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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Neulinge, echte Originale und einige Leerstände
Zwischenüberschrift:
Rundgang durch die Altstadt – Das ehemalige Viertel der Studenten und Ratsherren hat sich verändert
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
In der Altstadt stehen derzeit mehrere Geschäfte leer, ein paar haben sich kaum ein Jahr lang gehalten. Muss man sich Sorgen um die wohl schönste Ecke der Stadt machen? Einen Vormittag lang sind wir mit unserer Kamera durch das Heger-Tor-Viertel gestreift auf der Suche nach dem, was war, dem, was kommt, und dem, was bleibt.

Osnabrück. Räumungsverkauf″ ein rotes Banner ziert das Schaufenster des Geschäfts in der Großen Gildewart, in dem bis vor Kurzem noch das Modegeschäft Pikstein seine Kleidung anpries und das nun umzieht. Nur ein paar Schritte weiter hat der Edelholz-Shop der Osnabrücker Holzgroßhandlung Hermann Wischer″ geschlossen. Das Geschäft hat sich nur knapp drei Jahre gehalten, beim Herrenausstatter Milano in der Heger Straße war es sogar nur ein knappes Jahr. Wie lange das angrenzende Antiquitätengeschäft Bosse schon leer steht, können nicht einmal die direkten Nachbarn sagen. Wird das hier eine dieser traurigen Geschichten über Leerstände und eine verödende Osnabrücker Altstadt? Nein, wird es nicht.

Die Hoffnung keimt auf in Form eines halb vergilbten Zettels und eines Containers voll Bauschutt. Der steht vor besagtem Antiquitätengeschäft Bosse, das zurzeit komplett umgebaut wird. Die Telefonnummer auf dem Zettel, das am Schaufenster hängt, führt zu der Bauherrin. Ein Anruf: Ja, Flick hier? Brigitte Flick von Brigitte Flick Design, wohnhaft in Celle, aber bald mit einem Büro für Grafik und Design hier in der Osnabrücker Altstadt. Im Frühjahr soll es losgehen, sagt sie.

Ein neues Gesicht in der Altstadt. Aber vor den neuen Gesichtern zunächst zu einem alten Gesicht. Nein, nicht alt nur schon eine ganze Weile dabei: Moin! Jens Meier begrüßt uns am Seiteneingang der Lagerhalle. In den 90ern kam er als Student nach Osnabrück und an die Theke der Lagerhalle. Heute ist er in dem Kulturzentrum für den Bereich Projekt- und Zielgruppenarbeit/ Ausstellungen″ zuständig. Außerdem ist Meier Vorstandsvorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) Heger-Tor-Viertel, die sich vor wenigen Jahren gegründet hat. Mit dem Ziel, die Altstadt zu stärken.

Es ist ein Montagmorgen. Noch dunkel ist es in den Kneipen Peitsche und Zwiebel in unmittelbarer Umgebung des Heger Tors, das ja eigentlich Waterloo-Tor heißt. Aber wer sagt das schon?

Lieferverkehr schlängelt sich durch die Marienstraße, jedes abgestellte Fahrrad kann hier für die Transporter zu einem unüberwindbaren Hindernis werden. Und während die Kneipiers noch schlafen, erwacht das Handwerk. Einige arbeiten hier quasi im Schaufenster, sodass man ihnen bei der Arbeit zusehen kann″, sagt Jens Meier. Da sind zum Beispiel der Raumausstatter Die Polstermanufaktur″, der Kürschner Paul Biel oder Josef Kuhlmann. Seine Goldschmiede liegt in der Heger Straße. Wer ein paar Schritte in den Hausflur hineingeht, kann ihn durch das Fenster bei der Arbeit beobachten. Als er uns bemerkt, nimmt er die Lupenbrille vom Kopf und winkt uns hinein.

Seit 2005 habe ich mein Geschäft hier″, sagt Josef Kuhlmann. An der Wand neben ihm hängt der Meisterbrief, vor ihm auf dem Tisch liegen Anhänger und Goldringe. Der Standort ist gut″, sagt Kuhlmann. 65 Jahre wird er bald alt. Aber das Geschäft geht trotzdem schlecht.″ Die Leute kämen zu ihm, ließen sich umfangreich beraten und bestellten anschließend den Schmuck im Internet. Aber letztens war hier einer, der hatte seinen Trauring verloren″, sagt der Goldschmied. Den Ring habe ich dann nachgemacht. Den kann man nicht aus dem Katalog bestellen.″

Wer meint, mit Josef Kuhlmann ein richtiges Original″ kennengelernt zu haben, der sollte noch etwas mehr Zeit in der Altstadt verbringen und unbedingt abends wiederkommen, dann, wenn die Kneipen öffnen, um in der Grünen Gans bei Marion ein Pfeffersteak im Brötchen zu bestellen. Ja, Gans-Chefin Marion hat auch einen Nachnamen, aber irgendwie ist das wie beim Heger Tor der richtige Name tut nichts zur Sache.

Geballt treten die Originale″ bei Briefmarken Fellermann in der Bierstraße auf. Inhaber Ulrich Abeler ist gerade außer Haus, also fragen wir die Menschen hinter dem Schalter nach ihrem Namen. Der ist so schwer zu schreiben, ich schreibe Ihnen den einmal auf″, sagt Mitarbeiter Laszlo Csötönyi, seine Kollegin lacht, und ein älterer Herr, dessen Rolle in diesem Geschäft sich uns nicht erschließt, lacht mit. Oh, bitte nicht mit aufs Foto, er sei eine ganz unwichtige Person, sagt er und lacht wieder. Aber eigentlich ist er hier immer anzutreffen″, flüstert uns Jens Meier zu. Die Regale sind bis zur Decke mit Münzen- und Briefmarkenalben in schweren Lederbändern vollgestellt. Das Geschäft ist mehr als hundert Jahre alt, erst seit rund zehn Jahren dient es auch als Postfiliale. Bitte, fürs Foto doch einmal ein Briefmarkenalbum aufschlagen, und da uns spontan außer der blauen Mauritius keine Marke einfällt, fragen wir eben nach der. Wissen Sie wie viele es von der blauen Mauritius weltweit gibt?″, fragt Laszlo Csötönyi und grinst. Zwölf Stück, und nur vier davon sind ungebraucht.″ Wo die sich befinden? In verschiedenen Museen und bei Queen Elizabeth. Leider nicht in de Osnabrücker Altstadt.

Wir gehen die Bierstraße hoch Richtung Dominikanerkirche. Zum Andenken an die hingerichteten Widerstandskämpfer des gescheiterten Bombenattentats auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 wird hier jedes Jahr ein Kranz niedergelegt. Aber vielleicht könnte man den Platz vor der Kunsthalle auch noch anderweitig nutzen, meint Jens Meier. Überhaupt das Draußen″ ist ein Thema in der Altstadt.

Mittlerweile ist es schwer vorstellbar, aber bis in die späten 1990er war Außengastronomie in der Altstadt verboten. Heute kann man draußen vor der Joe Enochs Sportsbar oder der Lagerhalle sitzen. Auch vor dem ARTelier-Café″ von Magdalena Mund und ihrem Lebensgefährten, dem Künstler Thomas Jankowski, stehen bunte Stühle. Das Café hat erst im November geöffnet, und auch Jankowski lässt sich bei seiner Arbeit durch die Fensterscheiben zusehen. Nach dem Mondflug″ und Pferde haben Flügel″ für Jankowski jetzt also ein Café.

Dass es in Osnabrück ja tatsächlich nicht immer regnet, haben nicht nur die Gastronomen bemerkt, sondern auch die Anwohner der Altstadt. Manche stellen im Sommer einfach mal eine Bank vor die Tür und genießen die Sonne″, sagt Jens Meier. Und doch gibt es noch einen wunden Punkt bei dem Thema Außengastronomie und der liegt nicht im, sondern über dem Heger-Tor-Viertel. Direkt auf besagtem Tor.

Gerne würde der Betreiber des griechischen Restaurants Almani auch dort bewirten. Wegen Problemen mit der Denkmalpflege ist das Thema aber vom Tisch. Jens Meier bedauert es, der Platz auf dem Heger Tor gehört für ihn zu einem der schönsten in Osnabrück, und ein gastronomisches Angebot könnte er sich dort nach wie vor gut vorstellen.

Zurück zur Bierstraße, hier waren wir stehen geblieben, und hier treffen wir Jeff vom Wein Cabinet, der gerade im Innenhof eine Lieferung Rotweinflaschen aus dem Transporter räumt. Auch Jeff heißt nicht Jeff, sondern Jean-François Pelletier. Wir kommen uns etwas seltsam vor, in diesem schönen Innenhof, in unmittelbarer Nähe des alten Steinwerks, dem Sitz der Denkmalpflege, den Frankokanadier danach zu fragen, was für ihn die Altstadt so besonders macht, da es doch so offensichtlich erscheint. Aber dann sagt Pelletier etwas, das anders als unsere Frage wenig platt klingt: Hier in der Altstadt ist viel los, aber das Leben ist ruhig.″

Ja, die Altstadt ist nicht die Große Straße. Hier rennt man nicht, hier geht man nicht, hier schlendert man. Der Touristenanteil ist hoch. Das Heger-Tor-Viertel ist kein Viertel für Ketten und Filialisten. Stattdessen findet man hier Kunst und Antikes und maßgeschneiderte Schuhe zu Preisen, über die man nachdenken muss, und mittlerweile auch Yoga und Wellness. In der Altstadt befindet sich das Café Läer, das von der Fachzeitschrift Der Feinschmecker″ als eines der besten Cafés Deutschlands geführt wird, dessen Zukunft derzeit jedoch unsicher ist: Ulrich Läer ist 65 Jahr alt und würde seine Konditorei in der Krahnstraße gerne abgeben. Doch ein Nachfolger ist schwer zu finden. Neben dem Café liegen das Hotel Walhalla und natürlich das Drei-Sterne-Restaurant La Vie″. Wein, Kunst, Weltklasse-Küche ist die Altstadt zu einem Viertel für gut verdienende Osnabrücker fortgeschrittenen Alters geworden?

Jens Meier lacht. Als ich als Student nach Osnabrück kam″, sagt er und reist gedanklich in die frühen 1990er-Jahre zurück, da standen die Studenten hier in großen Trauben auf der Straße.″ Diese Zeit sei vorbei. Das Angebot ist in der gesamten Stadt differenzierter geworden, und die Gäste sind es auch″, sagt er. Zum Tanzen gehe man eher nicht in die Altstadt, zum Trinken schon. Und die Lagerhalle und das Haus der Jugend seien immer noch feste Anker. Gerade Veranstaltungen wie der Popsalon oder die Kulturnacht würden junge Menschen anlocken, sagt Meier. Das Viertel werde aber nicht mehr von einer bestimmten Generation dominiert, die immer dieselben Kneipen aufsucht. Es ist nicht mehr das Viertel der Studenten, aber auch nicht mehr das Viertel der Ratsherren und - frauen.

Die Zeiten, in denen OB Hans-Jürgen Fip bei Leo Lammers in der Schuhmacherei saß und die Kommunalpolitik durchdiskutierte, die sei nun einmal vorbei. Leo Lammers starb 2012. Das Schild seiner Schuhmacherei hängt immer noch in der Heger Straße, und wenn man gebürtige Osnabrücker ja, auch die unter Vierzigjährigen fragt, was für sie die Osnabrücker Altstadt ausmacht, dann stehen die Chancen gut, dass Leo Lammers zu den ersten Namen zählt, die genannt werden. Jetzt wird in dem Ladenlokal Whisky verkauft.

Auch die Olle Use ist nicht mehr der natürliche Treffpunkt der Kommunalpolitik. Neben Schnaps gibt es Gin, aber keine Cocktails, das würde dann doch zu weit gehen. Neun Monate lang haben die Walhalla-Betreiber die Traditionskneipe umgebaut, und herausgekommen ist ein Lokal, das modern ist, aber das Heimelige bewahren soll. Das ist der schmale Grat, auf dem die Altstadt balanciert: Traditionell will sie sein, aber nicht angestaubt. Verwurzelt, aber nicht bieder.

Ein Geschäftsmodell, das von dem Feinkostladen Heimatrausch″ aufgegriffen wird, der sich vor etwa einem Jahr in der Altstadt niedergelassen hat. Hinter dem Laden steht die Eventagentur Geschmackskomplizen″, genauer gesagt Tobias Neumann, der durch das Fricke Blöcks″ und die Steakmeisterei in der Osnabrücker Gastro-Szene bereits bekannt ist.

Auf dem Weg zu den Altstädter Bücherstuben wird es zum ersten Mal laut an diesem Morgen. Ein Radfahrer und ein Lieferwagenfahrer geraten auf der Bierstraße aneinander. Eng ist es hier, nach meinem Geschmack auch viel zu vollgeparkt″, sagt Jens Meier. Wer kommt überhaupt auf die Idee, in der Altstadt nach einem Parkplatz zu suchen? Kurzer Blick auf die Kennzeichen: ST, EL, HX. Wie könnten sie es auch wissen?

Die Altstädter Bücherstuben haben einen hervorragenden Ruf, wurden für den Deutschen Buchhandlungspreis 2017 nominiert, und dennoch: Wir kleinen Geschäfte müssen immer für unseren Erhalt kämpfen″, sagt Inhaberin Karin Steinke-Klingenburg . „ Wir wollen besser sein als der Online-Handel″, sagt sie. Aber einfach sei das nicht. Was haben die Bücherstuben, was Amazon nicht hat? Ein Sofa. Eine Kaffeemaschine. Eine Verkäuferin, die auch die ganz neuen, noch in Folie eingeschweißten Bücher spontan auspackt, damit man darin stöbern kann.

Wir müssen hier immer präsent sein″, sagt Karin Steinke-Klingenburg, zum Beispiel in Form von Veranstaltungen, Vernetzung, Events. Es klingt fast so, als hätten die Geschäftsleute des Heger-Tor-Viertels Angst, dass die Osnabrücker sie vergessen. Das nächste Event ist Altstadt live″ am Ostersonntag, zwei Wochen später startet der Popsalon.

Wenn Touristen nach Osnabrück kommen, gehen sie immer durch die Altstadt, und häufig hören wir: Wir wussten gar nicht, wie schön Osnabrück ist″, sagt Jens Meier. Vielleicht erinnern sich die Osnabrücker ja bald auch wieder öfter daran.

Viele weitere Fotos aus der Altstadt auf noz.de

Bildtexte:
Josef Kuhlmann in seiner Goldschmiede in der Heger Straße.
Jean-François Pelletier, besser bekannt als Jeff″, vom Wein Cabinet.
Jens Meier von der Lagerhalle an seinem Lieblingsplatz in der Altstadt auf dem Heger Tor.
Laszlo Csötönyi, Mitarbeiter bei Briefmarken Fellermann in der Bierstraße.
Karin Steinke-Klingenburg in ihrem Geschäft Altstädter Bücherstuben″.
Fotos:
Gert Westdörp
Autor:
Cornelia Achenbach


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