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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Am Vorabend des Kriegsendes
Zwischenüberschrift:
Oktober 1918: Spanische Grippe, Teppiche aus Papier und Kriegsanleihen-Werbung
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück Die deutschen Truppen sind ausgelaugt und haben den Vorstößen der Alliierten nichts mehr entgegenzusetzen. Das für Deutschland ungünstige Ende des Ersten Weltkriegs zeichnet sich ab. Der Kaiser beruft Prinz Max von Baden zum Reichskanzler. Der bildet eine parlamentarische Regierung unter Einbeziehung fast aller Parteien.

Damit soll der US-Präsident Woodrow Wilson milde gestimmt werden in Bezug auf Waffenstillstandsbedingungen, die in diplomatischen Noten zwischen Berlin und Washington ausgetauscht werden. Wilson bleibt aber hart und besteht vorab auf vollständiger Einstellung des U-Boot-Krieges und dem deutschen Rückzug aus Belgien und dem noch besetzten Streifen Nordfrankreichs. Der de facto führende Kopf der Heeresleitung, General Erich Ludendorff, wird am 26. Oktober zum Rücktritt bewegt. Am 29. Oktober weigern sich Matrosen in Wilhelmshaven, mit Schiffen der Hochseeflotte zu neuen Kampfhandlungen auszulaufen.

Durchhalteparolen: An der Heimatfront″ in Osnabrück herrscht Anfang Oktober in dieser Schicksalsstunde Deutschlands″ noch Hoffnung auf einen ehrenvollen und unseren Interessen gerecht werdenden Frieden″, wie der Kommentar im Osnabrücker Tageblatt″ ihn fordert. Das Reich hat seine neuen Männer, denen man bitte Vertrauen schenken soll.″ Der amerikanische Präsident habe die tief greifenden Wandlungen im deutschen Verfassungswesen″ sicherlich positiv vermerkt.

Kriegsanleihe: Noch wird kräftig Werbung für eine neue Kriegsanleihe gemacht, die neunte. Es soll die letzte sein. Um anderslautenden Gerüchten entgegenzutreten, lässt das Reichsbankpräsidium verkünden: Wer Kriegsanleihe zeichnet, verlängert nicht den Krieg! Nur ein schlechtes Ergebnis der Kriegsanleihe würde den Krieg verlängern. Denn unsere Feinde würden dann unseren wirtschaftlichen Zusammenbruch erhoffen und frischen Mut zum Weiterkämpfen schöpfen.″ Die Osnabrücker Banken springen auf den Werbefeldzug auf und leiten die Zeichnungsaufträge kostenfrei weiter. Fünf Prozent Zinsen werden versprochen bei einem attraktiven Ausgabekurs von 98 Prozent.

Niemand klärt die Deutschen über die Risiken einer derartigen Geldanlage auf, und am Ende sind die, die auf sie vertraut haben, gelackmeiert: Da die Anleihen bis 1924 unkündbar sind, frisst die Hyperinflation von 1923 alles auf. Der Staat zahlt das aufgenommene Geld ohne Schwierigkeiten zum Nennwert zurück aber das Geld ist nichts mehr wert.

Spanische Grippe: Die weltweit grassierende Spanische Grippe hält auch Osnabrück fest im Griff. Der Oktober markiert mit 247 Toten den Höhepunkt der Welle. Darüber hinaus wird ein großer Teil der durch Unterernährung geschwächten Bevölkerung von der Krankheit ergriffen und ist über Wochen ans Krankenbett gefesselt. Wegen der Ansteckungsgefahr müssen alle Lichtspielhäuser bis auf Weiteres geschlossen bleiben. Die Herbstferien aller Schulen im Stadtgebiet sind um zwei Wochen bis zum 5. November verlängert worden. Wegen massenhafter Erkrankung der Postbeamten sind die beiden Zweigstellen am Heger Tor und am Johannistor vorübergehend geschlossen. Die Hälfte aller Telegrammboten ist krank. Das Telegrafenamt sieht sich genötigt, Telegramme, Eilbriefe und Eilpaketkarten mit den ganz normalen Briefzustellungen zu befördern. Die Pakete müssen von den Empfängern auf der Hauptpost abgeholt werden. In Lüneburg ist gar der gesamte Fernsprechverkehr wegen Massenerkrankung der Beamtinnen in der Vermittlung eingestellt worden.

Vegetarisch wider Willen: Ein Revisor der Provinzialfleischstelle sollte die Einhaltung der fleischlosen Woche″ in den Gaststätten überprüfen. In einem Lokal ertappt er den Besitzer ihm wird ein Fleischgericht serviert. Anschließend erstattet er gegen Wirt und Kellner Strafanzeige. Beide werden verurteilt. Da der Revisor das ihm vorgesetzte Fleisch in aller Seelenruhe verzehrt hat, wird auch er unter Anklage gestellt und zu 50 Mark Geldstrafe verurteilt.

Teppiche aus Papier: Das Einrichtungshaus Schauenburg & Lambrecht inseriert Ersatzstoffe in höchster Vollendung und großer Auswahl″. Es geht um bedruckte Vorhang- und Kissenstoffe aus Papier in prachtvollen Gobelin- und Blumenmustern″, um naturfarbige Papierstoffe für Rollos und Gardinen, um abgepasste modische Papiervorhänge, bestehend aus zwei Schals und Querbehang″. Sogar Teppiche und Läufer aus gewebtem Spezialpapier sind in der Sonderausstellung im Schaufenster zu bewundern.

Nahe dem Bahnhof Bohmte wird neben den Gleisen die zerstückelte Leiche eines Feldgrauen″ gefunden. Er ist offensichtlich von einem Zug überrollt worden. Die Rekonstruktion des Unglücks ergibt, dass der Landsturmmann H. aus Levermehnen mit dem Urlauberzug von der Front kam, um 14 Tage zu Hause zu verbringen. Er hätte den Zug in Osnabrück verlassen und mit dem Abendpersonenzug weiter bis Bohmte fahren müssen. Stattdessen ist er mit dem Urlauberzug weiter Richtung Bremen gefahren und in Bohmte abgesprungen. Die Mutprobe endet tödlich.

Öl aus Bucheckern: Dringende Aufrufe ergehen zum Sammeln von Eicheln, Kastanien, Bucheckern. Hauptsammelstelle ist die Firma Lange & Lehners. Bucheckern sammeln heißt sich Fett verschaffen, denn für ein Kilogramm Eckern erhält man 60 Gramm Öl. Da an einem Tage jedermann wohl zwei Kilo Eckern sammeln kann, erhält er an einem Tag die gleiche Menge Fett wie bei der jetzigen Fettzuteilung in zwei Wochen. Sammle daher jeder zur Vermehrung seiner Fettvorräte für die kommende schwere Zeit.″

Bildtext:
Bucheckern standen hoch im Kurs. (Der Plakatentwurf von Julius Gipkens, Druck Hollerbaum & Schmidt, Berlin, entstammt der Bibliothek für Zeitgeschichte Stuttgart und wurde abgedruckt in Osnabrück 1914–1918. Eine deutsche Stadt im Ersten Weltkrieg″, hrsg. von Rolf Spilker, Bramsche 2014.)
Autor:
Joachim Dierks


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