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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Kirchenglocken zu Granathülsen
Zwischenüberschrift:
Juli 1917: Glockenabschied, Mehlsperre, Spielplätze
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Am Ende des dritten Kriegsjahres tönt die Siegeszuversicht auf der großen politischen Bühne in Berlin nicht mehr unisono. Reichskanzler von Bethmann Hollweg tritt nach Differenzen mit der Heeresleitung zurück. Und auf der lokalen Ebene gibt es schon lange keine Kriegsbegeisterung mehr.

Osnabrück. Die einfachsten Lebensbedürfnisse zu erfüllen ist schwer genug. Und nun nimmt man den Osnabrückern auch noch die Kirchenglocken. Schon am 1. März 1917 hat eine Bekanntmachung des Kriegsministeriums die Beschlagnahme, Bestandserhebung und Enteignung von Glocken aus Bronze zur Sicherstellung von Kriegsbedarf verfügt. Die Rüstungsindustrie braucht Buntmetalle, um daraus insbesondere Geschosshülsen fertigen zu können. Nur wenn ein herausgehobener geschichtlicher oder Kunstwert durch einen Sachverständigen festgestellt wird, kann eine Ausnahme gemacht werden. Ebenso, wo ein Geläut aus praktischen Gründen aufrechterhalten werden muss. Dann kann die leichteste Glocke als sogenannte Läuteglocke″ vorläufig zurückgestellt werden. Die letzte Entscheidung liegt bei der Metall-Mobilmachungsstelle.

Das Osnabrücker Tageblatt″ kündigt für Sonntag, 14. Juli, den Glockenabschied″ an: Von 11.30 bis 12.30 Uhr werden die Glocken der hiesigen ev. Kirchen ihr Festgeläute zum letzten Male erklingen lassen, bevor sie ausgebaut und dem Staate zur Verfügung gestellt werden. Es wird der Versuch gemacht werden, sie unversehrt vom Turme herunterzuholen. Um sie alsbald nach dem Kriege wieder einbauen lassen zu können für den Fall, daß sie nicht eingeschmolzen werden sollten.″

Es klingt also eine gewisse Hoffnung an, dass es durch bürokratische Irrungen und Wirrungen der Kriegswirtschaft doch nicht zum Äußersten kommt. Auch kritische Stimmen werden zitiert: Weite Kreise sind der gewiß nicht unbegründeten Meinung, daß man lieber zunächst mit den überflüssigen und künstlerisch wertlosen Zeugen vergangener Denkmalswut hätte aufräumen sollen. Der Verlust, der durch den Fortgang der Glocken auf dem Konto Gemütswerte′ entsteht, ist unersetzbar.″

Andererseits wird die Bevölkerung durch patriotische Verse auf die Unumgänglichkeit des Glockenverzichts eingestimmt: Lebt wohl, ihr Glocken! Das letzte Mal, erklingt eure eherne Stimme zu Tal. [. . .] Ihr riefet die Seelen zu Gottes Altar, ihr grüßtet den Täufling, das bräutliche Paar. [. . .] Nun ruft euch das heilige Vaterland! Nun werdet zu Waffen in Kriegers Hand!

Am 21. Juli werden die Glocken der Katharinenkirche aus dem Turme genommen″. Viele Schaulustige verfolgen das Abseilen mittels Flaschenzugs. Nur die vierte, die mittelgroße, verbleibt als Läuteglocke im Turm. An den nächsten Tagen folgen die Glocken der weiteren Stadtkirchen.

Über Gemüse debattieren indessen die städtischen Kollegien. Leider gab es keine Lichtblicke, aus denen eine baldige bessere Versorgung der Wochenmärkte geschlossen werden könnte″, schreibt das Tageblatt″. Die Gemüseknappheit ist bedingt durch ungenügende Zufuhren aus dem (neutralen) Holland, seitdem auch diese von der Reichsstelle erfasst sind, ferner durch eine schlechte Ernte aufgrund von Trockenheit. Hilfe erhofft man sich von den mit holsteinischen Erzeugern abgeschlossenen Lieferverträgen, als deren erstes praktisches Ergebnis gestern zwei ansehnliche Frühkohlköpfe im historischen Friedenssaal die Tischrunde machen konnten.″ Wenig erfreulich klingt die Mitteilung, dass auch das Obst an den Landstraßen, das Chaussee-Obst″, für die Marmeladeherstellung erfasst werden soll, ein neues Moment zur Verschlechterung der Obstversorgung im früchtespendenden Herbst″, wie die Zeitung meint.

Das Angebot auf den Wochenmärkten ist derweil bescheiden. Viele Bauern beschicken sie nicht mehr, weil sie nicht mehr die erforderlichen Gespanne und Arbeitskräfte für den Transport in die Stadt haben. Dazu kommt, dass die Konsumenten vielfach das Gemüse vom Hof weg kaufen, sodass die Bauern es nicht mehr nötig haben, zum Markt zu fahren. Schuld seien auch die von der Preiskommission festgesetzten zu niedrigen Preise, durch die stellenweise noch nicht einmal die Einsaat gedeckt werde, moniert das Blatt.

Stadtsyndikus Reimerdes begründet die Einstellung der Mehllieferung an Konditoreien: Alles verfügbare Mehl müsse bis auf den letzten Rest für die Brotherstellung und damit für die Volksernährung zur Verfügung stehen. Bürgervorsteher Brockmann legt sein Wort für die Konditoren ein, da es sich nur um geringe Mengen handele. Es gehe schließlich nur um sechs Sack Mehl von insgesamt 1100 Sack, die wöchentlich verbacken werden. Brockmann merkt an, dass zum Beispiel mit der Herstellung von Obstkuchen in den Konditoreien der Volksernährung ebenfalls ein Dienst erwiesen werde. Damit werde keineswegs nur den Interessen der sogenannten besseren Kreise gedient. Dagegen Bürgervorsteher Vesper: Angesichts des Kartoffelmangels müsse auch das geringste Quantum zur Brotbereitung gespart werden. Das Obst diene besser im rohen und frischen Zustande seinem Zweck, als wenn es erst zu Obstkuchen verarbeitet werde.

Der Vaterländische Frauenverein Hasbergen lädt zu einem Vortragsabend alle Frauen und Jungfrauen des Bezirks″ ein. Wanderrednerin Fräulein Elisabeth Behrend spricht über die moderne Säuglingspflege und stellt dabei ihr Büchlein Säuglingspflege in Reim und Bild″ vor. Motto: Jetzt, wo so viele Männer sterben, darf ja kein Kindlein uns verderben!

Die Ledererzeugung im Lande ist in erster Linie notwendig für unsere Truppen im Felde, mahnt der Magistrat im Tageblatt″: Wir in der Heimat können und müssen uns einschränken und dürfen in den jetzigen wärmeren Monaten unser Schuhwerk nicht abnutzen. Wir müssen es für den Winter aufsparen, um nicht in der kalten und feuchten Jahreszeit gezwungen zu sein, ohne Lederschuhwerk zu gehen.″ Andernorts hätten sich das Barfußgehen und das Sandalentragen bereits eingebürgert. Wer macht in Osnabrück den Anfang? Keinem Verständigen wird es einfallen, in dem Sandalentragen sei es mit oder ohne Socken etwas Unpassendes zu sehen″, meint der Magistrat.

Insgesamt sei es ja löblich, dass der Magistrat bei der Aufstellung von Bebauungsplänen neuer Stadtgebiete auch Spielplätze vorsehe, meint ein Redakteur der Osnabrücker Zeitung″. Aber: Mehrere dieser Spielplätze dürften ihren Zweck weit mehr als jetzt erfüllen, wenn die Stadt größere Mengen Sand anfahren ließe. Die Erfahrung lehre, dass Kinder sich besonders gern an Sandbergen mit dem Bau von Burgen und Türmen, Gräben und Tunnels die Zeit vertreiben, während sie die großen glatten Spielplätze langweilig finden und sich mehr zum Straßenleben hingezogen fühlen, von dem man sie durch die Spielplätze ja gerade weglocken will. Gewiss müsse es auch Freiflächen für Ball- und sonstige Spiele geben, aber die größeren Anlagen könnten beiden Zwecken dienen. Als Kahlplätze″, die zu wirklichen Spielplätzen gemacht werden sollten, identifiziert der Schreiber die Spielplätze Parkstraße/ Rehmstraße, Sutthauser Straße/ Brinkstraße und Augustenburger Platz. Möglichst bald sollte das passieren, damit die schöne Sommerzeit noch ausgenutzt werden kann!

Vor 100 Jahren Serie Die Stadtgeschichte im Blick: Lesen Sie mehr auf www.noz.de / historisch-os

Bildtexte:
Drei Glocken der Marienkirche werden zur Sammelstelle abtransportiert. Sie hatten das Pech, relativ jungen Datums zu sein und somit nicht als historisch wertvoll geschont zu werden. Sie waren erst 1880 von der Gießerei J. J. Radler & Söhne in Hildesheim angefertigt worden.

Die mittelgroße Glocke wird auf dem Markt aus dem Turm von St. Marien abgeseilt. Das Foto eines unbekannten Fotografen wurde entnommen aus Wido Spratte: Bildarchiv Alt-Osnabrück, Band II″, Verlag Wenner Osnabrück, 1997

Fotos: NLA Standort Osnabrück, Dep 3b III, Nr. 588, Foto 69e, unbekannt (siehe Bildtext)
Autor:
Joachim Dierks
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