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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Nussbaum digital
Zwischenüberschrift:
Das Museumsquartier Osnabrück bringtdie Bilder des Künstlers in die Innenstadt.An 20 „Gedächtnisstützen für Felix Nussbaum″können Passanten bis Mitte Septemberseine Gemälde abrufen.
Artikel:
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Originaltext:
Sie fällt auf. Quietschgelb leuchtet die Stele vor dem Eingang des Nussbaum-Hauses den Museumsbesuchern entgegen. Die knallige Farbe hebt sich von der grauen Eingangsfassade ab. Soll das Kunst sein? Nein, eher nicht. Vielmehr handelt es sich um einen Datenträger für Kunst.

Ein Scan mit dem Smartphone oder Tablet und auf dem Bildschirm erscheint Felix Nussbaums Selbstbildnis an der Staffelei″. Möglich macht es der QR-Code auf der Stele. Gedächtnisstützen für Felix Nussbaum″ nennt das Museumsquartier Osnabrück die farblich markanten Pfeiler, die sich insgesamt 20-mal im Stadtraum wiederfinden. An jedem von ihnen lässt sich ein anderes Nussbaum-Bild abrufen.

Die digitale Straßengalerie gibt es anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Felix-Nussbaum-Hauses. Denn im Museum selbst hängen bis Mitte nächster Woche keine Bilder. Grund ist die Reihe 20 Jahre 20 Tage Freunde zu Gast im Felix-Nussbaum-Haus″. Unter anderen Parkour-Läufer, Artisten und Tänzer haben das Museum zu ihrer Bühne gemacht. Für die Bilder wäre das nicht so gut gewesen.

Berühmtestes Gemälde

Ganz auf Nussbaums Werk verzichten wollte das Museum nicht. Schließlich ist das Haus ihm und seinen Bildern gewidmet. Also entwickelten drei Mitarbeiter eine digitale Straßengalerie, die die Werke an Orte wie den Hauptbahnhof, das Theater und die Universitätsbibliothek bringen. Am Rathaus etwa lädt der QR-Code Nussbaums berühmtestes Gemälde aufs Smartphone: das Selbstbildnis mit Judenpass″. Mit jedem Bild wird außerdem ein erläuternder Text abgerufen, den die Nutzer lesen oder über eine Audiospur anhören können. Als analoge Alternative gibt es an jeder Stele Booklets mit allen Werken und Texten der Straßengalerie.

Nicht nur am Rathaus, auch an einigen anderen Stelen gibt es einen Bezug zur NS-Geschichte. Flucht und die Angst vor Entdeckung prägen Nussbaums Werk schließlich. Der Sohn einer jüdischen Familie ging mit seiner Frau Felka Platek 1933 ins Exil. Nachdem die Deutschen in Belgien einmarschiert waren, tauchte das Ehepaar unter. Im Versteck malte Nussbaum weiter.

Anne Sibylle Schwetter hat die Bilder ausgewählt, die an den Gedächtnisstützen abrufbar sind. Seit 2004 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum, seit 2009 Kuratorin für die Sammlung Felix Nussbaum. Was gefällt der Expertin an den Bildern? Felix Nussbaums Malerei zeichne sich durch einen hintergründigen, feinsinnigen Humor und große Empathie für das Menschliche″ aus, so Schwetter. Das ist sehr berührend und macht nachdenklich.″

220 Bilder gehören zur Sammlung des Museums; 20 daraus hat Schwetter für die Straßengalerie ausgewählt. Zu einigen dieser Bilder der Straßengalerie hat uns die Kuratorin begleitet.

Ihr erster Weg führt in den Schlossgarten. Die Gedächtnisstütze dort zeigt den Triumph des Todes″. Felix Nussbaum malte diesen makabren Abgesang auf die Zivilisation, kurz bevor er von den Nazis verhaftet und nach Auschwitz gebracht wurde. Gerippe spielen in einer apokalyptischen Landschaft zum Tanz auf; zu sehen sind außerdem Fragmente der zerstörten europäischen Herrschaftsarchitektur und aus Kultur und Wissenschaft.

Warum steht ausgerechnet dieses Bild im Schlossgarten, wo Leute die Sonne genießen? Anne Sibylle Schwetter nennt zwei Bezüge. Zum einen sei das Schloss ein Symbol der europäischen Herrschaftsarchitektur. Zum anderen stehe die Universität für Wissenschaft und kulturelle Errungenschaften.

An der Johannisstraße 103 taucht auf dem Smartphone-Bildschirm ein Werk auf, das die Angst vor Entdeckung des Malers widerspiegelt: Die Skizze Das Geheimnis″ zeigt Exilanten, die sich hinter vorgehaltener Hand Schreckensnachrichten aus der Heimat weitergeben. In dem Haus an der Johannisstraße hatte 1938 und 1939 Walter Meyer sein Büro. Er war Leiter des Sicherheitsdienstes (SD), der Verdächtige und jüdische Mitbürger bespitzelte. Auch Felix Nussbaums Eltern waren in seiner Kartei erfasst.

Die Galerie zeigt aber auch Bilder des jungen Nussbaum. Eine weitere Stele etwa befindet sich vor der Nussbaum-Villa in der Schlossstraße. An der Gedächtnisstütze auf der gegenüberliegenden Straßenseite ruft der QR-Code die Porträts von Nussbaums Eltern Rahel und Philipp ab, die Felix 1926 porträtierte. Die Nussbaums hatten es mit der Eisenwarenhandelsgesellschaft Gossels & Co″, die Philipp Nussbaum mit seinem Vetter Simon Gossels gegründet hatte, zu Wohlstand gebracht. Davon zeugt auch das Schlösschen″, wie Fritz Steinfeld das Elternhaus seines Jugendfreundes Felix Nussbaum nannte. Die Idee und der Entwurf der Villa sollen von Philipp Nussbaum stammen″, sagt Anne Sibylle Schwetter. Denn Felix′ Vater war Hobbymaler. Von ihm hatte sein Sohn das Interesse für Kunst.

Etwa in der Zeit, als die Villa gebaut wurde, nahm Felix Nussbaum sein Studium an der Hamburger Kunstgewerbeschule auf. Aber er war häufig in Osnabrück″, sagt Anne Sibylle Schwetter.

Davon zeugen Bilder, die er von seiner Heimatstadt gemalt hat. Nur einige Meter entfernt von der Villa steht eine Gedächtnisstütze mit so einem Werk: das Bild Süsterstraße″ von 1927. Zu sehen ist der Hakenhof, eine Armenstiftung der Familie von Hake zu Scheventorf. Heute ist in dem mittelalterlichen Gebäude das Sausalitos″ untergebracht. Wenn die Bar geöffnet ist, steht die Stele mit dem Bild vor der Tür.

Noch andere Stadtansichten sind in der digitalen Straßengalerie zu entdecken. So malte Nussbaum etwa auch den Pernickelturm. Die Stele dort wurde so hinter der Fußgängerbrücke platziert, dass Betrachter denselben Blick auf den Turm haben wie der Künstler.

Auch mitten im Einkaufstrubel findet sich eine Nussbaum-Stele. Sie steht im neuen Eingangsbereich von L+ T. Viele Einkäufer laufen hier an der Gedächtnisstütze vorbei. Vermutlich halten sie sie für eine Werbung. Doch die leere Box für die Booklets mit den Bildern weist darauf hin, dass schon manch einer genauer hingeguckt hat.

Der QR-Code hier führe zu einer leichten Seite von Felix Nussbaum″, so Anne Sibylle Schwetter. Denn auf dem Selbstbildnis mit grünem Hut″ von 1927 präsentiert er sich als modebewusster Mensch. Krawatte und Einsteckperle verweisen auf sein bürgerliches Verständnis. Felix Nussbaum hasste verschmierte Anzüge, flatternde Schleifen und wallende Mähnen das ganze Bohemegetue″ mancher Künstlerkollegen. So sagte er es seinem Freund Fritz Steinfeld.

Düstere Kehrtwende

Der Standort im Modehaus verweist allerdings auch auf die düstere Kehrtwende, die das Leben des Malers nahm. Denn das Geschäft wurde 1910 von Max Katz, Gustav Falk und Ludwig Stern als Textilkaufhaus Alsberg & Co gegründet. Nach der Machtergreifung der Nazis verloren die jüdischen Inhaber durch antisemitische Hetze einen Großteil ihres Umsatzes und waren zum Verkauf gezwungen. 1935 übernahmen Alfred Trieschmann und Friedrich Lengermann das Kaufhaus. Seit 2011 erinnert eine Gedenktafel bei L+ T an die drei Firmengründer.

Felix Nussbaum sei ein Künstler großer politischer Relevanz und zeitloser Aktualität″, sagt Schwetter. Das wird besonders an der Station vor dem Bürgeramt deutlich. Auf der Malerei Der Flüchtling (Europäische Vision) sitzt ein zusammengekauerter Flüchtling in einer Ecke, vor ihm steht ein großer Globus. Doch für diesen Menschen gibt es keinen Zufluchtsort mehr. Das Bild entstand nach dem Angriff auf Polen. Nussbaum ahnte, dass der Krieg sich nach Westen ausweiten würde und es für ihn in Europa keinen Platz mehr geben würde.

Bildtext:
Kuratorin Anne Sibylle Schwetter hat die Bilder ausgewählt.
Foto:
David Ebener

Unsere Autorin Anne Reinert hat nicht nur die digitale Straßengalerie besucht, sondern sie war in den letzten drei Wochen auch ziemlich oft im Felix-Nussbaum-Haus. Dabei hat sie mehrere belgische Touristen getroffen, die extra wegen Nussbaums Bildern angereist waren und nun in einem leeren Museum standen. Nachhaltig beeindruckt hat sie an diesen Begegnungen, wie sehr Felix Nussbaums Geschichte und seine Bilder Menschen über die Grenzen hinweg berühren. Schon allein deshalb wird sie bald mal wieder die echten Bilder im Felix-Nussbaum-Haus anschauen, wenn sie wieder an den Wänden hängen.

Fotos der Gemälde:
Museumsquartier Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus; Infos: www.felix-nussbaum.de/ werkverzeichnis
Autor:
Anne Reinert


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