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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Amtliche Messung am Damen-BH
 
Zeitreise entlang der Bahnschienen
Zwischenüberschrift:
Wie der „Raupen-Skandal″ 1958 zur zeitweiligen Schließung des Jahrmarkts führte
Artikel:
Kleinbild
 
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Originaltext:
Wie lange dauert es, den Verschluss eines Damen-BHs bei halbherziger Gegenwehr der Trägerin zu öffnen? Diese Frage war Gegenstand einer ordnungsamtlichen Untersuchung, nachdem in einem Raupen-Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt im März 1958 ein herren-, nein, damenloser BH gefunden worden war.

Osnabrück Das Ergebnis lautete: 15 Sekunden. Es führte zu der sogenannten Verdeck-Klausel″: Fortan durften die Raupenbahnen für maximal zehn Sekunden das Verdeck herunterlassen, dann musste wieder freie Sicht auf die Fahrgäste hergestellt werden. Der frühere Schaustellerverbandsvorsitzende Otto Cornelius gab diese Geschichte 2010 am Rande der Sonderausstellung Hoch hinaus und rund herum″ zur Geschichte der Jahrmärkte im Museum Industriekultur preis. Ausstellungskuratorin Barbara Kahlert schrieb alles mit, tauchte anschließend ins Zeitungsarchiv ein und studierte Polizei-Einsatzprotokolle. Heraus kam eine lesenswerte Abhandlung, die sie unter dem Titel „, Heiße′ Musik und frischer Fahrtwind Treffpunkt Raupe″ im Ausstellungs-Begleitband The Beat goes on″ 2013 veröffentlichte.

Kahlert nennt Gründe für den hohen Stellenwert, den die Jahrmärkte der 1950er-Jahre und speziell die Raupenbahnen für die Jugend hatten. Zu Hause bei den Eltern kamen Operettenklänge oder allenfalls Peter Alexander und Caterina Valente aus Röhrenradio oder Schwarzweiß-Fernseher. Englischsprachiger Rock n′ Roll war für die tonangebende Erwachsenenwelt nichts anderes als Hottentotten-Musik″. In den deutschen Rundfunkprogrammen kam sie nicht vor, man musste schon den englischen Soldatensender BFN (später BFBS) hereindrehen. Oder eben auf den Jazzer″ gehen, also den Jahrmarkt. Die aktuellsten Platten, teilweise direkt aus den USA oder Großbritannien importiert, spielten die Raupen-Karussells ordentlich laut und mit viel Bass rauf und runter, ob es nun Bill Haleys Rock around the Clock″ war oder Elvis Presleys Blue Suede Shoes″. Um die Schallplatten erschütterungsfrei abspielen zu können, stand die Musikanlage auf einem eigenen Podest, das nicht mit den Stützen der Raupenbahn oder den Bodenbrettern des Umlaufstegs verbunden war.

Neben der Musik war es die Aussicht auf Begegnungen mit dem anderen Geschlecht, auf kleine erotische Abenteuer unter dem Sichtschutz, die die Raupen so attraktiv machten. Diskotheken und Jugendzentren gab es noch nicht. Jungens kleideten sich gern so, wie sie das von James Dean oder Peter Kraus aus den einschlägigen Filmen kannten: Röhrenjeans, Lederjacke, offenes Hemd. Dazu eine Zigarette im Mundwinkel und lässig an das Außengeländer der Raupe gelehnt. Oder gar auf dem Trittbrett der Bahn stehend mitfahrend und dabei der Fliehkraft trotzend, so wie die Gehilfen des Fahrgeschäfts das machten, wenn sie die Chips einkassierten. Das musste doch Eindruck machen auf die jungen Damen!

Die Berg-undTal-Bahnen, wie die Raupen offiziell hießen, gaben sich Fantasienamen wie Musik-Express″, Schnee-Circus″ oder, nach der Winterolympiade 1956, Cortina-Express″. Während der Fahrt ließ sich ein zumeist dunkelgrünes Stoffverdeck über die Wagen stülpen, was der Bahn das Aussehen einer sich vorwärtswindenden Schmetterlingsraupe verlieh.

Dieser Sichtschutz, der aus den offenen Wagen einen Knutsch-Tunnel″ machte, erfüllte Eltern sowie amtliche Ordnungs- und Sittenhüter mit Sorge. Küssen in der Öffentlichkeit war verpönt und galt als Vorstufe zu noch schlimmeren Lastern, die sich in der Fantasie der Moralwächter unter der grünen Plane abspielen würden.

Alle Befürchtungen schienen bestätigt, als im März 1958 in der Raupenbahn der Familie Wittler nach einer Fahrt besagter BH gefunden wurde. Die Polizei schritt ein und verfügte nicht nur die Schließung der Raupenbahn, sondern des gesamten Jahrmarkts. Das wiederum führte am 5. März gegen 19 Uhr zu Protesten von etwa 80 Halbstarken″, wie die Presse sie nannte. Vor der Wittler′schen Raupe skandierten sie Schmäh-Parolen gegen die Polizei und veranstalteten ein Pfeifkonzert. Die Polizei löste die Ansammlung auf. Daraufhin zogen Gruppen weiter in die Innenstadt, behinderten den Verkehr, beschädigten parkende Autos und zertrümmerten die Scheibe einer vorbeifahrenden Straßenbahn.

Laut Polizeibericht befand sich Wittlers Raupenbahn schon seit einigen Jahren im Visier des Ordnungsamtes, weil sie regelmäßig Zusammenrottungen auslöse und die Jugendlichen dann untereinander unsittliche Handlungen″ vollzögen. Nun wurden zur Beseitigung dieser Gefahrenstelle und zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit″ verschiedene Anordnungen erlassen. Um das Fahrgeschäft war eine Sperrzone einzurichten, die nur mit einer Eintrittskarte betreten werden durfte. In dieser Sperrzone durften sich nur doppelt so viele Besucher aufhalten wie Sitzplätze in dem Fahrgeschäft vorhanden waren, bei 54 Sitzplätzen also 108 Besucher. Würde die Zahl überschritten, sei das Fahrgeschäft sofort stillzulegen.

Dazu kam es dann auch tatsächlich, nachdem 200 bis 300 Jugendliche auf und vor dem Steg der Raupe gezählt wurden. Im Bericht der weiblichen Kriminalpolizei hieß es: Auf diesem Steg standen ständig mindestens 200 Jugendliche, die sich im Takt der Hot-Musik wiegten und Mädchen von 12–17 Jahren abkneteten.″ Der Redakteur des Osnabrücker Tageblatts″ schrieb nach einer Pressekonferenz der Stadtverwaltung am 7. März 1958: In diesem Zusammenhang wurden Einzelheiten laut, die jedem Menschen die Schamröte ins Gesicht treiben.″

Die Hot-Musik″ stand unter Generalverdacht, ähnlich wie Alkohol oder Drogen enthemmend zu wirken. Als im Juni des folgenden Jahres Walter Wittler das Verwaltungsgericht anrief, um die gegen ihn verhängte Verbannung von allen Osnabrücker Jahrmärkten aufheben zu lassen, war vorgesehen, die beanstandeten Musikstücke zwecks juristischer Überprüfung im Gerichtssaal abzuspielen. Leider versagte im entscheidenden Moment das bereitgestellte Tonbandgerät.

1960 verlangten die Schausteller eine Rückverlegung der Jahrmärkte in die Innenstadt, wo sie zuvor auch schon abgehalten wurden: 1945 auf dem Ledenhof, von 1946 bis 1954 auf dem Domhof, ab 1948 zusätzlich vor der Klosterkaserne. Der Schwarze Platz liege zu weit außerhalb″ und sei deshalb zu einem Tummelplatz für Halbstarke″ geworden, während Bürgerfamilien fernbleiben würden.

Es kam dann aber ganz anders. Wegen Vorbereitungen zum Bau des Niedersachsenbades konnte der Schwarze Platz im März 1961 letztmalig bespielt werden. Danach ging es zur Halle Gartlage, die noch deutlich weiter außerhalb″ lag. Das Freigelände dort ist bis heute Schauplatz der Frühjahrs- und Herbstjahrmärkte geblieben. In den letzten Jahren kam aus Kreisen der Marktbeschicker erneut der Wunsch, in die Innenstadt zurückzukehren. Die Stadt sieht dazu jedoch bislang keine Möglichkeit.

Bildtext:
Ein Einkaufszentrum belegt heute den Schwarzen Platz. Zwischendurch stand hier das Niedersachsenbad: 1966 eröffnet, 2006 abgerissen.
Der Schwarze Platz im Eck von Natruper und Nobbenburger Straße war bis März 1961 Schauplatz des Jahrmarkts, auch Jazzer″ genannt. Im Hintergrund rechts erkennt man die ehemalige Infanteriekaserne von 1913, die heute Teil des Berufsschulzentrums ist.
Im März 1957 fuhr die Raube noch ohne Verdeck aber coole Typen, die auf der Rückenlehne saßen, gab es schon.
Fotos:
Jörn Martens, Kurt Löckmann

Osnabrück Früher konnte Osnabrück mit der Straßenbahn erkundet werden. Viele bedeutende Gebäude, Firmen und Plätze der Stadt lagen an den Bahnschienen und lassen sich zum Teil noch heute finden. Unser neues Magazin aus der Reihe Unser Osnabrück″ nimmt die Leser mit auf eine Fahrt durch die Stadt und zeigt dabei interessante Bildvergleiche von damals und heute entlang der Strecke ganz im Stile unserer Serie Zeitreise″, aus der die meisten Texte stammen.

Vom Hauptbahnhof über die Innenstadt bis zum Heger Friedhof verlief die Linie 1 der Osnabrücker Straßenbahn. Die repräsentative Protokollstrecke″ führte unter anderem vorbei an den damaligen Prachtbauten der Möserstraße, an der Wittekindstraße und dem Hotel Germania, durch das Nadelöhr der Herrenteichsstraße und den Rißmüllerplatz hinauf über Lotter Straße und Rheiner Landstraße vorbei am Schweizerhaus, bis hin zum Heger Friedhof.

Daneben verband die Nord-Süd-Linie 2 Haste mit dem Schölerberg und die Ost-West-Linie 3 den Schinkel mit dem Martiniplatz. Die Linien trafen sich am Nikolaiort, dem Neumarkt und an der Hauptpost.

Nach 54 Jahren endete 1960 das Straßenbahn-Zeitalter in Osnabrück zumindest vorerst. Die Stimmen, im Zuge der Verkehrswende″ wieder eine Stadtbahn einzuführen, werden immer lauter. Ob es dazu wirklich kommt, ist derzeit aber noch völlig offen. bkle/ jod

Unser Osnabrück damals und heute: Teil 2″ kostet 11, 90 Euro und ist in den Geschäftsstellen unserer Zeitung sowie auf lieblingswelt.de/ unserosnabrueck erhältlich.
Autor:
Joachim Dierks
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