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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Was von den Briten übrig blieb
Zwischenüberschrift:
Zehn Jahre nach dem Abzug der Garnison finden sich in Osnabrück noch immer Spuren
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück war über Jahrzehnte die größte britische Garnison außerhalb Großbritanniens: Bis zu 14 000 Briten lebten hier, mit eigener Polizei, eigenen Gerichten, Supermärkten, Kirche und Kultur. Vor rund zehn Jahren begann der Abzug und viele Osnabrücker fragen sich heute: War da mal was?

Osnabrück Etwas in die Ecke gedrängt, steht es im Raum 43 im Rathaus: ein hölzernes Rednerpult. Dabei war es im Frühling 2009 noch ein bedeutendes Geschenk. Kurz bevor der letzte Standortkommandeur Colonel Mark Cuthbert-Brown in ein Flugzeug nach London stieg und mit diesem Schritt die größte britische Garnison außerhalb Englands endgültig auflöste, übergab er das Pult dem damaligen Oberbürgermeister Boris Pistorius. Einst hatte es ein deutscher Zivilbeschäftigter für die Briten gebaut, viele Jahre lang wurde es bei Einsatzbesprechungen genutzt.

Stadt-Mitarbeiterin Katja Stricker räumt noch schnell ein paar Akten weg, die darauf liegen. Es wird immer noch genutzt″, erzählt sie. Zwar nicht im Friedenssaal, denn dort hat ein anderes Pult Hausrecht. Doch wenn der Oberbürgermeister auf dem Rathausplatz eine Rede hält, kommt es als variables Rednerpult zum Einsatz.″ Das passiert etwa zweimal im Jahr.

Die Briten kamen 1945 als Befreier, blieben dann als Besatzer, wurden später Nato-Partner und gingen in Frieden. Und hinterließen natürlich weitaus mehr als ein Pult.

Etwa diesen Ort in der Berghoffstraße, an dem die Königin überall ist: Von Tellern, Bildern und Postern lächelt sie huldvoll auf das Geschehen unter ihr. Jung geblieben ist sie hier, in diesem einem Pub ähnlichen Treffpunkt der Royal British Legion. Wer in Osnabrück ein Stück britischer Inselkultur finden möchte, ist hier richtig. Der Mann hinter dem Tresen trägt ein T-Shirt mit dem Wappen der englischen Fußballnationalmannschaft, neben zugegeben deutschem Bier gibt es britische Chips.

In einer der Ecken spielen Männer Darts, im Fernsehen an der Wand läuft ein englischer Sender, und neben Bildnissen von Queen Elizabeth II. finden sich diverse andere britische Devotionalien: Die Wände sind unter Unmengen von Kompanieabzeichen nur noch zu erahnen, und natürlich sieht man knallrote Poppys in jeglicher Form. Die Mohnblumen stehen im Vereinigten Königreich seit dem Ersten Weltkrieg für das Gedenken an gefallene Soldaten sie zu tragen bedeutet, die Truppen zu unterstützen.

Irene Magee trägt die Blume als Anstecker am Revers und erzählt stolz, was die Royal British Legion in den kommenden Woche noch alles veranstalten wird: eine Reggae-Night, den großen Tag der offenen Tür am 26. August und im Herbst ein Oktoberfest. Wir machen hier sehr viele Dinge für alle″, sagt sie auf Englisch. Magee ist Engländerin, kam nach Osnabrück als Frau eines Soldaten, blieb hier und kommt nun regelmäßig in dieses Miniaturengland in der Berghoffstraße. Hier trifft sie oft auch ihre Tochter, die extra aus Gütersloh anreist.

An diesem Sonntagnachmittag ist es voll: Während im Thekenraum Dartpfeile fliegen, wird im größeren Raum Bingo gespielt. Konzentriert haken die Gäste Ziffer für Ziffer ab. Bis auf die Ansagen der Spielleiter ist es mucksmäuschenstill. Doch den meisten Spielern geht es wohl weniger um die Sachpreise als um den Spaß am Spiel und um das Treffen mit alten Bekannten.

Auch wenn die Armee seit zehn Jahren keine Rolle mehr in Osnabrück spielt, sind wir hier eine Anlaufstelle für ehemalige Soldaten und für ihre Familien geblieben, die in Osnabrück, aber auch im weiteren Umland leben″, sagt David Large. Auf Deutsch wohlgemerkt.

Der in London geborene 60-Jährige lebt seit vielen Jahrzehnten in Deutschland, bekommt bald die deutschen Staatsbürgerschaft und gründete 1982 zusammen mit Roy Partridge die Osnabrücker Zweigstelle der Royal British Legion. Die britische Kriegsveteranen-Organisation kümmert sich seit 1921 um versehrte und ehemalige Armeeangehörige und bringt sie an Orten wie diesem wieder zusammen.

Es gab damals in Osnabrück keinen Ort für ehemalige Soldaten dabei sind immer wieder welche hiergeblieben″, sagt David Large. So wie er und Roy Partridge. Beide leben seit den frühen 1980er-Jahren in der Hasestadt. Erst des Dienstes, dann der Lieben wegen – „ wie wohl viele, die heute hier sind″, vermutet Large. Freitags, samstags und sonntags ist der Treffpunkt geöffnet und natürlich während besonderer Sportereignisse mit englischer Beteiligung. Dass es die englische Nationalmannschaft bei der WM ins Halbfinale geschafft hat, können beide immer noch nicht fassen. Da war hier volles Haus″, erzählt der 78-jährige Partridge.

Als sie den Ableger gründeten, begann just der Falklandkrieg. Unser Aufruf nach Mitgliedern in der Zeitung damals wurde missverstanden: Man dachte, wir wollten rekrutieren″, erinnert sich Partridge und lacht. Überhaupt erinnert er sich gerne an früher. Wie er als junger Mann auch Clubs betreten durfte, an denen ein Out of bounds″-Schild und kräftige Türsteher britischen Soldaten den Eintritt verwehrten. Ich kam mit meiner Frau, war höflich und hatte nie ein Problem.″ Im Gegensatz zu vielen seiner Kameraden und einer viel beschäftigen Militärpolizei. Die Taxifahrer und die Osnabrücker Kneipen in der Altstadt hat es sicher am meisten getroffen, als die Engländer die Stadt verlassen haben″, vermutet Large. Viel ist es auch nicht mehr, was an die Engländer erinnert. Die britischen Lebensmitteläden, wie der am Blumenhaller Weg, sind verschwunden und ein großer Teil der Kasernen wird längst anders genutzt.″

Die Mitgliederzahl der Royal British Legion in Osnabrück hat abgenommen mit dem Wegzug der Engländer. Heute sind es rund 200, schätzt Large. Und längst nicht alle haben britische Wurzeln. Der Präsident des District of Germany der Legion ist dann auch tatsächlich ein Bundeswehr-Reservist, nämlich Bernd Oschmann. Für ihn ist es eine Ehre.

Auch bei den The Pipes and Drums of the Royal British Legion″, der 2001 gegründeten Kapelle, sind mittlerweile rund 70 Prozent der Mitglieder Deutsche. Die Kapelle tritt immer noch auf der Maiwoche auf und wird natürlich auch am Tag der offenen Tür dabei sein.

Doch ist da noch mehr, was von den 60 Jahren Briten in Osnabrück geblieben ist? Nun ja, eigentlich sind Osnabrück und England schon viel länger eng verbunden″, sagt Brenda Teschke. Darüber hat die gebürtige Engländerin ein Buch geschrieben: A british heritage trail in and around Osnabrueck.″

In dem dünnen, auf Englisch verfassten Buch erzählt sie von den schon im 17. Jahrhundert aufzufindenden Berührungspunkten zum heutigen Haus Windsor, dessen Ahnen Ernst August I. und Sophie von der Pfalz ihre Karriere 1662 im Schloss Iburg starteten.

Überall in und um Osnabrück finden sich Hinweise auf britische Geschichte″, so Teschke. 1960 übersetzte sie bei einem Austausch in Osnabrück für ihre Kommilitonen und fand dabei großen Gefallen an dem Osnabrücker Dolmetscher. 1964 heiratete das Paar, heute wohnt es in Bad Iburg.

Teschke arbeitete als Lehrerin und ist seit 20 Jahren bei der Osnabrücker British Decorative and Fine Arts Society″, kurz Bridfas. Diese organisiert Vorträge auf Englisch über Kunst und Kultur, für die einmal im Monat ein Experte nach Osnabrück kommt. Auch die Society entspringt der Armeepräsenz, denn Bridfas Osnabrück wurde 1997 von der Frau eines britischen Brigadegenerals gegründet.

Anfangs rekrutierten sich die Mitglieder vor allem aus dem Umfeld der Truppen. Dass das Parkhotel im Stadtteil Westerberg schnell zum Veranstaltungsort für Vorträge und Treffen wurde, lag wohl auch daran, dass sich dort in der Nähe die Offiziershäuser der Armee befanden. Jeder kann Mitglied von Bridfas werden, und seitdem die Armee abgezogen ist, ist der Anteil der Briten gering: Nur etwa zehn Prozent der rund 70 Mitglieder stammen laut der Vorsitzenden Teschke von der Insel.

Wie Bridfas und den Pipes and Drums″ erging es vielen der früheren Freizeitangebote: Sie wurden eingedeutscht. Das garnisonseigene britische Amateurtheater ging in der Theatergruppe Ostensibles auf und spielt immer noch, allerdings mit weitaus mehr deutschen als britischen Mitgliedern. Der Anglo German Christmas Carol Service″, also ein Weihnachtslieder-Chor, wird von Bridfas organisiert, die britischen Militärmusikkonzerte, die von 1980 bis 2007 immer am letzten Dienstag im November in der Stadthalle stattfanden, gibt es nun als Osnabrücker Musikstreife. Doch die Publikumsmassen, die sie früher angezogen haben, erreichen sie nicht mehr. Brenda Teschke ist darüber nicht traurig: Es hat alles seine Zeit und wer sich wirklich für die englische Sprache interessiert, findet immer noch Angebote in der Stadt.″

Besucher der Ausstellung Räume gegen das Vergessen. Osnabrück im 20. Jahrhundert″ in der Villa Schlikker finden zudem diverse Dinge, die an die Zeit der Briten in Osnabrück erinnern. Beispielsweise das Büroschild des Britischen Verbindungsoffiziers in Osnabrück. 2009 wurde es uns überlassen″, sagt Dr. Thorsten Heese, Kurator für Stadtgeschichte des Kulturgeschichtlichen Museums. Nun ziert es neben anderen britischen Relikten die Dauerausstellung. Zudem plane man für den Herbst eine kleine Aktion zum Beginn des Abzugs der Briten vor zehn Jahren. Auch das Schild Essex Club″ hing früher in den Robert Baracks (Winkelhausen-Kaserne) und entstand etwa im Jahr 2000, vermutet Heese.

In den ehemaligen Roberts Barracks am Hafen, wo das Schild einmal hing, ist die Zeit sogar stehen geblieben. Seitdem die Briten weg sind, zeigt die Uhr auf dem Gebäude der Militärpolizei halb fünf und drei Uhr an. Noch. Denn die noch leer stehenden Speicher sollen bald zu einem Kreativquartier für Künstler gestaltet werden. Noch sieht man hier den Stacheldraht, der das Areal einst einzäunte.

Osnabrück war ein beliebter Standort bei den britischen Soldaten: Die Kasernen waren in einem besseren Zustand als die in England, der Weg nach Hause oder zu anderen Einsatzgebieten war nicht weit, und die Stadt war schön.″ Paul Barron kennt diese und auch die anderen alten Kasernen im Stadtgebiet wie seine Westentasche. Gebürtig aus England stammend, kam der 67-Jährige mit 17 nach Deutschland und landete 1970 in Osnabrück. Er blieb, wie so viele, der Liebe wegen, verließ die britische Armee, arbeitete aber weiterhin für sie als Zivilangestellter in der Bauverwaltung, deren Chef er später wurde.

Als sich der Abzug der Briten ankündigte, wechselte Barron den Arbeitgeber und organisierte für die Stadt Osnabrück die Konversion. Gemeint ist damit die Umwandlung von militärischer in zivile Nutzung. Dass der Abzug beschlossen wurde, sei abzusehen gewesen: Nach der Wiedervereinigung 1989 und dem Ende des Kalten Krieges war klar, dass die Engländer nicht ewig bleiben werden. Als 2006 dann die Entscheidung aus London kam, war ich nicht überrascht.″

Umso begeisterter ist er, nun zu sehen, was aus den alten Gebäuden wurde: Jetzt sind dort Teile der Uni, der Polizei oder des Finanzamtes untergebracht. und in den Häusern leben Familien das ist eine Erfolgsgeschichte.″ Von Wehmut also keine Spur? Barron winkt ab: Ja, es war eine spannende Zeit. Aber wenn die britische Armee einen Ort verlässt, hinterlässt sie ihn gerne so, als sei nichts gewesen.″

Und so wirkt es für viele wohl auf den ersten Blick: An über 60 Jahre Präsenz in der Stadt erinnert trotz Stacheldraht, den noch erhalten gebliebenen Kasernengebäuden, einem Rednerpult, Vorträgen und Dudelsackmusik im Stadtbild und Stadtgeschehen eher wenig.

Aber darauf kommt es vielleicht auch gar nicht an, denn wer wirklich noch da ist, sind die Menschen, die aus dem besten aller Gründe in und um Osnabrück geblieben sind: Liebe.

Bildtexte:
Three Lions on a shirt . . .″ In der Royal British Legion in der Berghoffstraße gibt es britische Pub-Gemütlichkeit und deutsches Bier.
An den Wänden der Royal British Legion hängen viele Erinnerungen auch an Personen.
Das hölzerne Rednerpult war ein Geschenk des letzten Standortkommandanten es steht in einem Büro im Rathaus und kommt gelegentlich zum Einsatz.
Identifikationsfigur: Das Gesicht von Queen Elizabeth II. ist in den Räumen an der Berghoffstraße allgegenwärtig.
Fotos:
Benny Beutler, Michael Gründel
Autor:
Corinna Berghahn


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