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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Als der Hunger nach Kultur groß war
Zwischenüberschrift:
Die Blumenhalle diente nach dem Krieg als Ersatzspielstätte für das Stadttheater
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Gastronomie unter dem Namen Blumenhalle hat eine lange Tradition, die bis 1825 zurückreicht. Aus fast 200 Jahren verdienen es vier, herausgehoben zu werden: Von 1946 bis 1950 diente der Saal der Blumenhalle als Not-Spielstätte des zerbombten Stadttheaters.

Osnabrück. Bis zum Sommer 1944 konnte der Spielbetrieb im Theater am Domhof aufrechterhalten werden, nachdem leichtere Bombenschäden im Sommer 1942 bis zum Beginn der Spielzeit 1942/ 43 wieder behoben waren. 1944 jedoch ging dem Theater personell die Puste aus, weil jeder, der noch halbwegs laufen konnte, zu Kriegs- und Hilfsdiensten herangezogen wurde. Mit dem letzten Großangriff Palmsonntag 1945 fiel auch das Gebäude in Trümmer. Bis auf die Umgänge, das Foyer und ein paar Büroräume war alles zerstört und ausgebrannt.

Nach der Stunde null erwachte sehr schnell das Verlangen nach kulturellen Angeboten. Sobald die Menschen wieder ein Dach über dem Kopf hatten und das Lebensnotwendigste geregelt war, suchten sie Trost und Stärkung im Theater oder im Konzert und wollten dort für zwei Stunden ihre Sorgen vergessen. Angesichts der Trümmerwüste und nahezu hoffnungsloser Lebensumstände wurde Kultur zu einem Kraftspender und (Über-) Lebensmittel. Theaterfreudige Einzelpersonen und Ludwig Bäte als erster Leiter des städtischen Kulturamts verhandelten mit der Militärregierung über einen Wiederbeginn des Theaters. Als Spielstätten wurden eine Karmann-Fabrikhalle an der Adolfstraße und die Reithallen der Von-Stein- und der Caprivi-Kaserne geprüft und verworfen. Am besten geeignet schien der unzerstörte Festsaal der Gaststätte Blumenhalle, auch wenn er ziemlich weit draußen″ am Blumenhaller Weg lag. Der Militärgouverneur gab ihn schließlich frei, erteilte die Lizenz für Theateraufführungen, und Intendant Hanspeter Rieschel konnte im Februar 1946 mit Shakespeares Maß für Maß″ die Notspielstätte eröffnen.

Die Blumenhalle bot 600 Zuschauern Platz, die auf alten Gartenstühlen des früheren Kaffeegartens Platz nahmen. Neben dem Schauspiel gingen auch Oper und Operette über die enge Bühne.

Ergänzend diente das Foyer des Theaters am Domhof als Kammerspielbühne für bis zu 100 Besucher. Die ersten Aufführungen dort im brandgeschwärzten Raum in Sichtweite der apokalyptischen Trümmerlandschaft des eigentlichen Zuschauerraums müssen besonders eindringlich gewesen sein.

Die meisten Aufführungen in der Blumenhalle waren schnell ausverkauft. Wer eine Karte haben wollte, musste im Winter nicht nur Geld dafür auf den Tisch legen, sondern auch ein Brikett. Oder ein Stück Torf oder zwei Stück Holz. Die Theaterleitung sah keinen anderen Weg, da sie nicht genügend Kohle zugeteilt bekam, um den Saal zu heizen. Mit einem kleinen Vers gab sie der Notmaßnahme einen heiteren Anstrich: Theaterspiel erfordert Schwung / Schwung weckt in dir Begeisterung. / Doch innere Wärme nicht allein – / Es soll auch warm von außen sein. / Drum hilf uns mit, die Kälte enden: / Bring Holz, Briketts, bring Torf als Spenden.″

Einer, der das Glück hatte, dicht an der Quelle von Brennmaterial zu sitzen, war Hans-Theodor Rudolph. Seine Theaterbegeisterung wurde dadurch angefeuert, dass er einen Schwiegervater hatte, der Eisenbahner war. Der konnte immer mal wieder ein Brikett, in Zeitungspapier eingewickelt, in seiner Aktentasche mit nach Hause bringen″, erinnert sich der heute 89-Jährige.

Die Liebe zum Theater rührte daher, dass er im Gasthaus Kampmeyer viele Künstler kennenlernte. Er war beim Engländer″ beschäftigt, wie man damals sagte. Die Besatzungsmacht hatte das Gasthaus am Heger Holz beschlagnahmt und nutzte es als ENSA-Hostel″. Entertainments National Service Association (ENSA) war eine 1939 gegründete Organisation, die für die Unterhaltung der britischen Streitkräfte sorgte. Die am Heger Holz untergebrachten britischen Künstler wurden verstärkt durch deutsche, die noch arbeitslos waren. Hans-Theodor Rudolph war als Porter″ (Portier) eine Art Mädchen für alles. Er musste zu den Mahlzeiten kellnern und bei Auftritten den Beleuchter spielen. Dabei machte er die Bekanntschaft von Musikern und Schauspielern, die später in Osnabrücks Neuem Theater″ in der Blumenhalle engagiert wurden.

Seine spätere Frau arbeitete gegenüber der Blumenhalle im Kolonialwarengeschäft Riehemann. Da gingen die Künstler ein und aus, kauften sich ein halbes Pfund Kaffee, wenn es Geld gegeben hatte, und berichteten bibbernd, wie kalt es in der Garderobe im Keller der Blumenhalle wieder einmal war. Das waren doch alles arme Teufel″, stellt Rudolph im Rückblick fest, was die sich alles gefallen lassen mussten und eine Stunde später haben sie uns zu Tränen gerührt.″

Ehrensache, dass er zusammen mit seiner Verlobten kaum eine Vorstellung ausließ, viele Inszenierungen auch mehrfach sah. Man war ja ausgehungert nach etwas Bleibendem, was die großen Dichter uns geben konnten, und nach der ewigen Musik.″ Eine Sammlung der heute spartanisch anmutenden Programmzettel auf bräunlich verschossenem Papier hütet er als Schatz vielfältiger Erinnerungen.

Am 9. September 1950 erlebte das wiederaufgebaute Theater am Domhof eine rauschende Eröffnung mit Calderóns Über allem Zauber Liebe″. Die Blumenhalle hatte als Nottheater ausgedient und stand nun wieder den Tanzschulen Fink und Stiller, den Vereinen für Bälle, Karnevalssitzungen und Tanzturniere zur Verfügung. 15 Jahre lief das Geschäft für Besitzer Friedrich Schnitger auskömmlich. Doch dann hätten ihm neue Brandschutzvorschriften immense Investitionen abverlangt, die er nicht gewillt war zu tragen. Zum 1. September 1965 verpachtete er den großen Saal an die Bremer Tabakfirma Brinkmann, die ihn fortan als Auslieferungslager nutzte, während Schnitger die Gaststätte und den kleinen Saal weiterhin gastronomisch betrieb. Mittlerweile ist im Saal eine Zwischendecke eingezogen. Unten sind Büros und Lagerräume, oben Appartements.

Serie Zeitreise

Die Stadtgeschichte im Blick: Lesen Sie mehr auf www.noz.de / historisch-os

Bildtexte:
Shakespeares Der Sturm″ auf der Bühne der Blumenhalle in der Spielzeit 1946/ 47.

Eingang zur Blumenhalle in den 1930er-Jahren. Bei den Personen handelt es sich vermutlich um Angehörige der Wirtsfamilie Schnitger sowie Stammgäste.

Die Blumenhalle ist heute von Wohnbebauung umgeben. Ihre lange Tradition beschert der Gaststätte einen eigenen Straßennamen: Sie liegt am Blumenhaller Weg.

Theaterfan Hans-Theodor Rudolph bewahrt die Theaterzettel aus den Nachkriegsspielzeiten in der Blumenhalle sorgfältig auf.

Das zerstörte Theater am Domhof vom Nikolaiort aus gesehen. Das Dach des Bühnenhauses ist bereits wieder eingedeckt.

Fotos:
Archiv des Stadttheaters, Archiv Manfred Kuhlmann, J. Dierks
Autor:
Joachim Dierks


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