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1.
Erscheinungsdatum:
02.01.2019
aus Zeitung:
Neue Osnabrücker Zeitung/ Neue OZ
Inhalt:
Zeitreise
Überschrift:
Der Hauptbahnhof als Wohnung
Zwischenüberschrift:
Irmgard Themann lebte von 1940 bis 1944 neben dem Bahnsteig
Artikel:
Originaltext:
Weil
ihr
Vater
als
Bahnbeamter
Residenzpflicht
hatte,
wohnte
Irmgard
Themann
von
1934
bis
1936
und
dann
noch
einmal
von
1940
bis
1944
in
einer
Dienstwohnung
im
Hauptbahnhof.
Das
anregend-
geschäftige
Umfeld
prägte
ihre
Kindheit.
Es
gab
allerdings
kein
Happy
End.
Osnabrück
Viele
lärmgeplagte
Nachbarn
von
Bahnstrecken
fordern
heutzutage
Schallschutzwände
und
leisere
Güterwaggons.
Auf
die
Idee
wäre
im
NS-
Staat
wohl
niemand
gekommen.
„
So
empfindlich
war
man
damals
nicht,
man
war
doch
froh,
wenn
man
überhaupt
eine
passable
Wohnung
hatte″,
sagt
die
heute
87-
jährige
Irmgard
Themann.
Sie
hat
als
Kind
mit
der
Familie
im
zweiten
Obergeschoss
des
westlichen
Bahnhofsflügels
auf
der
Seite
zu
den
Bahnsteigen
hin
gewohnt.
Direkt
unter
ihrem
Schlafzimmerfenster
rauschten
tags
und
insbesondere
nachts
die
Güterzüge
durch.
Gleich
daneben
war
das
(heutige)
Gleis
11,
wo
die
Züge
auf
der
Ost-
West-
Strecke
quietschend
zum
Stillstand
kamen,
angesagt
wurden
(„
Zum
Zug
nach
Rheine
und
Bentheim,
bitte
einsteigen!
″)
und
kurze
Zeit
später
geräuschvoll
wieder
anfuhren.
Die
Lautsprecherdurchsagen
liefen
wie
der
Zugverkehr
rund
um
die
Uhr.
Themann
hat
unter
der
Geräuschkulisse
des
Bahnbetriebs
nie
gelitten:
„
Die
haben
wir
so
in
uns
aufgenommen,
dass
sie
uns
gar
nicht
mehr
auffiel
und
schon
gar
nicht
gestört
hat.″
Der
Hund
kam
immer
mit
Irmgard
durfte
sich
auf
dem
Bahnhof
frei
bewegen,
eine
Bahnsteigkarte
brauchte
sie
nicht.
Alle
Beamten
an
den
Sperren
kannten
sie
als
die
Tochter
des
Reichsbahnbetriebswarts
und
ließen
sie
so
durchschlüpfen.
Freundin
Anne
musste
allerdings
für
zehn
Pfennig
eine
Bahnsteigkarte
lösen.
Die
Mädchen
machten
sich
einen
Spaß
daraus,
die
angestrengt
hastenden
Reisenden
zu
beobachten.
Wenn
ein
Truppentransportzug
einen
Halt
einlegte,
halfen
sie
den
Schwestern
von
der
Bahnhofsmission
und
dem
Roten
Kreuz,
die
Landser
mit
heißem
Kaffee
zu
versorgen.
Manchmal
ging
sie
mit
ihrem
jüngeren
Bruder
auf
die
Humboldtbrücke,
die
über
die
Gleisanlagen
des
unteren
Personenbahnhofs
führt.
Sie
wussten,
über
welche
Gleise
die
Züge
ein-
und
ausfuhren,
und
stellten
sich
dann
genau
darüber
in
den
Dampf.
„
Für
einige
Sekunden
konnten
wir
dann
nichts
mehr
sehen.
Wir
trieben
das
manchmal
so
lange,
bis
wir
pitschenass
waren″,
erinnert
sich
Themann.
Auf
dem
Bahnhofsvorplatz
stand
auch
schon
damals
die
Platane,
jener
markante
Baum,
der
heute
durch
das
ovale
Dach
des
Bussteigs
ragt.
Früher
war
er
von
einer
im
Achteck
umlaufenden
Bank
umringt.
Dort
spielte
Irmgard
häufig
mit
ihrer
Freundin
Anne.
Mit
dem
Puppenwagen
schleppten
sie
ihre
Puppenkinder,
die
ganzen
Puppenkleider
und
das
Puppengeschirr
an.
Eine
Hälfte
der
Bank
war
Irmgards
Puppenwohnung,
die
andere
Hälfte
Annes.
Als
eine
Vierlings-
Flak
auf
dem
Eckturm
des
Bahnhofsflügels
installiert
wurde,
musste
die
Familie
ein
Zimmer
an
das
Luftkommando
abgeben.
Es
wurde
als
Zugangszimmer
benötigt.
Von
dort
aus
führte
eine
Holztreppe
aufs
Dach
zu
dem
Geschütz
und
zur
Baracke
der
Bedienmannschaft.
„
Der
Leutnant
war
ein
feiner
Kerl,
der
mochte
uns.
Wenn
kein
Alarm
zu
erwarten
war
und
die
keinen
Stress
hatten,
ließen
sie
uns
auf
dem
Geschütz
Karussell
fahren″,
schildert
Themann.
Die
Flaksoldaten
hatten
einen
Foxterrier
als
Maskottchen.
Der
durfte
mit
aufs
Dach,
hatte
aber
auch
einen
Narren
an
Irmgards
Familie
gefressen,
besonders
am
Vater.
Sobald
er
den
Vater
sah,
folgte
er
ihm
auf
Schritt
und
Tritt,
hüpfte
sogar
mit
in
die
Straßenbahn.
Zu
Weihnachten
gab
es
Roggenplätzchen
beim
Bäcker
Meyer
am
Pottgraben
–
eine
begehrte
Rarität.
Alles
strömte
dorthin.
Auch
der
Vater
reihte
sich
in
die
lange
Warteschlange
ein.
Der
Hund
natürlich
dabei.
Als
der
Vater
an
die
Reihe
kam,
lief
der
Hund
auf
einmal
hinter
den
Tresen
und
sprang
von
einem
geöffneten
Plätzchenkarton
in
den
nächsten.
Die
Verkäuferin
stieß
einen
Schrei
aus
und
rief:
„
Wem
gehört
der
Hund?
″
Daraufhin
eisiges
Schweigen.
„
Mein
Vater
hat
sich
nicht
gemeldet,
denn
es
war
ja
nicht
sein
Hund″,
erzählt
Irmgard
Themann.
Der
Flakhund
wurde
vor
die
Tür
gejagt
und
bekam
Hausverbot.
Später
stellte
sich
heraus,
dass
die
Befestigungsanker
der
Flakbaracke
im
Dach
nicht
wasserdicht
ausgeführt
waren.
Nach
jedem
Regenschauer
lief
in
der
Wohnung
das
Wasser
an
den
Wänden
herunter.
Der
Vater
schrieb
Eingabe
über
Eingabe,
dass
die
Flak
da
wegmüsse.
1944
hatte
er
damit
Erfolg.
Unbewusst
wurde
er
damit
zum
Lebensretter
der
Flaksoldaten,
denn
wenige
Monate
später
erlitt
die
Plattform
einen
Bomben-
Volltreffer.
Irmgard
und
ihre
Familie
waren
nicht
die
einzigen
Bahnhofsbewohner.
Im
anderen,
dem
südlichen
Seitenflügel
wohnte
über
der
Turmstube
und
der
Gaststätte
der
Bahnhofswirt
Schorn.
Unter
Irmgards
Familie,
im
ersten
Obergeschoss
des
Westflügels,
befand
sich
das
Domizil
des
Amtmanns
H.
Ihn
hat
Irmgard
Themann
als
strammen
Parteigänger
in
Erinnerung.
Er
war
zeitweilig
zur
Bahnverwaltung
nach
Warschau
im
besetzten
Polen
abkommandiert.
Wie
Frau
H.
erzählte,
bekam
er
dort
eine
luxuriös
eingerichtete
Wohnung
mit
dicken
Teppichen
und
kostbaren
Vorhängen
in
jedem
Zimmer
zugeteilt.
Auf
die
Frage,
wer
denn
wohl
vorher
darin
gewohnt
habe,
soll
Herr
H.
geantwortet
haben:
„
Werden
wohl
Juden
gewesen
sein,
und
da
haben
sie
längst
Schmierseife
draus
gemacht.″
Für
die
Mutter
und
Irmgard,
die
das
Gespräch
belauscht
hatte,
war
dies
ein
schockierendes
Schlüsselerlebnis.
Die
Mutter
wurde
in
ihrer
Anti-
Nazi-
Haltung
bestärkt.
Sie
hörte
den
„
Feindsender″
BBC
und
ließ
sich
bisweilen
zu
leichtsinnig
offenen
Bemerkungen
hinreißen.
Wenn
sie
etwa
auf
Ämtern
gezwungen
war,
den
„
Deutschen
Gruß″
zu
entbieten,
hob
sie
den
Arm
und
murmelte
dazu
nicht
etwa
„
Heil
Hitler″,
sondern
„
So
hoch
liegt
der
Schutt.″
Irmgard
hatte
gelernt,
dass
das
die
Mutter
leicht
Kopf
und
Kragen
kosten
konnte,
und
hatte
so
manches
Mal
große
Angst
um
sie.
Irmgard
verstand
jetzt
auch,
warum
ihre
jüdische
Freundin
Helga
Seligmann
nicht
mehr
auf
Besuch
kommen
durfte,
nicht
mehr
Straßenbahn
fahren
durfte.
Ab
September
1941
musste
sie
den
Judenstern
tragen.
Da
wurde
es
noch
schlimmer.
Die
Freundinnen
trafen
sich
nur
noch
in
Grünanlagen
hinter
Bäumen
und
Büschen.
Wenn
doch
einmal
ein
Passant
zu
nahe
kam,
legten
Irmgard
und
die
andere
Freundin
Anne
den
Arm
um
Helgas
Schultern,
um
den
gelben
Stern
zu
verdecken.
Helga
kam,
nachdem
die
Eltern
deportiert
worden
waren,
ins
Kinderheim
am
Schölerberg.
Dort
starb
sie
beim
verheerenden
Bombenangriff
vom
21.
November
1944,
der
insgesamt
51
Heimkinder
in
den
Tod
riss.
Helgas
Mutter
wurde
im
KZ
Ravensbrück
ermordet,
der
Vater
überlebte
das
KZ
Theresienstadt.
Die
häufigen
Luftalarme
bestimmten
zunehmend
das
Leben
der
Bahnhofsbewohner.
Der
Bahnhofsbunker
lag
ja
nicht
weit
entfernt.
Aber
der
offizielle
Weg
führte
über
den
oberen
Bahnsteig
und
war
recht
weit.
Die
Bahnbediensteten
hatten
einen
Schlüssel
für
die
Pforte,
durch
die
man
eine
Abkürzung
über
die
Gleise
des
unteren
Bahnhofs
nehmen
konnte.
Bei
jedem
Alarm
schnappte
sich
der
Erste
den
Schlüssel,
und
dann
ging
es
im
Galopp
auf
kurzem
Weg
in
den
Bunker.
„
Gummiflak″
in
der
Luft
Fast
alle
Angriffe
auf
Osnabrück
hatten
auch
den
Hauptbahnhof
zum
Ziel,
weil
sich
hier
im
Kreuzungspunkt
der
beiden
Hauptstrecken
mit
einem
gezielten
Treffer
gleich
beide
Strecken
lahmlegen
ließen.
Schon
bei
Voralarm
mussten
alle
Züge
den
Bahnhof
verlassen
und
weiter
draußen
auf
freier
Strecke
halten.
Doch
bald
waren
sie
auch
dort
nicht
mehr
sicher.
Tiefflieger
beschossen
sie
mit
Bordwaffen.
Ein
Sperrballon
stand,
von
Seilen
gehalten,
über
der
Humboldtbrücke
am
Himmel.
Das
voluminöse
Teil
sollte
die
Zielerfassung
der
Bomber
behindern.
Diese
allgemein
als
„
Gummiflak″
bezeichneten
Ballone
waren
aber
wohl
nicht
besonders
wirksam.
Zur
Trümmerberäumung
nach
Bombenangriffen
zog
man
regelmäßig
russische
Zwangsarbeiter
heran.
Sie
wurden
„
wie
eine
Herde
Vieh″
aus
dem
Barackenlager
Klushügel
über
die
Humboldtbrücke
getrieben
und
mussten
zur
Kolonneneinteilung
auf
dem
Bahnhofsvorplatz
antreten.
Irmgard
saß
im
Wohnzimmer
und
konnte
durch
das
Opernglas
der
Mutter
alles
genau
beobachten.
Einmal
sah
sie,
wie
ein
Gefangener
sich
im
Vorbeigehen
aus
dem
Müllbehälter
eines
Hotels
einige
Kartoffelschalen
angelte.
Der
Wachmann
sah
es
und
schlug
ihn
mit
dem
Gewehrkolben
nieder.
Die
Mitgefangenen
mussten
ihm
wieder
auf
die
Beine
helfen.
Spätestens
da
wurde
Irmgard
klar,
dass
die
zerlumpten
Gestalten
hungerten.
So
oft
es
ging,
erbettelte
sie
bei
der
Mutter
Brotreste.
Wenn
die
Männer
abends
nach
dem
Arbeitseinsatz
sich
wieder
vor
dem
Bahnhof
sammelten,
kroch
sie
mit
ihrem
Bruder
auf
allen
vieren
zwischen
deren
Beinen
herum
und
verteilte
das
Brot
an
die,
die
am
abgemagertsten
aussahen.
Der
Bruder
bekam
im
Gegenzug
einige
aus
Holz
geschnitzte
Flugzeuge
geschenkt,
die
die
Männer
unter
ihren
Jacken
versteckt
mitgeführt
hatten.
Das
schaurige
Finale
des
Wohnens
im
Bahnhof
kam
für
Familie
Themann
am
13.
September
1944
beim
bis
dahin
schwersten
Bombenangriff
auf
die
Stadt.
Als
es
Entwarnung
gab
und
sie
aus
dem
Bunker
traten,
sahen
sie
Flammen
aus
ihrer
Wohnung
schlagen.
Der
Westflügel
des
Bahnhofs
war
schwer
getroffen.
Sie
hasteten
über
den
Bahnsteig,
vorbei
an
zahlreichen
Toten.
Es
waren,
der
Kleidung
nach
zu
urteilen,
wohl
überwiegend
Fremdarbeiter,
denen
man
den
Zutritt
zu
den
Bunkern
verwehrt
hatte.
Überlebende
bedeckten
die
Gesichter
der
Toten,
so
gut
es
ging,
mit
Zeitungen.
Ein
brennender
Zug
stand
im
Gleis.
Überall
Trümmer.
Alles
rannte
durcheinander:
Reisende,
Sanitäter,
DRK-
Schwestern
und
Bahnpolizei.
Dazwischen
quiekende
Schweine
aus
einem
getroffenen
Viehtransport.
Irmgards
ältere
Schwester
versuchte,
in
die
brennende
Wohnung
zu
kommen
und
Sachen
herauszuholen.
Dreimal
gelang
ihr
das,
sie
konnte
ein
Oberbett,
Vaters
Anzug,
der
zufällig
gerade
an
der
Flurgarderobe
hing,
und
den
Volksempfänger
bergen.
Das
alles
lud
sie
auf
der
Achteck-
Bank
bei
der
Platane
ab
und
befahl
Irmgard,
darauf
aufzupassen,
während
sie
ein
viertes
Mal
in
die
Wohnung
wollte,
obwohl
der
Holzfußboden
schon
überall
brannte.
Die
Bahnpolizei
verwehrte
ihr
das
jedoch.
Denn
im
Lichtschacht
lag
unten
ein
Blindgänger,
der
jeden
Moment
hochgehen
konnte.
Alle
Habseligkeiten,
die
der
Familie
geblieben
waren,
lagerten
nun
auf
der
Bank
unter
der
Platane,
in
Irmgards
„
Wohnung″,
die
sie
so
oft
für
ihre
Puppen
hergerichtet
hatte.
Die
Familie
übernachtete
die
nächsten
acht
Nächte
im
Bunker
und
kam
dann
bei
Verwandten
unter.
Die
ganze
Stadt
war
eine
einzige
Trümmerlandschaft.
Irmgard
Themanns
Fazit:
„
Der
Größenwahnsinnige
hatte
geprahlt:
Gebt
mir
vier
Jahre
Zeit,
und
ihr
werdet
Deutschland
nicht
wiedererkennen.
Wie
Recht
er
doch
hatte!
″
Bildtext:
Der
Hauptbahnhof
um
1936:
Links,
vor
dem
Wasserturm,
der
Kopfbau
des
Bahnhofs-
Westflügels
mit
dem
Flachdach,
auf
dem
später
eine
Flak-
Batterie
errichtet
wurde.
Ansichtskarte
aus
der
Sammlung
Lothar
Hülsmann.
Als
Kind
hat
Irmgard
Themann
schöne
und
schwere
Tage
im
Bahnhof
erlebt.
Foto:
Joachim
Dierks.
Autor:
Joachim Dierks