User Online: 2 | Timeout: 04:15Uhr ⟳ | Ihre Anmerkungen | NUSO-Archiv | Info | Auswahl | Ende  | AAA Zur mobilen Ansicht wechselnMobil →
NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Datensätze des Ergebnis
Suche: Auswahl zeigen
Treffer:1
1. 
(Korrektur)Anmerkung zu einem Zeitungsartikel per email Dieses Objekt in Ihre Merkliste aufnehmen (Cookies erlauben!)
Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
„Diktatur der Wissenschaft″
Zwischenüberschrift:
Vor 25 Jahren sorgte der OKKI-Spielplatz für Aufruhr im Katharinenviertel
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Auf dem Gustav-Heinemann-Platz am Zusammenlauf von Katharinen- und Augustenburger Straße wurde im September 1992 ein Spielplatzkonzept nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen umgesetzt. Es scheiterte krachend und verhalf der Stadt zu einem Eintrag im Schwarzbuch der Steuerzahler.

Osnabrück. Es fing damit an, dass 1986 ein Osnabrücker Kulturzentrum Kind (OKKI) gegründet wurde, das mit dem Fachbereich Psychologie der Universität verbandelt war. OKKI stellte in einer Untersuchung 1990 fest, dass auf herkömmlich gestalteten Spielplätzen auch bei schönstem Wetter oftmals gähnende Leere″ herrsche. Die Begründung wurde auch gleich mitgeliefert: Die stereotype Spielplatzmöblierung″ mit Schaukeln, Rutschen, Klettergerüsten und Wippen rege die Fantasie der Kinder nicht an und sei eine pädagogische Fehlinvestition″.

Jeder städtische Platz trage seine eigene Identität und sei einmalig. Wenn man ihn für Kinder gestalte, müsse man auf seine individuelle Qualität aufmerksam machen. Und das gehe nicht mit 08/ 15-Geräten. OKKI schlug deshalb vor, einen Spielplatz nach eigenen entwicklungspsychologischen Erkenntnissen zu gestalten.

Im Sozial- und im Kultusdezernat der Stadt gab es Fürsprache, weil die OKKI-Ideen sich gut in den Kulturentwicklungsplan 2″ der Stadt einfügten. 1991 hatte OKKI die Stadt so weit, sich mit 60 000 DM an den Gesamtkosten des Projekts von etwa doppelter Höhe zu beteiligen. Erste Vorarbeit leisteten befreundete Künstler, die einzelne Geräte entwarfen. Im Mai legte die Stadt fest, dass der verwaiste Gustav-Heinemann-Platz, der frühere Augustenburger Platz, Ort des Geschehens werden solle. OKKI-Mitglieder bastelten ein Modell des Platzes, wie sie ihn sich vorstellten. Es wurde den Anwohnern in einer Versammlung präsentiert. Hauptelemente waren ein turmähnlicher Pavillon, eine versunkene Treppe, eine Ringmauer, schräge, bunte Tore, Bodenmosaike in Form von Sonne, Mond und Sternen und ein dünenartiger Sandspielbereich.

Im September 1991 kamen erste Misstöne auf. Denn nun war von 250 000 DM die Rede, die der Projektspielplatz kosten werde. Sozialdezernent Heinz Fitschen sprach im Jugendhilfeausschuss von einem teuren Versuch″ und monierte, dass alle möglichen Nebenkosten wie Bänke, Papierkörbe, Einzäunungen, Pflanzungen und Tüv-Gutachten zuvor nicht berücksichtigt worden seien.

Wenige Tage später legte die OKKI-Vorsitzende Heidi Keller, Professorin für angewandte Entwicklungspsychologie, schärfsten Protest″ gegen die Behandlung des Projekts durch Fitschen ein. Der habe die von OKKI eingereichten Unterlagen falsch gelesen und bewertet. Die verärgerte Wissenschaftlerin kündigte gar an, Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Fitschen einzulegen.

Zähneknirschend″, wie die damalige Vorsitzende Alice Graschtat (SPD) es nannte, stimmte der Ausschuss im Dezember 1991 der Zahlung weiterer 95 000 DM aus städtischen Mitteln zu, weil ansonsten das Projekt scheitern würde und das zuvor gegebene Geld in den Sand gesetzt″ wäre.

OKKI legte großen Wert auf Bürgerbeteiligung und lud Eltern und Anlieger aus dem Katharinenviertel wiederholt zu Informationsgesprächen ein. Dabei schlug ihnen überwiegend Skepsis entgegen. Da seien ja viel weniger Spielgeräte als vorher, hieß es, und die Bodenmosaike in Form der Gestirne könnten gefährliche Stolperfallen werden. Kein Problem, alles entspreche den Sicherheitsnormen, zerstreute ein Vertreter der Herstellerfirma die Bedenken. Und wenn es nur noch eine Schaukel gebe, dann habe das den Vorzug, dass Schlangestehen soziales Verhalten fördere.

Im September 1992 eröffnete Heidi Keller den Spielplatz. Kritik ist für uns nichts Neues″, sagte sie, als bereits am Eröffnungstag neben mancher Zustimmung auch wieder Kritik an den zu vielen Ecken, Zacken und Kanten″ hochkam.

Auf Vorträgen in Indonesien und Österreich erntete die OKKI-Vorsitzende wissenschaftliche Anerkennung für den neuartigen Spielplatz. Jedoch im eigenen Lande galt die Prophetin nur wenig. Nachbarn ereiferten sich, dass der Platz von den Kindern kaum angenommen werde, und wenn, dann zweckentfremdet. So werde das große blaue Zackentor gern als Fußballtor verwendet, und die beiden roten Tore an der Katharinenstraße, die als künstlerisches Entree an die gegenüberliegenden Häuser erinnern sollten, dienten als Ersatz für das vermisste Klettergerüst. Dafür seien die Tore jedoch nicht abgenommen. Auch die künstlerisch überformte Treppe sei gefährlich, beklagte eine Mutter, ihr sechsjähriger Sohn habe sich auf dem Beton bereits einen Zahn ausgeschlagen.

Professorin Keller hielt dagegen, dass ihre Studenten herausgefunden hätten, dass auf dem OKKI-Platz viel weniger aggressives Verhalten auftrete als auf dem zum Vergleich herangezogenen Spielplatz am Straßburger Platz. Auch sei die Nutzung durch alle Altersgruppen auf dem OKKI-Platz ausgewogener. Sicherlich, weil hier andere Prozesse in Gang kommen″, meinte sie, die Spielepisoden″ seien deutlich länger als auf herkömmlichen Plätzen.

Doch der Platz kam nicht aus den Schlagzeilen. Auf Versammlungen war von einer Diktatur der Wissenschaft″ die Rede, die an den Bedürfnissen der Kinder vorbeigehe. Sonne, Mond und Sterne seien Quatsch″, da man sie nur aus der Vogelperspektive wahrnehmen könne. Die Kinder können höchstens Sterne sehen, wenn sie mit dem Kopf darauf fallen″, hieß es. Ein Bio-Laden in der Nähe habe sich schon darauf eingerichtet, kleine Wunden der Kinder mit Pflastern zu versorgen.

Die Sicherheitsbedenken waren es schließlich, die im November 1993 zur Sperrung des Spielplatzes führten. Die Stadt sprach von einem gescheiterten Projekt, das Rechtsamt erwog Regressansprüche gegen OKKI. Die Mehrzahl der OKKI-Geräte wurde ab Juli 1994 versteigert. Im Juni 1995 feierten Stadt und Anlieger-Familien die Wiedereröffnung des nun auf herkömmliche Spielgeräte umgerüsteten Platzes.

Bildtexte:
Herkömmliche Turngeräte haben im Katharinenviertel längst die künstlerisch ambitionierten, aber nicht sicheren OKKI-Geräte abgelöst.

Wegen Sicherheitsmängeln musste der OKKI-Konzeptspielplatz schon ein Jahr nach seiner Eröffnung wieder gesperrt werden. Nicht alle hielten sich daran, wie dieses Foto aus dem November 1993 zeigt.

Mehrere Elemente der OKKI-Spielplatzgestaltung waren heftig umstritten, zum Beispiel die Bodenmosaike in Form von Sonne, Mond und Sternen.

Fotos:
Joachim Dierks, Archiv/ Gert Westdörp, Archiv/ Jörn Martens
Autor:
Joachim Dierks
Themenlisten:


voriges Bild im Datensatz zeigen nächstes Bild im Datensatz zeigen Bild groß zeigen Datensatz dieses Bildes zeigen Schließen
Schließen
Bestandsbeschreibung
Schließen
?