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OSNABRÜCK. Im Hauptgottesdienst des 97. Deutschen Katholikentages hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, überzogene Ansprüche an Staat und Kirche kritisiert.„ Wir sind in unserem Land in Gefahr, eine Anspruchsgesellschaft zu werden, in der sich mehr und mehr eine Versorgungsmentalität breitmacht″, sagte Zollitsch gestern in Osnabrück vor rund 25 000 Christen unter freiem Himmel. Der Katholikentag endete gestern mit Einladungen zum Evangelischen Kirchentag vom 20. bis 24. Mai 2009 in Bremen und zum Ökumenischen Kirchentag 2010 in München. Mehr als 60 000 Gäste aus über 50 Ländern der Erde hatten seit Mittwoch in Osnabrück gebetet, gefeiert und debattiert. Zu den Höhepunkten am Wochenende gehörten der Auftritt von Bundespräsident Horst Köhler, ein Fest der Kulturen in der Osnabrücker Innenstadt und der Auftritt der A-cappella-Gruppe „ Wise Guys″ zum 50. Geburtstag des Hilfswerks Misereor. Gastgeber des Katholikentages waren das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und das Bistum Osnabrück. Sie bezeichneten das Treffen am Wochenende als erfolgreich.„ Punktgenau ist das eingetreten, was wir erwartet haben″, sagte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode. Es sei ein Katholikentag der kurzen Wege gewesen. „ Dadurch konnten wir besonders ökologisch sein.″ Auch mit dem Leitwort „ Du führst uns hinaus ins Weite″ habe der Katholikentag „ eine Punktlandung getroffen″, sagte Bode. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sprach von einem „ jugendlichen Katholikentag″. Er habe großen Wert auf Glaubenserfahrung und Begegnung gelegt. Er unterstrich, es gebe keine Tabus und Denkverbote. Allerdings dürften Veränderungen nicht zu Spaltungen führen. ZdK-Präsident Hans-Joachim Meyer sagte, es seien vor allem viele junge Menschen gekommen. Rund 40 Prozent der Teilnehmer waren nach Angaben der Veranstalter jünger als 30 Jahre. Das Treffen in Osnabrück sei „ kein Kuschelkatholikentag″ gewesen. Auch kritische Themen seien zur Sprache gekommen. Die Reformbewegung „ Wir sind Kirche″ lobte den Katholikentag als „ erfrischend und jugendlich in einem zukunftsorientierten Bistum″. Bildtext: Den Hauptgottesdienst zum Abschluss des Osnabrücker Katholikentages feierten mit rund 25 000 Christen unter anderen (von links) Diakon Helmut Schumacher, Erzbischof Robert Zollitsch, Diakon Heinrich Klassen und Bischof Franz-Josef Bode. Das ZDF übertrug die Feier live. Foto: Gert Westdörp KOMMENTAR Fröhliches Glaubensfest Selten hat es in den vergangenen Jahrzehnten einen so harmonischen Katholikentag gegeben wie den in Osnabrück. Wir sind Kirche und haben Freude am Glauben: Diese Botschaft bestimmte das fröhliche, fromme Christentreffen in der Stadt des Westfälischen Friedens. Es war mehr ein buntes Kirchenfest als ein theologischer Kongress. Doch zugleich haben die Gäste durchaus über Fragen von Ökumene, Weltkirche, Armut und Zukunft der Seelsorge ernsthaft debattiert. Auch heiße Eisen wurden angepackt. Dabei registrieren viele Katholiken seit langem, dass der Vatikan in manchen Fragen andere Positionen vertritt als sie. Aber der Frust darüber ist recht begrenzt – weil man zur Kenntnis nimmt, dass sich Rom ja doch nicht bewegt. Sehr zufrieden können das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und das Bistum Osnabrück sein. Die Zahl der Teilnehmer übertraf bei weitem die Erwartungen, auch das Wetter spielte mit. Einziger medienträchtiger Konflikt war der verständliche Ärger von Juden um die neue Karfreitagsfürbitte in der lateinischen Messe. Doch durch eine versöhnliche Geste nahm der neue Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, dem Streit die Schärfe. Somit war der Osnabrücker Katholikentag rundum erfolgreich. Die Kirchen, Stadt und Landkreis haben sich dafür kräftig ins Zeug gelegt. Nun ernten sie alle einen großen Imagegewinn. Der ist hochverdient. OSNABRÜCK. Ein bunter Mix war charakteristisch für das Fest der Kulturen, in das der Katholikentag am Samstagabend mündete. Auf den Bühnen vor dem Osnabrücker Rathaus und vor dem Dom traten ganz unterschiedliche Tanz- und Musikgruppen auf: Hawaiian Fantasy aus dem niederländischen Haarlem, eine finnische Band, die auf Russisch sang, eine Trommelgruppe aus dem portugiesischen Vila Real. Sie versuchten einen Eindruck davon zu vermitteln, wie die Welt klingt. Die Veranstaltung war am Samstag unüblich: Normalerweise findet das Fest der Kulturen im Herbst als Höhepunkt der interkulturellen Wochen statt. Dieses Mal hatte die Stadt es für den Katholikentag vorverlegt. „ Die kulturellen Vereine hatten großes Interesse daran″, sagte Margret Poggemeier vom städtischen Büro für Friedenskultur. Mit farbenfrohen Gewändern, Hand- und Beinrasseln und traditionellen Tänzen aus ihrer Heimat haben die „ Ndere Kids″ (Bild) aus Uganda am Samstag während des Katholikentages beim Weltkinderfest im Schlossgarten eine besondere Geburtstagsfeier geschmückt: Die Aktion Dreikönigssingen feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. Das war für das Kindermissionswerk Aachen und dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) Anlass genug, mit Gästen aus fernen Ländern zu zeigen, was hinter der Aktion der Sternsinger steckt. „ Die Hilfe für notleidende Kinder in der ganzen Welt ist keine Einbahnstraße″, sagt der Sprecher des Kindermissionswerks, Thomas Römer. „ Wir bekommen auch etwas zurück, etwa die kulturelle Vielfalt und die Motivation, wie Glaube anderswo gelebt wird.″ Außer den Ndere Kids, die im Rahmen der Hamburger KinderKulturKarawane noch bis zum Sommer durch Deutschland touren, bereicherten die vom Aktionskreis Pater Beda unterstützten brasilianischen Mädchen und Jungen aus einem Kinderdorf das Fest. Zum Ende der Feier standen die Kleinen vor der Bühne im Mittelpunkt: Sie bildeten einen großen Kreis, und jedes Kind reckte dabei einen goldenen Papierstern in die Höhe – versehen mit einem Wunsch für alle anderen Mädchen und Jungen dieser Welt. Foto: Jörn Martens Ist das still! Zugegeben: Gestern noch hatten wir uns ein bisschen Ruhe gewünscht. Manchmal hatten wir sogar Sorge, ob unsere Türme einstürzen könnten – etwa als am Samstagabend Trommleraus aller Herren Länder den Boden erzittern ließen. Doch tief in unserem Innern wussten wir: Selbst wenn es etwas wackelt und manch tiefer Bass um die Türme braust – so schnell bricht die Kirche nicht zusammen. Warum auch? Schließlich ist Begeisterung der beste Mörtel, der alles zusammenhält. Und jetzt diese Stille. Richtig beängstigend. Kein Gesang mehr zu unsren Füßen, kein tobender Applaus, nur noch Leute, die ins Büro hasten oder beim Einkaufen keinen Blick auf uns werfen. Und statt massenhaft Beter nur ein versprengtes Häuflein Besucher. Das ist nichts für uns. Wir reisen ab. Richtung Bremen. Wie hießen noch die Klagen, von denen wir am Mittwoch erzählten? „ Ich wünschte, es wäre schon vorbei!″ oder: „ Warum ausgerechnet bei uns?″ Blödsinn! Wir Kirchis kämen gerne wieder. OSNABRÜCK. Fast hätte Dominikanerschwester Jordana Schmidt ihr eigenes Wort nicht mehr verstanden, als sie sich nach der Stimmung der 20 000 jungen Leute beim Open Air „ Osnabrück rockt für 1 Welt″ erkundigte: Auf der Katholikentagsbühne im Osnabrücker Schlossgarten sprach die 39-Jährige am Freitagabend live das „ Wort zum Sonntag″, das 24 Stunden später direkt vor Beginn des Eurovision Cong Contest im Ersten ausgestrahlt wurde. Die immer wieder von Jubel und Kreischen begleitete Botschaft der Ordensfrau aus Schwalmtal lautete: „ Ein Freund ist jemand, der die Melodie deines Herzens kennt und sie dir vorsingt, wenn du sie vergessen hast.″ Den No Angels hat es in Belgrad zwar nicht geholfen, doch in Osnabrück konnte die Stimmung nicht besser sein. Denn angesagt waren als Headliner des Rockfestivals die Berliner Hip-Hopper Culcha Candela. Vorsorglich hatten die Veranstalter BDKJ und Misereor Großleinwände am Neuen Graben vor dem Schloss aufgebaut. Knapp 5000 Menschen nutzten das Angebot und feierten den Konzertabend per Video-Übertragung. Auch dort herrschte wie bei den 15 000 Zuschauern im Schlossgarten eine beeindruckend friedliche, aber ausgelassene Atmosphäre. Nach einem kurzweiligen Vorprogramm mit Kuhlage & Friends und dem Funkrocker Donabi mit seiner Band betraten Culcha Candela in bunten Kapuzenjacken gegen 21.35 Uhr die Bühne. „ Osnabrück, are you ready to party?″, fragten die Jungs und erschraken selbst: Denn als Antwort schallte ihnen postwendend ein Begeisterungsschrei entgegen, der noch einige Kilometer weiter vernommen wurde. Bei dem einen Gefühlsausbruch der Teenies sollte es nicht bleiben. Immer wieder heizten die aus vier Kontinenten stammenden Hip-Hopper den Kreislauf besonders der Mädchen an, indem sie ihre Handtücher in die Menge warfen und zum Beispiel wissen wollten, wer an die große Liebe glaube. Aber auch die Musik von Culcha Candela riss mit: Ein bunter Stilmix aus Reggae, Pop, afrikanischem Liedgut und Hip-Hop, dazu choreographierte Tanzeinlagen und Perkussionssoli. Der Siebte im Bunde war als DJ für die Soundtracks und das Scratching zuständig. Neben „ Hamma!″, „ Next Generation″ und „ Solarenergie″ erhielt der zum Motto des Abends passende Song „ African Children″ den meisten Beifall, in dem der ugandische Sänger Johnny Strange den Bürgerkrieg und die Rekrutierung von Kindersoldaten anprangerte. Begeistert von der Atmosphäre im Schlossgarten, rief Bischof Franz-Josef Bode den Jugendlichen zu: „ Dass ihr heute hier seid, ist ein Zeichen dafür, dass junge Leute sich vernetzen für den Frieden und gegen Gewalt.″ Bildtext: Umjubelt: Schwester Jordana. Foto: Michael Hehmann OSNABRÜCK. Der lächelnde Papst Benedikt XVI. ist aus dem Osnabrücker Schlossgarten wieder verschwunden – allerdings nur ein lebensgroßes Bild des Kirchenoberhauptes. Es war stand von Mittwoch bis Sonntag in einem der weißen Pagodenzelte. Gestern wurde überall in der Osnabrücker Innenstadt aufgeräumt und wurden Zelte abgebaut – der Katholikentag verschwindet wieder aus dem Stadtbild. Währenddessen begann im Stadion Illoshöhe der Hauptgottesdienst, mit dem traditionell ein Katholikentag endet. Nach Angaben der Veranstalter feierten rund 25 000 Christen die Messfeier unter freiem Himmel mit. Ursprünglich hatten sie mit 30 000 Teilnehmern gerechnet, doch wegen des Nieselregens waren es deutlich weniger. Zu dem Gottesdienst zog eine Reihe von Bischöfen ins Stadion ein. Unter ihnen war der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Périsset. An der Feier, die live im ZDF übertragen wurde, wirkte auch ein evangelisches Bläserensemble mit 200 Musikern mit. Traditionelle liturgische Stücke im gregorianische Stil wechselten mit Halleluja-Gesängen im Big-Band-Sound, bei denen die Besucher ihre gelben Liederzettel im Rhythmus schwenkten. Beifall erhielt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, für seine Predigt. Für die evangelische Kirche lud Pastor Renke Brahms zum Kirchentag 2009 nach Bremen ein. Der Münchener Erzbischof Reinhard Marx und der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich sprachen eine Einladung zum zweiten Ökumenischen Kirchentag im Mai 2010 nach München aus. „ Die Welt soll sehen, dass uns mehr eint als trennt″, sagte Friedrich. Marx rief zum Gebet für die Einheit der Christen auf. „ Kommen Sie nach Bayern, kommen Sie nach München!″ Bildtexte: Papst Benedikt XVI. wird weggetragen – allerdings nur ein lebensgroßes Bild von ihm. Rund um die Osnabrücker Stadthalle wurde gestern aufgeräumt. Die weißen Pagodenzelte verschwanden. Gelbe Liederzettel schwenkten Teilnehmer gestern beim Gottesdienst auf der Osnabrücker Illoshöhe. Foto: dpa, Gert Westdörp OSNABRÜCK. So klingt Ostfriesland auf Schottisch: „ An der Nordseeküste″ intoniert der Dudelsackspieler am Eingang des Marktplatzes. Der bunte Mix war charakteristisch für das Fest der Kulturen, in das der Katholikentag am Samstag abend mündete. Schwester Susanne ist begeistert von den indischen Tänzerinnen: Vor dem Dom tritt gerade die Gruppe Shakti Arts aus dem englischen Derby mit ihrer Performance auf, die Bollywood und westliche Einflüsse vereint. „ Diese Tänze sind viel ausdrucksvoller und haben viel mehr Lebensfreude als bei uns″, sagt die Ordensschwester Sie war eine von vielen beim Fest der Kulturen, mit dem der Katholikentag am Samstagabend in der Innenstadt endete. Auf den Bühnen vor dem Rathaus und vor dem Dom traten verschiedenste Tanz- und Musikgruppen auf: Hawaiian Fantasy aus dem niederländischen Haarlem, eine finnische Band, die auf Russisch sang, eine Trommelgruppe aus dem portugiesischen Vila Real und viele weitere Gruppen. Sie vermittelten einen Eindruck davon, wie die Welt klingt. Normalerweise findet das Fest der Kulturen im Herbst als Höhepunkt der interkulturellen Wochen statt. Dieses Mal hatte die Stadt es für den Katholikentag vorverlegt. „ Die kulturellen Vereine hatten großes Interesse daran″, sagte Margret Poggemeier vom städtischen Büro für Friedenskultur. Denn so konnten sie sich einem großen Publikum präsentieren. 42 Vereine waren mit Ständen dabei. Das reichte vom Verein afrodeutscher Familien in Osnabrück über einen philippinischen Stand mit kulinarischen Angeboten bis zu türkischen Kulturvereinen. Auch die Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde Osnabrück war dabei. Pressesprecher Jahanzeb Shaker fühlte sich sehr wohl als Teil des Katholikentags. „ Die Leute sind gekommen, um Spiritualität zu erleben″, sagte er. Es seien viel mehr Leute als sonst am Stand stehen geblieben. Nicht so glücklich verlief das Fest für eine Musikgruppe, die in grünen Polizeiuniformen auftreten wollte. Die Musiker wurden von der echten Polizei angehalten, weil an ihren alten Uniformen Hoheitszeichen befestigt waren. Die Gruppe trat schließlich in Zivil auf – und muss mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Einmütig war die Stimmung beim Abschluss des Festes. Zum Auftritt der Schülerband 2 Boys 4 Voices hielt jeder Besucher eine Kerze hoch. So endete der Abend in einem eindrucksvollen Bild. Überhaupt: Die Atmosphäre beim Fest der Kulturen auf dem Katholikentag begeisterte die Besucher. Bildergalerie im Internet: www.neue-oz.de/ katholikentag Bildtexte: Eine finnische Band, die auf Russisch singt: Finnish Lapp verband Ska, Funk, Blues und Reggae Bollywood begeistert Osnabrück: Shakti Arts verbindet indischen Tanz mit westlichen Einflüssen. Südseeflair verströmte Hawaiian Fantasy aus dem niederländischen Haarlem mit Musik und Tanz. Walking Act: Der riesige Feuervogel bewegte sich mit seinen bunten Schwingen und auf hohen Stelzen über den Marktplatz und beeindruckte die Besucher. Fotos: Michael Hehmann OSNABRÜCK. „ Ich glaube sagen zu dürfen, dass die Stadt über ihre Grenzen hinausgewachsen ist und eine tolle Kulisse abgegeben hat″, bilanziert Oberbürgermeister Boris Pistorius den Katholikentag in Osnabrück. Prominente Gäste wie Bundespräsident Köhler, Bundeskanzlerin Merkel, der Ministerpräsident von Reinland-Pfalz Beck, die Bundesfamilienministerin von der Leyen und viele mehr haben in der Friedensstadt mit den Besuchern diskutiert. „ Alle werden diese lockere und heitere Atmosphäre des Katholikentages mit nach Hause nehmen und mit unserer Stadt verknüpfen″, so Pistorius. „ Ich darf sagen, dass die Weite des Katholikentages die Offenheit der Friedensstadt getroffen hat. Beide zusammen haben diese tolle Veranstaltung ermöglicht. Aber nicht nur die Gäste werden noch lange an diesen Katholikentag in der Friedensstadt Osnabrück zurückdenken, auch die Osnabrückerinnen und Osnabrücker haben das vielfältige Angebot intensiv genutzt und auf diese Weise vielleicht auch ihre Stadt noch einmal mit neuen Augen kennengelernt.″ In aller Offenheit hätten Katholiken mit Andersgläubigen über Gott diskutiert. „ Genau dafür ist die Friedensstadt Osnabrück bestens geeignet. Die Friedensstadt ist die Stadt der Ökumene. Ich glaube, dass Osnabrück eine überzeugende Bühne gewesen ist″, sagt Pistorius. OSNABRÜCK. Hätte SAID nur aus seinem Psalmen gelesen, seine Lesung im Ledenhof hätte möglicherweise eher den Charakter einer unaufgeregten Predigt behalten. Doch das, was er zu sagen hatte, führte im voll besetzten Raum zu einer angeregten Diskussion. Und das war auf dem eher ruhigen Katholikentag schon eher die Ausnahme als die Regel. Wohlwollend und sehr offen war die Diskussion, zu der die Psalmen des deutsch-iranischen Schriftstellers im Ledenhof führten. Doch manch ein Zuhörer war schon etwas irritiert über die klaren Worte, die SAID fand. Denn der in München lebende Autor kritisierte etwa diejenigen, die sich ihres Glaubens sicher sind oder die – wie er es ausdrückt – „ ihren Gott in der Tasche haben″. In einem seiner Psalmen ausgedrückt, lautet das so: „ Herr, zweifle an uns, denn wir sind zuversichtlich.″ Auch an der institutionalisierten Religion äußerte er seine Zweifel. Das stieß schon auf vorsichtig geäußerten Widerspruch im Publikum. Die gläubige Gemeinschaft eröffne jungen Menschen eine Lebensperspektive, lautete etwa eine Meinung. SAID dagegen äußerte viel Kritik an der Kirche, die „ wie ein Betonklotz″ an ihren alten Regeln festhalte. Dabei verwies er auf das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes, das im 19. Jahrhundert eingeführt wurde und seitdem als unumstößlich gilt. Solche kirchenkritischen Positionen fanden denn auch wieder Zuspruch im Publikum. Jahrhundertelang habe die katholische Kirche schlimme Sachen gemacht, kritisierte SAID. Er selbst kann mit den institutionalisierten Religionen im Allgemeinen nicht viel anfangen. „ Ich bin ein furchtbarer Individualist″, erklärte er. Die Geschichte habe ihn dazu gemacht. Einer Religion gehört SAID nicht an. Als religiös bezeichnet er sich und seine Psalme schon. Einen bestimmten Gott, den er dort mit „ Herr″ anspricht, meint er aber nicht. Höchstens seinen eigenen. Denn SAID ist überzeugt, dass jeder Mensch seinen persönlichen Gott finden muss. Denn „ Gott ist das Ergebnis unserer Fantasien″. Mit einem religiösen Publikum wie dem beim Katholikentag fühlt sich der Schriftsteller übrigens sehr wohl. Denn dort kann er diskutieren. „ Mit einem Menschen ohne ethische Grundsätze kann ich nicht streiten″, erklärte er. Bildtext: Eine klare Meinung vertrat der Autor SAID beim Katholikentag. Foto: Elvira Parton OSNABRÜCK. Mit einem selten gespielten Oratorium von César Franck wurde ein Höhepunkt des Kulturprogramms zum Katholikentag markiert Die Uraufführung von César Francks Oratorium „ Les Béatitudes″ im Jahr 1879 fiel bescheiden aus: Sie fand mit nur wenigen Chorsängern und ausschließlich zu Klavierbegleitung in Francks Pariser Privatwohnung statt. Dabei ist das Oratorium in opernhaften Dimensionen angelegt: Neben großem Chor und Orchester wären achtzehn Gesangssolisten nötig, um jeden Part einzeln zu besetzen. Kirchenmusikdirektor Carsten Zündorf wählt für seine Aufführung in St.Marien eine Fassung mit sieben Solisten, die dafür in Doppelrollen agieren. Auch der dramatische Aufbau des Oratoriums ähnelt einer Oper: Im Mittelpunkt stehen zwar die acht Selig preisungen aus der Bergpredigt, doch sie werden durch Verse der französischen Dichterin Joséphine Colomb illustriert, in denen sie menschliche Lebenssituationen wie etwa Trauer um Verstorbene beschreibt. Der Dialog der Altistin Elisabeth Graf als verstorbene Mutter mit der Mezzo-Sopranistin Dshamilja Kaiser als hinterbliebene Waise gehört denn auch zu den berührendsten Momenten der Aufführung. Nach einem weit gespannten Spannungsbogen kommt es im Finale schließlich zum Kampf zwischen Satan und Christus. Den acht Seligpreisungen ist im Programmheft noch eine neunte hinzugefügt: „ Selig sind, die leise umblättern!″ Ein frommer Wunsch, von dem sich das Kirchentags-Publikum allerdings unbeeindruckt zeigt: Sogar Handy-Telefonate während es Konzerts werden offenbar nicht als Sakrileg empfunden. Von dieser Unruhe lassen sich die Ausführenden glücklicherweise nicht stören: Schon im Prolog beklagt Andreas Wagner mit eindringlichem Tenor das Elend der Welt, dem die Marienkantorei jedoch mit einer intensiven Lobpreisung Hoffnung entgegensetzt. Dabei teilt sich der Chor verschiedene Aufgaben: Eine Gruppe wird etwa zum irdischen, eine andere zum himmlischen Chor. Auch die Seligpreisung der Barmherzigen lebt von großen Kontrasten: Tenorsolist Yoonki Baek steigert sich in Rache und Wut hinein; Sopranistin Johanna Winkel hält als Engel der Vergebung einfühlsam Mitleid dagegen. Ebenso eindrucksvoll ist die Seligpreisung der Friedfertigen: Hier fesselt der Wechselgesang von Bassist Thilo Dahlmann als Satan mit der Marienkantorei als erregter Menge. Mit strahlendem Bariton fasst Jens Hamann als Stimme Christi die einzelnen Teile zusammen. Das Junge Philharmonische Orchester Niedersachsen begleitet unter dem sicheren Dirigat Zündorfs klangschön: eine rundum gelungene Aufführung. Für gute Stimmung im Schlossgarten sorgten am Samstagabend die Wise Guys mit ihrem Auftritt – und das vom ersten Ton an. In der ersten Hälfte ihres Konzerts brachte die Kölner Band Lieder ihres aktuellen Albums „ Frei!″ auf die Bühne, nach der Pause ging es überwiegend mit älteren Stücken weiter. Die etwa 12 000 Zuschauer, die das Konzert im Schlossgarten und an der Videowand am Neuen Graben verfolgten, sangen alle Stücke lauthals mit, zündeten Wunderkerzen an, hüpften und tanzten. Die fünf Musiker aus Köln waren mit ihrem Auftritt einer Einladung des katholischen Hilfswerks Misereor gefolgt, das beim Katholikentag seinen 50. Geburtstag feierte. Die Wise Guys sind seit Jahren Schirmherren er Aktion „ 2 Euro helfen″, mit der Straßenkinder in Indien unterstützt werden. Für Sänger Clemens war es einer der letzten Auftritte mit der Gruppe: Zum Jahresende verlässt er die Wise Guys. Er will dann als Physiker arbeiten. Foto: Hermann Pentermann OSNABRÜCK. Nach dem Erscheinen des dritten Bands der Fantasy-Reihe „ Harry Potter″ war für einige Christen die Welt nicht mehr in Ordnung: „ Satanismus″ witterten sie in dem weltweiten Bestseller der Britin Joanne K. Rowling. Vereinzelt wurde später auch gefordert, die Romane aus Bücherei und Schule zu verbannen. Die fünf Teilnehmer einer Podiumsrunde in der Lagerhalle zum Thema Harry Potter sahen dies knapp ein Jahr nach Abschluss der siebenteiligen Reihe viel entspannter. Allen voran Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke aus Hamburg: „ Die christliche Kirche ist sehr vielfältig. Ich bin froh, dass in der katholischen Kirche kein vernünftiger Mensch etwas dazu gesagt hat″, meinte er. Von Verboten oder einem christlich-pädagogischen Zeigefinger in der Kunst hält der Weihbischof generell nichts: „ Alles, was man verteufelt, wird erst recht interessant. Kunst, Musik und Literatur erfassen das Leben auf ihre eigene Weise.″ Er sprach sich für die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst aus, betonte aber: „ Wir dürfen als Christen nichts vereinnahmen.″ Fantasy-Literatur und Gläubige passen zusammen, „ sofern der Inhalt zum Lesealter der Kinder passt″. So würde Buchhändlerin Susanne Kriesmer die Reihe ab Band vier nur Jugendlichen empfehlen: „ Es gibt darin Szenen, die kleine Kinde verschrecken könnten.″ Alle auf der Bühne verbanden, wie die Studentin Prisca Patenge, mit Harry Potter eine positive Leseerfahrung. Aber welche Erklärung haben sie dafür, dass sich einige Christen vom Zauberlehrling bedrängt fühlen, fragte Moderator Rolf Pitsch. „ Die Muggelwelt spielt zwar in England, aber die Kirche spielt keine Rolle″, meinte Literaturredakterin Dr. Birgitta Mogge-Stubbe aus Wachtberg. Für Weihbischof Jaschke kein Argument: „ Wir können uns von Literaten nicht wünschen, was sie schreiben sollen. Harry Potter greift das Christentum nicht an, aber wir werden als uninteressant beiseite gstellt.″ Das sei allerdings schade. Christliche Werte sahen die Teilnehmer durchaus in dem Werk, insbesondere im Bezug auf die uneigennützige Nächstenliebe, wie Mogge-Stubbe sagte: „ Nicht durch einen Zauber wird für Harry alles gut, sondern weil er sich für seine Freunde opfert und umgekehrt. Das hat eine fast religiöse Ebene.″ Der 13-jährige Schüler Matthis Berlage aus Georgsmarienhütte bewies am Ende, dass Erwachsene jungen Lesern einiges zutrauen können: „ Ich trenne das ganz klar: Das Christentum ist das wahre Leben, die Magie ist Fantasie.″ OSNABRÜCK. „ Humba, humba, tätärä″, singt die Gruppe jugendlicher Katholikentagshelfer vor dem Hauptbahnhof. Gleich geht ihr Zug. Nach fünf Tagen und vier sicher kurzen Nächten bricht sich die Übermüdung in ausgelassener Albernheit Bahn. „ KT 08, Hauptbahnhof über Neumarkt″ – die Sonderbusse halten im Minutenabstand vor dem Bahnhof mit Tausenden Menschen, die den Gottesdienst auf der Illoshöhe besucht haben. Gut gelaunt holen sie ihre Koffer aus den Gepäckzelten. Zwei Frauen aus Paderborn spendieren den Helfern Trinkgeld für ein Eis. In Osnabrück waren die beiden noch nie. Nach den fünf Tagen sind sie begeistert von der Stadt und wollen wiederkommen: „ Zum Einkaufen.″ Annika Bouwmann kommt völlig aufgedreht in die Bahnhofsmission. Eben noch war sie im Gottesdienst, jetzt tritt sie ihren ehrenamtlichen Bahnsteigdienst an. „ Das war fantastisch! Und das Konzert gestern mit den Wise Guys der Oberhammer″, sprudelt es aus ihr heraus. „ Jetzt muss die Stimmung nur sechs Wochen anhalten, dann geht es zum Weltjugendtag nach Australien.″ Die 22-jährige Studentin der Sozialpädagogik, die sich in der Holzhausener Gemeinde St. Antonius engagiert, fliegt mit anderen jungen Leuten am 9. Juli nach Sydney: „ Ein Geburtstagsgeschenk, denn am 9. Juli hab ich Geburtstag.″ Und sie ist überzeugt, dass das Treffen mindestens so toll wird wie der Katholikentag in Osnabrück, „ denn da sind ja noch mehr Jugendliche.″ Wenig später steht Annika Bouwmann auf Gleis 11. Das wird gerade von einer Gruppe aus Magdeburg gestürmt. 55 Schülerinnen und Schüler des ökumenischen Domgymnasiums, das schon Martin Luther besuchte, und des Norbertusgymnasiums haben aktiv im Projektchor des Katholikentages mitgewirkt und im Abschlussgottesdienst gesungen. Nein, singen wollen sie jetzt nicht mehr. Musiklehrer Martin Habermann und Religionslehrerin Claudia Hahne stimmen deshalb allein ein Lied an. „ Ihr seid ganz schön schlapp″, ruft Habermann den Jugendlichen zu. Quartier bezogen hatten die Magdeburger in den Berufsbildenden Schulen am Schölerberg. Die Lehrer mit den Schülern in einem Saal – von Schlafen konnte da keine Rede sein. Erholung gibt es nicht. Heute geht der Unterricht ganz normal weiter. Auch das Team der Bahnhofsmission hat stressige Tage hinter sich.Seit Mittwoch waren sie mit großer Besetzung täglich von 9 bis 22 Uhr im Einsatz. Einen Reisenden kann Annika Bouwmann jetzt aber nur trösten. Der Zug nach Bielefeld war überfüllt, er durfte nicht mehr einsteigen – vermutlich der einzige Nicht-Katholikentagsbesucher. Bildtexte: Freut sich auf den Weltjugendtag: Annika Bouwmann. Tschüss! Trotz des Ansturms auf den Hauptbahnhof lief gestern Mittag der Betrieb reibungslos. Polizei, Bahn und Bahnhofsmission waren mit vielen Kräften im Einsatz. Nur eine Stunde nach dem Gottesdienst ging es heim. Fotos: Gert Westdörp OSNABRÜCK. Auch das regnerische Wetter beim gestrigen Abschlussgottesdienst im Stadion Illoshöhe konnte die Stimmung unter den Teilnehmern des Katholikentages nicht trüben. Die Besucher klatschten, sangen und tanzten zur Musik der Kölner Band Ruhama und des Gemeindechores. Aber was bleibt von der Atmosphäre, den Veranstaltungen und den Impulsen nach dem Katholikentag? Was nehmen die Besucher mit in ihren Alltag? Diese Frage haben wir den Gottesdienstbesuchern nach dem Abschlussgottesdienst gestellt. Besonders beeindruckt hat die Gemeinschaft in den letzten Tagen und die freundliche Atmosphäre in Osnabrück. Andrea Pieck (29) aus Osnabrück wird in Erinnerung bleiben, dass es viele Menschen gibt, die ihren Glauben teilen. Besonders beeindruckend war für sie die Eröffnungsveranstaltung, bei der sie im Bistumschor gesungen hat. Jakob Seemann (9) aus Schwerin wird sich noch lange an die brasilianischen Tanzgruppen mit ihren tollen Kostümen und der schönen Musik erinnern. So gut tanzen und trommeln wie die Gruppen würde er auch gerne. Katharina Haugk (30) aus Bochum nimmt die Erfahrung der Gemeinschaft mit in ihren Alltag. Die vielen freundlichen Menschen, die sich nicht über überfüllte Busse beschweren, sondern lächeln, wird sie in Erinnerung behalten. Norbert Kruse (27) aus Rhauderfehn war mit der Malteser-Jugend beim Katholikentag und hat besonders im Jugendzentrum einen starken Zusammenhalt erfahren. Die vergangenen Tage haben seinen Glauben gefestigt. Juliane Schulten (20) aus Bonn hat beim Katholikentag viel Freundschaft erfahren. Dieses Gefühl wird sie lange in Erinnerung behalten. Außerdem hat sie viele gute Anregungen für ihren Alltag bekommen. Ludwig Reimars (74) aus Erftstadt nimmt die Erfahrung mit nach Hause, dass der Ärger wegen überfüllter Veranstaltungen von der Fröhlichkeit und Freude der vergangenen Tage überdeckt wurde. Fotos: Michael Hehmann Alle Hände voll zu tun hatten die kleinen Baumeister auf dem Gelände der Domschule. Aus Tausenden von Holzklötzen bauten sie Türme, die über ihre Köpfe hinauswuchsen. Manchmal wurden Freunde auch „ einge- mauert″, die später die Gebilde mit ohrenbetäubendem Lärm einstürzen ließen. Es sind diese und die vielen anderen Bilder von den Aktionen in der Innenstadt, die den Osnabrückern und ihren Gästen in guter Erinnerung bleiben werden. Im Internet unter www.neue-oz.de/ katholikentag sind die schönsten Motive auch weiterhin in unseren Bildergalerien zu sehen. OSNABRÜCK. Armut macht Angst. Sie ist alltäglich. Nicht nur die Betroffenen, sondern die ganze Gesellschaft steht vor einer Herausforderung. Das war die Botschaft, die von der Caritasbühne am Nikolaiort ausging. „ Armut muss nicht sein?!″ lautete das Thema vieler Präsentationen, Diskussionen und Mitmachaktionen. Die Theater-AG der Angelaschule gab der Armut Gesichter. Eines davon gehört Atsu. „ Ich glaube, ich bin 13 Jahre alt, und lebe in Manila.″ Das Mädchen weiß nicht genau, wo es in seinem Leben steht. Es lebt von dem, was es zwischen den Müllresten auf der Straße findet. Seine Eltern hat es verloren. Das Einzige, was es so richtig in Schwung bringt und glücklich stimmt, ist der Klebstoff „ Rugby″. Doch wenn der zum Schnüffeln fehlt, ist alles noch elender als je zuvor. Atsus Situation war eines von fünf Beispielen, die die Theater-AG auf die Bühne brachte. Sie ergriff das Wort für Kinder, die auf Kakaoplantagen schuften und ausgepeitscht werden. Aber auch für Kinder in Deutschland, die in der Schule gehänselt werden, weil sie nicht das Geld für angesagte Kleidung haben. „ Wir wollten die Leute betroffen machen″, erklärte eine Schülerin im Gespräch mit Susanne Haverkamp, die als Moderatorin durch das Programm auf der Caritasbühne führte. Kochen mit wenig Geld Wie Menschen auch in Deutschland täglich mit Armut umgehen müssen, zeigte eine Aktion zur Mittagszeit: Es wurde gekocht, allerdings für wenig Geld. Maßstab war der Regelsatz von Hartz IV. So ist das Mittagessen für einen Erwachsenen mit zwei Euro kalkuliert. Kerstin Konteh, die für das Osnabrücker Qualifizierungsprojekt „ Gastro Plus″ arbeitet, war für acht Euro beim Discounter einkaufen. Für vier Personen gab es Hackbällchen mit Apfel-Möhren-Salat und Bratkartoffeln. Für frische Kräuter mit Dip hat das Geld nicht mehr gereicht. Die Kräuter kommen also aus der Tiefkühltruhe. Der Osnabrücker Sternekoch Thomas Bühner begleitet die Aktion. „ Vier Euro für die tägliche Verpflegung vorzusehen, die das Leben überhaupt ermöglicht, ist zu wenig″, sagt er. Da fehle es der Politik an Wertschätzung für Nahrungsmittel. Armut und die Folgen für die Politik sind täglich ein Thema in den Medien. Der Chefredakteur der „ Neuen Osnabrücker Zeitung″, Jürgen Wermser, machte deutlich, dass Armut nicht nur Gegenstand der Berichterstattung sei, wenn sie etwa durch den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung in den Vordergrund trete. Vielmehr sei Armut ständig präsent, mitunter auch unterschwellig. Zusammen mit Hans-Jürgen Marcus, dem früheren Sprecher der Nationalen Armutskonferenz und heutigen Hildesheimer Diözesan-Caritasdirektor, beleuchtete Wermser die Rolle der Medienmacht in Bezug auf Armut. „ Eine Macht haben wir, aber eine positive, wie ich finde″, sagt Wermser. Denn durch die vielfältige Berichterstattung in Form von Reportagen, Interviews, Hintergrundberichten und Kommentaren biete die Zeitung Einzelfällen ein Forum, das gleichzeitig eine Vorlage für die öffentlichen Diskussionen gebe. „ Die betroffenen Menschen wollen wahrgenommen werden″, weiß Marcus aus seiner langjährigen Arbeit. Es sei also gut, dass die Medien auch Forumsfunktion für Betroffene hätten. Aber nicht irgendwie. „ Die Darstellung von Armut erfordert Respekt und Feinfühligkeit″, betont Wermser. Gründliche Recherche Hans-Jürgen Marcus hat bei der Berichterstattung über Armut festgestellt: „ Die Recherche ist gründlicher, und die Darstellung ist vielfach seriöser geworden.″ Dies sei entscheidend, damit sich die Menschen eine Meinung bilden könnten. Viele könnten nur auf das zurückgreifen, was sie aus Fernsehen, Radio und Zeitung auch zum Thema Armut erführen. Bildtexte: Ihr Schicksal macht auch in Deutschland betroffen: Die Theater-AG der Angelaschule widmete ihre Aufführung unter anderem den Kindern, die auf Kakaoplantagen schuften. Das Thema Armut und die Berichterstattung in den Medien diskutierten Neue OZ-Chefredakteur Jürgen Wermser (links) mit dem Caritasdirektor Hans-Jürgen Marcus und Moderatorin Susanne Haverkamp. Foto: Jörn Martens, Klaus Lindemann WALLENHORST. „ Wer viel pilgert, wird selten heilig″, meinte der Augustinermönch Thomas von Kempen. Was Reformatoren wie Martin Luther, Calvin und Zwingli suspekt war, ist in den vergangenen Jahren wieder populär geworden. Den Wanderstab in die Hand nehmen und aufbrechen. Doch was macht die Faszination des Pilgerns aus? Eine Frage, mit der sich am Samstag die von Ludwig Ring-Eifel, Chefredakteur der Katholischen Nachrichtenagentur, moderierte Podiumsdiskussion „ Das Weite suchen″ beschäftigte. Wer wollte, konnte danach „ pilgern light″ erleben: auf dem Pilgerweg von Osnabrück nach Rulle. Hape Kerkelings Bestseller hat es gezeigt: Eine Reise entlang dem alten Pilgerweg nach Santiago de Compostela zum Grab des heiligen Jakobus im äußersten Nordwesten Spaniens ist populär. „ Ich bin dann mal weg″ hat auch der Pilger und Buchautor Felix Bernhard schon dreimal gesagt: Auf unterschiedlichen Routen ist er im Rollstuhl diesen Weg „ gegangen″. Seit einem Motorradunfall vor 15 Jahren ist der heute 34-Jährige querschnittsgelähmt. Doch er war und ist sich sicher: „ Ich bin Pilger, es geht immer weiter.″ Eine Analogie, die auf der Hand liegt: das Leben als Pilgerweg. Und so sind es für Bernhard wie für viele andere Pilger vor allem die menschlichen Grunderfahrungen, die den „ Pilgerrhythmus″ ausmachen: Sehnsucht, Aufbruch, Unterwegssein, Anstrengung, Erschöpfung und Ankommen. „ Spätestens nach dem zehnten Tag ist die Euphorie des Aufbruchs verschwunden, und man ist ausgelaugt″, sagte Bernhard. Schmutzige Wäsche, Blasen an den Füßen, Herbergsbetten, keine verlockenden Vorstellungen. Eine innere Leere stelle sich ein. Diese, so Bernhard, müsse man bereit sein zu ertragen. „ Dann kommt die Sinnerfahrung, wenn sich die Leere mit etwas Größerem füllt, mit Gott.″ Bernhard selbst ist Protestant, doch das findet er in diesem Zusammenhang nicht betonenswert: „ Beim Pilgern sind Sie einfach im Hier und Jetzt, Sie sind frei, und ich glaube, es ist egal, ob Sie dieses Freiheitsgefühl katholisch oder protestantisch empfinden.″ Tatsächlich ist Pilgern keine katholische Eigenheit. Muslime pilgern nach Mekka. Daneben brechen sie wie Juden und Christen nach Jerusalem auf. Einer der ersten Pilger im Alten Testament ist Abraham, der losgeht, um das verheißene Land zu finden. Ein berühmter Wallfahrtsort der Griechen war in der Antike der Tempel der Artemis in Ephesos. Als „ Grenzerfahrungen″, bezeichnete daher auch die Pastoraltheologin Professor Maria Widl das Pilgern. „ Dabei hat sich die traditionelle Perspektive des Wallfahrens verschoben″, sagte sie. Weg vom Sündenbüßen, hin zum Sinn- und Selbsterfahren. Sich selbst erleben, ohne Handy, ohne Termine, Schritt für Schritt, das seien die großen Trends, meinte auch Thorsten Tschirner. Er arbeitet für den Robinson Club. Doch einen großen Markt sieht er im Pilgern nicht. Kein Komfort, lautet dabei ja auch die Devise. Ohne großen Komfort, aber bei Sonnenschein hieß es nachmittags dann „ Hinaus ins Weite″. Etwa 250 Pilger waren zum Dom gekommen, um von dort nach Rulle aufzubrechen. Ausgerüstet mit Wanderschuhen, Sonnenhüten und Rucksäcken sowie gut erkennbar durch eine um den Hals hängende Jakobsmuschel, ging es durchs Nettetal. „ Auf einem Weg, auf dem vermutlich auch schon Jakobspilger im Mittelalter haltgemacht haben″, sagte René Kollai, Pastoralreferent im bischöflichen Seelsorgeamt in Osnabrück. Gemeinsam mit anderen Vertretern aus der Diözese hat er die Wallfahrt vorbereitet. „ Wir haben uns bewusst gegen den Kreuzweg entschieden, da wir das Katholische nicht so stark betonen und niemanden ausschließen wollten.″ Dreimal wurde die Wallfahrt unterbrochen: In der Gertrudenkirche, der Matthäuskirche und im Kloster Nette hieß es innehalten und nachdenken zu Gesang, Jazz- und Orgel-Klängen sowie vorgelesenen Gedichten und Bibelzitaten. Um kurz nach sechs waren die Pilger dann am Ziel: der Wallfahrtskirche in Rulle, wo der Tag mit einem Wortgottesdienst beschlossen wurde. Einmal raus aus der Stadt und dem Trubel, die Impressionen des Katholikentages sacken lassen, war der Hintergrund, warum viele mitgelaufen waren. Dabei traten die Pilger nicht nur in religiöse Fußstapfen: Denn, nebenbei gesagt, die Verbindung von Gehen und Nachdenken, die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Gehen, ist ein alter Gedankengang. Bildtext: In die Gefahr, schneller als 50 Kilometer pro Stunde zu laufen, kamen die Pilger erst gar nicht. Langsam und Schritt für Schritt den Weg und die Natur zu erkunden war die Devise. Foto: Klaus Lindemann
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Autor:
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Christof Haverkamp, rei, Marcus Tackenberg, epd, KNA, Martina Binnig, mlb, Elke Schröder, Ulrike Schmidt, rent, Stefanie Hiekmann, Lea Wolz
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