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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Wenn Klassiker zu neuem Leben erwachen
Zwischenüberschrift:
Kulturphänomen Reenactment: Welle der Rekonstruktionen bei Tanz und Performance
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Historische Ereignisse, Performances, Gerichtsprozesse: Alles kann zum Gegenstand einer Wiederaufführung werden. Zu diesem Format gehört auch die Rekonstruktion der Totentanz″-Choreografie von Mary Wigman am Theater Osnabrück. In unserer Serie erklären wir das Kulturphänomen.

Osnabrück. Pulverdampf über freiem Feld. Dröhnender Trommelwirbel und krachende Musketenschüsse. Kolonnen von Soldaten in historischen Uniformen. Und Napoleon mittendrin. Tausende Akteure sind unterwegs, wenn bei Leipzig die Völkerschlacht von 1813 originalgetreu nachgestellt wird. Sollte man eine Schlacht mit Tausenden Toten rekonstruieren? Und was bedeutet das Ergebnis erneuernde Aneignung der Geschichte, reaktionäre Maskerade oder leeres Spektakel?

Mag das Schlachtengetümmel mit Germanen, Wikingern oder Truppen Napoleons noch so chaotisch wogen Kulturexperten etikettieren solches Live-Geschehen mit einem staubtrockenen Begriff: Reenactment. Nach der Formulierung der Kulturwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte meint Reenactment verkörperte Vergegenwärtigungen vergangener Ereignisse, die hier und jetzt vollzogen werden″. Dabei kann alles zum Gegenstand einer solchen Wiederaufführung werden.

Der Theatermacher Milo Rau stellte 2013 die Moskauer Prozesse gegen die oppositionelle Punk-Band Pussy Riot″ nach. Marina Abramovic, Grande Dame der Performance, führte mit Seven Easy Pieces″ historische Performances unter anderem von Bruce Nauman und Joseph Beuys 2005 im New Yorker Guggenheim Museum wieder auf. Die Theatergruppe Rimini Protokoll geht mit ihren Reenactments an die Schmerzstellen der Zeitgeschichte. 2016 erst inszenierte die Gruppe nach Berichten die Rekrutierung des neunjährigen Yaoundé Mulamba Nkita als Kindersoldat im kongolesischen Bürgerkrieg. Reenactment vergegenwärtigt vergangene Ereignisse und bringt sie so wieder in das allgemeine Bewusstsein.

In diesem Kontext bewegen sich auch die Osnabrücker Theatermacher, die mit Mary Wigmans Totentanz″ eine Choreografie von 1926 rekonstruieren und sie rund 90 Jahre nach ihrer Uraufführung wieder zu einem lebendigen Ereignis machen. Als Reenactment zielt dieses Projekt darauf, dem flüchtigen, weil temporären Tanzereignis Dauer zu verleihen.

Rekonstruktionen haben vor allem seit der Jahrtausendwende Konjunktur. Kein Wunder. Gerade zeitgebundene Kunstformen wie Tanz und Performance beziehen ihre Energie aus gezielten Rückgriffen auf eine stilbildende Vergangenheit. Da es, etwa wie bei Malerei oder Literatur, keine Objekte oder Texte gibt, die diese Vergangenheit zu jeder Zeit repräsentieren, bleibt nur der Weg der erneuten Aufführung. Trotz aller Notationen, Fotos, Berichte oder anderer Dokumente darf immer wieder darüber gestritten werden, inwieweit Aufführungen das Original neu beleben oder doch nur abweichende Versionen vor Augen stellen.

Gleichwohl ermöglichen Rekonstruktionen den zeitgebundenen Künsten, den Kontakt zu ihrer Vergangenheit herzustellen. Reenactments gelten den Klassikern der jeweiligen Künste. Sie helfen dabei, einen Kanon großer Werke zur Diskussion zu stellen und eben damit die Qualitätskriterien der gegenwärtigen künstlerischen Arbeit zu schärfen. Die Welle der Rekonstruktionen zeigt, wie sehr die Avantgarden selbst zur Geschichte geworden sind, die eine neue Auseinandersetzung verlangt. Die Moderne ist unsere Antike: Roger M. Buergel, Leiter der Documenta 12 von 2007, brachte mit dieser Maxime auch die Philosophie des Reenactments auf den Punkt.

Serie Mary Wigman in Osnabrück

Die ganze Serie zu Danse macabre″ am Theater Osnabrück lesen Sie im Internet auf noz.de / kultur

Bildtexte:
Performance: Melati Suryodarmo agiert 2014 in einem von Marina Abramovic kuratierten Kunstformat in Basel.

Tanz: Choreografin Susanne Linke rekonstruiert 2013 in Osnabrück ein Tanzstück von Mary Wigman.

Historie: Laien verkörpern Napoleon und seine Truppen 2015 in einer Nachstellung der Völkerschlacht bei Leipzig.

Theater: Schauspieler stellen 2013 in dem Projekt von Milo Rau den Prozess gegen Pussy Riot in Moskau nach

Fotos:
dpa, Jörg Landsberg, Michael Gründel
Autor:
Stefan Lüddemann


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