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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Friedliche Revolution in Osnabrück
Zwischenüberschrift:
November 1918: Der Arbeiter- und Soldatenrat übernimmt, ohne dass ein Schuss fällt
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Am 8. November 1918 erreicht die Revolution auch Osnabrück. Reisende Matrosen aus Kiel und Wilhelmshaven verbreiten die Kunde vom Aufstand und fordern Beteiligung ein. Ohne dass ein Schuss fällt, schließen sich in der Garnison verbliebene Wachsoldaten den Aufständischen an.

Osnabrück Man zieht gemeinsam zu den Kasernen und besetzt sie, was ohne nennenswerten Widerstand gelingt. Man befreit Militärgefangene, wählt auf dem Schlossinnenhof einen Soldatenrat, besetzt das Rathaus und stellt OB Julius Rißmüller unter Aufsicht.

Sozialdemokraten springen ein, um das entstehende Machtvakuum in der Stadtspitze auszufüllen. Die Osnabrücker Parteileitung nimmt mit dem Soldatenrat Kontakt auf, man erweitert ihn zu einem Arbeiter- und Soldatenrat. Der lässt keine Köpfe rollen, sondern stützt sich auf die bisherige Verwaltung und Polizeigewalt. Parole: Ruhe und Ordnung bewahren, wobei man mit Wohlwollen das Agieren der Genossen in Berlin beobachtet. Diese erzwingen die sofortige Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen, die Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik.

In Osnabrücks auflagenstärkster Zeitung, dem Osnabrücker Tageblatt″, scheint eine merkwürdige Lähmung vorzuherrschen. Zwar werden auf den Politikseiten die Agenturmeldungen über die Matrosenaufstände in der ersten Novemberwoche ausführlich abgedruckt, aber unter Lokales und Provinzielles″ findet sich kein Hinweis auf die Stimmungslage in der Bevölkerung oder in den Kasernen. Während in Kiel die Matrosen mit roten Fahnen durch die Straßen ziehen, beherrschen Nebensächlichkeiten die Osnabrücker Lokalnachrichten: Die Handwerkskammer befasst sich mit einem Merkblatt für Friseure über die rechtzeitige Erkennung von Bartflechte. Die Osnabrücker werden darauf hingewiesen, dass sich jeder Haushalt seinen Bedarf an Sauerkraut selbst aus Weißkohl einhobeln″ muss, dass es also diesen Winter keine allgemeinen Zuteilungen durch die Stadt mehr gibt. Den Magistrat beschäftigen die Bewilligung von Weihnachtsliebesgaben für unsere Truppen″ und die Beschaffung einer Kreissäge für die Armen-Arbeitsanstalt, um die Brennholzgewinnung zu erleichtern.

Mahnung zur Ruhe

Das ändert sich mit der Abendausgabe des 8. November, in der erstmals die Existenz eines Osnabrücker Arbeiter- und Soldatenrates erwähnt wird. Die Redaktion beruhigt die Leser: „… hat sich hier nichts zugetragen, was zu Beunruhigung Anlass bieten könnte.″ Zwar herrsche eine gewisse Nervosität, sodaß in den Abendstunden eine größere Menschenansammlung vor dem Bahnhofe entstand und trotz des neblig-regnerischen Wetters längere Zeit aushielt, bis sie sich wieder allmählich verlief, weil nichts passierte, was besonders auffällig gewesen wäre.″ Ein Umsturz ist im Gange, und die Zeitung ist bemüht, ihn herunterzuspielen, um ja kein Öl ins Feuer zu gießen: Daß militärische Maßnahmen getroffen sind, ist richtig; es darf aber festgestellt werden, daß die Haltung dem Publikum gegenüber sich in durchaus ruhigen Bahnen bewegte und irgendwelche Provozierungen auf keiner Seite vorkamen.″ Sodann gibt die Zeitung den Wunsch des Oberbürgermeisters wieder, der dahin geht, die Einwohnerschaft möge besonders in diesen Tagen bemüht sein, Ruhe und Nerven zu bewahren, auch von Ansammlungen abzusehen″.

Zum Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates wird der Sozialdemokrat Otto Vesper gewählt. Er ist bereits seit 1915 gewählter Bürgervorsteher. Er und Rißmüller kennen und respektieren sich seit vielen Jahren aus gemeinsamer Arbeit im Rathaus. Vesper residiert vorläufig im Hotel Bavaria am Neumarkt (heute das grüne Kachelhaus), vor dem die rote Arbeiterfahne weht. Am 9. November spricht er auf einer Kundgebung auf dem Ledenhof vor Tausenden Zuhörern. Kern der Ansprache, die das Tageblatt″ in voller Länge abdruckt: Das Volk selbst muss die Macht in die Hand nehmen, dabei aber Ruhe und Ordnung bewahren und russische Methoden″ vermeiden. Kampf und Blutvergießen seien in Osnabrück nicht notwendig geworden, weil die bislang herrschende Klasse so vernünftig und einsichtig sei, dass sie der Entwicklung der Dinge keinen Widerstand entgegensetze. Ziel sei gleiches, freies Wahlrecht für alle, also auch für die Frauen. Am Montag sollen alle wieder normal zur Arbeit gehen.

Soldat neben dem OB

Die Sitzung der städtischen Kollegien am 8. November beschreibt die Zeitung als eine der merkwürdigsten, die je im Friedenssaale stattgefunden haben″. Denn zusammen mit dem Oberbürgermeister betritt ein Gefreiter den Raum, ein mit roter Schleife versehenes und mit Gewehr bewaffnetes Mitglied des Soldatenrates, und nimmt direkt neben Rißmüller am Magistratstisch Platz. Er sagt während der ganzen Sitzung kein Wort. Rißmüller erklärt den versammelten Kollegien: Auch vor meinem Dienstzimmer ist ein Posten aufgestellt. Ich habe an den hier anwesenden Gefreiten vorhin die Frage gerichtet, wer an der Spitze dieser Bewegung stehe. Er hat mir gesagt, das könne er noch nicht sagen. Ich habe ihn darauf gebeten, mir einen Bevollmächtigten zu schicken, damit ich Verhandlungen mit ihm führen könne. Das ist in Aussicht gestellt; aber bis jetzt ist der Bevollmächtigte noch nicht eingetroffen.″

Sichtbares Zeichen der neuen Verhältnisse ist die Wahl Vespers zum Senator. Er ist der erste Sozialdemokrat überhaupt, der in das Magistratskollegium einrückt. Mit seinem Verhandlungsgeschick trägt er ganz wesentlich zum friedlichen Verlauf der Novemberrevolution″ in Osnabrück bei. Unmissverständlich stellt er klar, dass die öffentliche Sicherheit weiterhin von der städtischen Polizei garantiert wird, dass weiterhin keine Lebensmittel ohne Bezugsmarken abgegeben werden dürfen, dass niemand das Privatvermögen der Menschen antasten wird und mithin das ängstliche Abheben von Bankguthaben völlig sinnlos sei.

Das Tageblatt″ räumt der Kritik an zu schwacher Straßenbeleuchtung breiten Raum ein. Die Zusammenstöße von Personen auf den stockdunklen Straßen, das Anrennen gegen Bäume und Straßenecken, das Stolpern gegen die Kantensteine der Fußsteige sind Erscheinungen, die sich allabendlich wiederholen.″ Das werfe die Haftungsfrage auf, wenn es zu Verletzungen und Sachschäden komme.

Die Einschränkung der Straßenbeleuchtung geht auf eine Anordnung der Militärbehörden zurück, die einerseits dem Energiesparen, andererseits dem Schutz vor Fliegerangriffen dienen sollte. Darin heiße es aber auch: Die Forderung der Verdunkelung findet ihre Grenzen in der Verkehrs- und Betriebssicherheit der betreffenden Örtlichkeit, damit nicht durch die Verdunkelung größere Gefahren entstehen, als durch einen etwaigen Luftangriff.″

So brenne zum Beispiel auf der ganzen Hamburger Straße nur eine einzige Laterne, was unbedingt sofortige Abhilfe erfordere, da die frühere Beleuchtung des oberen Bahnsteigs, wodurch etwas Licht einfiel, abgeschafft sei. Mehr Rücksicht dürfe man aber auch von den Radfahrern verlangen: Jedenfalls sollte es unterbleiben, daß während der dunklen Abendstunden Radfahrer ohne Laterne und ohne Glocke die Straßen passieren.″

Bildtext:
Im Osnabrücker Arbeiter- und Soldatenrat sind Zivilisten und Uniformträger vereinigt. Vorsitzender ist der Sozialdemokrat Otto Vesper (Dritter von links in der hinteren Reihe), zugleich Chefredakteur der Osnabrücker Abendpost″, Bürgervorsteher, Senator und später auch Abgeordneter der Weimarer Nationalversammlung.
Foto:
Privatarchiv Ingeborg Hensing
Autor:
Joachim Dierks


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