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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Die Saat ging auf
Zwischenüberschrift:
Am Westerberg begründete Stahn & Finke den Weltruf der „Samen aus Osnabrück″
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Am Nordhang des Westerbergs machte sich früher nicht nur das Militär breit. Der Saatzuchtbetrieb Stahn & Finke beherrschte das Karree zwischen Sedan-, Albrecht-, Barbarastraße und dem Kammweg bei der Musenburg heute ein Teil des Hochschulcampus.

Osnabrück. Als Erinnerungsposten ist nur noch die Eigentümer-Villa der Familie Ludwig an der Sedanstraße 4 übrig geblieben. Sie ging kürzlich durch Presse und Immobilienportale, weil sich das Land Niedersachsen seit 1976 Eigentümer von ihr trennen will.

Der altprächtige Bau von 1905 steht unter Denkmalschutz. Er wird dem Erwerber mit edlen Holzverkleidungen, Textiltapeten, einem Marmorbad und 2100 Quadratmeter Park viel Freude bereiten, aber auch erheblichen Sanierungsaufwand abverlangen. In den vergangenen 30 Jahren nutzten Universität und (Fach-) Hochschule das Gebäude als Sitz des Asta, für studentische Initiativen und mit Seminarräumen für die Fachschaften Philosophie und Cognitive Science.

Sonst ist von der Firma Stahn & Finke nichts mehr zu sehen. Das fünfgeschossige Lager- und Kontorgebäude aus der Vorkriegszeit, die weiteren Betriebsgebäude aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren sowie die ausgreifenden Anbauflächen für die Saatzucht haben den Hochschulen Platz gemacht. Die Uni-Institute für Biologie, Chemie, Physik, Mathematik und Informatik, das AVZ mit Rechenzentrum, ein großer Parkplatz und Grünanlagen sind an die Stelle von Radieschen Delikat″, Markerbsen Siegerin″, Buschbohnen Friesenfreund″, Steckrübe Gelbe Hoffmannsche Riesen″ und Hausgurke Beste von allen″ getreten.

Die Geschäftsgründung geht in das Jahr 1899 zurück. Ludwig Stahn machte eine kleine Samenhandlung in der Innenstadt auf. Der Betrieb wuchs. Für die beabsichtigte Saatzucht war innerhalb der Stadtmauern kein Platz. Deshalb verlegte Stahn den Betrieb nach weit außerhalb des Natruper Tors an den unbebauten Atterschen Weg, der erst nach 1906 im Gefolge der Kasernenbauten den Namen Sedanstraße bekam. Der wachsende Betrieb brauchte frisches Kapital. Deshalb nahm Stahn mit Ernst Finke einen Kompagnon auf. Die Firma wurde nun unter dem Namen Osnabrücker Central-Saatstelle L. Stahn & Finke″ bekannt.

Noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs übernahm der Berliner Kaufmann Carl Ludwig die Geschäftsanteile von Ludwig Stahn und setzte seinen Sohn Alfred, einen ausgebildeten Samen-Kaufmann, als Mit-Geschäftsführer ein. Die Spezialisierung auf die Züchtung hochwertiger Samen für den Gemüseanbau begann. Probe- und Versuchsfelder wurden auf dem Nordhang des Westerbergs angelegt.

Geduld ist Samenzüchters erste Pflicht, weil man der Natur für die Generationenabfolge der Veredelung ihre Zeit lassen muss. Rund acht Jahre dauert es von der ersten Auswahl ausgesuchter Einzelpflanzen bis zum verkaufsfähigen Produkt. Immer wieder werden die gewonnenen Saatgutpartien auf Reinheit und Keimkraft untersucht, für bestimmte Zuchtziele wie Ertragsmenge oder Witterungsunempfindlichkeit klassifiziert, nochmals wieder nur die besten der ersten Elite″ weiter vermehrt und dann eigenen sowie staatlichen Qualitätsprüfungen unterworfen.

Für die Mengenproduktion waren die Ländereien am Westerberg zu klein. Hier beschränkte man sich auf Weiterentwicklungen und Rückstellmuster″ der in den Verkehr gebrachten Ware. Für das Mengengeschäft sorgten die Vermehrer″, vertraglich verpflichtete landwirtschaftliche Betriebe in unterschiedlichen Klimazonen in vielen Ländern der Erde. Wir haben eine Sorte meistens in drei verschiedenen Regionen vermehren lassen, um das Risiko von Missernten gering zu halten″, erläutert der letzte Geschäftsführer Peter C. Ludwig, ein Enkel von Alfred Ludwig.

In Osnabrück liefen die Erntemengen aus aller Herren Länder wieder zusammen. An der Sedanstraße wurden die Samen gereinigt, getrocknet und verpackt. Automaten füllten die kleinen bunten Tütchen, leimten und verschlossen sie und stempelten das Datum auf. Millionenfach wanderten die bunten Portionstüten dann in die Verkaufsständer der Einzelhandelsgeschäfte, Supermärkte und Landhandels-Genossenschaften. Stahn & Finke lieferte nur an Wiederverkäufer, teils in großen Partien. Ein Verkauf an Endverbraucher fand nicht statt.

Das hatte einen gravierenden Nachteil: Im Samenhandel ist es üblich, auf Kommission zu liefern und erst am Ende der Saison abzurechnen″, erläutert Peter Ludwig, wir mussten uns eine ordentliche finanzielle Puste zulegen″. Gelegenheiten dazu gab es paradoxerweise gerade in Jahren allgemeiner Not. Als Teil des Reichsnährstandes″ kam die Firma relativ unbeschadet durch den letzten Krieg. Es wurden nur wenige Mitarbeiter eingezogen. Die Produktion von Gemüsesamen war essenziell für die Nahrungsmittelversorgung und damit kriegswichtig″. Ähnlich ging es nach dem Krieg weiter: Die Engländer taten alles, um die Samenproduktion zu fördern und Plünderungen zu vermeiden. Sie stellten die ihnen benachbarten Felder zwischen Albrecht- und Barbarastraße unter militärische Bewachung. Die Geschäfte liefen auf Hochtouren. Bis zu 180 Mitarbeiter fanden bei Stahn & Finke Lohn und Brot. Die Deutschen waren in den Hungerjahren ein Volk der Klein- und Gemüsegärtner geworden und rissen den Händlern die Tüten förmlich aus den Händen.

Der Boom hielt bis in die Siebzigerjahre an. Der Gesellschafterstamm Finke war inzwischen ausgeschieden. Familie Ludwig ergriff die Möglichkeit beim Schopf, als sich die Möglichkeit einer Betriebsverlagerung aus den beengten Verhältnissen an der Sedanstraße hinaus nach Atter an die Leyer Straße ergab. Baron Ostman von der Leye hatte zwölf Hektar guten Ackerlandes angeboten, die nun für die Versuchs- und Probefelder direkt hinter dem neuen Betriebsgebäude hergerichtet wurden.

Allzu lange währte das Glück dort jedoch nicht. In den Achtzigern ging die Nachfrage nach Tütensämereien stark zurück. Es gab immer weniger Privatleute, die Gemüse anbauten. Grüner Rasen und Hollywood-Schaukel, das wollte der deutsche Wohlstandsbürger, und keine Stangenbohnen.

Um dennoch für Exportmärkte eine Führungsrolle in der Samenzucht zu behalten, wären Millionen-Investitionen in die neue Gentechnik″ erforderlich gewesen, so Peter Ludwig. Dazu waren die Gesellschafter jedoch nicht bereit. So leitete er die geordnete Geschäftsaufgabe in die Wege, zumal sich mit Dieter Staperfelds DK-Berufsmoden″ bald ein solventer Käufer für die Immobilie fand.

Serie Zeitreise

So war es früher: Berichte aus dem alten Osnabrück auf noz.de/ historisch-os

Bildtexte:
Über Musterkulturen mit Astern geht der Blick zwischen Albrechtstraße (rechts) und Barbarastraße (links) zum Betriebsgebäude der Firma Stahn & Finke im Jahr 1934. Im Hintergrund links ist der Piesberg zu erkennen.

Die Villa an der Sedanstraße erscheint heute aus etwa gleicher Perspektive unverstellt durch Gebäude und zumindest im Winter den grünen Sichtschirm der Bäume.

Mit dieser Lithografie des Betriebsgeländes in idealisierter Form machte die Firma ab 1905 auf ihren Briefbögen Werbung. Unten die Sedanstraße mit der Villa.

Blick aus nordöstlicher Richtung auf die Betriebsgebäude und Versuchsfelder um 1973. Links die Albrechtstraße, unten die Sedanstraße und rechts die Barbarastraße mit Anlagen der britischen Garnison.

Foto:
Archiv Peter Ludwig, J. Dierks, Archiv Peter Ludwig/ Herholz
Autor:
Joachim Dierks


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