Standortleiterin Birgit Beylich. Syrer blieben meist nur wenige Wochen, Personen aus sicheren Herkunftsländern hingegen bis zur Ausreise.

Honnette Fatima aus Burundi ist eine derjenigen, die schon länger im Flüchtlingshaus leben, als das Land es eigentlich beabsichtigt. Bei unserem Besuch im November 2018 war schon mehr als ein Jahr vergangen seit ihrer Ankunft im Juli 2017. Vormittags besucht sie einen der ehrenamtlich organisierten Deutschkurse, ansonsten besteht ihr Leben aus Schlafen und den Gängen zur Kantine. Es ist nicht einfach″, sagt die 23-Jährige. Die Leute kommen, die Leute gehen.″

Die Registrierung: Regelmäßig treffen Busse mit rund 50 Geflüchteten neu in Osnabrück ein. Die meisten kommen direkt aus einem LAB-Ankunftszentrum wie Bramsche-Hesepe oder Fallingbostel und haben dort bereits ihren Asylantrag gestellt. Einzelne haben aber auch erst im Flüchtlingshaus zum ersten Mal Kontakt mit der deutschen Bürokratie. Für alle beginnt der Aufenthalt mit einem Besuch in der Krankenstation, dann geht es zur Registrierung. Fingerabdrücke, Foto, Pässe und Dokumente werden erfasst, dann erhalten die Geflüchteten eine Schlüsselkarte, und Mitarbeiter des Sozialdienstes führen sie auf ihre Zimmer.

Die Zimmer: Stockbetten aus Metall, ein bis zwei Holztische, ein paar Stühle und für jeden Bewohner ein Metallschrank: Mehr bieten die Zimmer nicht. Trotzdem versuchen die Bewohner, es sich heimelig zu machen. Und wenn das nur bedeutet, dass sie mit Edding ihre Namen auf ihre Schränke schreiben. Fernando″, Rina″, Ilrim″ und Sonja″ steht an den Schranktüren in dem einen leeren Zimmer, in das wir einen Blick werfen dürfen. Längst sind sie weitergereist. Nun wartet ihr Zimmer auf eine Familie, für die die LAB-Mitarbeiter ein zusätzliches Bett in den Raum gestellt haben.

Kochgelegenheiten gibt es nicht, die als Teeküchen″ titulierten Räume bestehen aus einem Edelstahlwaschbecken ohne Ausstattung. Gas- oder Wasserkocher sind auf den Zimmern untersagt offiziell zumindest. Tatsächlich werden Besucher oder Sozialarbeiter durchaus mal auf einen Kaffee eingeladen. Irgendwie wissen sich die Bewohner zu helfen.

Die Bewohner: Im Schnitt lebten in den vergangenen Monaten immer rund 400 Geflüchtete im Flüchtlingshaus, mal 50 mehr, mal 50 weniger. Ausgelegt ist das Haus für 600 Bewohner. Aktuell sind es 352, etwa zwei Drittel davon Männer oder Jungen. 39 Nationen sind derzeit vertreten, die Hauptherkunftsländer sind in absteigender Reihenfolge Irak, Albanien, Mazedonien, Serbien, Nigeria, Sudan, Kosovo, Algerien, Syrien und Iran.

Was alle eint, ist die Hoffnung, in Deutschland bleiben zu können. Eine Familie aus dem Iran hat bereits drei Jahre in den Niederlanden gelebt, ihr Sohn kam dort zur Welt. In Deutschland haben sie ein neues Asylverfahren beantragt, erzählt uns die Mutter.

Ein 15-jähriger Junge aus Serbien berichtet, dass er vor drei Wochen vom Ankunftszentrum Bramsche-Hesepe nach Osnabrück kam. Ob er in Deutschland bleiben will? Was für eine Frage. Ja! Er träumt von einem Haus oder einer kleinen Wohnung. Sein Vater sei schwer krank und gerade zur Dialysebehandlung im Marienhospital, erfahren wir von der Sozialarbeiterin, die übersetzt. Mit ihm im Flüchtlingshaus leben noch sein Bruder und seine Mutter. Ihre Chancen, als Flüchtlinge in Deutschland zu bleiben, stehen schlecht: Serbien gilt als sicheres Herkunftsland.

Die Sozialarbeiter: Hauptansprechpartner der Bewohner sind Sozialarbeiter wie Semra Mušiç. Für sie ist das permanente Kommen und Gehen Alltag. Wir bekommen jede Woche Neuaufnahmen.″ Sie macht mit neuen Bewohnern nicht nur einen Rundgang durchs Haus, zeigt ihnen die Schule, den Fitnessraum, die Postausgabestelle, Wäscherei und Sanitätsstation, sondern versucht schon im Erstgespräch herauszufinden, ob psychische Probleme vorliegen. Die Diakonie, bei der sie angestellt ist, arbeitet eng mit dem Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge zusammen, das in der Lotter Straße eine Beratungsstelle hat.

Der Sicherheitsdienst: Omnipräsent sind die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes in ihren gelben Warnwesten. Tagsüber sind 15 von ihnen im Dienst, nachts 12. Da, wo früher die Krankenschwestern auf den Gängen ihr Büro hatten, sitzen nun sie, Nicole Förster zum Beispiel: Empathie ist ganz wichtig″, sagt sie. Wir treffen sie heute im Frauentrakt an, zu dem Männer keinen Zutritt haben.

Der Frauentrakt: Alleinreisende Frauen werden automatisch in dem geschützten Bereich untergebracht. 58 Betten stehen dort zur Verfügung, 22 sind momentan belegt. Manche Frauen sind gefoltert worden, Opfer von Vergewaltigung, vor ihrem Ex-Mann geflohen oder haben im Krieg ihren Mann verloren, zählt Sozialarbeiterin Mušiç auf. Es gibt Frauen, die sofort äußern, dass sie Hilfe brauchen. Zu anderen müssen wir erst Vertrauen aufbauen.″

Die Kantine: Mittags ist viel los auf den Gängen. Etliche Bewohner machen sich dann auf den Weg in die Küche, vor der sich eine lange Schlange bildet. Dreimal täglich werden die Mahlzeiten ausgegeben. Um halb 12 ist es noch ruhig: Schreiben Sie mal, dass die hier mehr Gewürze ans Essen machen sollen″, ruft ein Bewohner und grinst.

Die Reinigungskräfte: Auch sie sind omnipräsent: Reinigungskräfte wie Katja Winkelmann und Tanja Bogic: Immer zu zweit sind die rund 25 Reinigungskräfte unterwegs. Keiner ist näher am privaten Bereich der Bewohner dran, denn jedes Bad wird täglich gereinigt. Wir sind nie fertig″, sagt Winkelmann. Schon seit dem 4. Mai 2015 arbeitet sie im LAB-Standort, hat also die gesamte Umbauphase vom Krankenhaus zur Flüchtlingsunterkunft miterlebt. Es gibt viele, die sich freuen, wenn wir kommen.″ Hausleiter Manfred Eichert vom Diakonischen Werk unterstreicht die Bedeutung von Winkelmann und ihren Kollegen so: Die Reinigungskräfte sind einem hohen Druck ausgesetzt und nehmen die Stimmung im Haus sehr schnell wahr. Das sind für mich wichtige Indikatoren.″

Die Sanitätsstation: Auch eine Sanitätsstation gibt es im Flüchtlingshaus, leise läuft irgendwo ein Radio. Krankenschwester Andrea Klingbeil und ihre Kollegen messen Fieber, geben Schmerztabletten oder Pflaster aus, vereinbaren für die Bewohner Facharzttermine. Sie sind es auch, die für die erste Inaugenscheinnahme bei der Ankunft neuer Bewohner zuständig sind. Einmal wöchentlich ist auch eine Hebamme da.

Die Kinder: Von den derzeit 352 Bewohnern sind aktuell 90 Kinder. 41 der 42 Kleinsten besuchen den Kindergarten, den der Schauspieler Til Schweiger Ende 2016 auf dem Gelände eröffnet hatte. Für die 48 Kinder und Jugendlichen, die sechs Jahre und älter sind, gibt es eine Schule, doch der Besuch ist freiwillig. Eine Schulpflicht herrscht nicht im Flüchtlingshaus. Die Schule heißt auch nicht Schule, sondern interkulturelle Lernwerkstatt″. Nach Auskunft der LAB besuchen 30 Kinder zurzeit den Unterricht. Zwei Lehrer sind vom Kultusministerium dorthin abgeordnet.

Deutschkurse: Auch für die Erwachsenen gibt es Unterricht: Deutschkurse, die von Ehrenamtlichen durchgeführt werden, und Erstorientierungskurse, in denen vom Land bezahlte Lehrer ihnen deutsche Regeln und Werte nahebringen sollen und erläutern, was im Alltag notwendig ist. Ob sie ihre Sprachkenntnisse letzten Endes langfristig in Deutschland anwenden können, steht und fällt mit dem Asylverfahren. Mitte Februar waren 338 Bewohner ausreisepflichtig. Ihnen eröffnet sich diese Perspektive voraussichtlich nicht.

Neue Aufgabe: Das Land Niedersachsen hat neue Pläne für das Remarque-Haus: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) möchte am Standort zusätzlich eine neue zentrale Stelle für Abschiebungen einrichten. Das Vorhaben ist umstritten.

Bildtexte:
Aus dem ehemaligen Bundeswehrkrankenhaus am Natruper Holz ist seit Ende 2014 eine Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Niedersachsen für Flüchtlinge geworden.
Eindrücke aus dem Flüchtlingshaus: Honnette Fatima (oben links) aus Burundi wartet noch auf die Bearbeitung ihres Asylantrags. Das gilt auch für diese Familie aus dem Iran (oben Mitte). Um die Gesundheit der Bewohner kümmern sich Krankenschwester Andrea Klingbeil und ihre Kollegen (oben rechts). Es gibt auch einen geschützten Bereich für allein reisende Frauen (Mitte links)). Die Zimmerausstattung besteht aus dem Nötigsten, hier hat ein Bewohner seinen Namen am Metallschrank hinterlassen (Mitte, 2. v. l.). Mittags treffen sich die Bewohner zum Essen in der Kantine (Mitte 3. v. l.). Bei der Registrierung werden unter anderem die Fingerabdrücke der Asylbewerber gescannt (Mitte rechts). Sozialarbeiter wie Semra Music (unten links) sind Hauptansprechpartner für die Bewohner. Die Reinigungskräfte (unten Mitte) sorgen für die Sauberkeit und haben auch ein Gespür für die Stimmung im Haus. Unübersehbar in ihren gelben Westen sind die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, wie etwa Nicole Förster (unten rechts).
Fotos:
Swaantje Hehmann
Autor:
Sandra Dorn
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