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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Geldhahn zugedreht: Sterne-Restaurant „La Vie″ plötzlich geschlossen
 
Bühner würde gern in Osnabrück bleiben
 
„Weltweit in der Ersten Liga″
Zwischenüberschrift:
Licht aus im „La Vie″: Der Chefkoch verliert seine Michelin-Sterne und die Stadt einen Imageträger
 
Reaktionen von Griesert und Rosenbach
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück Die drei Michelin-Sterne in Osnabrück sind erloschen: Das Spitzenrestaurant La Vie″ in der Altstadt ist seit Samstag geschlossen. Die Georgsmarienhütte Holding GmbH, alleinige Gesellschafterin der La Vie GmbH, hatte bereits vor vier Wochen den Beschluss gefasst, sich vom Restaurantgeschäft zu trennen. Sternekoch und Geschäftsführer Thomas Bühner war zum Schweigen verpflichtet bis Samstag. Da eröffnete er seiner schockierten Belegschaft, dass das Restaurant und das Tasty Kitchen″ sofort den Betrieb einstellen. Das La Vie″ gehörte zu den 150 besten Restaurants der Welt und war ein Imageträger Osnabrücks. Stahlbaron Jürgen Großmann hatte als Gesellschafter der GMH Holding seine schützende Hand über das La Vie″ gehalten.

Foto:
David Ebener

Die drei Michelin-Sterne über Osnabrück sind erloschen. Das La Vie″ ist seit Samstag zu. Knall auf Fall. Nur Chefkoch Thomas Bühner wusste von der Entscheidung der Georgsmarienhütte Holding, musste aber wochenlang schweigen.

Osnabrück Das Türschild ist schon abgeschraubt. Im Haus ist es still. Die Küche ist leer. Nur die Kühlschränke surren, gefüllt noch mit erlesenen Zutaten. Die 28 Mitarbeiter des La Vie″ und Tasty Kitchen″ sind im Urlaub kommen danach aber nicht wieder. Chefkoch Thomas Bühner sitzt am Montagnachmittag dort, wo am Freitag noch die Gäste seine weltweit gerühmte Kochkunst genossen, um mit seiner Medienberaterin die nächsten Schritte abzustimmen. Das La Vie″ in der Abwicklung.

Der hochdekorierte Sternekoch musste am Samstag seiner 28-köpfigen Mannschaft eröffnen, dass es nicht mehr weitergeht. Die Georgsmarienhütte Holding GmbH, alleinige Gesellschafterin der La Vie GmbH, hatte den Geldhahn zugedreht. Vor vier Wochen schon, aber Bühner war bis Samstag zum Schweigen verpflichtet. Ein Vorgang, der bei der Belegschaft nicht gut ankam: Von vielen Stammkunden hätte ich mich gern persönlich verabschiedet, das geht so nicht″, sagte Tobias Pietsch, seit zehn Jahren im La Vie″ und Küchenchef des Tasty Kitchen″. Seine Enttäuschung ist groß: Man hat ja auch sehr viel in diesen Laden investiert. Man hat es mit Herzblut gemacht, einfach weil es Spaß macht. Die Gründe sind da, ja, aber niemand von uns hat sich ausgeruht, niemand hatte einen Acht-Stunden-Tag. Warum so ein undankbarer Schluss?

Das Vorgehen war nicht mein Wunschkonzert″, sagte Thomas Bühner unserer Redaktion. Ich hätte es gerne nicht so kurzfristig gemacht, hatte aber keine Wahl. Ich habe es als Geschäftsführer nur so ausführen können, wie es die Gesellschafter gefordert haben.″ Seine Sorge gilt nun den Mitarbeitern: Ich werde alles dafür tun, dass die Mitarbeiter nicht im Regen stehen bleiben. Es ist jetzt meine Hauptaufgabe, ihnen dabei zu helfen, dass es weitergeht.″ Die Schwierigkeit besteht für sie darin, dass viele Restaurants aktuell Sommerpause machen und kein Personal einstellen.

Zuschussgeschäft

Außerdem liege sein Hauptaugenmerk darauf, die Geschäfte sauber abzuwickeln, sagte Bühner: Reservierungen müssen abgesagt, Gutscheine zurückgezahlt werden. Gut, wir sind nicht insolvent, wir schließen nur. Aber: Es müssen auch Geburtstage, Firmenfeiern, private und geschäftliche Essen bis zum Jahresende abgesagt werden.″ Wer einen Gutschein besitzt, kann diesen an das Restaurant schicken. Die Gutschein-Betrag werde umgehend ersetzt.

Wie es für ihn selbst weitergeht, weiß Bühner noch nicht. Er würde gerne in Osnabrück bleiben, auch aus familiären Gründen. In diesem Jahr stehen noch mehrere fest zugesagte Gastspiele unter anderem in Asien an, bei denen er zusammen mit anderen Spitzenköchen in deren Küchen kocht. Ich kann mit vieles vorstellen, werde aber nun auch erst einmal alles verarbeiten.″

Das Restaurant ist Teil der Georgsmarienhütte Holding. Die Gruppe ist ein Verbund mittelständischer Unternehmen, deren Herkunft und Schwerpunkt im Stahlgeschäft liegt. Der Konzern stellt sich seit zwei Jahren neu auf, hat sich von etwa der Hälfte der einst 50 Unternehmen getrennt und die Mitarbeiterzahl von etwa 10 000 auf unter 7000 reduziert. Der Konzern will sich auf sein Kerngeschäft Stahl konzentrieren. Der Betrieb eines Gourmetrestaurants gehört nicht dazu. Im Zuge der organisatorischen Neuausrichtung der GMH-Gruppe liegt der unternehmerische Fokus auf der Stahlherstellung und - verarbeitung″, heißt es in der am Montag veröffentlichten Mitteilung der Holding. Jürgen Großmann wird in der Mitteilung der GMH-Gruppe mit keinem Wort erwähnt. Der La Vie″-Mentor äußert sich nicht.

Es war kein Geheimnis, dass das Restaurant, das zu den 150 besten Restaurants der Welt zählt, wirtschaftlich immer unter Druck stand, wie die meisten anderen deutschen Gourmetrestaurants dieser Güteklasse auch. Aber Jürgen Großmann, Gründer und Gesellschafter der GMH-Holding, hielt seine schützende Hand über das La Vie″, das er in den Neunzigerjahren gegründet und 1999 von der Rheiner Landstraße in das neoklassizistische Haus an der Krahnstraße 1/ 2 geholt hatte. Damals kochte dort noch Jörg Riepe. Nach mehreren Wechseln kam 2006 Thomas Bühner von der Hohensyburg nach Osnabrück. Mit ihm stieg das La Vie″ (Angebotsmenüs ab knapp 150 Euro) in die gastronomische Spitzenklasse in Deutschland und Europa auf.

Schritt für Schritt erklomm der heute 56-jährige Chefkoch mit seinem Team die kulinarischen Leitern. Kein Restaurantführer, keine Fachzeitschrift, kein Szenejournalist kam in den vergangenen zwölf Jahren am La Vie″ vorbei. Auszeichnungen, Preise und Artikel in euphorischer Tonlage folgen in regelmäßigen Abständen. Drei Michelin-Sterne und 19 Punkte im Gault-Millau erkochten Bühner und seine Mannschaft. Feinschmecker aus aller Welt reisten an, um die Bühner′sche Aromen-Küche zu erleben. Das La Vie″ wurde zu einem wichtigen touristischen Faktor und Imageträger für Osnabrück.

Die Frage, ob sich das La Vie″ wirtschaftlich selbst tragen könne, war stets Objekt wilder Spekulationen in Osnabrück. Thomas Bühner drückte es in einem Gespräch mit unserer Redaktion einmal so aus: Ohne die kindliche Begeisterung Großmanns für dieses Thema wäre es schwer.″

Gäste aus aller Welt

Die Michelin-Sterne sind mit der Schließung des Restaurants erloschen. Osnabrück verliert damit auch seine Position als kulinarische Hauptstadt Norddeutschlands. Selbst Frankfurt oder Berlin haben Ähnliches nicht zu bieten. Auf gleichem Niveau kocht in Niedersachsen nur Sven Elverfeld im Ritz Carlton in Wolfsburg.

Und ein herausragender Promi-Treffpunkt ist damit aus der Stadt verschwunden: Zum Salon de La Vie″ bat Jürgen Großmann einmal im Quartal Menschen der höchsten Prominenzstufe in die Krahnstraße zum gemeinsamen Genuss und zu tiefschürfenden Gesprächen. Zu Gast waren unter anderen Oliver Bierhoff, Manager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Mercedes-Chef Dieter Zetsche, Ex-Tagesthemenchef Ulrich Wickert, Altbundespräsident Joachim Gauck, Finanzminister Olaf Scholz oder der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg.

Auf der Homepage bedankt sich das La Vie″-Team bei seinen Gästen für deren Loyalität, Vertrauen und die vielen schönen Stunden″ in den vergangenen Jahren. Erst Sie, liebe Gäste, haben das La Vie zu dem gemacht, was es bis zum Schluss war: eines der besten Restaurants unseres Landes und auch darüber hinaus. Bleiben Sie also weiterhin dem Genuss verbunden und passen Sie gut auf sich auf.″

Ein Verlust? Reden Sie mit: noz.de/ lokales

Bildtext:
Thomas Bühner muss neu anfangen, nachdem die Georgsmarienhütte Holding dem Spitzenrestaurant La Vie″ den Geldhahn zugedreht hat.
Foto:
Archiv/ Michael Gründel

Gourmet

Das Wort Gourmet ist kein deutsches Wort. Der Begriff kommt aus Frankreich und bedeutet Feinschmecker. Das ist jemand, der besondere Gerichte gerne mag und ständig auf der Suche nach neuen ist. Dafür muss er oft weit reisen, denn Restaurants, die solches Essen anbieten, gibt es nicht überall: Insgesamt sind es nur rund 300 in Deutschland.

Ein Gourmet-Koch will seinen Gästen etwas Besonderes bieten, das sie so noch nicht gegessen haben. Er verbindet dabei mit komplizierten Techniken unterschiedlichste Zutaten und Gewürze, um dem Essen einen einzigartigen Geschmack zu geben. Die Gerichte werden sehr liebevoll und in kleinen Portionen serviert. Weil Gourmet-Restaurants oft edel eingerichtet sind, ist ein Besuch nicht billig.

Die Feinschmecker erkennen die Restaurants an speziellen Symbolen, wie etwa dem Michelin-Stern. Das ist eine Auszeichnung, die jedes Jahr neu an besondere Restaurants vergeben wird.

Osnabrück Marketingchefin Petra Rosenbach war am Montag persönlich von Bühner über die Schließung informiert worden. Das ist absolut zu bedauern und ein Verlust für die Stadt″, sagte die Geschäftsführerin der Osnabrück Marketing und Tourismus GmbH (OMT).

Sie schätze Bühner sehr als überzeugten Botschafter Osnabrücks″, so Rosenbach. Das hat er immer kommuniziert und ausgestrahlt.″ Bühner und das La Vie″ sind nach ihren Worten stark in das Marketing und den touristischen Städtebund Historic Highlights of Germany″ eingebunden. Vor allem in den USA und Asien werbe Osnabrück mit dem Sterne-Koch.

Die Schließung des La Vie′ ist sicherlich auch für mich keine gute Nachricht″, ließ sich Oberbürgermeister Wolfgang Griesert am Montagmittag in einer Mitteilung des städtischen Presseamtes zitieren. Auch wenn es in unserer Stadt weitere Spitzengastronomie gibt, verliert Osnabrück mit diesem Restaurant sein kulinarisches Aushängeschild″, so Griesert weiter. Drei Michelin-Sterne, zahlreiche weitere Auszeichnungen und eine außergewöhnliche Weinkarte stünden für eine internationale Klasse, die ihresgleichen suche. Mit dem La Vie″ habe Osnabrück kulinarisch weltweit in der Ersten Liga gespielt, das Restaurant sei zu einem Markenbotschafter der Stadt geworden.

Griesert bezeichnete Bühner als einen der besten Köche der Welt. Er sei ein authentischer, sympathischer und aufrichtiger Botschafter″ der Friedensstadt. Griesert: Ich hoffe, er bleibt Osnabrück treu.″

Bildtext:
Das La Vie″ im historischen Haus Tenge.
Foto:
David Ebener

Kommentar
Osnabrück verliert einen Leuchtturm

Das La Vie″ hat geschlossen? Viele werden diese Nachricht mit einem Schulterzucken quittieren, und so manchem wird vielleicht sogar ein Gut so! entfahren. Denn sosehr sich Thomas Bühner angestrengt hat, neben dem Olymp der Restaurant-Ranglisten auch die Herzen der normalen Bürger zu erreichen das La Vie″ und die Osnabrücker, das war nie eine ungetrübte Liebesbeziehung.

Zu hoch war für viele die Hemmschwelle, das Spitzenrestaurant in der Altstadt zu betreten. Von Neid und Missgunst gespeiste Fake News machten die Runde, von rigiden Einlasskontrollen wurde erzählt und von angeblich an Gäste verteilte Rote Karten. Und so mancher echauffierte sich über die Menü-Preise: Es sei ja wohl nahezu unanständig, etwas anzubieten, das sich so viele nicht leisten können.

Auch die Kommunalpolitik blieb spürbar auf Distanz. Als könne zu viel Nähe zum La Vie″ als Zeichen mangelnder Bodenhaftung missverstanden und vom Wähler abgestraft werden. So durfte sich der kulinarische Weltstar Bühner, der bei seinen Gastspielen im Ausland mancherorts empfangen wird wie ein Popstar, erst zum zehnjährigen Bestehen des La Vie″ vor zwei Jahren ins Goldene Buch eintragen und damit deutlich nach dem jungen Osnabrücker DJ Robin Schulz, dessen Karriere im Gegensatz zu der von Bühner noch ganz am Anfang stand. Eigentlich wäre spätestens die Verleihung des dritten Michelin-Sterns im Jahr 2011 und damit der Aufstieg des La Vie″ in die Weltelite der richtige Zeitpunkt für diese Geste gewesen.

Aber selbst denjenigen, die das La Vie″ niemals betreten haben und es auch künftig niemals betreten hätten, sollte bewusst sein, dass Osnabrück seine wohl einzige Institution von Weltrang verloren hat. Die Strahlkraft dieses gastronomischen Leuchtturms hat zahlungskräftige Gourmet-Touristen aus allen Kontinenten in die Friedensstadt gelockt. Sie gaben ihr Geld nicht nur im Haus Tenge aus, sondern auch in den Geschäften und Hotels.

Damit ist es nun vorbei. Und das sollte auch für alle, die niemals mehrere Hundert Euro für ein Menü ausgeben würden weil sie es sich nicht leisten können oder schlicht nicht wollen –, ein Grund sein, nicht bloß mit den Schultern zu zucken.
Autor:
Stefanie Hiekmann, Wilfried Hinrichs, Arne Köhler


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