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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Wiederaufbau mit Hindernissen
Zwischenüberschrift:
Das neue Marienhospital und sein Geburtshelfer Josef Feldwisch-Drentrup
Artikel:
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Originaltext:
Bei Kriegsende 1945 funktionierte nur noch ein Krankenhaus in der Stadt: das Wehrmachtslazarett im St.-Angela-Kloster in Haste. Die zivilen Hospitäler waren zerbombt und ins Umland ausgelagert worden so auch das Marienhospital.

Osnabrück. Als es an den Wiederaufbau der Stadt ging, war es angesichts eines einzigen Trümmerhaufens gegenüber der Johanniskirche schon eine Überlegung wert, ein neues Marienhospital an ganz anderer Stelle zu errichten. Aber Keller, Fundamente und wenige Außenmauern, die noch standen, gaben den Ausschlag, am alten Standort zu bleiben.

Erzbischof Wilhelm Berning fragte den damals 33 Jahre alten Architekten Josef Feldwisch-Drentrup: Haben Sie Mut und Lust, das Krankenhaus wiederaufzubauen? Dessen Antwort ist ebenfalls überliefert: Mut und Lust hätte ich schon, aber ich weiß nicht, wie und womit.″

Für Feldwisch-Drentrup ging angesichts des allgegenwärtigen Materialmangels zunächst kein Weg am britischen Stadtkommandanten Major Geoffrey Herbert Day vorbei. Und der hatte auf seinem Schreibtisch eine Karte mit der Aufschrift Ich hasse alle Deutschen″ stehen vielleicht verständlich, wenn man weiß, dass der Major unmittelbar zuvor mit den unsäglichen Gräueltaten des Nazi-Regimes im KZ Bergen-Belsen konfrontiert worden war.

Feldwisch-Drentrup und der Ärztliche Direktor Dr. Eugen Schlief übrigens der Vater von Marianne Schlief, die 1952 in der Schloßstraße den ersten privaten Kindergarten Osnabrücks gründete begaben sich auf einen Bittgang zum Dienstsitz des Militärgouverneurs in einer beschlagnahmten Villa in der Bergstraße.

Doch man ließ sie nicht vor. Draußen vor dem Gebäude stehend, wurden sie durchs offene Fenster abgefertigt. Major Day saß in seinem Arbeitszimmer und wandte ihnen den Rücken zu. Über den Dolmetscher auf dem Flur ließ er fragen, was sie denn wollten. Als der Wunsch nach Schaufeln, Schiebkarren und Arbeitskräften kam, war das Gespräch″ praktisch beendet. Day wollte nur noch wissen, ob sie der Nazi-Partei oder einer ihrer Nebenorganisationen angehört hätten. Feldwisch-Drentrup verneinte für seine Person und berichtete, dass er wegen Desertion fast erschossen worden wäre. Bei Dr. Schlief fiel die Antwort nicht so eindeutig aus. Day fackelte nicht lange und gab Befehl, ihn zu verhaften. Der Ärztliche Direktor gab Fersengeld und konnte einer Streife der britischen Militärpolizei knapp entkommen.

Einen zweiten Vorstoß unternahm der Architekt dann alleine. Er richtete die Grüße des Bischofs aus und bat nochmals um Schaufeln. Wozu Schaufeln, jeder deutsche Mann hat doch zwei Hände″, beschied ihm der Major. Und Lastwagen zum Abfahren des Schutts? Nicht nötig, die Osnabrücker hätten doch alle noch Handwagen im Keller stehen, mit denen sie Schwarzmarktware schmuggelten.

Feldwisch-Drentrup ließ sich nicht entmutigen. Er lud den Stadtkommandanten auf die Baustelle ein, zeigte ihm das Ausmaß der Zerstörungen und stellte ihm die Wiederaufbaupläne vor. Irgendwie muss der Major wohl von der Beharrlichkeit des jungen Architekten und seiner lauteren Gesinnung beeindruckt worden sein. Jedenfalls wurde der bärbeißige Militär immer zugänglicher und unterstützte den Aufbau schließlich, wo immer er konnte. Der MHO-Qualitätsbeauftragte und Hobby-Historiker Ralf Döhr schreibt in einem Aufsatz, das Verhältnis der beiden Männer habe später sogar nahe an eine Freundschaft herangereicht.

Einen herben Rückschlag erlitt der Wiederaufbau, als am 10. Februar 1946 die Hase über die Ufer trat. Das Flussbett war von Trümmermassen so eingeengt, dass es die Wassermengen nicht mehr fassen konnte. Sämtliche Kellerräume des Hospitals liefen voll. Alle dorthin geretteten Möbel, Betten, Einrichtungsgegenstände und Vorräte waren nicht mehr zu gebrauchen.

Organisationstalent und Improvisationskünste des Architekten und seines Bauleiters Josef Bartelt waren massiv gefordert. Zum Ersatz der zerstörten Heizkessel bekamen sie die Genehmigung, zwei alte, riesige Flammrohrkessel aus den Trümmern des zerbombten Fliegerhorsts Münster-Loddenheide zu bergen. Sie waren noch tauglich, mussten aber vor der ersten Befeuerung aufwendig entrostet werden.

Der Zufall wollte es, dass Feldwisch-Drentrup in einem ihm zugeteilten Arbeitstrupp den früheren SS-Mann entdeckte, der ihn seinerzeit wegen seiner Weigerung, wenige Tage vor Kriegsende an einer Volkssturmaktion teilzunehmen, hatte erschießen wollen. Bei der Wiederbegegnung hätten dem ehemaligen Verfolger die Knochen vor Angst gebebt, verraten zu werden, schilderte Feldwisch-Drentrup später. Er denunzierte ihn aber nicht, sondern gab ihm Gelegenheit, über seine Taten nachzudenken, indem er ihm einen Hammer in die Hand drückte, ihn durchs Mannloch in den Kessel kriechen und tagelang von morgens bis abends Rost picken ließ.

Geeignetes Baumaterial gab es nicht zu kaufen. Neues Mauerwerk bestand aus alten Steinen, die von Hand vom Mörtel befreit worden waren. Für das benötigte Bauholz gingen der Architekt und die Oberin Mutter Filomena Koster bei Haster und Nahner Bauern betteln. Da es auch kaum Benzin gab, musste Feldwisch-Drentrup regelmäßig zu Baubesprechungen mit dem Fahrrad nach Iburg und Glandorf fahren, wo er in den evakuierten Abteilungen die Chefärzte Dr. Schlief und Dr. Karl Kortmann traf.

1961 war der Wiederaufbau fürs Erste abgeschlossen. Feldwisch-Drentrup, der in seinem Berufsleben noch andere Krankenhäuser und zahlreiche Kirchen baute, blieb bis zu seinem Wechsel in den Ruhestand in den 1970er-Jahren der Hausarchitekt des Marienhospitals. Er starb 1994.

Seine Witwe Emmy aber lebt, und wie! Die heute 95-Jährige besitzt ein phänomenales Gedächtnis. Anekdoten aus der Wiederaufbaugeschichte sprudeln nur so aus ihr heraus. Wie etwa die Autofahrt, die ihr Mann 1946 nach Bietigheim unternahm, weil er gehört hatte, dass dort bei den Deutschen Linoleumwerken ein großer Posten des Bodenbelags zu ergattern war genau das, was für Flure und Krankenzimmer noch fehlte. Es war eine schreckliche rot-braune Farbe, aber darauf kam es nicht an″, so die Seniorin. Major Day stattete den Architekten großzügig mit Benzingutscheinen für die weite Fahrt ins Schwäbische aus. So großzügig, dass sie noch eine private Verlängerung der Fahrt nach Oberbayern erlaubten. Feldwisch-Drentrup wollte dort eine Frau wiedersehen, die er während des Krieges kennengelernt hatte: seine spätere Ehefrau, die damals 24-jährige Lehrerin Emmy Pentenrieder. Insofern bin ich dem Mr. Day auf ewig dankbar, denn er hat praktisch unsere Ehe gestiftet″, sagt die Witwe heute.

Die Reise nach Süddeutschland hatte das klapprige Vorkriegsauto noch so gerade überlebt. Aber eine folgende Dienstfahrt nach Hannover brachte den Motor zur Strecke. Die Ordensschwestern hatten dem Architekten einen Kanister mitgegeben. Angeblicher Inhalt: Benzin. Doch der Kanister enthielt kein Benzin. Er enthielt flüssiges Bohnerwachs.

Serie Zeitreise

Die Stadtgeschichte im Blick: Lesen Sie mehr auf www.noz.de / historisch-os.

Bildtexte:
Der Wiederaufbau wird 1945 mit einem Richtfest im Innenhof gefeiert. Am quer stehenden Tisch rechts neben dem Klavier haben die obersten Honoratioren mit Bischof Berning in der Mitte Platz genommen. Foto: J. Feldwisch-Drentrup, aus: Spratte, Osnabrück 1945–1955, Verlag Wenner, 2005

Viele Erweiterungsbauten später präsentiert sich der Innenhof heute als grüne Erholungsfläche.

Mit Einlaufkind an der Hand begibt sich Erzbischof Wilhelm Berning 1945 zum Richtfest. Von links: Rosemarie Kortmann (Tochter des chirurgischen Chefarztes), der Bischof, Dr. Eugen Schlief (Ärztlicher Direktor), Josef Feldwisch-Drentrup (Architekt), Dr. Ferdinand Schirmeyer (vormaliger Ärztlicher Direktor).
Als Zeitzeugin nah am Wiederaufbau-Geschehen war die heute 95-jährige Architekten-Witwe Emmy Feldwisch-Drentrup.
Ein Bombentreffer hat das heutige Gebäudeteil E an der Johannisfreiheit 1944 zerfetzt.

Fotos:
J. Feldwisch-Drentrup, Joachim Dierks, Archiv MHO/ Ralf Döhr, Wido Spratte
Autor:
Joachim Dierks


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