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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Osnabrücker reisen nach Çanakkale
 
Mini-Delegation reist nach Çanakkale
 
Warum ich zu Hause bleibe
Zwischenüberschrift:
Nur zwei Osnabrücker besuchen das Trojafest in der türkischen Partnerstadt – Geplant waren viel mehr
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Heute reist eine nur zweiköpfige Delegation aus Osnabrück in die türkische Partnerstadt Çanakkale. Es ist eine Reise in Zeiten der Krise. Das Verhältnis zwischen den Ländern ist zerrüttet. Hält die Städtefreundschaft das aus?

Eine nur zweiköpfige Delegation aus Osnabrück reist heute zum Trojafest in die türkische Partnerstadt Çanakkale. Was ist aus den Appellen der Ratsfraktionen geworden, Çanakkale in diesem Jahr besonders zahlreich zu besuchen, um so ein Zeichen für die Städtefreundschaft zu setzen?

Osnabrück. Erinnern Sie sich? Im Mai durfte Çanakkales Bürgermeister Ülgür Gökhan die Türkei nicht verlassen, um zur Eröffnung der Maiwoche nach Osnabrück zu kommen. Die türkischen Delegationsmitglieder haben mir gesagt, dass sie sich freuen würden, wenn Vertreter der Stadt Osnabrück anlässlich des Troja-Festes im August nach Çanakkale reisen würden″, sagte damals Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) und die Ratsfraktionen sprachen sich für eine möglichst große Delegation aus.

Heute steigen lediglich der SPD-Ratsherr Heiko Schlatermund und die Osnabrücker Integrationsbeauftragte, Seda Rass-Turgut in den Flieger kein Vertreter einer anderen Fraktion ist dabei, kein Bürgermeister.

Ich finde das sehr schade, weil ja verabredet war, dass viele hinfahren sollten″, sagt Heiko Schlatermund. Für ihn stand schon im Februar fest, dass er im August nach Çanakkale reisen wolle, den Termin markierte er in seinem Kalender. Vor ein paar Wochen hieß es, dass der Termin ein anderer wäre″, sagt er, letztlich blieb es dann doch beim 8. August. Schlatermund führt die geringe Teilnehmerzahl auf dieses Durcheinander zurück, nicht auf Sicherheitsbedenken.

Im Juli, nach der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner in Istanbul, verschärfte das Auswärtige Amt seine Reisehinweise für die Türkei. Doch schon vorher hatten sich nicht mehr Ratsleute verbindlich für die Reise angemeldet. Laut Stadt-Pressesprecher Sven Jürgensen habe es vor der Sommerpause, die dieses Jahr schon früh im Juni begann, einen Aufruf gegeben. Auch er begründet die geringe Teilnehmerzahl mit Terminschwierigkeiten.

Die angespannte Situation in der Türkei, wo seit dem Putschversuch vor einem Jahr Tausende Regimekritiker verhaftet wurden, macht sich trotzdem bemerkbar. Der Bitte unserer Redaktion, mit der Städtebotschafterin aus Osnabrück in Çanakkale zu sprechen, kam die Stadt nicht nach. Zu groß ist die Angst, dass die junge Frau durch irgendeine Äußerung in Schwierigkeiten geraten könnte.

Kein Städtebotschafter?

Am 30. September endet ihre Amtszeit in Çanakkale. Zum ersten Mal gibt es keine Bewerber für ihre Nachfolge, so Jürgensen. Das Auswahlverfahren habe im Frühsommer stattgefunden. Seit 2005 geht jedes Jahr ein junger Osnabrücker als Botschafter nach Çanakkale und umgekehrt. Mit den anderen Partnerstädten Angers (Frankreich), Haarlem (Niederlande), Derby (England) und Twer (Russland) findet das Austauschprogramm schon länger statt.

Angst, willkürlich verhaftet zu werden, hat Heiko Schlatermund nicht. Es ist nicht seine erste Reise in die Türkei, er schwärmt von der türkischen Gastfreundschaft. Ich weiß natürlich, dass ich mich politisch zurückhalten muss.″ Das Auswärtige Amt rät Türkeireisenden, sich in die Krisenvorsorgeliste der Konsulate einzutragen Schlatermund hielt das nicht für nötig. Er habe aber volles Verständnis für jeden, der wegen Sicherheitsbedenken nicht mehr in die Türkei reisen möchte, Ratsleute eingeschlossen. Doch er selbst wolle ein Zeichen setzen. Ich hoffe auf viele gute Gespräche mit den Menschen dort″, sagt er. Es sei wichtig das Pflänzchen der Städtepartnerschaftsbeziehungen am Leben zu erhalten″. Und: Vielleicht wäre das ein Anlass, wieder einmal eine knackige Bürgerreise hinzubekommen.″

Çanakkale im Nordwesten der Türkei gilt als liberale Stadt. Der langjährige Bürgermeister Ülgür Gökhan gehört der sozialdemokratischen Partei CHP an, die in Opposition zur AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan steht. 71, 5 Prozent der Wähler in Çanakkale stimmten beim Verfassungsreferendum im April mit Nein″. Der Rest des Landes stimmte knapp dafür und verlieh Erdogan mehr Macht.

Laut Jürgensen soll die Zukunft der Städtepartnerschaft mit Çanakkale in dieser Woche im nicht öffentlich tagenden Verwaltungsausschuss thematisiert werden. Für die Delegationsreise kommt das allerdings zu spät.

Bildtext:
Was den Osnabrückern ihre Maiwoche, ist den Menschen in Çanakkale ihr jährliches Trojafest. Das historische Troja liegt 37 Kilometer von Osnabrücks türkischer Partnerstadt entfernt.

Foto:
Désirée Therre

Reporter nicht unterwegs

Statt Reportagen aus der Türkei lesen Sie von NOZ-Redakteurin Sandra Dorn einen Bericht in eigener Sache.

Ich wollte mitfliegen nach Çanakkale, mir ein eigenes Bild von der Lage in Osnabrücks türkischer Partnerstadt machen und darüber berichten. Doch der Flieger startet ohne mich. Angesichts der völligen Unberechenbarkeit und Willkür, mit der Staatspräsident Erdogan Menschen unter irrwitzigen Terror-Vorwürfen einsperren lässt, ist mir und meinen Vorgesetzten eine Reise in die Türkei zu riskant.

Am Anfang überwog die Vorfreude. Als unsere Redaktion im Mai beschloss, dass einer von uns die Osnabrücker Delegation zum Trojafest begleiten sollte, musste ich keine Sekunde überlegen. Natürlich wollte ich mitfahren. Ich war neugierig auf die liberale Stadt im Nordwesten der Türkei. Wie ist die Stimmung in dem Land, das sich seit dem Putschversuch vor einem Jahr rasant in eine Autokratie entwickelt? Ich wollte den sozialdemokratischen Bürgermeister Ülgür Gökhan kennenlernen, der der Oppositionspartei CHP angehört und der im Mai nicht ausreisen durfte, um die Osnabrücker Maiwoche zu besuchen. Ich war gespannt auf die Zwischentöne und darauf zu erfahren, welchen Stellenwert die Partnerschaft mit Osnabrück hat.

Was sollte schon passieren? Natürlich hatte ich den Namen Deniz Yücel im Hinterkopf. Seit Mitte Februar sitzt der deutsch-türkische Korrespondent der Zeitung Die Welt nun schon in Untersuchungshaft verhaftet wegen abstruser Terrorvorwürfe, ohne Beweise, ohne Anklage. Erdogan-kritische Berichterstattung reichte aus, ihn hinter Gitter zu bringen. Ähnlich ergeht es der deutschen Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu, festgenommen am 30. April. Aber an einer Lokalredakteurin aus Osnabrück würde die türkische Regierung ja wohl kaum Interesse haben. Oder?

Doch dann wurde im Juli der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner inhaftiert. Und dieser Fall passte so gar nicht ins Muster: Kein Journalist, der kritisch über Erdogan berichtet hatte, sondern ein deutscher Menschenrechtler, der einen Workshop zu IT-Sicherheit in Istanbul leitete. Mit seiner Verhaftung wurde deutlich: Es kann jeden treffen. Endlich verschärfte auch die Bundesregierung den Ton, wenn auch viel zu spät. Doch nicht die verschärften Reisehinweise des Auswärtigen Amtes waren ausschlaggebend für mich. Der Fall Steudtner machte deutlich: Es gibt keinerlei Regeln, an die man sich in der Türkei halten kann, um unbehelligt durch das Land zu reisen, keinerlei Sicherheit, nicht plötzlich als Spion zu gelten. Allein dadurch, dass ich meinen Job mache, laufe ich Gefahr, im Gefängnis zu landen ohne Chance auf eine faire Verhandlung.

Touristen, die trotz allem ihren Sommerurlaub in der Türkei verbringen, sagen, sie bekommen von all dem nichts mit. Aber ich bin nun mal Journalistin und Deutsche noch dazu. Was, wenn Erdogan morgen der Meinung ist, die Bundesregierung mit einer erneuten Verhaftung reizen zu wollen? Was, wenn irgendeiner meiner türkischen Gesprächspartner in und um Osnabrück aus den vergangenen Jahre auf irgendeiner schwarzen Liste steht und ich durch den Kontakt gleich mit?

Mehr als 20 Deutsche sind seit dem Putschversuch vor einem Jahr in der Türkei verhaftet worden, neun befinden sich noch immer in Haft. 164 Journalisten sitzen zurzeit in türkischen Gefängnissen fest, laut Reporter ohne Grenzen so viele wie in keinem anderen Land der Welt.

Bleibt die Frage: Sollten Journalisten nicht jetzt erst recht in die Türkei fliegen, um ein Zeichen zu setzen für Demokratie und Meinungsfreiheit? Ich habe großen Respekt vor jedem, der sich gewissenhaft vorbereitet und den Mut dazu hat. Ich habe ihn nicht.
Autor:
sdo


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