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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
600 Meter bis zum Windrad
Zwischenüberschrift:
Glandorfer bangen um ihre Gesundheit / Infraschall wird in Deutschland kaum erforscht
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Die Straße Im Torf″: Scheinbar im Nirgendwo, doch mittendrin im Konflikt um die Windkraft. Denn wo sonst die Rohrweihe, ein Hase oder mal ein Trecker vorbeikommen, schaufelt jetzt ein Bagger eine Trasse durch sattbraune Erde, am Rand liegen Dutzende Pakete mit Pflastersteinen, rot-weißes Flatterband versperrt den Weg.

Christel Steinhorst setzt sich für mehr Abstand zwischen Windrädern und Häusern ein.Foto: Hlawatsch
Glandorf In der Averfehrdener Wüste entstehen in Sichtweite des Schweger Kirchturms nahe 30 Gehöften vier Windkraftanlagen. Jede weit über 200 Meter hoch. Höchstgeschwindigkeit der Rotorspitzen: 82 Meter pro Sekunde. Bäume sind gefällt, jetzt werden Tatsachen geschaffen.

Sechs- bis achthundert Meter entfernt leben Menschen, der nächste im Abstand von 603 Metern, viele von ihnen sind außer sich über die Arbeiten. So wie Unternehmer Georgios Pandalis am Füchtenweg, der die Bauarbeiten einen Skandal nennt, weil dem Verwaltungsgericht Osnabrück seit Wochen unser Antrag auf aufschiebende Wirkung vorliegt. Wenn die Arbeiten jetzt beginnen, kommt ein Gerichtsentscheid zu spät. Wie sollen sich Bürger gegen die Obrigkeit wehren, wenn sie vor vollendete Tatsachen gestellt werden?″, wundert sich der gebürtige Grieche, der seit über 30 Jahren Pflanzen erforscht und daraus bio-zertifizierte Produkte entwickelt.

Er ist überzeugt: Die Studienlage zu den gesundheitlichen Risiken von Windkraftanlagen ist eindeutig. Windkraft macht krank durch Infraschall. Herzmuskelzellen werden schwächer, und die neuronale Aktivität des Gehirns ändert sich unter seiner Einwirkung.″ Die Folgen? Schlafstörungen, Schwindel, Bluthochdruck, Tinnitus, Depressionen, Herzrhythmusstörungen und Angsterkrankungen seien nachgewiesen, sogar ein Tumorwachstum durch gestörte Zellkommunikation hält der promovierte Biologe für denkbar.

Ein aktueller Bericht im Ärzteblatt″ bestätigt diejenigen, die sich wie Pandalis und der Verein Lebensraum erhalten Glandorf″ mit seiner Vorsitzenden Christel Steinhorst um gesundheitliche Folgen des Infraschalls und seine zögerliche Erforschung Gedanken machen: Infraschall raubt kardialen Myozyten ihre Kraft und schlägt sich im Gehirnscan nieder. [. . .] Was die Erforschung der Gesundheitsrisiken angeht, legen nicht überraschend gerade jene Länder wenig Ehrgeiz an den Tag, die zu den größten Windparkbetreibern weltweit gehören. Nur zwei Studien schaffte man hierzulande in Deutschland, das die dritthöchste Windenergieerzeugungskapazität auf der Welt besitzt″, so das Ärzteblatt.

Noch nie gemessen

Kritisch ist vor allem das regelmäßige Passieren der Rotorblätter am Mast. Dabei wird eine Druckwelle erzeugt. Windkraftbetreiber sehen indes kein Problem im Infraschall: Was man nicht hört, könne nicht schaden.

Aber gerade die Windräder der Firma General Electric stehen im Verdacht, sehr laut zu sein″, sagt Christel Steinhorst. Als Windkraftgegner wollen sie und ihre Vereinskollegen sich nicht bezeichnen lassen, sie plädieren für ausreichend Abstand zu den Anlagen, der bei 1000 Meter beginne, sind aber pessimistisch, was die Einhaltung von Auflagen und Kontrollen angeht.

Eine Schallmessung am Liener Landweg wäre für uns sehr interessant, weil auch dort 200 Meter hohe Anlagen von General Electric stehen, deren Leistung sogar etwas schwächer ist als die der hier geplanten″, sagt Steinhorst. Sie wartet seit zwei Jahren auf Ergebnisse, obwohl diese laut Baugenehmigung innerhalb eines Jahres zu erheben waren.

Der Landkreis Osnabrück erklärt das mit komplexen Messvoraussetzungen: Bei der Vermessung wird angenommen, dass die höchsten Schallemissionen bei etwa 95 Prozent der Nennleistung der Anlagen entstehen. Hierfür ist eine Windgeschwindigkeit von zehn bis zwölf Metern pro Sekunde erforderlich.″ Auch müsse der Wind aus der passenden Richtung kommen. Sommerliche Vegetation würde das Messergebnis verfälschen, genau wie Regen. Diese Rahmenbedingungen haben bedingt, dass eine Messung bisher nicht durchgeführt werden konnte.″ Ein konkreter Termin liege nicht vor.

Unsere letzte Hoffnung ist die Unabhängigkeit der Gerichte. Im Gegensatz zum Landkreis haben sie keinen Interessenkonflikt″, sagt Pandalis. Damit meint er, dass der Landkreis Osnabrück beim Projekt Windpark Schwege der nicht in Schwege, sondern in Averfehrden liegt über die 50-prozentige Beteiligung der Firma Energos Antragsteller sowie als Kreis Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde sei.

Als Modellregion Leuchtturm im kommunalen Klimaschutz″ erhält der Kreis Fördergelder vom Bundesumweltministerium. Der Landkreis betont, dieser Vorwurf sei nicht haltbar″. Die Untere Immissionsschutzbehörde des Kreises habe das Verfahren neutral und ordnungsgemäß behandelt.

Die andere Hälfte des Windparks gehört der Planungs- und Entwicklungsgesellschaft Landvolk-Energie (PEG), einer Landvolkverband-Tochter. Mit ihr haben die Flächeneigentümer Nutzungsverträge abgeschlossen und erhalten eine jährliche Pacht. Betreiber ist die Wöstenwind GmbH. Nach Informationen unserer Redaktion zahlt Wöstenwind pro Windrad und Jahr 60 000 Euro an die Flächenverpächter. Macht 240 000 Euro im Jahr geteilt durch 18 Eigentümer, also 13 333 Euro für jeden.

Beantragt worden sei das Projekt als Bürgerwindpark, so Steinhorst. Ob diese Form noch passt, erscheint fraglich.″ Auch dass in Averfehrden nun der dritte Windpark in die Höhe wächst, wundert viele Glandorfer. Damit sind acht Prozent von Averfehrden Windvorranggebiet″, hat Steinhorst errechnet.

Die Maßgabe, von einem Windpark zum nächsten fünf Kilometer Platz zu lassen, wird nicht eingehalten, obwohl der Niedersächsische Landkreistag diesen Mindestabstand empfiehlt. Es ist eben nur eine Empfehlung. Zwar hat der Kreis zwischen dem geplanten Windpark an der Bever und dem Windpark Schwege einen Abstand von 5, 5 Kilometer errechnet. Ein Routenplaner kommt auf 3, 4.

Die Umweltverträglichkeitsprüfung sieht durch den Betrieb der Windräder visuelle und akustische Beeinträchtigungen verschiedener Schutzgüter (Mensch, Tiere, Landschaftsbild). Dabei ist mit weitreichenden Schall- und Lärmemissionen auch außerhalb des Windparks zu rechnen.″ Später heißt es dann aber: Der Windpark befindet sich in ausreichendem Abstand zu Siedlungen und Einzelhäusern.″ Für das Schutzgut Mensch″ seien keine erheblichen Beeinträchtigungen zu erkennen.

Auch eine brütende Rohrweihe konnte das Projekt nicht aufhalten. Dabei haben wir hier eine Fläche, wie es sie in Glandorf kaum noch gibt: ein Torfgebiet ohne Flurbereinigung, mit Hecken und Büschen und einem Biotop der Naturfreunde im Inneren.″

Anliegervertrag? Nein!

Steinhorst und ihre Mitstreiter sind sicher: Die Windrad-Betreiber werden es schwer haben. Wir werden jeden Vogel melden und sehen, dass alle Auflagen eingehalten werden.″ Sie wollen sich auch nicht durch Anliegerverträge mundtot machen lassen, die Anwohnern Geld sichern, wenn sie sich wohlgefällig verhalten.

Sollte der Windpark in Betrieb gehen, will Pandalis seine Angestellten aus Averfehrden abziehen, den Standort schließen: Als Unternehmer trage ich die Verantwortung für die Gesundheit meiner Mitarbeiter. Ein solcher Schritt würde mein Unternehmen wirtschaftlich hart treffen und die Gemeinde auch, ist aber notwendig. Gesundheit lässt sich nicht mit Geld aufwiegen.″

Bitter sei der Windpark für einen Aussiedlerhof, der erst vor 30 Jahren aus dem Ortskern ausgelagert wurde. Jetzt wird in 610 Meter Entfernung der Windpark gebaut. Wo soll die Familie nun hin? Und 1085 Meter entfernt vom Windpark will die Gemeinde in Schwege eine Siedlung mit 30 Häusern ausweisen mit Blick auf die Windräder″, wundert sich Steinhorst. Sie und Pandalis fühlen sich in ihrer Meinung zu den Windparks von einer neuen Mitteilung des Bundesamtes für Naturschutz bestätigt, das beim Ausbau erneuerbarer Energien Rücksicht auf Tiere und Pflanzen einfordert. Leider nicht auch auf Menschen.″ Pandalis: Der Kreis verkauft unsere Gesundheit, und das nennt sich dann Energiewende. Heute trifft es uns, morgen vielleicht die Nachbarn. Wird die Justiz ausgehebelt, kann es jeden treffen.″

Steinhorst hat es schon getroffen. Auch ihre über 800 Jahre alte Hofstelle nahe der Bever in Sudendorf soll bald die Gesellschaft einiger Windräder bekommen. Ich sehe die Entwicklungsmöglichkeiten für unseren Betrieb gehemmt.″ Schon einen Standort fürs Altenteil zu finden werde schwierig. Eine Akzeptanz gibt es ab 1000 Metern″, so die Erfahrung der 58-Jährigen, die Lebensqualität auch für ihre Kinder und Kindeskinder einfordert.

Der Kreis hat sich in seinem Masterplan 100 Prozent Klimaschutz″ verpflichtet, Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um 95 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Aus dem Verkauf seiner RWE-Aktien sollen zehn Millionen Euro in die Windkraft wandern. Wir haben in Deutschland 30 000 Windkraftanlagen, bis 2050 sollen es 50 000 sein. Aber eine CO2 - Minderung ist weit und breit nicht in Sicht. Es ist doch absurd, dass Natur durch Naturzerstörung gerettet werden soll″, sagt Christel Steinhorst.

Bildtexte:
Die Vorbereitungen für die vier Windräder in der Averfehrdener Wüste laufen. Die Anlieger hoffen jetzt auf einen Baustopp durchs Gericht.
Christel Steinhorst setzt sich für mehr Abstand zwischen Windrädern und Häusern ein.
Foto:
Stefanie Adomeit, Hlawatsch

Durch Wände und Wälder: Infraschall
Infraschall ist Schall niedrigster Frequenz unter 20 Hertz. Es gibt viele Quellen: Erdbeben, Meeresbrandung, Flugzeuge und auch Windenergieanlagen. Durch die große Wellenlänge von Hunderten Kilometern wird Infraschall kaum gedämpft, auch nicht durch Hindernisse wie Felsen, Bäume oder Häuser: Er breitet sich nahezu verlustfrei aus. So waren Schallphänomene eines Parks mit 60 Windturbinen 90 km entfernt nachweisbar. Das Umweltbundesamt (UBA) schließt Gesundheitsschäden durch die kurz- und langfristige Exposition mit Infraschall nicht aus, sagt aber, dass derzeitige wissenschaftliche Erkenntnisse einer Nutzung der Windkraft nicht entgegen″ stünden. Doch gesteht es zu, dass es an Langzeitstudien fehlt, die über chronische Effekte nach langjähriger niederschwelliger Infraschall-Belastung Aufschluss geben könnten″. Die Studienlage ist unbefriedigend.

Quellen: UBA; Bundesamt für Geowissenschaften; Ärzte für Immissionsschutz

Windkraft im Norden und anderswo
In Niedersachsen schießen Windräder wie Pilze aus dem Boden. 2017 entfiel über ein Viertel des bundesweiten Zuwachses auf Niedersachsen, das damit über 10, 6 GW Windenergieleistung verfügte. Die Höhe der Anlagen wächst mit ihrer Leistung. Während vor 25 Jahren Windräder mit 50 Meter Nabenhöhe auf 500 kW kamen, sind es heute bei 137 Metern (200 Meter insgesamt) 3500 kW. Windkraft ist immer noch ein Milliardengeschäft. Bis zu 20 000 Euro Pacht kann ein Landwirt pro Windrad im Jahr erzielen, wenn er seinen Acker zur Verfügung stellt. Strittig sind die Abstände zur Wohnbebauung. Die Länder können, so wie Bayern 2014, eine 10H-Regelung festlegen: Dort muss ein Windrad das Zehnfache seiner Bauhöhe von der nächsten Siedlung entfernt stehen, bei 200 Meter Höhe also zwei Kilometer. In NRW hat die neue Landesregierung den Abstand auf 1500 Meter geregelt.

Quelle: Energiewendebericht 2018 des niedersächsischen Umweltministeriums

Tüv warnt vor Unfallrisiken
Masten knicken um, Rotorblätter fallen ab, Anlagen brennen. Die Feuerwehr kann dann kaum etwas tun, als den Gefahrenbereich abzusperren und die Räder brennen zu lassen. Der Bundesverband Windenergie zählt bei 30 000 Anlagen fünf bis 16 größere Schäden pro Jahr, der Tüv-Verband um die 50: Unfälle [...] sind ein Sicherheitsrisiko für Menschen und Umwelt, zumal Windparks immer näher an Straßen und Siedlungen heranrücken.″ Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Menschen zu Schaden kommen würden. Der Tüv fordert eine einheitliche Sicherheitsprüfung durch eine unabhängige Organisation alle zwei Jahre. Bisher werden Anlagen je nach Alter auf Basis unterschiedlicher Vorgaben geprüft. Gefahren weist der Bundesverband Windenergie zurück. Da Windräder immer weit weg von Wohnbebauung und Infrastruktur stünden, sei die Gefahr, dass dort etwas passiert, vernachlässigungsfähig″. Es werde keinen Personenschaden geben.
Autor:
Stefanie Adomeit


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