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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Wie Çanakkale die Demokratie verteidigt
Zwischenüberschrift:
Teilnehmer der Osnabrücker Delegationsreise berichten von Gastfreundschaft, Offenheit und Opposition
Artikel:
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Originaltext:
Ausnahmezustand? Willkürliche Verhaftungen? Nichts davon haben die beiden Osnabrücker Delegationsteilnehmer in der türkischen Partnerstadt Çanakkale bemerkt. Stattdessen: herzliche Gastfreundschaft, offene Gespräche über Politik und großes Interesse an Osnabrück.

Osnabrück. Sie haben was verpasst″, sagt Heiko Schlatermund, zurück in Osnabrück. Unsere Redaktion hatte nach der Festnahme eines deutschen Menschenrechtlers und angesichts von über 160 inhaftierten Journalisten darunter zwei Deutsche beschlossen, die Delegation nicht wie geplant zum Troja-Fest in Çanakkale zu begleiten. Ein Fehler, findet der SPD-Ratsherr. Sie hätten sich gewundert, wie offen und freimütig dort alle waren.″ Er und die städtische Integrationsbeauftragte Seda Rass-Turgut waren zur Enttäuschung ihrer türkischen Gastgeber die einzigen Teilnehmer der Osnabrücker Delegation.

Vom nationalen Ausnahmezustand und den Massenverhaftungen von Regierungskritikern seit dem Putschversuch vor einem Jahr sei nichts zu spüren gewesen. Es hat eine absolut entspannte Stimmung geherrscht″, sagt Schlatermund. Das Troja-Fest ist vergleichbar mit der Osnabrücker Maiwoche. Jedes Jahr vom 9. bis 13. August findet das kostenlose Musikfestival statt. Obwohl die Straßen voller Menschen waren, habe sie überraschend wenig Polizei wahrgenommen, sagt Seda Rass-Turgut. Ihre Gastgeber hätten sich auch nicht mit regierungskritischen Äußerungen zurückgehalten. Sie sind aber nicht nur gegen, sondern vor allem für etwas″, betont Rass-Turgut: Für Demokratie, Laizismus und die Republik.″ Passend dazu war Freiheit″ in diesem Jahr das Motto des Troja-Festes.

Çanakkale steht für den demokratischen, liberalen Teil der türkischen Gesellschaft″, sagt Rass-Turgut.

Bürgermeister Ülgür Gökhan gehört der sozialdemokratischen CHP an, die in Opposition zu Präsident Erdogans AKP steht; im Stadtrat hat die CHP 20 von 31 Sitzen. Ende August wird Çanakkale die zentrale Kundgebung der Sozialdemokraten ausrichten, deren Vorsitzender Kemal Kiliçdaroglu im Juni mit dem Protestmarsch Adalet″ (Gerechtigkeit) von Ankara nach Istanbul Aufsehen erregte. Gänzlich unberührt von Erdogans Kurs ist Çanakkale bei so viel Opposition freilich nicht geblieben. Die direkte Flugverbindung ins rund 300 Kilometer entfernte Istanbul wurde gestrichen, und am Stadteingang hat die Regierung versucht, eine riesige Moschee zu errichten allerdings wurde das Gebäude nur halb fertig.

Wie wichtig die Freundschaft zu Osnabrück den Menschen in Çanakkale ist, machte Bürgermeister Gökhan in einer Pressemitteilung deutlich: Ich schätze die Partnerschaftsbeziehungen sehr und hoffe, dass sie immer mehr verstärkt werden″, so Gökhan. Das müssen sie auch, denn die Zahl der intellektuellen und weltoffenen Menschen in der Türkei muss steigen.″

Osnabrück ist unglaublich präsent in Çanakkale″, sagt Seda Rass-Turgut. Es gibt einen kleinen Osnabrück-Park, eine Steckenpferd-Statue im Rathaus und eine Bürgermeister-Fip-Straße. Esra Sakinmaz, die noch bis Herbst als Osnabrücker Städtebotschafterin in Çanakkale arbeitet, erzählt, dass sie von Ratsleuten, die schon mal in Osnabrück waren, sogar gefragt werde, ob es mittlerweile ein Einkaufszentrum am Neumarkt gebe. Im September wird die Leiterin des Fachbereichs Kultur und Soziales aus Çanakkale nach Osnabrück reisen, um sich über die sozialen Strukturen zu informieren. Man leistet hier in der Stadt sehr viel für Hilfsbedürftige″, erklärt Sakinmaz, darauf legt der Bürgermeister sehr viel Wert.″ Seit zehn Monaten lebt und arbeitet Sakinmaz in Çanakkale. Ich fühle mich hier sehr sicher″, sagt sie. Im Herbst endet ihre Amtszeit. Lange gab es keine Bewerber für ihren Posten. Mittlerweile habe sich eine Interessentin gemeldet, sagt Stadt-Sprecher Sven Jürgensen, eine Entscheidung stehe noch aus. Wenn es irgendwie geht, soll an dem Austausch der Städtebotschafter festgehalten werden″, sagt Jürgensen.

Schlatermund betont, gerade jetzt sei die Freundschaft mit Osnabrück für Çanakkale sehr wichtig und müsse intensiviert werden, um den Menschen zu zeigen, dass sie Freunde hätten, die hinter ihnen und den demokratischen Werten stünden. Es gibt so viele Anknüpfungspunkte″, sagt er, allein schon die Vielzahl der Menschen mit türkischen Wurzeln, die in Osnabrück leben. Und: Beim Troja-Fest könnte ja durchaus mal eine Gruppe aus Osnabrück auftreten.″

Bildtexte:
Wie türkische Gastfreundschaft geht, zeigte Çanakkales sozialdemokratischer Bürgermeister Ülgür Gökhan (links) den beiden Delegationsmitgliedern Heiko Schlatermund (SPD) und Seda Rass-Turgut.

Das Troja-Fest findet jedes Jahr vom 9. bis 13. August in Çanakkale statt und ist vergleichbar mit der Osnabrücker Maiwoche: Musik, live, umsonst und draußen.

Kleiner Park, großes Tor: Osnabrück ist präsent in Çanakkale, sagen (von links) Heiko Schlatermund, Seda Rass-Turgut. und Städtebotschafterin Esra Sakinmaz.

Fotos:
Aykut Degre, Schlatermund

Kommentar:

Rückhalt

Wer sich je gefragt hat, wozu Osnabrück Geld für Städtebotschafter ausgibt und was die Partnerschaftsbeziehungen bringen hier ist die Antwort: Während Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Türkei zu einer Autokratie umbaut, bedeutet die Städtefreundschaft für Çanakkale moralische Unterstützung bei der Verteidigung demokratischer Werte. Und für Osnabrück wird deutlich: Die Türkei ist nicht nur Erdogan. Dort leben Menschen, die sehr gastfreundlich, offen und liberal sind und keine Scheu haben, die Regierung zu kritisieren. Diesen Menschen zu begegnen und von ihnen zu lernen: Das macht die Städtepartnerschaft möglich.

Mehr als Symbolwert kann das zwar nicht haben aber genau der bedeutet den Menschen in der Türkei viel. Offiziell wiederholt die Stadt Osnabrück zwar ständig, wie wichtig ihr die Freundschaft zu Çanakkale sei aber das war′s. Auch die Ratspolitiker halten sich auffällig zurück. Schwach.

Wem aktuell eine Reise in die Türkei zu riskant ist, dem darf kein Vorwurf gemacht werden. Aber wie wäre es zum Beispiel mit Patenschaften zwischen Ratsleuten oder Bürgern? Dass zuletzt Künstler der in der Türkei abgesagten Çanakkale-Biennale in Osnabrück ausstellen konnten, war ein guter Anfang. Aber da geht noch mehr.
Autor:
Sandra Dorn


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