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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Patienten werden durchgeschüttelt: Osnabrück baut Berliner Kissen ab
 
Berliner Kissen verschwinden wieder
Zwischenüberschrift:
Patienten werden in Rettungswagen durchgeschüttelt
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück Die Bremsbuckel auf einer wichtigen Zufahrt zum Klinikum Osnabrück verschwinden wieder. Der Grund: Rettungswagen werden beim Überfahren der Kissen so stark durchgeschüttelt, dass Patienten leiden. Der Verwaltungsausschuss beschloss am Dienstagabend auf Vorschlag von CDU/ BOB einstimmig, die Buckel auf der Gluckstraße und Händelstraße unverzüglich″ zu demontieren. Die Kissen sind so angelegt, dass größere Fahrzeuge sie berührungsfrei passieren können. Die Probleme auf dem Westerberg sind entstanden, weil der Hersteller der sogenannten Berliner Kissen ein verändertes Modell geliefert hat.
Foto:
Gert Westdörp

Schluss mit der Buckelei: Die neun Berliner Kissen auf den Zufahrtsstraßen zum Klinikum verschwinden wieder weil Patienten leiden und das Klinikum wirtschaftliche Einbußen befürchtet. Und was wird aus der Verkehrsberuhigung?

Osnabrück Die CDU/ BOB-Gruppe im Rat hat eine Beschwerde von Klinikum-Geschäftsführer Martin Eversmeyer zum Anlass genommen, die Kissen-Schlacht auf dem Westerberg zumindest in Teilen sofort zu beenden. Eversmeyer beklagte in einem Schreiben an Oberbürgermeister Wolfgang Griesert, dass die Berliner Kissen unzumutbare Erschütterungen in Rettungswagen auslösen, die den Patienten Schmerzen bereiten und zu gesundheitlichen Risiken führen.

Wirtschaftlicher Schaden

Der Leiter des Notaufnahmezentrums im Klinikum, Mathias Denter, bestätigt das in einem Gespräch mit unserer Redaktion. Die Besatzungen von Rettungswagen aus Westerkappeln und dem Nordkreis beschwerten sich regelmäßig über die Behinderungen durch die Berliner Kissen. Sie nähmen deshalb Umwege oder suchten gleich ein anderes Krankenhaus auf. Auch Klinikum-Geschäftsführer Eversmeyer weist in seinem Brief an die Stadt darauf hin, dass wegen der Buckel weniger Rettungswagen aus dem Nordkreis das Klinikum ansteuern. Dadurch entstehe dem Klinikum ein wirtschaftlicher Schaden, sagt CDU-Chef Fritz Brickwedde.

Die Kissen sind Teil von Plan B zur Verkehrsberuhigung des Westerbergs, nachdem 2014 die Westumgehung in einer Bürgerbefragung gescheitert war. Anwohner, Verkehrsexperten, Interessenvertreter und Politiker hatten sich nach einem langen Diskussionsprozess darauf geeinigt, insgesamt 34 Bremsbuckel auf den Durchgangsstraßen des Westerberges aufzubringen.

Die Kissen sind so beschaffen, dass Lastwagen und Busse ungehindert darüber hinwegrollen können, Pkw-Fahrer aber zur behutsameren Fahrweise gezwungen werden. 2016 ließ die Stadt die Buckel von vier verschiedenen Lieferanten in der Praxis testen. Dazu befuhr auch die Berufsfeuerwehr die Kissen-Teststrecke mit einem Rettungswagen, einem Notarzteinsatzfahrzeug und einer Drehleiter. Die Fahrzeuge konnten die Kissen annähernd erschütterungsfrei″ passieren, wie es in einem Bericht der Verwaltung heißt. Dem Einsatz der Kissen stand aus Sicht der Feuerwehr nichts entgegen.

Den Zuschlag erhielt die Firma Moravia aus Wiesbaden, deren Kissen sanfter ansteigen, den geringeren Lärm machen und die Fahrzeuge nicht zu stark durchrütteln. Diese Gummikissen wurden im ersten Bauabschnitt auf der Mozartstraße eingebaut.

Modell verändert

Dann veränderte die Lieferfirma das Modell. Das Material der neuen Generation ist härter, die Kante steiler, das Kissen selbst zehn Zentimeter breiter. Rettungsfahrzeuge mit Zwillingsreifen können diese neuen Buckel nicht ohne Berührung überqueren.

Im Oktober 2017 fragten CDU und BOB deshalb bei der Verwaltung nach. In der Antwort der Verwaltung heißt es, die Lieferfirma habe versichert, dass die neuen Modelle im Wesentlichen die gleichen Eigenschaften besitzen wie sein Vorgänger″.

Das stimmt aber nicht, wie die Verwaltung selbst einräumte. Die Geräuschentwicklung und der vom Autofahrer wahrgenommene Stoß seien wesentlich stärker″ als beim Vorgängermodell. Die Verwaltung stehe mit dem Lieferanten in Kontakt, um Abhilfe zu schaffen, hieß es in der Antwort auf die Anfrage von CDU/ BOB. Weil seither nichts Konkretes passiert ist, stellte die Ratsgruppe jetzt den Eilantrag in der Sitzung des Verwaltungsausschusses.

CDU-Fraktionschef Fritz Brickwedde kritisierte, dass die veränderten Kissen ohne Abstimmung mit den politischen Gremien und ohne Information der Anwohner aufgebracht worden seien. Viele Autofahrer bremsten beim Anfahren stark ab und beschleunigten anschließend wieder, was zusätzlichen Lärm verursache. Schwerwiegender aber seien die Gefahren für Patienten. Die Erschütterungen sind ein erhebliches Risiko, das einer schwer verletzten oder kranken Person nicht zumutbar ist″, so Brickwedde.

Die FDP sieht sich in ihrer Kritik bestätigt. Die FDP war von Anfang an die einzige Fraktion, die sich gegen die Berliner Kissen ausgesprochen und alternative Verkehrsberuhigungsmaßnahmen aufgezeigt hat″, teilte FDP-Chef Thomas Thiele mit. Wir hatten vorgeschlagen, stattdessen die Straßenzüge für den Durchfahrtverkehr zu sperren und lediglich Anliegerverkehr, Rettungsfahrzeuge und ÖPNV zu erlauben. Nach einer Probephase hätten die Straßen dann mit automatischen Schranken ausgerüstet werden können.″

Kritik am Abbau der Kissen kommt von UWG/ Piraten. Ein überstürzter Abbau ohne Einbindung des Runden Tisches, dazu noch in einer nicht öffentlichen Sitzung, ist ein Beispiel, wie wenig Wert Teile der Politik auf Bürgerbeteiligung legen″, so Nils Ellmers (Piraten). Weiter heißt es in seiner Mitteilung: Ich fordere, dass Herr Griesert und die CDU sich nicht aufgrund eines Briefes des Klinikums über den vom Runden Tisch erarbeiteten Plan hinwegsetzen.″

Wie geht es weiter?

Stadtbaurat Frank Otte versicherte, die Verwaltung wäre auch ohne Beschluss des Verwaltungsausschusses in naher Zukunft aktiv geworden. Die neun Doppelelemente würden zeitnah″ abgebaut. Es sei zu bedenken, dass die Stadt Regressforderungen gegen den Hersteller stellen könne. Das muss jetzt das Rechtsamt prüfen, wir wollen ja das Geld wiederhaben″, so Otte. Die neun Kissen auf der Gluckstraße/ Händelstraße haben nach Angaben der Stadt 70 000 Euro gekostet. 2017 waren 25 Kissen verlegt worden. Die Kosten: 200 000 Euro.

Otte kündigte an, möglichst bald den Dialog mit dem Runden Tisch Westerberg zu suchen. Wir werden mit den Teilnehmern, aber auch mit dem Klinikum in Ruhe Alternativen diskutieren, denn wir wollen an dem Ziel, den Verkehr zu beruhigen, festhalten″, so Otte. Unsere Absicht ist, eine für Anwohner und Klinikum verträgliche Lösung zu finden.″

Dass die Rettungswagen Probleme haben, liegt nach Ottes Einschätzung auch an Falschparkern in der Gluckstraße. Die Fahrer der Rettungsfahrzeuge müssten um die geparkten Autos einen Bogen machen und könnten deshalb nicht geradeaus und berührungsfrei die Buckel überfahren.

Bildtexte:
Probleme durch Modellwechsel: Das Hertplastik-Kissen der zweiten Generation (links) liegt auf der Gluckstraße und macht besonders Probleme. Rechts das Vorgängermodell aus Gummi auf der Mozartstraße.
Berliner Kissen an der Gluckstraße.
Fotos:
Jörn Martens, Gert Westdörp

Kommentar
Im Wort

Einen Versuch war es wert. Jetzt wissen wir: Die Berliner Kissen der neuen Generation haben sich nicht bewährt. Es ist richtig, sie abzubauen. Doch damit wird ein neues Problem geschaffen, denn ein wichtiger Baustein des Verkehrskonzeptes für den Westerberg bricht damit heraus.

Die Politik hat den Anliegern der heimlichen Westumgehung nach dem Nein zur Entlastungsstraße einen Plan B versprochen, der die Verkehrsbelastungen auf dem Westerberg reduziert. Lange und intensiv wurde darum in einem vorbildlichen Beteiligungsprozess gerungen. Herausgekommen ist ein Kompromiss mit kleinen Eingriffen wie dem Einbau der Berliner Kissen. Wer sich jetzt darüber freut, dass die Buckelei auf einer Teilstrecke bald aufhört, sollte sich bewusst sein: Vier in der Intensität aufsteigende Konzepte lagen dem Runden Tisch damals vor, jedes Konzept vermehrt die Eingriffe und Verdrängungseffekte. Wenn jetzt die Kissen scheitern, kommen dann also Sackgassen, Einbahnstraßen, Sperrungen? Ausgeschlossen ist es nicht, denn die Politik muss liefern. Sie steht im Wort.
Autor:
Wilfried Hinrichs


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