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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
„Werner, bring nicht so viel!″
Zwischenüberschrift:
Mit einem Paketzusteller durchs Katharinenviertel – Nie ist der Job so stressig wie in der Vorweihnachtszeit
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Die Weihnachtsgeschenke bringt nicht der Weihnachtsmann. Die Weihnachtsgeschenke bringt Werner Lemme. Seit 1981 arbeitet der 57-Jährige als Paketzusteller in Osnabrück. Wir haben ihn zur stressigsten Zeit des Jahres auf seiner Route durchs Katharinenviertel begleitet.

Osnabrück. Sie haben die falschen Schuhe an″, sagt Werner Lemme, als ich in den gelben DHL-Transporter steige, mit Blick auf meine Stiefel. Er selbst trägt Turnschuhe. Der Laderaum hinter uns ist bis oben hin mit Paketen vollgestopft. Zalando und Amazon, daneben markenlose graubraune Pakete, vereinzelt mit Tannenbäumen oder Sternen bedruckt. Ich suche nach einer Art Bordcomputer, der mir sagt, wo ich welches Paket abliefern muss. Werner Lemme lacht und tippt sich an die Stirn: Ist alles hier drin.″

Der erste Halt ist gleich ein Reinfall. Wir klingeln, aber es macht niemand auf. Vorführeffekt″, sagt Werner Lemme gelassen und drückt eine weitere Klingel. Die Dame ist Lehrerin und um diese Uhrzeit nicht da, aber ich habe noch eine gute Fee im Haus.″ Tatsächlich surrt die Tür. Eine Unterschrift und der berühmte Zettel im Kasten Paket liegt bei Nachbarin. Wenn jetzt gar niemand da gewesen wäre, wäre das auch nicht schlimm gewesen. Dann hätte ich es heute Nachmittag in einer zweiten Runde zugestellt″, sagt Werner Lemme. Einfach vor die Tür stellen darf er das Paket nicht.

Zu den häufigen Vorwürfen, dass Pakete nicht richtig zugestellt werden, kann er nicht viel sagen. Ich kann mir das nur in großen Häusern mit vielen Klingeln vorstellen, bei denen niemand runterkommen möchte. Da wartet man dann unten, niemand macht auf also legt man einen Zettel in den Briefkasten.″

Zurück geht es in den gelben Wagen. Ach, da stellt der sich jetzt hin, zum Donner″, flucht er, als ein Kleinwagen am Heger-Tor-Wall auf einen Parkplatz einbiegt. Stellen wir uns eben auf die rechte Spur. Jetzt gehen wir zur Polizei.″ Wir klingeln, eine Frauenstimme ertönt: Werner, bring nicht wieder so viel! Ein großer Weihnachtsbaum steht im Eingangsbereich der Polizeidirektion. Aber wir bringen nicht nur zwei Pakete, wir nehmen sogar eins mit. Retour.″ So ersparen wir den Damen den Weg zur Post.

Unsere Fahrt geht weiter. Ob sich die Autofahrer oft über seinen haltenden Wagen ärgern? Werner Lemme zuckt mit den Schultern. Der Verkehr ist zunehmend schlimmer geworden″, sagt er. Hier im Katharinenviertel, da sei es ja noch ganz angenehm. Aber auf seiner Route liegt auch die Lotter Straße. Er atmet tief durch. Einmal wollte mich da eine vom OS-Team aufschreiben, weil ich auf dem Bürgersteig stand″, erzählt er. Wir dürfen ja nur halten und entladen wie jeder andere auch.″ Ausnahmeregeln gebe es nicht.

In der Katharinenstraße wird es eng. Einen Rückspiegel hat der Wagen nicht, dafür eine Bordkamera. Zwei Pakete für den Kindergartenverein Marianne Schlief. Drei kleine Jungen hüpfen hoch. Der Paket-Mann ist da wie aufregend. Ein, zwei von denen kenne ich schon″, sagt Werner Lemme. Manche Kinder von Kunden sehe ich ja regelrecht aufwachsen.″ Mit großen Schritten geht es zurück zum Transporter. Ich verfluche meine Schuhe.

Nächster Kunde: die Gesellschaft für Finanz- und Versorgungsberatung. Werner Lemme hält seinen Scanner zum Unterschreiben hin. Du hast mir ein Herzchen da draufgemalt″, stellt er fest, der Kunde lacht und umarmt den DHL-Mann. Tschüss, Schätzchen″, gibt er ihm mit auf den Weg.

Ob er sich überhaupt noch angucke, was er da zustelle? Nö. Manchmal fragen mich Kunden, wenn ich komme: Von wem ist das Paket denn? Dann sage ich: Keine Ahnung, das ist mir doch egal.″

Vor dem Haus des Vereins Haus und Grund″ holt Werner Lemme die Sackkarre aus dem Wagen. Jetzt kommen die schweren Aufgaben.″ Seit 30 Jahren fahre er Mountainbike, überhaupt mache er viel Sport, um sich fit zu halten. Leute, die neu bei uns anfangen, sind an den ersten Tagen richtig erschöpft. Und ich muss sagen: Auch ich kann abends gut schlafen.″

Die Tage vor Weihnachten sind für Zusteller die arbeitsreichsten im ganzen Jahr. Wir sind aber ganz gut aufgestellt und haben hier in Osnabrück keine großen Probleme″, sagt Lemme und drückt den nächsten Klingelknopf. Ich komme, ich komme schon″, schallt es aus dem Haus. Eine Dame öffnet, nimmt das Paket entgegen, hält uns vom Weitergehen ab. Einen Moment, das hier soll ich Ihnen von meinem Mann noch geben″, sagt sie und überreicht eine kleine Tüte. Als Dank für die prompte Bedienung. Sie wissen gar nicht, wie sehr wir das genießen″, sagt sie und lacht.

Werner Lemme bedankt sich und weiter geht′s. Pause? Mach ich morgens, aber wenn ich auf Tour bin, sehe ich zu, dass ich meine Fahrt durchziehe.″ Und Pipi-Pausen? Er lacht. Die Uni an der Rolandstraße liegt auf seinem Weg. Das ist ganz günstig. Aber eine schwache Blase sollte man bei dem Job nicht haben″, sagt er augenzwinkernd.

Unser letzter gemeinsamer Stopp liegt in der Arndtstraße. Keiner da. Aber ein Haus weiter wohnt die Tochter, weiß Werner Lemme. Es ist schon von Vorteil, so einen kleinen Bezirk zu haben, den man noch dazu schon so lange kennt″, sagt der 57-Jährige. Seit 1997 fährt er mit seinem Transporter durchs Katharinenviertel. Ich fühle mich inzwischen hier mehr zu Hause als zu Hause, wenn Sie wissen, was ich meine.″ An der Synagogenstraße lässt er mich aussteigen. Nur meinen Scannerblick kann ich nicht abstellen″, sagt er. Jedem Radfahrer, jedem Fußgänger, blicke er ins Gesicht: Kenn ich ihn? Ist das ein Kunde? Habe ich ein Paket für ihn dabei?

Ich verabschiede mich, meine Füße sind kalt. Noch bis 16 Uhr wird Werner Lemme seine Pakete verteilen und sich anschließend um die Retourabholungen kümmern. Und irgendwann wird er dann in sein richtiges Zuhause nach Kloster Oesede fahren und in seinen eigenen Briefkasten gucken. Vielleicht hat in seiner Abwesenheit ja jemand versucht, ein Paket zuzustellen?

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Bildtext:
Vor Weihnachten alle Hände voll zu tun: DHL-Zusteller Werner Lemme.

Foto:
Michael Gründel
Autor:
Cornelia Achenbach
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