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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Inklusion: Neue Baustelle für Heiligenstadt
 
Kampf um die Förderschulen
Zwischenüberschrift:
Treffen der Eltern, Lehrer und Schüler aus Stadt und Landkreis
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Dass die Förderschulen mit Schwerpunkt Lernen von der Landesregierung zum Auslaufmodell erklärt wurden, reißt in den Augen von Förderschullehrern, Eltern und Schülern aus Stadt und Landkreis Osnabrück ein Loch in die Förderlandschaft und erschwert die Inklusion im Sinne einer nachhaltigen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben der Kinder mit diesem Förderbedarf.

Bei einem Treffen in Osnabrück wurden Meinungen, Erfahrungen und Standpunkte ausgetauscht. Der Widerstand gegen die Politik von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt formiert sich. Gemeinsam wollen die Betroffenen für den Erhalt der Förderschulen kämpfen und der Landesregierung eine Inklusion abtrotzen, die diesen Namen in ihren Augen auch verdient.

" Es geht nicht darum, die Inklusion an sich infrage zu stellen.″ Schon fast gebetsmühlenartig wiederholen Lehrer, Eltern und mittlerweile auch Schüler diese Position. Sie fordern vielmehr eine sinnstiftende Umsetzung der Inklusion. Die aber ist in ihren Augen noch in weiter Ferne.

Osnabrück. Seitdem mein Kind auf einer Förderschule ist, haben wir endlich wieder ein Familienleben.″ Eine Mutter hielt beim Treffen von Förderschullehrern und Schülern sowie Personalräten und Elternvertretern an Förderschulen in Stadt und Landkreis Osnabrück ein flammendes Plädoyer für den Erhalt der Förderschulen mit Schwerpunkt Lernen. An der Regelschule sei ihr Kind nicht nur inhaltlich auf der Strecke geblieben, es habe auch tief gehende Ausgrenzungserfahrungen gemacht. Die an der Regelschule im Primarbereich (Grundschule) nicht stattfindende Förderung, habe sie an den Nachmittagen mit unterschiedlichen therapeutischen Maßnahmen ersetzen müssen. Was hat das für einen Sinn, wenn ich mit meiner Tochter nachmittags zu einem Therapeuten gehen muss, der die durch die Ausgrenzung verursachte psychische Störung wieder ausgleichen muss? An der Förderschule sei ihre Tochter aufgeblüht, fühle sich als Gleiche unter Gleichen.

Sie habe nach dem Besuch der Comeniusschule Bäckereifachverkäuferin gelernt und arbeite jetzt als Filialleiterin, so eine ehemalige Schülerin. Und ihre damalige Mitschülerin, die heute im gleichen Unternehmen arbeitet, erklärte, für sie sei die Schule wie eine Familie gewesen. Die Lehrer hätten sich ihrer angenommen, hätten sie auf den Beruf vorbereitet, Praktika organisiert und sie auch immer wieder aufgefangen, wenn sie Gefahr gelaufen sei, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, die Schule zu vernachlässigen und sich selber aufzugeben. Ohne die Comeniusschule wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Die haben da einfach nicht lockergelassen″, so ihr Fazit. Ihre Schule aber ist bald Geschichte, denn sie ist eine der Förderschulen mit Schwerpunkt Lernen, die von der Landesregierung abgeschafft wurden und derzeit mit den letzten Klassen auslaufen.

Dabei machen die genannten Beispiele deutlich, um was es beim Thema Inklusion geht: das gleiche, uneingeschränkte Recht auf Teilhabe und individuelle Entwicklung unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder psychischen und physischen Voraussetzungen. Das alles mit dem Ziel, als teilhabendes Mitglied der Gesellschaft zu leben mit Job und Einkommen, mit Partner und Kindern. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einiger Grundvoraussetzungen, die Lehrer, Eltern und Schüler mittlerweile vor allem mit Blick auf die Förderschulen Lernen in großer Gefahr sehen. Nach Ansicht vieler Eltern werden ihre Kinder mit dem Bedarf Lernen in den Regelschulen zwangsinkludiert″ (mit dem Auslaufen der Förderschulen entfällt jegliche Wahlmöglichkeit), was in ihren Augen an sich kein Problem wäre, wenn die Schulen entsprechend ausgestattet wären. Dauerhaftes Teamteaching mit zwei Lehrern, die sich um die Kinder einer Klasse kümmern, wäre toll″, so eine Elternvertreterin. Davon aber seien die Schulen weit entfernt.

Nach Ansicht der Landesregierung reichen zwei Wochenstunden pro Klasse, um den sonderpädagogischen Förderbedarf an Grundschulen abzudecken. Den Rest der Zeit ist der Grundschullehrer mit den Schülern mit und ohne Förderbedarf allein. In den Sekundarschulen bekommen Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf im Bereich Lernen personenbezogen drei Wochenstunden Unterstützung. Und weil es eine eklatante Unterversorgung mit Förderschullehrern gibt, findet noch nicht einmal diese Förderung in vollem Umfang statt. Eine intensive Zuwendung, wie sie zum Beispiel an der Comeniusschule von den beiden Schülerinnen erfahren wurde, kann unter diesen Bedingungen nicht mehr stattfinden, waren sich die Teilnehmer der Informationsveranstaltung einig.

Die Probleme der Kinder mit dem Bedarf Lernen sind zu 80 bis 90 Prozent hausgemacht″, so ein Förderschullehrer. Soll heißen: Die Probleme der Kinder sind Resultate der häuslichen Situation. Oft vergingen Monate intensivsten Kümmerns, bis er einen Zugang zu den Kindern finde, beschreibt er seine Arbeit. Zuwendung″, Vertrauen″ oder auch Geduld″ sind Begriffe, die in der Runde immer wieder fallen. Um sie mit Inhalt zu füllen, lasse das jetzt installierte System der Inklusion keine Zeit.

Und während die Schüler offensichtlich unter einer mangelhaften Förderung leiden, müssen die Lehrer alleinverantwortlich mit 25 Schülern in einer Klasse den didaktisch-pädagogischen Spagat zwischen Förderbedarf und Regelunterricht schaffen. Die Folge: Förderbedarfkinder bekommen eigene Arbeitsblätter, gegebenenfalls keine Noten auf dem Zeugnis, werden in einem gesonderten Teil des Klassenraums unterrichtet und dergleichen mehr. Schlimmer kann Ausgrenzung nicht sein″, so eine Mutter. Die Stigmatisierung, die durch die Inklusion eigentlich vermieden werden sollte, werde so zu einer tagtäglichen Erfahrung. Die Folge ist, dass sich die Kinder immer weiter zurückziehen und zunehmend verweigern.″ Auf einer Förderschule bleibe ihrem Kind diese Erfahrung erspart.

Langsam, aber stetig nimmt der Widerstand gegen die Schließung der Förderschulen Lernen zu. Regelmäßige Treffen der Beteiligten mögen hier ein erstes Anzeichen sein. Über das Thema Inklusion informieren auch die Internetseiten www.inklusions-portal.de und netzwerk-inklusion-os.de.

Bildtext:
Inklusion wird zwar großgeschrieben, aber in den Augen der Betroffenen zu klein umgesetzt.

Foto:
dpa

Kommentar:

Ohne Neuausrichtung scheitert die Inklusion

Versuchen wir einmal, das Handeln der Landesregierung in Sachen Inklusion positiv zu betrachten: Das Kultusministerium nimmt Geld in die Hand, um das Thema umzusetzen, es entwickelt Ideen und Konzepte, ja man könnte sagen, man bemüht sich. Aber: Die Eltern sind sauer, den Lehrern stinkt′s, und die Schüler fühlen sich alles andere als inkludiert.

Schulpolitisch kommt diese Landesregierung auf keinen grünen Zweig. An den Gymnasiallehrern hat sich Kultusministerin Frauke Heiligenstadt schon einige Zähne ausgebissen. Den Förderschulen Lernen und der missglückten Umsetzung der eigentlich von allen gut geheißenen Inklusion könnte der Rest zum Opfer fallen. Mit den Förderschulen wurden Schulen geschlossen, die für die Teilhabe ihrer Schützlinge an der Gesellschaft unendlich viel geleistet haben. Ersetzt wurde ihre hochwertvolle Arbeit ja, durch was eigentlich? Durch einige wenige Stunden Förderunterricht, erteilt von Lehrern, die von Schule zu Schule hetzen, die kein Kind kontinuierlich im Schulalltag begleiten können und denen so der Zugang zu vielen Kindern verwehrt bleibt. Fördern geht nicht im 45-Minuten-Takt. Lehrer und Schüler brauchen Raum und Zeit außerhalb dieser Grenzen.

Die Behauptung der Ministerin, den Rest der Förderung könnten die Regelschullehrer leisten, ist eine Blendgranate. Die haben genug mit dem Rest der Schülerschaft zu tun, der ihnen auch ohne expliziten Förderbedarf ohnehin schon genug abverlangt. Auch die Eltern der Kinder ohne Förderbedarf sollten einmal genau hinsehen und fragen, was denn an ihren Schulen so abgeht. Vor allem sollten ihnen die Schulleitungen und Kollegien ganz ehrlich antworten. Der zu erwartende Protest könnte die Landesregierung vor erhebliche Probleme stellen.
Autor:
dk


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