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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Cha-Cha-Cha und Gottesdienst
Zwischenüberschrift:
Das Haus Natruper Straße 14 hat verschiedenste Nutzungen erlebt
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
156 Jahre hat die Bruchstein-Villa Natruper Straße 14 auf dem Buckel. In der Zeit war sie schon Wohnhaus, Offizierskasino, Versicherungskontor, Zeitungsredaktion, Tanzschule und Kirche. Aktueller Nutzer ist eine Werbeagentur.

Osnabrück. Nach der Entfestung der Stadt setzte in den 1860er-Jahren die Bebauung längs der alten Fernstraßen ein, die aus den Toren hinausführten. In dem stadtnahen Abschnitt der Natruper Straße zwischen Natruper Tor (später Rißmüllerplatz) und Gutenbergstraße entstanden auf den Parzellen des alten Gartengebiets villenähnliche Wohnhäuser. Sie lagen von der Straße zurückgesetzt inmitten großer Gärten. So auch das 1861 von Maurermeister Bernhard Wolff für einen Herrn Gronert erbaute Haus Nummer 14. Erst die späteren Straßenverbreiterungen ließen den Gehsteig der Natruper Straße direkt an das Haus heranrücken.

Die Denkmaltopografie bescheinigt dem Bau einen ausgeprägten Villencharakter″ mit vornehmer klassizistischer Fassade″. Der nur minimal hervortretende Mittelrisalit ist mit Sandsteinplatten verblendet, die sich optisch leicht von den übrigen Hausteinen abheben. 1898 ergänzt Architekt Rosebrock das Haus um eine turmartig erhöhte Achse auf der rechten Seite, die in ihren Formen dem älteren Bau gut angeglichen ist″, wie die Denkmalschützer urteilen, allerdings die Symmetrie zerstört. Seitdem ist die Fassade getreulich erhalten, wenn man einmal von der Aluminium-Eingangstüranlage späterer Jahre absieht. Bauliche Erweiterungen fanden nur nach hinten hinaus statt.

Gronert bleibt nicht lange Herr im Hause. Ab 1874 ist die Stadt als Eigentümer eingetragen. Sie nutzt das Haus wie auch die dahinter liegende Immobilie Nummer 14a, das spätere Haus Dorette, für Einquartierungen. Die Klosterkaserne bietet nicht genügend Unterkünfte für die wachsende Garnison. Die Stadt muss, genau wie Privatleute im Bedarfsfall auch, Wohnungen zur Verfügung stellen. Die Lage zwischen Klosterkaserne und Exerziergelände, dem späteren Schwarzen Platz, ist günstig.

1891 kauft die Mühlen-Versicherungs-Gesellschaft zu Osnabrück die Nummer 14. Es gibt viele kleine Mühlen im Osnabrücker Land. Wassermühlen sind genau wie Windmühlen sehr spezifischen Risiken ausgesetzt, die einer darauf zugeschnittenen Versicherung auf Gegenseitigkeit″ eine breite Existenzgrundlage bieten. Unten sind die Kontorräume, oben wohnt Versicherungsdirektor Ingenieur Schröder. Er lässt die turmartige Ergänzung 1898 anbauen.

Die Mühlenversicherung bleibt durch beide Kriege hindurch und bis weit in die Nachkriegszeit hinein Eigentümer, wobei die Eigennutzung der Räume immer weiter abnimmt. Verschiedene private und gewerbliche Mieter treten in Erscheinung, so 1950 unter anderen die Nordwestdeutsche Rundschau″. Die in Wilhelmshaven gedruckte SPD-nahe Zeitung unterhält in Osnabrück eine kleine Lokalredaktion.

Zur gleichen Zeit quartiert sich Walter Barg als Direktor der Mühlen-Versicherung im Haus ein. Er scheint sich in den Folgejahren beruflich zu verändern, denn ab 1957 geben Walter und Margot Barg Tanzunterricht. Zu ihrer Privattanzschule″ gesellen sich 1966 das Figura Sport-Studio″ und 1970 Ballettmeister Günther Braun mit einer Ballettschule. 1972 tritt Gerhard Grill als Teilhaber der Tanzschule Barg-Grill auf den Plan. Er führt sie nach dem Rückzug der Bargs nach Nordhorn 1973 allein weiter.

Viele Jahrgänge von Osnabrücker Schülern machen auf dem Fischgrät-Parkett im Tanzsaal nicht nur erste Bekanntschaft mit Walzer, Tango, Rumba und Cha-Cha-Cha, sondern auch mit dem anderen Geschlecht. Denn gemeinsamer Schulunterricht für Mädchen und Jungen setzt sich erst in den Siebzigern durch.

In der ersten Tanzstunde treten die Mädchen nebeneinander aufgereiht auf der einen Seite des Saales an und die Jungen auf der anderen. Auf Kommando sprinten die Jungen los, um sich eines der in ihren Augen hübscheren Mädchen als Tanzpartnerin zu sichern. Ungezählte Male endet der Sprint mit einer Hosenboden-Landung zu Füßen der begehrten Dame, denn der Bremsvorgang auf ungewohnten Ledersohlen und glattem Parkett ist nicht einfach. Benimm-Unterricht erhalten die jungen Damen und Herren in getrennten Sitzungen.

1976 wird mit dem Verkauf an die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) das bislang vorletzte Kapitel der Nutzungsgeschichte der Natruper Straße 14 aufgeschlagen. Die altlutherische staatsunabhängige Religionsgemeinschaft hat seit 1947 mit der Dreieinigkeitsgemeinde eine Gliedkirche in Osnabrück. Die kleine, schrumpfende Gemeinde (1997: 142 Mitglieder, heute: rund 80 Mitglieder) behalf sich lange Jahre mit kleinen Versammlungsräumen wie etwa Pelsters Gartenhaus an der Gutenbergstraße, bis 1976 mit der Natruper 14″ ein würdigerer Rahmen gefunden wurde. Unten wohnte der Pfarrer, im Obergeschoss waren Kirchsaal und Pfarrbüro und unter dem Dach hausten Studenten.

Im Dezember 1983 vergaß einer von ihnen, den Adventskranz auszumachen es kam zu einem Schwelbrand, der in gestapelten alten Zeitungen, noch aus der Zeit der Nordwestdeutschen Rundschau″, reichlich Nahrung fand und einen Teil des Dachgeschosses unbewohnbar machte.

Über die Jahre wurden aufgeschobene Renovierungen immer dringlicher und stellten für die kleine Gemeinde eine zu große finanzielle Hürde dar. 2014 entschloss man sich zum Verkauf. Am 18. Mai 2014 wurde der letzte Gottesdienst gefeiert, der mit der Entwidmung des Kirchraums endete. Altar, Bänke und Abendmahlsgerätschaften wurden nach Weißrussland gespendet, das schlichte Holzkreuz ziert jetzt die Kapelle des Lüstringer Friedhofs. Die Dreieinigkeitsgemeinde und ihr derzeitiger Pfarrer Karl-Heinz Gehrt sind zufrieden mit der Lösung, dass die Gottesdienste jetzt in der Hauskapelle des Wohnstifts am Westerberg gefeiert werden können.

Neuer Eigentümer seit 2015 ist die Werbeagentur Die Etagen″. Sie musste noch einmal das gleiche Geld wie für den Kauf für die umfassende Sanierung aufwenden. Geschäftsführer Andree Josef bereut es nicht: Wir haben die Symbiose von Alt und Neu gut hingekriegt. Das Haus atmet Geschichte. Wir lieben es, wenn auch nach der Renovierung die Holzfußböden immer noch knarzen.″

Serie Zeitreise

Die Stadtgeschichte im Blick: Lesen Sie mehr auf www.noz.de / historisch-os

Bildtexte:
Das Haus Natruper Straße 14, vermutlich in den 1980er-Jahren aufgenommen, als noch die selbstständige Dreieinigkeitsgemeinde Hausherrin war das Kreuz über der Eingangstür verrät die Nutzung als Kirche.

Eine stilgemäße Eingangstür und neue Dachgauben sind die äußerlich sichtbaren Ergebnisse der Sanierung durch den aktuellen Eigentümer, die Agentur Die Etagen″.

Von 1976 bis 2014 war der ehemalige Tanzsaal der Tanzschule Barg der Gottesdienstraum der freikirchlichen Dreieinigkeitsgemeinde.

Fotos:
Archiv SELK/ Dreieinigkeitsgemeinde, J. Dierks, Pfarrer Karl-Heinz Gehrt
Autor:
Joachim Dierks


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